Zum Konzert am 27. September 1967 in Berlin


Berliner Telegraf, 29. September 1967 

Nur Tschaikowsky?

Sonderkonzert des Radio-Symphonie-Orchesters

Tschaikowsky, von den Berliner Orchestern ohnedies favorisiert, herrscht neben Prokofieff und Schostakowitsch auch in den "Festwochen". Glaubt man auf solche Art dem selbstgestellten Thema "Osteuropa" Genüge zu tun? Gerade vom Radio-Symphonie-Orchester hätte man erwarten dürfen, daß es einen hier noch unbekannten russischen Komponisten vorstellt. Statt dessen widmet es ein Sonderkonzert ausschließlich Tschaikowsky (gegen dessen Größe damit nicht das mindeste gesagt sein soll), mit einem Programm im längst überholten Zuschnitt, denn Opernarien in ein Sinfoniekonzert einzustreuen, ist seit einigen Jahrzehnten in seriösen Konzerten nicht mehr üblich und auch dann schwer vertretbar, wenn eine Arie (aus "Mazeppa") für Berlin noch neu und sie alle nach derzeitigem modischem Brauch in der Originalsprache, also russisch, gesungen werden. Daß ein Fischer-Dieskau das großartig macht, versteht sich.

Die Leistung des Orchesters und seines Chefs war an diesem Abend merkwürdig ungleich. In der Serenade C-Dur op. 48 führte der Wunsch nach äußerster Intensität stellenweise zu unangenehmer Schärfe der 1. Violinen und im Schlußsatz sogar zu vulgärer Derbheit. Es wäre schade, wenn Lorin Maazel, der seine frühere Gehemmtheit überwunden hat, jetzt in das Gegenteil allzu unkontrolliert forschen Drauflosgehens verfiele.

Zu welcher Höhe er und das Radio-Symphonie-Orchester gelangen können, wenn er sich in der Gewalt hat, zeigte sich im 1. Satz der "Pathétique". Ohne Bombast, nie lärmend, nie dick, alle Klangmasse in Energie umwandelnd, war dieser Satz wie aus einem Guß und von Maazel von der ersten Note an zielbewußt zum Ende geführt. Eine ähnlich bewundernswerte Geschlossenheit von Konzeption und Ausführung habe ich bei Maazel noch nicht erlebt.

Leider hielt er dieses Niveau nicht. Der 2. Satz war hübsch, nicht mehr, der dritte anfangs witzig und delikat. Das Finale aber, Tschaikowskys vielleicht bedeutendste sinfonische Schöpfung, ließ Maazel, unergriffen von seinem weltschmerzlichen Pathos, anfangs gleichgültig fallen, um es dann mehr äußerlich als innerlich effektvoll zu steigern.

K. W.


  

     Kurier, Berlin, 29. September 1967     

  

Tschaikowsky in Arie und Lied

Maazel mit Fischer-Dieskau – Rencontre Musicale – Evelyn Lear

    

Lorin Maazel wollte vermutlich mit seinem Tschaikowsky-Abend zum ursprünglich geplanten, dann aber verunglückten Ost-West-Programm der Festwochen beitragen. Er hat dem Werk des russischen Symphonikers mit Wort und Tat (Gesamtaufnahme sämtlicher Symphonien) seine ausdrückliche Reverenz erwiesen und die deutsche, allzu gefühlsbetonte Interpretation als den Absichten des Komponisten entgegenstehend bezeichnet.

[…]

Das Außergewöhnliche und Festspielgemäße des Abends war der Beitrag Dietrich Fischer-Dieskaus, der mit der ihm eigenen Hochspannung der Affekte und Akzente sich für drei Arien, passionierte Gesänge aus "Die Zauberin" und "Pique Dame" und eine große dramatische Szene aus "Mazeppa" einsetzte. Nicht immer sensibel genug begleitet, ließ sich der Sänger, der die russische Sprache offenbar souverän behandelte, gelegentlich zu Forcierungen in den hohen Lagen verleiten. Daß sein natürliches Timbre sich nicht ganz dem dunklen slawischen Farbcharakter anbequemen konnte, war nicht zu überhören.

K-r

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