Zum Konzert in Berlin, Titania-Palast, am 6. Mai 1952

 

"Dietrich Fischer-Dieskau.
Als ungewöhnlicher Sänger hat Dietrich Fischer-Dieskau heute sein Publikum, das ihm bedingungslos folgt. Er gibt ihm, was es erwartet: ein Höchstmaß an Empfingungsausdruck und Klangschönheit. Es scheint der Punkt erreicht, wo das klassische Prinzip des Maßhaltens, das Dietrich Fischer -Diekau von Natur aus in so hohem Grade besitzt und das in seiner Natürlichkeit so schnell weit über andere stellte, verlassen zu werden droht. Vielleicht hat sich unbemerkt von der Bühne her ein Reflektieren auf Wirkung eingeschlichen, vielleicht weil der Sänger den früher von einer Seite erhobenen Vorwurf entkräften, er verharre zu lange im Mezzoforte. Jetzt gab es reichlich Überhöhungen im Ausdruck, die zwar ihre Wirkung taten, aber gewiß nicht im Sinne des sehr zart fühlenden Johannes Brahms waren, die dieser Lieder-Abend als Geburtstagsgabe zugedacht war.
Ein Sieg des Intellekts über den Instinkt? Es wäre schade.
Durch die Vortagsfolge ging ein starker Zug der Melancholie. Denjvier ernsten Gesängen ließ der Künstler aus den Liederreihen des Meisters inhaltlich Verwandtes zu neuen kleinen Zyklen geordnet folgen, leider ausschließlich Liebeslyrik. Hertha Klust als Begleiterin sehr dezent und einfühlend. Sie gab aber der Baßführung nicht das Gewicht, das der Kontrapunktiker Brahms ihr beimißt."

Werner Freytag

 

Als Künstler ist Dietich Fischer-Dieskau eine außerordentlich und ungewöhnlich sympathische Persönlichkeit; trotztdem ist es Pflicht, anlässlich seines Brahms-Abendes gewisse warnende Bedenken vorzubringen, die uns heute nicht zum ersten Male aufsteigen: weil wir der Meinung sind, daß er sich anschickt, einen einseitigen, ja vermutlich sogar falschen Weg zu gehen. An sich kommt ihm im jetzigen Stadium seiner Entwicklung gerade die Brahmsische Welt sehr entgegen, die er - wie kaum ein anderer von den jüngeren Sängern - auch wirklich zu erfüllen vermag. Die Gestaltung von innen her also ist über jedes billige Lob erhaben, wie auch der Aufbau des Programms von echtem Geschmack diktiert war. Daneben freilich will da, was der Sänger stimmlich "macht", nicht ebenso befriedigen. Bei ihm ist das kraftvolle Strömenlassen der Stimme allmählich immer mehr verschwunden; das mezza voce dominiert, und zwar so ausschließlich, daß für einzelne Lieder die Gefahr des Blaß- ja des Unlebendigwerdens naherückt. Sogar die eigentlicheTongebung hat darunter zu leiden zugunsten eines Gehauchten, Zersäuselten (bisweilen allzu weich Falsettierenden), das nun wiederum auf die musikalische Erscheinung selbst übergreift und sie zu zerfasern, zu zersetzten geginnt. Die Stimme des Künstlers ist edel geblieben, wie sie war; er sollte es nicht nötig haben, sich irgendwelcher Effekte zu bedienen - weil dies stets in Manier und Pose enden muß. Weiß aber Fischer-Dieskau in sich das Sentimentalische zu bekämpfen und seinem Vortrag jegliche Spur von Unnatur zu eliminieren, wird eine noch weit schönere Laufbahn ihm sicher sein.

Werner Bollert

Musikblätter, Jahrgang 6, 1. Juniheft 1952, Heft 30 (81), Seite 93. (Autoren wie genannt)
(eruiert und mitgeteilt von Jonas Olejniczak, im Rahmen seiner musikwissenschaftlichen Arbeit 2010)

 

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