Zum Liederabend am 29. April 1969 in Braunschweig


Braunschweiger Zeitung, 1. Mai 1969

Stadthalle Braunschweig

Fischer-Dieskau sang Schumann

Es hat nahezu zwölf Jahre gedauert, bis Dietrich Fischer-Dieskau zum zweiten Male nach Braunschweig kam. Manche werden sich noch an die denkwürdige erste Begegnung mit dem großen Liedersänger unserer Zeit Ende Mai 1957 in der kleinen Aula der Pädagogischen Hochschule erinnern. Zwischen jenem Abend und seinem Wiederauftreten vor einem festlichen Forum in der Stadthalle liegt das Dezennium Fischer-Dieskaus ungemein tätiger Interpretation für Oper, Oratorium und Lied von weiter internationaler Ausstrahlung. An dieser glänzenden Karriere und (was musikgeschichtlich entscheidend ist) diesem tiefgreifenden Wirken konnte man durch Rundfunk, Fernsehen und vor allem durch zahlreiche Schallplattenaufnahmen mittelbar teilnehmen.

Fischer-Dieskau ist es zu danken, daß das deutsche Klavierlied allerorten eine Wiedergeburt erfuhr; er selbst beherrscht das gesamte Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart und hat durch die im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienene Anthologie von 600 Texten deutscher Lieder, versehen mit einem bemerkenswerten einleitenden Essay, ein Dokument geschaffen.

Nun stand Fischer-Dieskau erneut in Braunschweig auf dem Podium mit einem erlesenen Programm ausgewählter Lieder von Robert Schumann: darunter der Liederkreis, opus 24 (Heinrich Heine), fünf Lieder nach Gedichten von Heine sowie sechs Lieder nach Gedichten von Emanuel Geibel, beschließend mit Paradestück "Ich bin der Kontrabandiste" als Anhang zu dem 1849 entstandenen "Spanischen Liederspiel". Es ist fast müßig zu sagen, weil selbstverständlich geworden, daß hier Gesangskunst in Vollendung geboten wurde. Diese ideale Lieddeutung erwuchs wiederum aus der absoluten Kenntnis der Komposition, dem Durchleben jeder dieser für sich bestehenden Schöpfungen. Dazu verhalf seine außergewöhnlich facettierte Ausdrucksskala und die souveräne Meisterung der Stimmfärbung. Mit Günther Weißenborn, der den Klavierpart nuanciert auslotete, bildete der Bariton eine faszinierende musizierende Einheit, und die Künstler demonstrierten die Erfahrung Fischer-Dieskaus: "Die magische Kraft, welche der Musik wie dem poetischen Wort innewohnt, ist imstande, uns unaufhörlich zu verwandeln."

So bleibt mir noch zu berichten, daß Fischer-Dieskau stürmisch gefeiert wurde und etliche Zugaben gewährte. Es ist zu wünschen, daß der Sänger bald einmal wieder den Weg nach Braunschweig findet und die Bewunderer seiner beispielhaften Kunst nicht so lange warten müssen wie das letzte Mal.

goe


  

     Braunschweiger Presse, 1. Mai 1969     

    

Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau

   

Fischer-Dieskau ist seit zwei Jahrzehnten der bedeutendste und populärste Sänger Deutschlands und vielkopiertes und unerreichtes Vorbild unzähliger Nachwuchskünstler. Über ihn und seine Kunst zu schreiben, heißt Worte gegen die Tiefe gesungener Sinndeutung der Dichtung zu setzen.

Seine unvergleichbar hohe Kunst erschließt den Raum zwischen Gedicht und schöpferischer Vertonung mit unnachahmlicher Eindringlichkeit. Seine wunderbare Ausdruckswelt, die Zeit und Raum nicht zu kennen scheint, öffnet sich dem Zuhörer. In ihm entsteht aller Zauber der Romantik. Schöner, natürlicher und vollkommener, als es sich die kühnste Phantasie erträumt.

Fischer-Dieskau ist ein Sänger höchster Kultur. Seine tiefschichtige, kraftvoll-elementare, doch auch feinsinnige Ausdruckskraft prägt einen Liederabend zu weihevoller Handlung, deren Wirkung sich niemand entziehen kann. Er besitzt eine der edelsten Stimmen, die er mit vollkommener Meisterschaft einsetzt. In ihr schimmert der Stahl männlicher Kraft ebenso wie der Hauch lyrischen Verschwebens.

Sein Erfolg wird von einem unfehlbaren musikalischen Gespür garantiert. Dazu kommen Klugheit, Ökonomie und eine vollkommene Technik, die jedes Problem verbannt und Tonspiegelungen von feinsten Nuancen gestattet.

Fischer-Dieskau erweckt in jedem Lied neues Eigenleben und läßt es wie einen Edelstein in tausend Facetten funkeln. Ihm gelingt eine seltene Einheit der gesamten Komposition. Er identifiziert sich wissend mit jeder Schwingung, hört jeden Ton mit, verfolgt und erlebt auch den Klavierklang als ein begnadeter Vertrauter der Musik, der er eine unnachahmbare Würde verleiht.

Günther Weißenborn begleitete am Flügel und war mit nahtlosem Einfühlungsvermögen und feinen Farbschattierungen als ebenbürtiger Partner an den restlos ausgeschöpften musikalischen Kostbarkeiten beteiligt.

Hh

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