Zur Oper am 22. Juli 1967 in München


Süddeutsche Zeitung, 24. Juli 1967

Münchner Festspiele

Vater Germont greift durch

"La Traviata" mit Fischer-Dieskau im Nationaltheater

Der Respekt vor wohlgegründetem Künstlertum gebietet, Hilde Güden und Dietrich Fischer-Dieskau zuerst zu nennen, die Freude über eine Tenorentdeckung jedoch heischt, den jungen Warschauer Gast Wieslaw Ochman vorab zu feiern. Schon sein Mut nahm für ihn ein; ein homo novus, außer seinem Agenten wohl niemandem im weiten Nationaltheater bekannt, behauptete sich als schmächtiger Debütant neben zwei Spitzenstars, von denen niemand sagen kann, sie wüßten nicht, was Effekt heißt. Anfangs suchte Alfred-Ochman beim Piano noch in der Kopfstimme Zuflucht, sprang notfalls eine Oktave tiefer und setzte sein Vertrauen in die stattliche, kräftige Mittellage. Je mehr es abwärts ging mit Alfredos Liebesglück, desto steiler stieg die Kurve der sängerischen Intensität. Die Arie, das letzte Duett mit Violetta, mit Feuer, innerem Engagement und kernigem Piano - man genoß das prickelnde Gefühl, die erste Glanztat eines kommenden Mannes vernommen zu haben.

Aller Augen warteten auf Dietrich Fischer-Dieskaus Vater Germont. Halb steinerner Gast im schwarzen Paletot, halb Großbürger mit Reserveoffizierspatent, schlohweißen Haares und mit verachtungsvoller Kälte in den guten Manieren schritt das Verhängnis in Zivil durch August Everdings "Traviata"-Inszenierung: der entrüstete Vater, der durchgreift, ein Monument bürgerlicher Sittenstrenge, der Senior des Germont-Clans, dem allmählich die eingefrorenen Vorurteile schmelzen. Fischer-Dieskau, Piaves Opern-Italienisch behandelnd wie einen Text von d’Annunzio, ist ein artistischer Verdi-Sänger, dem heftigen Affektausdruck zugewandt, versessen auf Virtuosität der Dynamik, präsent in jeder Geste und jedem durchdachten, durchfühlten "Si" oder "No". Die Arie des Germont nuanciert er als Appell an den verlorenen Sohn, zwischen Lockung und versteckter Drohung, Pathos des Sippenvorstands und Gebet eines Reputationsgeschädigten. Es ereignete sich Kunst, nicht nur Oper.

Hilde Güden, als eine Makart-Schönheit über die Bühne wallend, war eine sehr bewußte, ihrer Koloraturen wie ihres Pianissimo bravourös mächtige Violetta, ein wenig kühl in der Diktion, aber überlegen und unentwegt damenhaft. In den Ensembles, denen Giuseppe Patané rhythmische Straffheit und stattliche Steigerungen angedeihen ließ, taten sich Gudrun Wewezow und Josef Knapp hervor. Das Staatsorchester unter Patané verstand sich auf den welken Duft von Verdis Instrumentierung, auf den zarten Hautgout der Vorspiele, auf die prä-puccineske Empfindsamkeit. Es war eine "Traviata"-Aufführung, deren Ruhm nicht mit dem letzten Bravoruf erschöpft sein wird.

K. Sch.


   

     Münchner Merkur, 24. Juli 1967     

   

Münchner Festspiele

Neue Gäste bei Everdings "Traviata"

In August Everdings "Traviata"-Inszenierung, die zum erstenmal in die Münchner Festspiele aufgenommen wurde, waren zwei Hauptrollen neu besetzt: die eine große Überraschung hieß Dietrich Fischer-Dieskaus Vater Germont. Weit entfernt von all der Larmoyanz, die dieser Rolle anhaftet - und von der sich nur wenige freimachen -, setzte er neue Maßstäbe. Abgesehen von der souveränen Beherrschung seiner stimmlichen Mittel stand hier ein Darsteller auf der Bühne, der in jeder Phase seines Spiels überzeugte: ein kraftvoller, entrüsteter Familienvorstand, von Vatersorge erfüllt, dennoch nicht ohne Güte. Beispielhaft seine unter genauer Beachtung aller Vortragsbezeichnungen - vom Pianissimo-Dolce bis zum Forte con espressivo - gesungene Des-Dur-Arie "Di Provenza il mar".

Die andere Überraschung war der junge Tenorgast Wieslaw Ochman, der sich als ein Alfred mit tenoraler Verve einführte. Nicht nur besitzt er eine locker geführte, gut durchgebildete, tragfähige Stimme, er weiß auch, sie mit Geschmack einzusetzen. Sein Piano klang anfangs noch etwas zu kopfig, gewann aber vom dritten Bild an mehr Substanz, wo er im übrigen in der großen Szene mit Violette ("Mi chiamaste...") durch strahlkräftige Spitzentöne starke Akzente setzte.

