Zum Liederabend am 1. August 1963 in Salzburg
Die Presse, Wien, August 1963
Aesthetik in Reinkultur
Dietrich Fischer-Dieskau sang einen Abend lang Schubert
Dietrich Fischer-Dieskau, wohl der gefeiertste Liedsänger unserer Tage, sang im Salzburger Mozarteum einen Abend lang Franz Schubert. Vom Publikum stürmisch gefeiert, bewies er vor allem seine Meisterschaft in der Programmierung eines solchen Abends, erfand vier Liedgruppen, in denen Licht und Schatten, Populäres und wenig Bekanntes sich abwechselten und die Waage hielten. Allein das aufmerksame Durchlesen seiner so niedergelegten Vorstellungen von Wert und Möglichkeit eines Liederabends bereitet ästhetisches Vergnügen.
Ohne nun die Meisterschaft auch nur für eine Sekunde in Zweifel zu ziehen, darf vielleicht versucht werden, Fischer-Dieskau eine Bitte vorzutragen: Wir alle lieben seine modulationsfähige, biegame, keinen Augenblick unkontrollierte Stimme; wir alle bewundern seine geistige Kapazität in der Ausdeutung eines Liedes. Wir alle aber -die Fanatiker - vielleicht ausgenommen und solche, die in Trance verfallen, wenn er singt, schrecken wohl auch vor einem einmal nicht auf das vollkommenste geglätteten Bild nicht zurück, haben gegen pulsierendes Leben nichts einzuwenden und sind derart dankbare Zuhörer, daß Fischer-Dieskau selbst ruhig einmal singen könnte, ohne sich selbst zuzuhören.
Was nach vielen Abenden, an denen der große Sänger von gleichmäßiger Präzision im Ausdruck war, einmal reizvoll und vielleicht sogar erleichternd wäre, ist: ein Lied, dessen Stimmung und Gehalt Fischer-Dieskau ganz in sich aufgenommen und dann beinahe wieder vergessen hat, ein Lied, das er unmittelbar neu produzieren muß. Zum schwachen Vergleich sei hier angeführt, wie kostbar Opernabende werden, bei denen der andere große, Geschliffene, Karajan, mit kleineren Schwierigkeiten im Orchester oder auf der Bühne zu kämpfen hat. Da wird plötzlich das Leben spürbar, das man sonst manchmal vergißt. Ein Ähnliches von Fischer-Dieskau zu verlangen, ist schwer, man müßte ihm eine Indisposition oder sonst eine Klippe wünschen, die er zu meistern hätte. Und man wagt derlei frevlerische Gedanken nur in der Gewißheit, daß ihm dies ja auch mühelos gelänge.
Das dankbare Publikum, mit solchen Erwägungen nicht belastet, sondern gekommen, um Fischer-Dieskau so zu hören, wie es ihn anzubeten gewohnt ist, war zurecht begeistert und tobte in festlicher Freude.
Franz Endler
Salzburger Nachrichten, 3. August 1963
Im Sternbild Schuberts
Der Liederabend im Mozarteum - Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore
Das Sternbild Franz Schuberts: so nennen wir es - Die Leier. Denn dieser Gesang und dieses Saitenspiel sind geschaffen, als wären sie die Sprache einer Gestalt, die Rede ein- und desselben Mundes. Durch Schuberts Genie erfuhr die Welt jenes Urerlebnis der Lyrik wieder an sich, das, zum Symbol erkaltet, als Vasenbild von dem Sänger Thrakiens Äonen überdauert hat. Sein Werk, mit dem ein allzu kurzes Mannesleben sich verzehrte, erschien wie Saat von fernen Gestirnen. Da war das Lied - le lied - the Lied -! Es ging auf fremde Zungen über, es war das Neue von alters her, von den der Quellen aller Menschengesänge.
Franz Schubert hat in den einunddreißig Jahren seines Daseins eine besondere Kunstgattung hervorgebracht. Und es bezeichnet die ganze , Wahrheit, wenn aus der Geschichte ersichtlich wird, daß das letzte der Lebensjahre dieses Schöpfers anbrechen mußte, bis zum ersten Mal ein öffentliches Konzert mit seinen Liedern stattfand. Gegeben in der Heimatstadt Wien, "unter den Tuchlauben Nr. 558", den 26. März 1828. Zu den "Vortragenden" gehörte der berühmte Bariton Johann Michael Vogl, damals schon k. k. pensionierter Hofopernsänger, wie auf dem Zettel zu lesen steht. Er war der Herold der vielen "Schubertiaden" privater Zirkel in Wien, und er hatte den bescheidenen Freund und Meister einmal auch nach Salzburg begleitet: Es war die bekannte Reise vom September 1825, über die Schubert seinem Bruder Ferdinand so geflissentlich Aufschluß gab.
