Zum Liederabend am 2. November 1969 in Würzburg


Fränkisches Volksblatt , 4. November 1969

Von Fischer-Dieskau begeistert

Liederabend im Staatskonservatorium mit dem weltbekannten Künstler

Dietrich Fischer-Dieskau erlebte auch Würzburg: das Publikum forderte ihn (waren es sechs oder sieben Zugaben?) auf die Bühne zurück, Hände rührten sich unentwegt, Beine strampelten das Continuo, und sonst schüchterne Franken riskierten gar Bravorufe. Begeisterung über einen Liederabend, Erlebnis – warum soll man es nicht einmal sagen – einer Sternstunde der Liedkunst.

Nicht nur, daß dieser Stimme schier alles gelingt, so sehr, daß sie schon Gesetz für Nachkommende geworden ist: diese Begabung erarbeitet sich die Kunst und horcht ihr das Leben ab. Darin liegt das Außerordentliche: Intelligenz, die sich auf die Stimme verlassen kann, sie in das geordnete Temperament der Kunst führt, ein Wohlklang, der nicht sich selber sucht. Und so mag man staunen, wie hier einer Noten ins Werk setzt, sie für die Liedgestalt entdeckt, Musik und Gesang anspruchsvoll zurückgebend. Auch die leise Übertreibung dient dem Augenblick. Daß der Sänger Selbstbewußtsein spüren läßt, nimmt ihm nichts von seinem Auftritt.

Das Programm – Lieder nach Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe – ist nicht nur reizvoll für jene, die in der Geschichte des Kunstliedes nach Gesichtspunkten suchen. Mit Reger, Schoeck und Busoni brachte Fischer-Dieskau auch Beispiele, die unserem Zeitgefühl näher stehen und wie Neuentdeckungen angeboten werden. Othmar Schoecks "Dämmerung senkte sich von oben" gerät mit dieser Stimme keineswegs in selbstbezogene Konzert-Ästhetik; kein Vortrag, der darauf aus ist, Gefühle zu erhaschen: Wort und Musik wachsen zu einer Gebärde zusammen, leben im Gesang wie ein Geschwister der Partitur.

Die Goethe-Lieder fügten sich in den musikgeschichtlich bunten Reigen: von der Herzogin Anna Amalia, J. F. Reichardt, C. F. Zelter über Beethoven, Schubert, Schumann zu Brahms. Den Schlußpunkt im Programm setzt Hugo Wolf mit seiner unvergleichlichen Gabe der Schilderung: Fischer-Dieskau charakterisiert nicht nur jede Situation, die Stimme färbt sich beliebig, moduliert jede Feinheit und hat das Ganze in jedem Ton. Ob Schuberts "Erlkönig" oder Wolfs "Rattenfänger", nirgends läßt der Künstler die Zügel schießen, wahrt die Einheit im Vortrag, strahlend im Forte, zart im Piano, beides ineinander versponnen und tonal verknüpft. Der Begleiter am Flügel, Günther Weißenborn, lieferte die Klangbilder in hinhörender und mitarbeitender Zuordnung, beide ein Gespann: zur musikalischen Tugend prädestiniert. An diesen Abend im Staatskonservatorium denkt man lange und gerne zurück.

Alois Keck

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