Zum Liederabend am 25. April 1969 in Frankfurt


Frankfurter Allgemeine, 28. April 1969

Unterwegs zur zweiten Natur

Fischer-Dieskaus Frankfurter Goethe-Liederabend

[...]

Die Karriere des Liedinterpreten Dietrich Fischer-Dieskau ist durch eine objektive Tendenz gefördert worden, die ihrerseits wieder durch ihn entscheidende subjektive Impulse erhalten hat. Und dies so sehr, daß sich zeitweilig bei manchem sogar Abwehrmechanismen bildeten, Fischer-Dieskaus manierierte Subtilität suchende Deklamation mit dem Unbehagen an mancher quasi melodramatischen Bedeutungsträchtigkeit des Sujets identifiziert wurde.

Um so eindringlicher demonstrierte er nun bei seinem jüngsten Frankfurter Liederabend (in der ausverkauften Oper), wie sehr es ihm gelungen ist, der Gefährdung durch outrierte Wortbetonung auszuweichen, ohne indes dadurch dem reinen, beziehungslosen Schöngesang zu verfallen.

Fischer-Dieskau eröffnete den Abend mit drei nicht unbedingt gewichtig zu nennenden Goethe-Liedern im mehr galanten Stil der Herzogin Anna Amalia, Johann Friedrich Reichardts und Carl Friedrich Zelters, historisch reizvolle Beispiele aus den Anfängen des Klavierlieds, danach Beethovens Mailied und "Neue Liebe, neues Leben". Auf diese mehr als nur dem Einsingen dienende Intrada folgten vier Schubert-Lieder, nach "An den Mond" und "An Schwager Kronos" "Meeres Stille". Wie Fischer-Dieskau hier den auf Schumanns "Auf einer Burg" vorausweisenden Gestus des tödlich Erstarrenden mit verzehrender Ruhe ausgestaltet, gehört weit über die bloß perfekte vokale Bewältigung hinaus zu den absoluten Höhepunkten von Liedinterpretation überhaupt, zeugte von einer Pianissimio-Legatissimo-Kultur, die nicht den Sänger, wohl aber den Zuhörer um seinen Atem bangen ließ.

Auf drei ein klein wenig kraftmeierisch wirkende Schumann- (West-Östlicher Divan) und zwei weniger geläufige Brahms-Lieder folgten Strauss’ "Gefunden", Schoecks im Klavierpart an Brahms erinnerndes "Dämmerung senkte sich von oben" und Regers "Einsamkeit", deren unterschiedlichen stilistischen Stellenwert der Sänger unaufdringlich plastisch hervorhob; es folgte als Kabinettstück Busonis "Zigeunerlied". Fischer-Dieskaus Kunst des leichten Singens, der schnellen und exakten Tonansprache, auch in den dynamischen Extremen, fesselte hier besonders im Schluß mit seinem fahl tönenden D.

Auch in der abschließenden Wolf-Gruppe überraschte die bei aller stupenden Kontrolle natürliche, frei fließende Führung seines Baritons, die es ihm nun gestattet, den feinsten Verästelungen des Textes nachzugehen, die Gesangslinie gleichsam abzutasten, ohne sich (trotz exzeptioneller Wortverständlichkeit) im Deklamatorischen je zu verlieren. "Frühling übers Jahr" und "Anakreons Grab" wurden so zum Musterbeispiel einer musikalischen Lyrik, deren meditativer Zug sich im Gesang selber erfüllte.

Günther Weißenborn, dessen Begleiterkünste an diesem Abend nicht hoch genug veranschlagt werden konnten, und Fischer-Dieskau bedankten sich, sichtlich gut gelaunt, für den enthusiastischen Beifall.

Gerhard R. Koch


   

     Frankfurter Neue Presse, 28. April 1969     

   

Goethe - gesungen

Dietrich Fischer-Dieskaus Liederabend in der Oper

   

Vor einem Jahr etwa hatte Dietrich Fischer-Dieskau Abstinenz von der Oper gelobt. Gesundheitliche Gründe wurden genannt. Sicher ist auch, daß der Künstler sich einmal ganz auf das Konzert, mehr noch auf das Lied konzentrieren wollte. Die Früchte solchen Einsatzes konnten am Freitag die Frankfurter genießen. Fischer-Dieskau gastierte im Rahmen der Meisterkonzerte in der Oper mit "Liedern nach Gedichten von J.W. von Goethe".

