Zur Oper am 11. Oktober 1970 in München
Süddeutsche Zeitung, 13. Oktober 1970
"Arabella" kann auch gratulieren
Festaufführung zum 70. Geburtstag R. Hartmanns im Nationaltheater
Während alles "Forcieren", "Outrieren", "Chargieren" oder - denn dergleichen kommt ja auch in Deutschland vor, obschon die Fremdwörter nahelegen, es handele sich dabei um welsche Gebrechen - "Übertreiben" zum Unangenehmsten und Häufigsten gehört, was man auf der Bühne erleben kann, meist als Ausdruck überkompensierter Unsicherheit, ist das Gegenteil davon, nämlich ein heiterer Freiheitsüberschuß, spontaner Übermut, glückliche Steigerung aus bester beherrschter Laune ganz selten. Ein wirklicher Theaterglücksfall. Und ein Kompliment, eine Gratulation für den Regisseur, dessen Inszenierung dann nicht auf pedantische Gefühlsmillimeter abgezirkelt war, sondern es den Künstlern erlaubt, sich im zugewiesenen Raum frei, ja übermütig und neugierig ausprobierend, wie weit man zu weit gehen kann, zu bewegen.
Rudolf Hartmanns Münchner "Arabella" ist eine solche Inszenierung. Lisa Della Casa, Dietrich Fischer-Dieskau und Anneliese Rothenberger sind nun schon viele Jahre in ihren heiteren "Arabella"-Mißverständnissen vereint; Karl Christian Kohn und Lilian Benningsen geben immer perfekter ihren Segen. Opern-München hat die Aufführung lange Zeit vergnügt begleitet, über gelegentliche Spannungsschwächen hinweg, wie sie zwischen alten Gefährten vorkommen, bis zu jenem 11. Oktober 1970, da "Arabella" aus Anlaß des 70. Geburtstags ihres Vaters, des Professors Rudolf Hartmann, eine Festaufführung erlebte.
Auch wenn die Stimmen nicht alle gleich frisch und sicher geblieben sind, denn Singende altern halt im Gegensatz zu den Figuren, deren Essenz sie darstellen: diese Arabella ist nach wie vor ein Ideal- und ein Glücksfall. Fischer-Dieskaus Mandryka, durchcharakterisiert bis ins einzelne, scheint unübertrefflich; dieser Außenseiter wirkt so urwüchsig, daß man sich ziemlich besorgt fragt, ob Arabella in der Ehe nicht einiges Unangenehme erwartet, was sie freilich wegen ihrer hochmütigen Selbststilisierung ("Ich kann ja nichts dafür, daß ich so bin") auch ein wenig verdient hätte. Die Aufführung besaß Freiheit, man merkte Frau Della Casa die Rührung an, wieder dabei zu sein; es herrschte aber auch vergnügliche Ironie, mit der die Operettennähe des Stückes unterstrichen wurde, ohne daß die Beteiligten auch nur in Versuchung geraten wären, sich billig lustig zu machen. Endloser Beifall. Diese Besetzung muß Glück bringen. Unter diesen Umständen wird der Familie Waldner nichts passieren. So gesehen, kann die Tante in Görz ewig leben.
J. K.
Münchner Merkur, 13. Oktober 1970
Nationaltheater
Die Geburtstags-"Arabella"
Man vermißte sie nicht, die festlichen Reden und Blumenglückwünsche. Konzentriert auf eine seiner meisterlichen Inszenierungen, hätte die Staatsoper ihren ehemaligen Intendanten Rudolf Hartmann an seinem 70. Geburtstag kaum eindrucksvoller feiern können. Langer herzlicher Applaus brandete zu Hartmanns Loge auf, bevor der Vorhang zu seiner weltberühmten Münchner Inszenierung der "Arabella" hochging.
Die Festaufführung präsentierte sich in einer Besetzung, die beim Publikum fast Premierenstimmung auslöste. Kein Wunder, wenn eine Lisa della Casa in Hochform mit hinreißend jugendlichem Schmelz die Arabella singt und ein Dietrich Fischer-Dieskau als unübertrefflicher Mandryka ihr zur Seite steht. Dazu Anneliese Rothenberger als Zdenka - besonders rührend im Schlußbild.
In bester Spiellaune demonstrierte das gesamte Ensemble mustergültig Hartmanns psychologisch präzise Regie, sicher gestützt von Heinrich Hollreiser am Dirigentenpult. Nicht endenwollende Ovationen. Am glücklichsten: Dietrich Fischer-Dieskau. In spontanem Dankesausbruch fiel er dem überraschten Geburtstagskind stürmisch um den Hals.
H. L.
Abendzeitung, München, 13. Oktober 1970
Fest-"Arabella" im Nationaltheater
Überreife
Nationaltheater: Festaufführung der "Arabella" von Richard Strauss zum 70. Geburtstag von Rudolf Hartmann. Regie: Rudolf Hartmann. Musikalische Leitung: Heinrich Hollreiser.
Die Kongenialität der Partnerschaft
Hofmannsthal-Strauss feiert in der "Arabella" den delikatesten
Triumph in der unübertroffenen Schilderung der Schönheiten der Morbidität.
Hier ist eigentlich alles faul und das, was noch intakt ist - man fühlt’s
- wird auch bald faul. Denn es ist die Zeit einer gesellschaftlichen Überreife,
in der sich nichts frisch halten kann. Und der schwere Duft der Überreife
haftet allem an.
