Zum Konzert am 3. März 1963 in Hamburg
Hamburger Abendblatt, 5. März 1963
Martin, Mahler und Dvorak
Das 7. Philharmonische Konzert in der Musikhalle
Mit sanfter Gewalt werden die Programme der philharmonischen Konzerte in Richtung auf das zeitgenössische Schaffen gesteuert. Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch tut gut daran, bei seiner zielstrebigen Repertoireerweiterung vorerst solche Werke zu wählen, die die Grenze des akzeptablen Modernen nicht überschreiten. Ein gutes Beispiel dafür war die "Petite symphonie concertante" von Frank Martin. Hier ereignet sich nämlich der seltene Fall, daß eine melodisch eingängige zwölftönige Reihe vom Hörer spontan als "Thema" verstanden wird und dementsprechend auch in seiner kontrapunktischen Verarbeitung verfolgt werden kann.
Angeregt durch die Kombination sämtlicher heute gebräuchlicher Saiteninstrumente – Streicher, Klavier, Harfe und Cembalo -, schrieb der Komponist 1945 ein Werk im Concerto-Charakter, in dessen viersätzigem pausenlosem Ablauf zwei Streichorchester mit der Solistengruppe wetteifern. Abgesehen von der etwas langatmigen Entwicklung durch das stafettenartige Weiterreichen des Themas stellt diese Komposition dank ihrer durchsichtigen Struktur, ihrer vergleichsweise konservativen Harmonik eigentlich keine Hörprobleme mehr. Die überzeugende philharmonische Wiedergabe (mit den Solisten Hans Jacobs, Harfe, Hannelore Unruh, Cembalo, und Hans Geisendörfer, Klavier) wurde von dem Auditorium wohlwollend vermerkt.
Geradezu beklemmend andächtige Stille herrschte beim Vortrag der "Lieder eines fahrenden Gesellen". In Dietrich Fischer-Dieskaus unvergleichlich intensiver und konzentrierter Gestaltung wirkt auch der schwärmerisch naive Volkston in Gustav Mahlers Gesängen natürlich und vital. Er läßt sich nicht treiben im Strom der Empfindung, er sublimiert sie durch die Kraft des Gefühls. Die Bewunderung des Publikums, das sich nur langsam aus dem Bann der ergreifenden Interpretation löste, galt der faszinierenden Kunst des Gestalters.
Hatte Sawallisch mit dem Orchester schon hier durch farbig feingestuften "Szenenwechsel" für stimmungsvolle Begleitung gesorgt, so zeigten sich die Philharmoniker bei der mitreißenden Wiedergabe von Dvoraks 8. Sinfonie G-Dur Opus 88 auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Selten haben wir Sawallisch so temperamentvoll dirigieren sehen. In Kontur und Farbe ganz auf sinnenfreudigen Klang eingestellt - der schwelgerische Glanz der Streicher muß diesmal besonders gerühmt werden -, ließ Sawallisch die üppigen Kantilenen aussingen und schwingen. Der tänzerische Rhythmus behielt bis zum blendenden Finale Spannung und Elastizität. Bravorufe und lang anhaltender Beifall!
S. T.