Er stellte ein ebenso eigenwilliges wie reizvolles Programm auf, das von der Herzogin Anna Amalia (1739-1807) - wer hat wohl schon Kompositionen der Dame gehört? - über Zelter, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Wolf bis zu Busoni führte, mit Abstechern zu Strauss, Schoeck und Reger. Breit gefächert auch die Themen- und Stimmungskreise der Lieder, wobei Fischer-Dieskau entgegen sonstiger Zurückhaltung die "Reißer" zielsicher ans Ende der einzelnen Liedgruppen plazierte: Schuberts "Erlkönig" etwa, Busonis brillant wildes "Zigeunerlied", oder Wolfs "Der Rattenfänger".

Es war, wie an vielen Abenden vorher: die Faszination des Sängers packte die Zuhörer von Anfang an. Ungebrochen ist seine Kraft und die Kunst, zu gestalten, zu phrasieren, unverändert hell seine Wachheit, seine Intelligenz. Über seine technische Vollkommenheit, jener Fähigkeit, ohne sichtbare Anstrengung die Stimme zu färben, die Lagen zu wechseln, wurde ohnehin genug geschrieben.

Bisweilen verfiel man dem Eindruck, daß die Stimme ein wenig schwerer geworden sei, lastender in die Tiefen steigt, die Höhen erklimmt. Aber diesen Eindruck rief wohl Fischer-Dieskaus unveränderte Lust zur affektvollen Dramatik (auch in seiner Mimik) hervor, jener Akzentuierung, die man ihm als Manieriertheiten gerne vorwarf. Abgesehen davon, daß er selbst bei Überdosierungen immer hinreißend und fesselnd bleibt: spätestens in der reinen, von allen Äußerlichkeiten befreiten Lyrik von Schuberts "An den Mond" müßten alle Nörgeleien verstummen.

[...]

Rudolf Jöckle


   

     Frankfurter Rundschau, 28. April 1969     

   

Lieder als Facettengebilde

7. Meisterkonzert in der Frankfurter Oper mit Fischer-Dieskau

   

Zum Lobe des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau ist viel gesagt worden. In dem Maße jedoch, wie Dieskaus Gesangsstil für die einen exemplarische Formen annahm, erregte er bei anderen Widerspruch. Dieser heftet sich immer wieder speziell an Dieskaus Liedinterpretationen, denen man einen allzu stark vom Sprachduktus her geprägten Stil nachsagt.

Der Frankfurter Abend hatte, obwohl es Zwiespältiges gab, das Niveau eines Modells. Dieskau, der in einem Programmheftaufsatz musikgeschichtliche Bildung nachwies, pflegt sein Programm geistig zu legitimieren: diesmal wählte er ausschließlich Lieder nach Gedichten von Goethe, wobei er weder die komponierende Herzogin Anna Amalia noch Ferruccio Busoni ausließ. Wie sehr man es mit einem äußerst gescheiten Sänger zu tun hat, beweist sich indessen darin, daß Dieskau stetig an sich arbeitet, seinen eigenen Stil verbessernd und verändernd. Dazu bildet eine souveräne Stimmbeherrschung, die sämtliche Ausdrucksbereiche scheinbar mühelos ermöglicht, die Grundlage, was für hohe wie für die eigentlich schon baßmäßigen Lagen gleichermaßen gilt. Kleinsten Passagen, im Grenzfall jeder einzelnen Note, kann somit eine individuelle Färbung mitgeteilt werden, so daß sich der Eindruck eines Facettengebildes ergibt.

Die absolute Entfaltung der Nuance, eine ungemeine Sensibilität für einzelnes, war denn auch, ohne daß darüber der Gesamtzusammenhang aus den Augen geriet, die Grundtendenz der Dieskauschen Wiedergaben. Angesichts derart entwickelter Bewußtheit war die Gefahr des unverbindlichen Belkantosingens so gut wie gebannt. Eher unterlief in Ausnahmen noch ein Zuviel an Interpretation, wenn nämlich die angestrebte minimale Schattierung der Ausdeutung über die musikalische Linie hinausging.

