Zum Konzert am 28. Februar 1963 in Berlin

Die Welt, 1. März 1963

Kammermusikalisch vollendet

Französischer und italienischer Barock – Moderne Kompositionen

Zum Erquickendsten, was Berlins ja nicht gerade ärmliches Musikleben zu bieten hat, gehört das alljährliche Kammerkonzert der Kollitsch-Reihe, zu dem sich eine Elite von Musikern einfindet, um Raritäten überwiegend der Barockzeit zu musizieren.

Was hier zum Beispiel der Flötist Aurèle Nicolet und der Oboer Lothar Koch, die zusammen mit Dietrich Fischer-Dieskau den Kern des Ensembles bilden, an kammermusikalischer Kunst bieten, dürfte nicht zu übertreffen sein. Wie sie in großenteils sehr reizvollen Instrumentalstücken von Alessandro Scarlatti und Boismortier herrlich delikat, zugleich funkelnd musikantisch einander zuspielen, im idealen Ausgleich von Partnerschaft und Individualität, wie Nicolet im Schlußsatz von Couperins "Concert Royal" e-Moll für Flöte und Continuo die Musik in einem Pianissimo sublimiert, das kunstvoller und zugleich schlichter nicht zu denken ist – das zählt zu jenen musikalischen Ereignissen, von denen man wohl wirklich einmal sagen kann, sie seien "unvergeßlich".

Dietrich Fischer-Dieskau zwang in einer geistlichen Kantate "Infirmata vulnerata" von Alessandro Scarlatti, in Couperins Gesängen über die Jeremias-Klage und in zwei Arien aus einer "Bacchus"-Kantate von Nicolas Bernier wie immer zur Bewunderung seiner nahezu unbegrenzten gesanglichen Mittel.

Am Cembalo: Edith Picht-Axenfeld. Helmut Heller spielte die Violin-, Hans Lemke die Fagottstimme, Irmgard Poppen betreute diskret den Cellopart.

M-r

Tagesspiegel, Berlin, 5. März 1963     

    

Zwischen Barock und Rokoko

Dietrich Fischer-Dieskau im Hochschulsaal

    

Das Konzert mit alter Kammermusik, das unter der Ägide Dietrich Fischer-Dieskaus eine Elite virtuoser und stilkundiger Instrumentalisten alljährlich im Hochschulsaal zusammenführt, gehört schon zur Tradition des Berliner Musiklebens; ein kleines Fest der alten Musik, ausgezeichnet durch ein erlesenes Programm und eine lebendige Wiedergabe, die hoch über der Norm des akademischen Historismus steht. Dieses Mal war es italienische und französische Musik auf der Grenze von Barock und Rokoko, die dem Hörer als Kostbarkeit präsentiert wurde. Die großen Namen Alessandro Scarlatti und François Couperin gaben dem Abend Gewicht, jener mit einer geistlichen Kantate und einem Quintett für Bläser und Streicher, dieser mit einer Lamentation für die Karwoche und einem "Concert Royal" für Flöte; Nicolas Bernier und Joseph Bodin de Boismortier, französische Meister des Ancien Regime, ergänzten das Programm.

Der tiefe, passionierte Ernst, mit dem Dietrich Fischer-Dieskau die Lyrik Scarlattis interpretierte, legte die Stimmung fest. Das Ereignis des Abends aber waren Couperins Gesänge aus den Klageliedern des Jeremias, die den Meister des Clavecin als großen geistlichen Komponisten ausweisen. Der Ausdruck liegt ganz in der melodischen, vom Continuo getragenen Linie der Singstimme, die das alte Prinzip der Gregorianik mit den Mitteln des Rokoko zu erneuern scheint. Wie der Sänger den Fluß des frei schweifenden Melos bis in die feinsten Verästelungen, in die Zierate der Triller und Mordente verfolgt, wie er Ausdruck und Dynamik dosiert , wie er zwischen die Texte die hebräischen Buchstaben wie die verschnörkelten Initialen einer alten Handschrift einfügt, das ist Leistung einer genialen, einfühlenden Intuition, die ohne Beispiel ist; kein anderer Sänger wäre heute fähig, diese zeitgebundene Musik einem modernen Publikum nahezubringen.

Das Instrumentenensemble bestand aus dem Flötisten Aurèle Nicolet, dem Geiger Helmut Heller, dem Oboer Lothar Koch, dem Fagottisten Hans Lemke, der Violoncellistin Irmgard Poppen und der Cembalistin Edith Picht-Axenfeld – lauter Vertreter der besten musikalischen Gesellschaft, deren Konversation ein ideales Zusammenspiel ergab. Erwähnt man die graziösen Passagen des Flötisten in Couperins Tanzsuite, das leichte, pointierte Konzertieren des Holzbläsers bei Scarlatti und Boismortier, das diskrete Zurücktreten des Continuo-Violoncellos und den pathetisch harfenden Akkordanschlag des Cembalos, so ist ein wenig von dem Überfluß an Schönheit angedeutet, der hier verschwendet wurde.

