Zur Oper am 27. und 30. Juli 1972 in Salzburg


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Juli 1972

Salzburger Festspiele

Hell und makellos

"Così fan tutte" unter Rennerts Regie und Böhms Leitung

Mit einmütiger Begeisterung wurde am zweiten Festspielabend die neue Inszenierung von Mozarts Così fan tutte aufgenommen. Begeisterung für Karl Böhms Stabführung, für Günther Rennerts Regie, für Ita Maximownas Bilder und Kostüme, für sechs singende Darsteller in gleichwertigen Partien.

"Così", unter Mozarts Opern die eindeutigste Buffa, ist ein Stück jenseits aller moralischen Ziele und Werte. Das 19. Jahrhundert fand sie frivol, und selbst der Höhenflug der Musik blieb nicht unbestritten. Was an dem Partnertausch der beiden Liebespaare schockierend wirkt, ist nicht die erotische Libertinage. Es ist die Infamie eines Mummenschanzes, der die Frauen geflissentlich in das Netz der abgekarteten Intrige zieht. Der Vergleich mit dem Verkleidungstrick im "Figaro" stimmt nicht, weil dort - juristisch gesprochen - der Dolus des Hereinlegens fehlt. Hier hingegen dient ein organisierter Betrug dem von Don Alfonso vorausgesagten und geplanten Fehltritt der Damen.

Daß Lorenzo da Pontes Text mit allen Wassern der Dramaturgie gewaschen, formal makellos, als Musikvorlage perfekt ist, mildert seine ethischen Mängel so wenig wie die Unwahrscheinlichkeit, daß vertraute Gesichter durch Bärte unkenntlich werden. Nicht zu reden von den grotesken Verkleidungen der Zofe, die als Wunderarzt und Notar ihre Mädchenfigur so wenig verhehlen kann, wie ihren hohen Sopran.

Mozarts Musik, mit den Arienjuwelen für Ferrando, Dorabella und Fiordiligi, den Terzetten und Ensembles, dem Windstoß der Ouvertüre, hat an Satzkunst, Laune und Phantasie ihresgleichen kaum. Wenn sie sich an Popularität mit der zu "Figaro" und zur "Zauberflöte" nicht messen kann, wenn sie dem Kenner wie dem Liebhaber zwar Bewunderung abverlangt, aber nicht "zum Herzen geht", so liegt das in dem dramatischen Gegenstand begründet, den sie tönend dolmetscht.

Salzburg hat das Stück in mancherlei Versionen gehört und gesehen; Günther Rennert ist seit Jahren auch andernorts mit dem Stoff befaßt gewesen. Was der neuen Wiedergabe die Aura der Besonderheit gibt, auch und gerade im Vergleich mit der des "Figaro" am Tag zuvor, ist die stilistische Einheit und Geschlossenheit in allen Dimensionen. Da gibt es, trotz der jeweils höchst individuellen Züge der Arbeit, keine Diskrepanz zwischen Optik, szenischer Bewegung und Musik. Es ist nicht, wie sonst oft bei den Realisierungen des Musiktheaters, so, daß hier der Kapellmeister herrscht, dort der Regisseur, nun der singende Solist und jetzt vielleicht der Bühnenbildner. Die Arbeit ist aus einem Guß, die Wechselwirkung zwischen Optik und Klang unmerklich, das Auf und Ab innerhalb der Sinnesbereiche gleichmäßig. Die ersten Wirkungen kommen von Ita Maximowna. Sie hat ein verspieltes südliches Rokoko hingesetzt: auf den Hintergrund gekritzelt die Bucht von Neapel mit dem Gekräusel des rauchenden Vulkans; zwischen den Nummern ein Vorhang mit Palmen und exotischen Phantasietieren. Im Kaffeehaus und im Salon hängen Gardinen gleichsam in der Luft. Die Fischnetze im Garten, wo die orientalisch vermummten Liebhaber Selbstmord vortäuschen, symbolisieren den Fang, der bevorsteht. Die beiden Ferrareser Schwestern singen ihr Duett in einem Bild luxuriöser Trauer, auf dem schwarze und silbergraue Tinten sich mischen. vom Himmel hängt eine gleichsam trauerumflorte Schaukel, in der Dorabella sitzt. Sogar die Vögel, die über dem Bild schweben, sind rabenschwarz. Später kündet ein Pavillon wie aus Porzellan von der barocken Liebe zur Chinoiserie.