In demselben Briefe heißt es, was die ersten und einzigen Liederabende in Salzburg, bei dem Grafen von Platz und seiner Gesellschaft, betrifft: "Die Art und Weise, wie Vogl singt und ich accompagnire, wie wir in einem solchen Augenblick Eins zu sein scheinen, ist diesen Leuten etwas ganz Neues, Unerhörtes..."
Ein Bild von solcher Einheit ist am 1. August 1963 in demselben Salzburg wiedergekehrt, wo Schubert und Vogl zu ihrer Zeit die Leute staunen gemacht hatten. Ein Bild von vollkommener Einheit: man muß es betonen, um nur klar werden zu lassen, daß - so wie Schubert mit seinem Barden ("die Art und Weise, wie Vogl singt") aufs beste harmonierte - auch hier ein ideales, nach Temperament und Stil völlig in sich ausgeglichenes Duo zu bewundern war: Dietrich Fischer-Dieskau und GeraId Moore.
Die biographische Literatur, daunter insbesondere Andreas Liess' aufschlußreiches Buch über Johann Michael Vogl (Böhlau Verlag), gibt über den Schubert-Gesang immer wieder Problematisches zu denken. Es war und ist die Frage nach der rechten Verbindung des lyrischen mit dem dramatischen Ausdruck im Vortrag. Da man von Vogl weiß, daß er beispielsweise, - um den gewiß radikalsten Einfall zu nennen, -für einen Abend in Steyr einmal die Ballade vom "Erlkönig" mit verteilten Rollen vorbereiten wollte, belastet den Namen dieses gewissermaßen vorbildhaften Schubert-Sängers (neben der rein lyrischen Art des Barons Schönstein) in der Überlieferung trotz der erklärten Wertschätzung Schuberts ein Odium des Dramatisch-Allzudramatischen.
Es ist bemerkenswert, daß der klassische "Schubert-Sänger" unserer Zeit, was seine gleichwertige Geltung bei Schumann und Wolf nicht schmälert, in den letzten Jahren von der Kritik mancherorts in die alte Streitposition: Lyrisch oder Dramatisch? - hineingezogen wurde; eine Alternative, die überhaupt an die Wesenheit des Universellen im Charakter dieser einmaligen Sängerpersönlichkeit rührt. Was aber den Schubert-Stil im besonderen angeht, so ist die Alternative als solche falsch, und zwar immer in dem Grade, wie man das eine vom anderen ausschließt.
Wer möchte behaupten, daß etwa der "Erlkönig" undramatisch nachempfunden werden kann? Sogleich fährt dem Zweifler die Dissonanz in den Nacken: sie bedeutet Schrei! "Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort...?" Gewiß, der Schrei ist nicht antilyrisch gesetzt, er dringt aus dem einheitlich bewegten Spiel der Begleitstimme; er darf es nicht sprengen, aber er will auch nicht in Sänftigung ersticken. Ähnliches gilt von der Sisyphus-Szene der "Gruppe aus dem Tartarus"; nicht eine historisierende Faustregel, - die Musik gibt sichere Auskunft über das Maß der Bewegung. Wenn es je, an anderen Orten, Einwände von irgendeiner Berechtigung gegeben haben sollte, dieser festliche Schubert-Abend Fischer-Dieskaus in Salzburg schuf für uns aufs neue die volle Gewißheit von einem originalen Stil und von einer Höhe der gesanglich-musikalischen Kultur, die über jede Tagesmeinung erhaben sind.
Was wir eingangs hier mit dem, Bilde der Leier, der sagenhaften Einheit von Sang und Saitenspiel, als spontane Impression des Konzerts wiedergeben wollten, kann noch ausdrücklich bezeugt werden: Es war ein Musizieren von absoluter Übereinstimmung zwischen den Partnern, und zwar in dem kleinsten Akzent, - im fließenden Austausch der Betonungen - wie im ganzen, metrisch streng gebundenen Ablauf. Keine Rückung im Tempo, die nicht klar bemessen, kein Tonartenwechsel, dem nicht der deklamatorische Wandel im Übergang schon entsprach. Und dennoch: bei aller virtuosen Kunst des Gesanges, - nicht eine Nuance zuviel; auch nicht der Schein von einer Selbstverherrlichung dieser begnadeten Stimme; die man immer wieder auf einer neuen, noch schöneren Spur ihres Aufstiegs zu entdecken meint.
Das Programm, chronologisch mit Stücken von der frühen Zeit bis zum Todesjahr geordnet, verriet wie stets die Eigenheit einer vielbezüglichen musikalisch-thematischen Auswägung: Beginnend mit dem "Erlkönig" und in der ersten Gruppe mit der geheimnisvollen Memnon-Klage an das Licht schließend, hob sich die Bahn in den naturhaften Stimmungen großer Bilder der Klassik und intimer Erlebniskreise langsam empor zu einer letzten, volksliedhaft hellen Schlichtheit, darin sich das Einfache liebend verklärt. Achtmal gab der Sänger mit köstlichen Encores den Rufen des Publikums nach, ehe er das Ade! des "Abschieds" deutlich in die Sterne dieses Abends schrieb.