Hilde Güdens stimmprächtige Violetta ist hier schon gewürdigt worden. In zwei kleineren, neubesetzten Rollen (Flora, Annina) bewährten sich Gudrun Wewezow und Inghild Horysa. Giuseppe Patané dirigierte temperamentvoll und umsichtig; besonders glückte ihm die Ensembleführung am Ende des zweiten Aktes. Applaus-Sturm.

krw


  

     Abendzeitung, München, 27. Juli 1967     

   

Münchner Opern-Festspiele

Sternstunde der Traviata

Münchner Festspiele, Verdis "La Traviata" (Nationaltheater), Regie: August Everding. Leitung: Giuseppe Patané. Mit Dietrich Fischer-Dieskau und Hilde Güden.

"La Traviata" erlebte eine Sternstunde: Hilde Güden als Violetta, Dietrich Fischer-Dieskau als Vater Germont im 2. Bild. Man wagte kaum zu atmen - so hinreißend und so künstlerisch rein wurde hier gesungen, dargestellt. Frau Güden mit herrlicher, ausdrucksvoller Stimme, in der sich Glanz und Morbidität ergänzten. Fischer-Dieskau aber mit einer unüberbietbaren Intensität, im kleinsten Decrescendo, im kleinsten Kopfrücken: mit einer Gefühlskraft im gewaltigen Forte und im edlen, innerlichen Piano, wie man sie sich zuvor kaum vorzustellen getraute. Daß Violetta angesichts dieses Herrn Germont keinen Vaterkomplex - auf dem Wege dazu ist sie ja schon - entwickelte, nimmt eigentlich Wunder.

Wieslaw Ochman war ein empfindsamer Alfred, der seiner Liebe deutliche und strahlende Töne zu leihen wußte. Verdi-Kenner Giuseppe Patané dirigierte straff, nicht übermäßig sensibel und blieb in engem Kontakt mit der Bühne. Ovationen.

Th. K.


   

     Oper und Konzert, München, Datum unbekannt     

   

La Traviata

Nationaltheater

Festspielglanz schien Hilde Güden zu beflügeln. Fulminante Spitzentöne krönten eine sängerisch untadelige Leistung. Freilich stand eine Primadonna auf der Bühne, die mit verkaufssicheren Effekten auf besserem Fuß zu stehen scheint als mit dem menschlichen Durchdringen einer Rolle. Auch noch im letzten Akt stand mehr ein bombensicherer Star als ein ergreifend verwelkendes, schönes Geschöpf auf der Bühne. Doch rechtfertigte die Sängerin ihren Ruf als international anerkannte Primadonna.

Mit Wieslaw Ochman betrat ein neuer Alfred die Bretter der Bühne des Nationaltheaters. Ein Tenor mit gottgesegneter Kehle, daß er gar nicht oft genug im Nationaltheater gehört werden kann. Genau der jugendliche Held, der hier so sehr fehlt. Die reiche Schattierung der Stimme vom feinsten Piano bis zum strahlend männlichen Forte verriet den Könner, die so elegant gelöste Darstellung den versierten Darsteller, das blendend jugendliche Aussehen einen möglichen neuen Publikumsliebling, wobei zuvörderst der Damen gedacht sei.

Die Krone gebührt aber wieder einmal Dietrich Fischer-Dieskau. Es ist vollkommen gleichgültig, ob man mehr von der Darstellungskunst, der Musikalität, der von einem schier unerschöpflichen Atem genährten, jeder Gestaltung fähigen Stimme schwärmen will, dieser Künstler ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Außergewöhnlich auch sein Georges Germont, auch wenn oder vielleicht gerade weil Fischer-Dieskaus Stimme nicht unbedingt die Eigenschaften eines italienischen Baritons aufweist.

Als vierter im Bunde der Stars überzeugte Maestro Patané sowohl durch seine phänomenale Anpassungskunst als Begleiter wie durch sein bemerkenswertes Gefühl für die Brillanz der Partitur. Das Staatsorchester und sozusagen stellvertretend der prachtvoll musizierende Soloklarinettist sei diesmal ganz besonders für seine Leistung bedankt. Dem Chor schufen die Tempi Patanés wieder einmal Pein! Der rhythmischen Präzision Franz Klarweins (Gaston) war es zu danken, daß im ersten Akt manch beginnendes Schwimmfest nicht über Anfänge hinaus gedieh. In den übrigen kleineren Rollen wirkten als Flora Gudrun Wewezow, als Annina Inghild Horysa, als Douphol Josef Knapp - ein hervorragender Darsteller -, als Obigny Hans Bruno Ernst, als Doktor Grenvil Klaus Lang, als Diener Karl Ostertag und Willibald Schwister mit staatsopernangemessener Zuverlässigkeit.

KS

       

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