Hartmanns Ehrung zu seinem Siebzigsten mit dieser Inszenierung war vollkommen. Feineres und lebendigeres Kammerspiel läßt sich in diesem Stück kaum denken. Die Protagonisten sind bereits legendär. Lisa della Casa bewies, daß in der Kunst nur die Kunst die Natur wahrhaft widerspiegelt: nie war sie eine jüngere Arabella als jetzt.
Und Zdenkas Liebesleid schlägt sich nirgends anmutiger nieder als bei Anneliese Rothenberger. Fischer-Dieskau ist in den Mandryka buchstäblich hineingewachsen und man fühlt seine Freude am Typus. Karl Christian Kohn und Lilian Benningsen gaben ein unübertreffliches gräfliches Paar ab. Horst Hoffmann schlug sich wacker mit den Tücken des Matteo, Fritz Uhl, Raimund Grumbach und Janos Tessenyi waren charmante Bewerber, Bella Jasper eine bravourös koloraturenverstreuende Fiakermilli und Gudrun Wewezow schlug überzeugend Karten.
Heinrich Hollreiser hatte Orchester und Bühne überlegen im Griff. Jubelorgien.
Mingotti
Oper und Konzert, München, November 1970
Nationaltheater
Arabella
Festvorstellung zum 70. Geburtstag von Prof. Rudolf Hartmann
Eine seiner berühmtesten Inszenierungen gab dem festlichen Anlaß einen kongenialen Rahmen: Prof. Rudolf Hartmann, ehemaliger Intendant der Münchner Oper und einer der wenigen authentischen Strauss-Interpreten unserer Tage, feierte seinen siebzigsten Geburtstag. Zur Feier des Tages kam das Münchner Publikum in den Genuß einer Vorstellung, die es sich in dieser Besetzung kaum noch einmal zu hören erhofft hatte. Eine - leider - verblaßte Institution des Münchner Nationaltheaters wurde wieder aufgefrischt, und nach diesem Abend kann man sich nur wünschen, daß sie nicht gleich wieder, und endgültig, ins Reich der schönen Erinnerungen zurückverbannt wird. Denn solange eine "Arabella" leibt und lebt wie diese, ist uns die schöne Wirklichkeit doch lieber.
In dieser Oper haben, als hätte Hofmannsthal das Wort vom "Richtigen" für jeden einzelnen von ihnen geschrieben, drei große Künstler ihre Idealpartien gefunden. Lisa della Casa, Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau haben "Arabella" geprägt und bereichert, und sind dabei an ihren Rollen gewachsen und in sie hineingewachsen bis zu dem Grad, an dem für den Zuhörer wirklich keine Zweifel sind, und er getrost zwei Stunden lang selig sein kann. Vollendet in Gesangsstil und Erscheinung, beherrscht Frau della Casa die Bühne von der ersten Minute an. Auch wenn manche Höhen heute merkliche Konzentration verraten - das Wissen um die Strauss’sche Kantilene, die Schönheit des Stimmtimbres, die Reife der Gestaltung und der Zauber der persönlichen Ausstrahlung, all das macht sie zu einer Arabella, die nicht ihresgleichen hat. Fischer-Dieskau, der seiner Partnerin an Gesangskultur und Intelligenz der Darstellung in nichts nachsteht, ist Mandryka vom Scheitel bis zur Sohle. Mühelos erfüllt er die eine und wichtigste Anforderung die man ihm stellt: etwas Besonderes zu sein, abzustechen, nicht nur von den anderen Freiern, die sich um Arabella scharen, sondern von der ganzen, allzu glatten, allzu mittelmäßigen Umwelt. Souverän und temperamentvoll singt und spielt er, manches Dieskausche Legato-"Schmankerl" kann der musikalische Gourmet auf der Zunge zergehen lassen. Eine wenig geglückte, ebenso unbedacht wie unnötig angesetzte fortissimo-Höhe im ersten Akt ist nur ein kleiner Makel an der Vollkommenheit. Hinreißend steigern sich nach Überwindung aller Hindernisse die beiden Verlobten in der Schlußszene. Frau Rothenberger, an diesem Abend besonders gut bei Stimme, vollbrachte wieder das kleine Wunder ihrer Zdenka. In dieser Oper (und nur hier) gelingt es der Diva, ganz in die Jungmädchenrolle zu schlüpfen, sich neidlos unterzuordnen und in den Schatten der großen Schwester zu stellen; zu rühren, ohne sentimental, niedlich oder "exaltiert wie die Mama" zu wirken. Eine reine Freude waren Lilian Benningsen (Gräfin Waldner), K. Ch. Kohn (Graf Waldner) und Fritz Uhl (Elemer), eine etwas getrübte Freude Bella Jasper (Fiakermilli). Ungenießbar war Horst Hoffmann als Matteo (konnte man für diesen Abend nicht Dallapozza gewinnen?). Heinrich Hollreiser am Pult waltete seines Amtes mit Umsicht und Rücksicht.
Fazit: Eine Aufführung, die den ehemaligen und den jetzigen Intendanten ehrt. Lang anhaltender Jubel beim Publikum. Wir wünschen dem Jubilar, daß er so jung bleiben möge wie seine "Arabella".
UP