Zum Liederabend am 17. Mai 1962 in München

     

     Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 1962     

    

Herzog Blaubarts Burg

Hertha Töpper, Fischer-Dieskau und Kubelik im Symphoniekonzert des Bayerischen Rundfunks.

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Daß die Wiedergabe dieses Melos in einer fremden ( in diesem Falle der deutschen) Sprache ein besonderes Problem darstellt, vergaß man bei Hertha Töpper und Dietrich Fischer-Dieskau vollkommen. Diesem überragenden Sängerpaar - undenkbar, daß sich eine bessere Besetzung finden ließe - gelingt es durch den Reichtum seiner Ausdrucksvarianten vom Somnambulen bis zum Ekstatischen, über alle sprachlichen Unebenheiten hinwegzutragen. Was ich noch in keiner Bühnenaufführung dieser Oper, selbst nicht im Budapester Nationaltheater, so gespürt habe wie bei Hertha Töpper und Fischer-Dieskau, war die Enthüllung einer geheimnisvollen Ähnlichkeit der Charaktere - so, daß Judith gleichsam prädestiniert erscheint, für den Eintritt in die nächtliche Welt Blaubarts und die endliche Einschließung in ihr. Das ist das Ergebnis  vollkommenen Korrespondierens im Musikalischen wie im Psychologischen und einer Sensibilität der Partnerschaft, die um so seltener wird, je mehr bei dem ständigen Ortswechsel der prominenten Sänger innerer, dem Werk (und nicht nur der Stunde des gemeinsamen Auftretens) entwachsener Kontakt, die Voraussetzung aller echten Partnerschaft, in Verfall gerät. Muß man betonen, daß Fischer-Dieskaus Blaubart kein Schreckphantom und finsterer Bösewicht ist, sondern ein Mensch, der zu stolz ist, die Widersprüche und die innere Zerrissenheit seines Wesens preiszugeben, und der es in einer Art schmerzlichem Triumph hinnimmt, daß ihre Entdeckung - mit der Auslieferung des siebenten Schlüssels  - sein und seines Weibes Schicksal unabänderlich besiegelt? Sein letztes "Nacht bleibt es nun, ewig, immer ..." hat etwas vom Untergang des Titanen.

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K. H. Ruppel

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     Münchner Merkur, 19. Mai 1962     

    

Fischer-Dieskau in "Herzog Blaubarts Burg"

Seele hinter sieben Türen

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Die blutrote Grausamkeit des Märchens vom Ritter mit dem blauen Bart hat Bartók in eine wundersame Schwermut getaucht. Blaubarts Burg ist nicht aus Stein gebaut, sie ist mit ihren sieben verschlossenen Türen Symbol für Blaubarts einsame, dunkle Seele. In sie dringt Judith voll Lebensfreude und sinnenzitternder Jugendlichkeit ein. Sie will die Türen, die Tore zu Blaubarts Innerem sind, öffnen, listet ihm die Schlüssel ab und gelangt – Senta und Elsa zugleich – in die tiefsten und verborgensten Kammern seines Herzens. Vor ihren Blicken öffnen sich die Folter-, die Waffen- und die Schatzkammer, ein seltsam blühender Garten und die Sicht in das herrliche weite Land – die seelische Landschaft.

Aber immer neue Zweifel tauchen in Judith auf. Sie schließt auch die letzten Türen auf. Ein stiller Weiher, aus Tränen gebildet, ruht hinter der sechsten, und mit der siebten öffnet sich die Vergangenheit in der Seele Blaubarts – in herrlicher Schönheit erscheinen seine früheren Frauen, Symbole der tristanischen, tiefromantischen Anschauung von der Liebeserfüllung nur im Tod.

Auch Judith, die gekommen war, Licht in Blaubarts Festung zu bringen und die am tiefsten in das Nächtige seiner Seele eindrang, beruhigt sich nicht mit der Ahnung des Dunkels, sondern begehrt in magischem Zwang zu wissen, was sie nicht wissen darf. Das bedeutet ihr Ende; still folgt sie den anderen hinter die sich schließende Pforte. "Nacht bleibt es nun ewig, immer..." Und Finsternis breitet sich von neuem über "Herzog Blaubarts Burg". Mit leisen symbolistischen Versen nach Art Maeterlincks formte Béla Balász den Text, gleicht den Mangel an äußerer Dramatik durch die starke innere Spannung aus.

Bartók schrieb dazu eine düster-geheimnisvolle Musik von starker Symbolkraft, die der menschlichen Seele bis in ihre tiefsten Verästelungen folgt. Sie beginnt mit der Finsternis schweren, dunklen Streicherklangs, in den sie zum Schluß wieder hinabsinkt. Dazwischen breitet Bartók die ganze Glut seiner klangschöpferischen Phantasie aus, vom drohenden Ostinato bis zu leuchtenden, vielschichtigen Klängen, von monotoner Verhaltenheit bis zum aufpeitschenden Rhythmus, vom Seufzen und Weinen bis zum strahlenden C-Dur.

Rafael Kubelik entfaltet den ganzen Reichtum der Farben, findet den intensiven Ton für die Düsternis und für das Leuchten, für die Abgründe und das Zauberische der Partitur. Er läßt die Klänge funkeln und dann wieder hart sich reiben, gibt dem Ächzen und Stöhnen, dem Glitzern des Schmuckbildes und dem feuchten Glanz des Tränensees über alles Illustrative hinweg die magische Bedeutung und läßt die Weite des Landes sich im majestätischen C-Dur spiegeln.

Er hatte die beste Judith und den besten Blaubart, die wir heute besitzen. Hertha Töpper macht in jedem Ton deutlich, daß Blaubart mit Judith die entscheidende Partnerin gegenübertritt, mit der es unausweichlich um Sein oder Nichtsein geht. Bewegend ihre Wandlung vom zuerst noch der Helle Zugewandten, dem Wunsch, Blaubart der Finsternis zu entreißen, bis zu ihrem eigenen immer stärkeren Verfallensein an das Dunkel.

Fischer-Dieskau löst den Blaubart aus der einseitigen Maske des Finsterlings und eröffnet der Gestalt eine erstaunliche Skala, von der Verschlossenheit des Anfangs, wenn er nur widerwillig die Bezirke des Inneren freigibt, bis zu den jähen Ausbrüchen, mit denen er sich gegen das Unabwendbare zu stemmen versucht. Wie fein gesehen ist sein kaum verhohlener Stolz, mit dem er etwa "meiner Feste Zaubergarten" singt, welch ein Abgrund von fahler Trauer tut sich auf, wenn er das Wort "Tränen" ausspricht! Schließlich die dumpfe Wollust, mit der er den Untergang – "nimm ihn auch den siebten, nimm!" – besiegelt.

Das Publikum, spürbar gefangen von der Aufführung, spendete begeisterten Applaus.

Helmut Schmidt-Garre

    

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