Zum Liederabend am 22. Oktober 1967


Göttinger Presse, 24. Oktober 1967

Fischer-Dieskau sang Beethoven

Begeisternder Liederabend in der ausverkauften Stadthalle

Der Konzertdirektion Weichert-Kronbauer danken wir, den berühmtesten Konzertsänger unserer Tage nach Jahren erneut in Göttingen gehört zu haben. Sein Ruf besteht zu Recht. In der Kunst des stilvollen, beseelten Vortrags kommt heute kein Liedsänger Fischer-Dieskau gleich. Sein Organ ist bis ins letzte durchgebildet, seine Atemtechnik bewundernswert, sein Gehör untrüglich und seine Fähigkeit, dem Kunstwerk zur adäquaten klanglichen Gestalt wie zu letzter geistiger Transparenz zu verhelfen, ohne Beispiel.

Schon früh erwarb sich Fischer-Dieskau als lyrischer Bariton mit der Wiedergabe des Liedrepertoires der Romantik Ansehen und Ruhm. Ihm allein ist es zu danken, daß die scheinbar schon untergegangene poetisch-musikalische Gattung wiederbelebt und erneut zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Konzertlebens wurde. Von hier ausgehend eroberte sich Fischer-Dieskau die Opernbühne und gewann seinem Darstellungsstil das pathetische, den leidenschaftlichen Ausdruck hinzu. Heute, auf der Höhe seiner Laufbahn, verfügt er spielend über alle Register des musikalischen Ausdrucks von finsterer Gewalt bis zum sehnsüchtigen Klagelaut und setzt sie bewußt und mit untrüglichem Stilgefühl ein.

Wie die großen Interpreten seit den Tagen eines Hans von Bülow vertritt auch Fischer-Dieskau die Praxis, sein Publikum nicht nur genießen zu lassen, sondern auch – fern aller Schulmeisterei – zu erziehen und zu belehren.

In seinem Liederabend stellte Fischer-Dieskau das Liedschaffen Ludwig van Beethovens in sorgsam ausgewählten Proben vor. In das Zentrum des Programms waren die beiden so gegensätzlichen Liedzyklen nach Gedichten von Gellert op. 48 und Jeitteles: "An die ferne Geliebte", op. 98, gerückt. Der herben religiösen Spruchdichtung Gellerts gewann Fischer-Dieskau allen erdenklichen musikalischen Reiz ab, den Beethoven den in Strenge komponierten Versen beigelegt hat. Überwältigend erklang das Lied "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre", dem feinsinnig das nächste "Gott ist mein Lied" attacca nachfolgte.

Die eine neue Gattung begründende Liederfolge "An die ferne Geliebte", die zum ersten mal jene zyklische Rückbindung des letzten Gesanges an den ersten kennt, bildete den Höhepunkt in der ganz verinnerlichten Wiedergabe Fischer-Dieskaus; unvergeßlich bleibt der schwärmerische Ton in "Wo die Berge so blau", aber auch das perlende Staccato in "Leichte Segler in den Höhen". Unvorstellbar, daß eine gesteigerte Interpretation gelingen könnte. Hierbei entledigte sich auch Günther Weißenborn als Klavierbegleiter seiner Aufgabe mit schönem biegsamen Ton, einfühlsam und in genauer Entsprechung zum Gesang die Akzente setzend.

Voran gingen die Arietta "In questa tomba oscura" und die zweite Vertonung von "An die Hoffnung" op. 94, eine großartige Liedkantate aus dem Schaffenskreis um Fidelio, von der wohl jedem Zuhörer das "Hoffen soll der Mensch" im Gedächtnis bleiben wird.

Nach der Pause erklangen "Der Wachtelschlag", das berühmte Lied "Adelaide" und fünf Goethe-Lieder. Beethovens Vertonungen Goethescher Verse sind die einzig kongenialen – das wurde in der Interpretation Fischer-Dieskaus deutlich. Ihre bündige musikalische Sprache ist plastisch, deutet subtil aus, und das Gefühl ist stets gefaßt – Beethoven komponierte strophisch.

Der Beifall der überaus zahlreichen Zuhörer war stürmisch und wurde mit mehreren Zugaben bedankt.

-h

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