Bezeichnenderweise kam es zu den zwingendsten Momenten dort, wo sich der Sänger besonders gefordert sehen mußte: bei ausgesprochenen Adagio-Liedern ohne zumindest augenfällige Dramatik, von der ja bei ihm gern ausgegangen wird. Geradezu aufregende Intensität, wie sie nur selten erreicht werden dürfte, erfüllte Schuberts "Meeresstille". Dieskaus diszipliniertester Pianogesang gab sich völlig der Kantabilität der Linien hin, während er diese in einer Weise zu färben wußte, die die schwelende Gefahr unter solch trügerisch-glatter Oberfläche beklemmend, fast hautnah spüren ließ. Nicht die leiseste Spur von aufgesetzter Dämonie war zu vernehmen, statt dessen Takt für Takt die vollkommen gelungene Synthese aus Musik und Wort, wohl die Realisierung dessen, woran Dieskau arbeitet. "Anakreons Grab" von Hugo Wolf war von einer ähnlichen, wenn auch weit gelösteren Pianospannung getragen.

Beethovens oft mit Überstürztheit sich ändernden Temperamenten wird Dieskaus große Differenzierungskunst außerordentlich gut gerecht. "Neue Liebe" wurde durch den sehr bewußt ausgekosteten Sekundenschritt des Anfangs behutsam eingeleitet. Nach dem vielleicht ein wenig überakzentuierten Ritardando des "Ach, wie kamst du nur dazu!" überzeugte die stimmgewaltige Steigerung, die, im Hinblick auf die beiden folgenden Zeilen, bereits ein Lächeln in sich trug, um so stärker. Überhaupt ist Dieskau ein überlegener Meister des Humorigen, wovon er an diesem Abend köstliche Proben gab. Schwächeres ereignete sich mit den einleitenden Kompositionen kleinerer Meister, als Dieskaus Nerven noch wenig Anspannung zeigten, und vor allem beim "Erlkönig", der trotz prononciert divergierender Färbung der Dialoge in einer unsicheren Konzeption nervös vorbeigaloppierte.

In Günter Weißenborn hatte Dieskau einen Begleiter von großer Erfahrung, der ihn in der Bemühung um die Profilierung des Details nach Kräften unterstützte. Am Ende sehr viele Blumen und beifallumrauschte Zugaben.

Gitta Heinrichsen


   

     Abendpost/Nachtausgabe, Frankfurt, 28. April 1969     

   

Den Dirigentenstab im Koffer

Fischer-Dieskau sang noch einmal in Frankfurt

    

Mit einem Liederabend des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau schloß die Reihe der sieben Meisterkonzerte in der Frankfurter Oper erfolgreich ab. Erst nach acht Zugaben entließ das ausverkaufte Haus den großen Sänger, der nun den Dirigentenstab bei den Edinburgher Festspielen in diesem Sommer schwingen wird. Er verleiht damit der Inszenierung von Mozarts "Figaros Hochzeit" durch die berühmte Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf die musikalische Gloriole.

Lieder nach Gedichten von Goethe standen auf dem umfangreichen Programm: Fischer-Dieskau begann mit einer Komposition der Herzogin Anna Amalia, die das Lied "Auf dem Land und in der Stadt" in ihre Musik zu dem Singspiel "Erwin und Elmire" eingefügt hatte, und ließ als weitere Zeitgenossen des Dichters Reichardt, Zelter und Beethoven zu Wort kommen. Schubert, Schumann und Brahms repräsentierten die großen Klassiker des deutschen Liedes. Richard Strauss, Schoeck, Reger, Busoni und Hugo Wolf waren Beispiele für jüngere Goethe-Vertonungen.

Es ist nicht nur die herrliche, mit höchst vollendeter Gesangskultur eingesetzte Stimme, die gerade Fischer-Dieskau zu so unumstrittener Meisterschaft als Liedersänger emporgeführt hat. Es ist vielmehr die eindrucksvolle Gestaltungskraft, die jedes Lied als ein in sich vollkommenes Kunstwerk vor den Hörer stellt.

Die verständnisvolle Ausdeutung des Dichterwortes, die intelligente Ausschöpfung der melodischen Substanz und die klare Formung des Zusammenwirkens von Wort und Ton - diese Faktoren weiß der Sänger zu einer bis in die letzte Nuance homogen verschmolzene Einheit zusammenzufügen. Hier liegt das Geheimnis seiner in aller Welt bewunderten Kunst, der Günter Weißenborn ein ebenbürtiger Begleiter ist.

W. W. Gg.

zurück zur Übersicht 1969
zurück zur Übersicht Kalendarium