Das alles ist spürbar von Rennert inszeniert, und erst aus diesem fast ironischen Hinter- und Seitengrund wächst, was er an den Menschen auf der Szene mobilisiert. Gleich die Gespräche der drei Männer sind im Wechsel der Gruppierungen, des Mienen- und Händespiels Startzeichen für einen Ablauf von zauberischer Gelassenheit. Hier waltet eine formende Kraft ohne Anstrengung, und es ist Rennerts Geheimnis, wie er in diesem Buffostil die Individualitäten der Sänger unterbringt und sogar betont.

So bleibt Reri Grist die kapriziöse kleine Ziersängerin, die sie immer war, in allen Metamorphosen als braune Zofe, kindlicher Flirt, burlesker kleiner Magnetiseur und Folianten schleppender Notar. So ist Peter Schreier der blitzgenaue Tenorist im heuchlerischen Abschiedsschmerz Ferrandos wie in der Türkenmaske. So bleibt Hermann Prey er selbst, sein baritonaler Schmelz in der Doppelrolle zwischen Verstellung und Eifersucht unverändert. Nicht anders der Drahtzieher der ganzen Intrige, Alfonso, von Dietrich Fischer-Dieskau mit schmunzelnder Hintergründigkeit gesungen und virtuos gespielt.

Für die Schwestern stehen zwei ungleiche Stimmen zur Verfügung. Als Fiordiligi läßt Gundula Janowitz die runden, leuchtenden Töne ihres Diskants bis zu a und b mit hochdramatischer Üppigkeit schwellen; als Dorabella hat Brigitte Fassbaender den hellen Mezzoklang, der Mozart wohl vorschwebte.

Kein Dirigient ist heute für dieses heile Mozartbild kompetenter als Karl Böhm. Er musiziert mit den Wiener Philharmonikern, mit dem von Walter Hagen-Groll vorbereiteten Chor der Wiener Staatsoper so federleicht, so präzis, so ausgeglichen wie kaum je zuvor. Er hat als reifer Siebziger die höhere Einfachheit, die das sprechende Klangbild der Buffa verlangt. Alles klingt, als entstünde die Musik unter seinen Händen. Immer wieder fühlt man: so muß ein Mozartsches Piano sein, ein Presto eilen, ein Andante singen. An künstlerischer Einheit war Salzburgs zweiter Abend nicht zu übertreffen. Das Publikum bezeugte es mit endlosem Beifall.

H. H. Stuckenschmidt

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     Die Zeit, 1. September 1972    

Mozart macht’s möglich

Elitär im Massenzeitalter - Salzburger Festspiele 1972: 
Mitten in bedrohter Umwelt göttlich heiter

[...]

An Mozart scheiden sich viele Geister. Sag mir, wie du Mozart hörst, und ich will dir sagen, wer du bist. Was Karajan, den genialischen Egozentriker, als Mozart-Dirigenten immer wieder scheitern läßt, die gleiche Grunddisposition des Temperaments ist es, die einen wahrhaft noch dienenden, nie sich selber in den Vordergrund spielenden Interpreten wie Karl Böhm zum ersten Mozart-Dirigenten unserer Epoche macht. Und wenn daneben ein kongenialer, auch mehr auf Mozarts Genius als auf sein eigenes Talent pochender Regisseur wie Günther Rennert am Werke ist, dann sind die Weichen gestellt für Großes: Dann kann etwas entstehen wie die Aufführung von "Così fan tutte", die alles, was an den Salzburger Festspielen fragwürdig sein mag, vergessen ließ.

