Zum Liederabend am 30. August 1967 in Zürich

    

     Quelle unbekannt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Schweizerische Presse     

Der wiedergenesene Dietrich Fischer-Dieskau

     

holte den Liederabend, den er ihm Rahmen der internationalen Juni-Festwochen hatte geben wollen und absagen musste, am 30. August im vollbesetzten Grossen Tonhallesaal nach. Er war in bester Form und bot Schuberts Zyklus «Die schöne  Müllerin» in jener technischen und stilistischen Perfektion, die man von seinen früheren Konzerten und von seinen Schallplatten her gewohnt ist.

Dass die Lieder trotzdem durchaus nicht schallplattenmässig wirkten, ist seiner echten Empfindung und seiner starken persönlichen Ausstrahlung zu verdanken. Fast an jedem gäbe es eine Besonderheit zu vermerken, und die differenzierte Ausarbeitung der Strophenlieder war von durchdachter Feinheit. Es tut diesem generellen Lob keinen Abbruch, wenn man feststellt, dass Fischer-Dieskau sein tragendes piano mitunter bis zum im grossen Raum fast unhörbaren pianissimo steigerte (oder abschwächte - wie man will), und dass in schnell gesprochenen Stücken, z. B. «Der Jäger», die Stimme vom Klavier zugedeckt wurde.

Das war sicher nicht, die Absicht von Jörg Demus, der ein überaus sensibler Begleiter war und ausserdem die lautmalerischen Schönheiten der Musik bei jeder Gelegenheit aufklingen liess. Er unterstützte auch den Sänger in seiner zwar gefühlvollen, aber männlichen und der Sentimentalität abholden Gestaltung des MülIergesellen.

Speziellen Dank verdienen die Bitten an die Hörer, weder zwischen den einzelnen Lieder zu applaudieren noch die Seiten vor dem Verklingen der Begleitung umzublättern. Willig wurde Folge geleistet, und es entstand dadurch eine Stimmungsdichte, die in anderen Fällen leider so häufig erklatscht wird; nebenbei sei die zweckmässige Anordnung der Texte vermerkt.

Eine ganze Reihe von Zugaben dankte für den entzückten Applaus, darunter «Nachtviolen», «Im Frühling», «Im Abendrot»; erst Rellstabs «Abschied» war der wirkliche Abschied des hervorragenden Sängers, den die Hörer nur ungern ziehen liessen.

vs.

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     Quelle unbekannt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Schweizerische Presse     

      

Zürcher Konzerte

Ovationen für Fischer-Dieskau

   

Der Liederabend der Tonhalle-Gesellschaft im Rahmen der Junifestwochen 1967, der wegen plötzlicher Erkrankung des Sängers abgesagt werden musste, konnte vergangenen Mittwoch nachgeholt werden. Wie nicht anders zu erwarten; war der Grosse Tonhalle-Saal .samt Verbindungsgang und Empore bis auf den letzten Platz ausverkauft. Auf dem Programm stand unverändert Franz Schuberts Liederzyklus »Die schöne Müllerin« nach Gedichten von Wilhelm Müller. Und auf dem Podium stand der wieder genesene Dietrich Fischer-Dieskau, riesengross, eIegant und ernsthaft wie eh und je. Diesmal in. besonders grosszügiger Geberlaune: fünf Zugaben liess er sich von den Ovationen eines unersättlichen Publikums abbetteln, bis er mit dem unmissverständlichen »Abschied« endgültig Schluss machte - fast eine halbe Stunde nach Ende des offiziellen Programms.

Die satte, samtene Stimme tönte in alter Frische. Was soll man wiederholen, was über dieses stimmliche Wunder schon gesagt und geschrieben wurde? Und das Phänomen Dietrich Fischer-Dieskau ist ja nicht in erster Linie diese so unendlich nuancenreiche Stimme, sondern die Musikalität und Intelligenz, mit der sie für die künstlerische Durchdringung des Liedes eingesetzt wird. »Dieser Mann, Fischer-Dieskau, hat mich tiefer in das Wesen von Schubert, Schumann, Wolf, Brahms eingeführt. als ich selbst je eindringen konnte«, schrieb der englische Pianist GeraId Moore, der viele Grosse des Liedgesangs während Jahren begleitet hat, in seinen Erinnerungen. Das gleiche nur mit weit grösserem Grund, dürften wohl die meisten Zuhörer des begnadeten Künstlers von sich sagen. Wie er den Müllerin-Zyklus, diesen rhythmisch so vielgestaltigen und in der Reichhaltigkeit der Gefühle und Stimmungen so erzromantischen Wandel von überschäumender Lebenslust zu tiefer Schwermütigkeit gestaltete, das war eine Lektion in Schubert-Lied und vollendeter künstlerischer Genuss in einem.

Im österreichischen Pianisten Jörg Demus besass Dietrich Fischer-Dieskau einen ebenbürtigen Partner, der mit feinem Sensorium auf die musikalischen und ausdrucksmässigen Finessen des Sängers einging und wesentlichen Anteil hatte am Gelingen dieses eindrucksvollen Liederabends. Es war, auch ausserhalb der Junifestwochen, ein festliches Ereignis.

K. E.

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