Zur Oper am 8. Dezember 1965 in Berlin

Oper und Konzert, München, Februar 1966 

Deutsche Oper Berlin

La Traviata

Violetta - für welche Sopranistin hieße das nicht Erfüllung, Ziel aller Wünsche? Eine begehrte Partie, zwei Sängerinnen von unterschiedlichem Naturell und dennoch eine künstlerische Intention: Vollkommenheit. G. R. Sellner sprach selbst von einem Güden- und einem Lorengar-Weg. Eine Wertung ist also unmöglich. Verdis "La Traviata" läßt sowohl die große Geste einer vornehmen Salonschönheit zu, als auch die natürliche Wärme einer "Gefallenen", die in einer Welt zweifelhafter Existenzen und adeliger Lebemänner nie ganz heimisch werden konnte. Dem perfektionierten Vortrag einer erfahrenen Sängerin von mozartischem Stilgefühl steht eine relativ junge Stimme gegenüber, deren runder, voller Ton, gelegentlich bereits auf das jugendlich-dramatische Fach weisend, noch viele Möglichkeiten einschließt. Pilar Lorengar, von einem längeren Gastspiel in San Francisco und Los Angeles heimgekehrt, befand sich in ebensolcher stimmlicher Höchstform wie Dietrich Fischer-Dieskau, dessen feinnervige Künstler-Membrane in entsprechend beseelte Schwingungen geriet und folglich noch rascher von der Fragwürdigkeit spießbürgerlicher Sittenstrenge überzeugt schien. Wie immer reflektierte die weitgespannte Skala stimmlicher Nuancen den Zwiespalt seines Georg Germont, bei dem selbst "Di Provenza il mar" mehr Ausdruck väterlicher Fürsorge als Bravourarie ist.

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Erneut trug Lorin Maazel das vokale Melos in geradezu mustergültiger Weise, lieferte zündende interpretatorische Impulse und zwang das Orchester zu höchster Disziplin.

Bernd Kima

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