Zum Opernabend am 13. August 1963 in München

    

     Süddeutsche Zeitung, 16. August 1963     

    

Die Richtigen

Lisa della Casa und Fischer-Dieskau in der Münchner "Arabella"

    

Das Wunder ist geschehen: eine vollkommene Aufführung hat das Werk, dem sie gilt, hinter sich gelassen. Die Münchner Opern-Tage könnten Arabella-Festspiele heißen, so attraktiv ist der Ruhm von Hartmanns glücklichster Inszenierung. Die Figuren haben sich zu Idealitäten entwickelt, und zugleich zu Lebewesen, denen man im nächsten Jahr wieder einmal zu begegnen hofft. Welche neuen Nuancen mögen sie dann wohl in sich entdeckt haben?

Die Arabella der Lisa della Casa ist nicht nur eine Kokette, die auf jene Stunde wartet, in welcher der "Richtige" erscheint. Gewiß, kokett und spielerisch gibt sie sich auch. Die Wünsche und die Versagungen ihres Herzens nimmt sie wie ein Naturereignis, von dem sie wie von einer achtunggebietenden Instanz spricht: Ich verliebe mich rasch, aber ich wende mich auch rasch wieder ab. Mehr noch ist sie eine Stolze, eine Gläserne, der Inbegriff hoher Noblesse in ramponierter Umwelt. Desto mehr wird es zum Ereignis, mit ihr die "Entscheidung" herannahen zu sehen. Sie blieb, obwohl das Orchester ungeniert ausspielte, keinen Spitzenton, keinen Ausbruch schuldig.

Vor dem Mandryka, mit dem sie in die Ehe tritt, kann man Angst haben. Fischer-Dieskau spielte die naiv-neureichen, die klobig-gewalttätigen Züge mit großer Beherrschtheit aus. Er machte eine spannungsvolle Rolle aus der einfältigen, "geraden" Figur, einen ländlichen Vulkan in chevaleresken Formen. Hinreißend. Anneliese Rothenberger, Georg Paskuda, Karl Christian Kohn, Ira Malaniuk teilen sich mit den übrigen in den Ruhm, zu etwas Perfektem beizutragen.

Das schöne Gleichmaß dieser Aufführung besteht offenbar darin, daß Hartmann niemals nur ein lyrisches Kammerspiel inszenierte, in dem die Protagonisten zufällig singen. Immer gab er den Künstlern – so diskret und logisch sie auch geführt waren – noch jene opernhafte Freiheit und Ruhe, ohne die entweder ein Stilbruch oder eine Melange entsteht. (Nur Arabellas großer Gang quer über die Bühne am Anfang des zweiten Aktes – wenn das junge Mädchen mit seiner Entscheidung allein sein will – schien mir um eine Nuance zu theatralisch. Zwei Schritte wären vielleicht mehr gewesen.)

Es gibt, auch wenn man einen Weltmaßstab anlegt, nur sehr wenig Aufführungen, die in sich so vollkommen wären wie diese Arabella. Das Werk selbst hingegen wirkte auf mich manchmal sentimental-berechnet. Die Musik ist meist nur lecker und besitzt selten die Süße Mozartscher Wahrheit. Eine genußsüchtige Innigkeit hat sich da in Töne verwandelt, deren Grenzen in einem entzückenden Hedonismus liegen. Der erste Akt baut noch konsequent auf kurze Motive und Einwürfe, aber im zweiten und dritten sind die Geigen nur beschönigend, nicht beseeligend, steckt mehr Strauss-Parfüm als Strauss-Essenz. Der angestrengte Feinsinn des oft affektiert schlichten Textbuches paßt ziemlich genau zu alledem: Weder im Rosenkavalier noch auch in der Elektra stimmen Text und Musik so überein. Keilberth, schwungvoll und großzügig, beherrschte die Aufführung jederzeit. Jubel und Dank für eine der perfektesten Aufführungen des modernen Opern-Theaters wollten kein Ende finden,.

Joachim Kaiser

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