Zum Konzert am 3. Januar 1957 in Berlin

Die WELT, 4. Januar 1957

Wie Paul Hindemith und Benn sich begegnen

Ihr Oratorium "Das Unaufhörliche":
Erstes Konzert der Westberliner Akademie der Künste

[...] Hindemith selbst dirigierte. Er hat in den letzten Jahren gelernt, wie man Musik nicht nur darstellt, sondern dabei auch überzeugend auf Musiker und Hörer wirkt. Die Stabführung ist plastisch, die Bewegung harmonisch.

Ein gewaltiger Apparat stand zu Gebot: der RIAS-Kammerchor und der Berliner Motettenchor, dazu die Knaben des Staats- und Domchors, das Berliner Philharmonische Orchester und ein Solistenquartett von großen Stimmen, denen man nur etwas mehr Probenzeit gewünscht hätte, Elfriede Trötschel, in der Farbe etwas heller und kühler, als man die Partie in Erinnerung hatte, aber beseelt und klangschön in der Tongebung, Julius Patzak, im letzten Moment für den erkrankten Häfliger eingesprungen, noch immer ein Künstler von meisterlicher Gestaltungskraft, ein Tenor von klingender Höhe, Josef Greindl, markig, aus dem Vollen einer unerschöpflichen Kehle und eines sicheren musikalischen Instinkts singend, und Dietrich Fischer-Dieskau, selbst in der Maske des Relativisten und mephistophelischen Fortschrittlers ein Belcantist von makelloser Noblesse des Tons und ein Phrasierer, der das seltene Geheimnis kennt, Töne zu Linien zu verbinden.

So konnte es nicht fehlgehen. Der Applaus nahm stürmische Formen an, vor allem für Hindemith, der eine knappe Viertelstunde lang immer wieder herausgerufen wurde. Der Erfolg ist doppelt erfreulich, für Hindemith wie für die Akademie der Künste. Wir erhoffen von ihr viel für die moderne Musik. Wenn dabei auch Experimente zu Wort kommen, wird das gerade in Berlin sehr nützlich und notwendig sein.

H. H. Stuckenschmidt

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