Zum Liederabend am 25. September 1960 in Berlin

Berliner Morgenpost, 27. September 1960

Zwei Stimmen – zwei Welten

Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau und Irmgard Seefried

Geistliche und weltliche Gesänge aus dem "Spanischen Liederbuch" von Hugo Wolf sangen Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau im überfüllten Hochschulsaal.

Das große Erlebnis ging von Fischer-Dieskau aus. Souverän setzt er seine Stimme ein, er versteht den Ton zu färben, und jedes Wort, das er singt, ist beseelt.

Irmgard Seefried stehen im Grunde gar keine Klangfarben zur Verfügung. Die Stimme ist schmal und wenig nuancierungsfähig. Der Ansatz in der Höhe ist halsig, der Vortrag in einem Grade bewußt und intellektuell, daß es unbehaglich stimmt.

Zwischen der Interpretation der beiden Künstler lag eine Welt. Merkwürdigerweise auch zwischen der Begleitung, die bei Fischer-Dieskau Gerald Moore in idealer Weise verwirklichte, während sich Erik Werba auf die vordergründige Darstellung Irmgard Seefrieds einstellte.

Pi.


     Tagesspiegel, Berlin, 27. September 1960     

Hugo Wolfs Spanisches Liederbuch

Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau im Hochschulsaal

Die Gesänge des Spanischen Liederbuchs sind im Schaffen Hugo Wolfs nicht der meistgesuchte Bezirk; die ernsteren, spröderen Lieder, deren Texte bis ins Mittelalter zurückreichen, stehen in der Schätzung der Sänger und des Publikums hinter den gefälligeren Stücken des Italienischen Liederbuchs zurück. Wenn Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau einen Abend im Hochschulsaal dem spanischen Zyklus widmeten, so lag ihnen daran, diesen besonderen, ernsten, von religiösen Stimmungen beeinflußten Charakter deutlich zu betonen. In zeremoniellem Wechselgesang an zwei Flügeln gaben sie, die einzelnen Stücke unter sich verteilend und zuweilen innerhalb der Gesänge noch mit Frage und Antwort alternierend, ein Gesamtbild von bezwingender Einheitlichkeit und Eindringlichkeit: eine Form des Liederabends, die hoch über den gewöhnlichen, durch Geschmack und Fähigkeit des Interpreten bestimmten Routineprogrammen steht.

Der erste Teil des Abends war ausschließlich geistlichen Gesängen gewidmet, Marien- und Christusliedern, Klagen um Sünde und Erdenleid, deren Poesie und romantisch gesteigerte Expressivität vom Sänger mit verhaltener Inbrunst, von der Sängerin mit getragenem, fast starrem, objektivierendem Ton interpretiert wurden. Das Kolorit der Klaviersätze, wesentliches Element des Wolfschen Liedes, wurde durch das verschiedenartige Naturell der Begleiter besonders nuanciert: der schwer und weich akzentuierende Gerald Moore verband sich mit dem Bariton, der spielerisch leicht intonierende Erik Werba trug den Sopran. Eine Gruppe übermütiger weltlicher Lieder gab den Kontrast. Hier steigerte sich der Vortrag ins Komödiantische, hier lag der Höhepunkt der Konzertwirkung; dem drastischen, tiefgründigen Humor Dietrich Fischer-Dieskaus hielt Irmgard Seefried durch den leichten, schelmischen Ton und das theatralische Raffinement die Waage, die ihre eigensten, bestrickenden Wirkungsmittel sind. Daß es nicht um Wirkung allein ging, zeigte der Schlußteil, der tiefernste, todtraurige Baritongesänge mit poetischen, schwärmerischen Sopranliedern konfrontierte. Hier vor allem bezeugte sich die tragische Gespaltenheit des Romantikers Hugo Wolf, hier bestand das Sänger-Duo, in dem freilich die bedrängende, fast bohrende Ausdrucksintensität Dietrich Fischer-Dieskaus den Ausschlag gab, seine schwerste, anspruchsvollste Probe.

Oe.


     Der Abend, Berlin, 26. September 1960     

Weltberühmte Töne

Unter einem Baldachin von sechs Mikrophonen sangen Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau im Hochschulsaal Gesänge aus Hugo Wolfs "Spanischem Liederbuch". Jeder mit seinem eigenen Begleiter. Das war etwas viel äußerer Aufwand für eine an sich doch stille und besinnliche Stunde. Sie sollte eine späte Erinnerung an die 100. Wiederkehr von Hugo Wolfs Geburtstag sein.