Oe.

   

     Der Tag, Berlin, 2. März 1963     

    

Anmutige Barockmusik

Fischer-Dieskau und ein Solisten-Ensemble im Hochschulsaal

    

Als Erbin des Madrigals gehörte die Kantate im 17. Jahrhundert zu den beliebtesten, nun instrumental reich begleiteten Schöpfungen für Gesang. Alessandro Scarlatti soll mehr als sechshundert geschaffen haben, und mit einer von ihnen, zu seinen "Concerti sacri" gehörenden Vertonung eines mehr irdisch als himmlisch wirkenden Liebesgedichtes, begann ein mit Dietrich Fischer-Dieskau vereintes kleines Solistenensemble ein Konzert, dessen intime Reize im großen Saal der Berliner Musikhochschule leider teilweise verlorengingen. Fischer-Dieskau sang außer dieser Kantate noch Stücke aus einer Bacchus-Kantate Nicolas Berniers, eines dem italienischen Stil folgenden Pariser Komponisten zur Zeit Ludwigs XIV., ferner aus François Couperins "Tenèbres" nach Klageliedern des Jeremias.

Überall triumphierte hier der ausdrucksstarke Vortrag des sich glänzend entfaltenden, auch auf dem Glatteis der Koloraturen sicheren Sängers, mit dem die Flöte Aurèle Nicolets, die Oboe Lothar Kochs und die Violine Helmut Hellers virtuos wetteiferten. Drei rein instrumentale Tonschöpfungen, gleichfalls dem romanischen Barock angehörend, ergänzten das Programm: Ein Quintett für Flöte, Violine, Oboe, Cello und Cembalo von Scarlatti, das vierte "Concert Royal" für Flöte und Cembalo von Couperin und ein Konzert für Flöte, Violine, Oboe, Fagott und Cembalo des amüsanten Pariser Vielschreibers Joseph Bodin de Boismortier.

Um die Wiedergabe dieser durch ebenso anmutige wie gelegentlich kecke Musik ausgezeichneten Werke machten sich außer den Genannten noch Hans Lemke (Fagott), Edith Picht-Axenfeld (Cembalo) und (als cembalostützende Cellistin) Irmgard Poppen verdient.

-ll

   

     Tele, 3. März 1963     

    

Fischer-Dieskau

Konzerte im Hochschulsaal

     

Jedes Jahr versammelt Dietrich Fischer-Dieskau eine Schar erlesener Instrumentalsolisten, um mit ihnen selten aufgeführte und halb vergessene Kammermusik neu zu entdecken. Diesmal standen reichverzierte, geistvolle Werke des italienischen und französischen Spätbarock auf dem Programm im Hochschulsaal. Fischer-Dieskau gestaltet alles, was er in Angriff nimmt, mit der gleichen überlegenen Meisterschaft, eine asketisch-herbe geistliche Kantate des neapolitanischen Opernmeisters A. Scarlatti oder die lebensfrohe "Bacchus"-Kantate von Nicolas Bernier. Eine besondere Kostbarkeit war die "Première leçon de Tenèbres" von Couperin dem "Großen" mit ihrem Wechsel zwischen schwierigen Melismen und breit auszusingender Kantilene. Edith Picht-Axenfeld am Cembalo und die Cellistin Irmgard Poppen unterstützen ihn und das ganze Programm als zurückhaltend musizierende Continuogruppe.

Aurèle Nicolet und Lothar Koch, die beide ihr Instrument mit solcher Vollkommenheit beherrschen, daß sie von aller irdischen Schwere losgelöst scheinen und die Musik unmittelbar, scheinbar ohne den Umweg über das Instrument, sprechen lassen können, hatten reizvolle Soloaufgaben: Koch in Berniers Kantate mit obligater Oboe und Nicolet in dem "Vierten Königlichen Konzert" von F. Couperin. Sie fanden sich mit Helmut Heller, Geiger und Kammermusiker desselben hohen Niveaus, und dem ihm nicht nachstehenden Fagottisten Hans Lemke in des liebenswürdigen Vielschreibers Boismortier Concerto op. 37 zu einem hinreißend exakt abgestimmten Ensemble zusammen, das von Virtuosität und Esprit blitzte.

U. K.

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