Max Kaindl-Hönig
Kurier, Wien, 3. August 1963
Dieskau zelebrierte Schubert
Zweiter Liederabend der Salzburger Festspiele im Mozarteum
Im zweiten Liederabend der Festspiele sang Fischer-Dieskau Schubert, was er schon vor einigen Jahren getan hatte. Nur daß er damals ausschließlich unbekannte Lieder gewählt hatte und diesmal eine Reihe der schönsten und populärsten vortrug, so den "Erlkönig", den "Wanderer", "An die Leier", den "Musensohn" oder das "Ständchen". Daneben gab’s so herrliche Begegnungen wie die mit dem "Memnon", der "Heliopolis" und den "Sternen".
Fischer-Dieskau singt Schubert wie etwas Sakrales, das man zelebrieren muß, will man ihm seinen vollen Gehalt lassen. Es war eine Weichheit in diesem Vortrag, die lediglich bei Forte-Stellen schwand, dann aber dem Gesang alle notwendige Plastik des Ausdrucks verlieh.
Das Programm war chronologisch aufgebaut und enthielt Lieder von 1815 bis 1828, zeigte also auch die Entwicklung des Meisters auf. Fischer-Dieskau führte seinen reichen Vorrat an Können mit Kühnheit und Besinnlichkeit ins Treffen, wie es gerade geboten erschien. Man lernte gleichsam, wie klassische Lieder zu singen sind. Daß die Seele immer mit dabei war, spürte man an jedem Ton.
Der Sänger hatte die Lieder in Vierergruppen eingeteilt; dazwischen durfte nicht applaudiert werden. Zur hohen Feier des Abends begleitete ein hoher Meister der Klavierkunst: Gerald Moore. Ein Künstler, der immer, wenn er begleitet, sein eigenes Konzert spielt, was gerade bei Schubert ungemein wichtig erscheint. Man hörte also ein Doppelkonzert und kam damit noch näher an Schubert heran.
Das Außergewöhnliche an diesem außergewöhnlichen Abend waren am Schluß acht Zugaben, die gleichsam ein Konzert für sich bildeten. Am Ende stand das Lied "Ade", das sich Engländer und Amerikaner sofort mit "Farewell" übersetzten.
Und da verließ alles den immer noch recht vollen Saal wie auf Befehl.
Wolfgang Schneditz
Salzburger Volksblatt, Datum unbekannt
Zweiter Liederabend:
Dietrich Fischer-Dieskau umjubelt
Ein übervoller Großer Mozarteumssaal – auch auf dem Podium, den Flügel umschließend, saß ein zahlreiches Auditorium – sei mein Zeuge: Dietrich Fischer-Dieskau, der am Donnertag seinen seit Jahren zu den Glanzpunkten der Salzburger Festspiele zählenden Liederabend gab, hat schöner gesungen denn je! Wer diesmal nicht dabei war und auch gestern die Wiedergabe des Liederabends im Rundfunk versäumte, der könnte sich zu der Entgegnung bewogen fühlen: "Das ist ja gar nicht möglich!" Um seinetwillen rief ich die Zuhörer vom Donnerstag zur Zeugenschaft auf. Mir allein braucht also nicht geglaubt zu werden.
Fischer-Dieskau, nicht nur in der Douglas-Fairbanks-Maske seines Grafen Almaviva in der "Figaro"-Aufführung, sondern auch ungeschminkt im Frack ein Mannsbild, auf das die Damen selbst aus den ersten Reihen des Konzertsaalparketts ihre Sehbehelfe (einschließlich von Opernguckern) richten, bot in vier Liedgruppen ein reines Schubert-Programm, das vor der Pause "Der Wanderer", dann "An die Leier" und "Heliopolis" krönten. Vollendet in jeder Hinsicht trug Fischer-Dieskau im zweiten Teil des Abends "Du bist die Ruh" und namentlich auch "Im Abendrot" vor. Im übrigen bot der Abend kaum genannte, bekannte, aber auch so allbekannte Lieder wie den "Erlkönig" und das "Ständchen". Und er brachte schließlich – und das spricht wohl deutlich genug für die Begeisterung des Publikums – zu den 15 regulären, d.h. im Programm vorgesehenen Liedern nicht weniger als neun Zugaben! "An Silvia" war in ihnen enthalten und "Nacht und Träume". Die Überreichung mächtiger Blumengebinde war dem hartnäckigen Schlußbeifall der sich einfach nicht vom Platze rührenden Zuhörerschaft vorausgegangen. Ist Fischer-Dieskaus Ruhm als Liedersänger nur immer wieder zu bestätigen, so ist auch der hervorragende Ruf Gerald Moores als Begleiter längst eine feststehende Tatsache, die der zweite Liederabend der heurigen Festspiele aufs neue bekräftigte.
Hans Kutschera