Bei aller Freude über das Konzert mußte man doch auf eine innere Geschlossenheit verzichten. Der als homogene Liederfolge gedachte Zyklus zerfiel bisweilen.

L. Bd.


     Der Tag, Berlin, 27. September 1960     

Nicht auf der gleichen Höhe

Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau sangen Hugo Wolf

Zum Gedenken an Hugo Wolfs 100. Geburtstag sangen Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau im dichtbesetzten Hochschulsaal eine Auswahl aus dem "Spanischen Liederbuch", jenem tönenden Bilderreigen, dessen Figuren die Musik bis in die verschwiegensten Tiefen der Seele transparent macht.

Da sind eingangs die demütig gläubigen Meditationen über das Gotteswunder von Bethlehem und die mystischen Dialoge zwischen der reuigen Seele des Sünders und ihrem Erlöser in einer Sphäre visionärer Frömmigkeit. Diese unsagbar beredte Welt der Stille und Entrücktheit ist ganz und gar Fischer-Dieskaus Reich; auch im Leisesten, Unwägbarsten noch spürt man die Flamme ekstatischer Inbrunst, wie sie ja brennt in diesen Gesängen, zauberisch behutsam getragen und mitgedeutet von dem kongenialen Gerald Moore am Klavier.

Neben einem Partner, der mit Hugo Wolf so innig im Einklang ist und die ideale Höhenlage der Interpretation bestimmt, hat Frau Seefried einen schweren Stand, doppelt schwer, weil die öfter etwas laute und harte Begleitung Erik Werbas sie kaum zu inspirieren vermag. Ihre vielgepriesene Stimme hat sich von der Opernbühne her die Welt erobert, gewiß; beim Liedgesang jedoch erweist sich, daß sie durchaus nicht so ohne Fehl und Tadel ist. Verglichen mit der Palette Fischer-Dieskaus erscheint beispielsweise ihr Farbenreichtum äußerst begrenzt, und an die Stelle seelischen Ausdrucks mit allen Schwingungen des Stillen tritt häufig eine dramatische Akzentuierung, die mehr für kühlen Intellekt als für ein warmempfindendes Herz spricht. Ein paar Töne gibt es außerdem in diesem Sopran, die ihm gar nicht gut anstehen und für Feinhörige denn auch etwas fatal Irritierendes haben.

Unter solchen Voraussetzungen gelingen Frau Seefried in den Gesängen des zweiten Teils, die von den heillosen Erwählten des Eros künden, jene Gestalten am glaubwürdigsten, die einem schnippisch-koketten Mädchen ähneln und von der Erfülltheit der Liebestrunkenen nichts ahnen. Dabei braucht man nur Fischer-Dieskau zuzuhören, um der seelischen Differenziertheit innezuwerden, die all diesen Blessierten der Liebe als Stigma der Gebrochenheit anhaftet.

Der Beifall für die beiden Künstler war dennoch einhellig und entsprang dankbarer Begeisterung und Ergriffenheit.

r. b.


     Kurier, Berlin, 26. September 1960     

Zwei Wolf-Interpreten

Auch der einhellig begeisterte Beifall für Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau in der Hochschule kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie grundverschieden die beiden zu Hugo Wolfs "Spanischem Liederbuch" stehen. Frau Seefried zeichnete den Umriß ihrer Gestalten und ist Wolf samt seinen Dichtern am nächsten, wenn sie eine schnippische Schelmin sein darf. Da hört man wenigstens eine Eigenart ihrer Stimme, die mangels Vibrato bei gewissen Tönen wie leere Saiten der Geige wirkt. Ihr paßt sich Erik Werbas Begleitung stellenweise etwas laut an.

Fischer-Dieskau hingegen taucht tief in die Seele hinein und gibt wundersam bewegende Kunde von allem, was sie erfüllt an mystischer Inbrunst und Frömmigkeit in der Liebe. Und makellos, wie er singt, begleitet ihn auch der unvergleichliche Gerald Moore.

- u. -


Telegraf, Berlin 28. September 1960

Das spanische Liederbuch




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