Vielerlei kommt dabei zusammen: die neuerliche Wertschätzung dieser einst, wegen ihrer zunächst "amoralisch", dann "läppisch" genannten Handlung, unterbewerteten Oper; der (von Böhm und Rennert natürlich nach Kräften gesteuerte) Zufall einer Besetzung, die nicht besser sein könnte, wenn einer heute freie Wahl hätte unter den Sängern dieser Welt: Gundula Janowitz als Fiordiligi, Brigitte Fassbaender als Dorabella, Hermann Prey als Guglielmo, Peter Schreier als Ferrando, Reri Grist als Despina und Dietrich Fischer-Dieskau als Don Alfonso; die Anziehungskraft, die jeder der hier Beteiligten (sie alle kennen einander ja gut) auf den anderen ausübte, so daß sie wirklich zusammenspielten, daß es ihnen selber Spaß zu machen schien.

Lorenzo da Pontes hintergründiges Singspiel stellt sechs Figuren auf die Bühne, die, jede für sich ein Individuum, Typen repräsentieren, also durch "Stimmen" charakterisiert werden können. "Hintergründig", weil das, was als Maskerade-Scherz sich darstellt, zu tun hat mit der gleichen Frage nach "Wahlverwandtschaften", die da Pontes (im gleichen Jahr geborenen) Zeitgenossen Goethe bewegte - sie bewegte übrigens auch Shakespeare schon, und das vor allem in dem Stück "Was ihr wollt". Glücklicher Zufall wollte es, daß eine Menschen zu allen Zeiten bewegende Frage (gibt es denn so etwas wie geradezu physikalisch bestimmbare Anziehungskräfte zwischen Liebenden?) in Salzburg zweimal auf den Spielplan geriet - was Vergleiche der Antworten erlaubte. Aber das wäre ein neuer Artikel, für den einer mehr Ruhe brauchte, als der Reporter sie in Salzburg findet.

Festzuhalten bliebe dies: "Politisches" Theater fand in Salzburg dieses Jahr nicht statt. Ewige Fragen nach dem Menschen und der Kunst beherrschten die Bühnen. Selbst Figaro und seine Genossen waren mehr an Susanne als an der Revolution interessiert. Salzburger Anachronismen? Beginnendes "Roll-back"? Man sollte sich erinnern: Die Oper "Così fan tutte", deren szenische Realisierung ein Chronist als wichtigstes Salzburger Ereignis 1972 zu verzeichnen hätte, wurde von Mozart komponiert unter dem Druck von Schulden, die er endlich bezahlen wollte - göttliche Heiterkeit, abgetrotzt einem qualvollen Leben, wie es Ionesco (der vergleichsweise bequem lebt) nicht düsterer sehen könnte.

Rudolf Walter Leonhardt

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     Der Tagesspiegel, Berlin, 29. Juli 1972    

Unter blauem Theaterhimmel

"Cosí fan tutte" – Zweite Premiere in Salzburg

     

Die Zeit, in der man da Pontes Libretto zu "Cosí fan tutte" gegen den Vorwurf der Frivolität verteidigen, in der man Mozart um der Verfehlung willen, es komponiert zu haben, in Schutz nehmen mußte, ist längst vergangen; seit 1922 ist das Buffospiel von der menschlichen Unzulänglichkeit, von der Wandelbarkeit der Herzen und der Vergeßlichkeit der Sinne eine Perle des Salzburger Festspielprogramms, und das Wunder der entfesselt spielenden, ironisch funkelnden und lyrisch schmeichelnden Musik, in welche Mozart die dramatische Belanglosigkeit dieser leichtsinnigen Wette um Liebestreue kleidete, ist dem Publikum vertraut und wert geworden. Richard Strauss, Bruno Walter, Clemens Krauss, Felix von Weingartner, Josef Krips haben die Oper in Salzburg dirigiert, seit fast zwei Jahrzehnten ist sie Karl Böhm übereignet, der sie vorübergehend an Seiji Ozawa abtrat. Nun hat er sie, in Günther Rennerts Neuinszenierung im Kleinen Festspielhaus, wieder übernommen, und wieder inspiriert er die Wiener Philharmoniker zu einer Orchesterleistung von klassischer Vollendung. Er läßt die Ouvertüre wie die Musik einer Spieldose ablaufen, belebt die Männerterzette der Anfangsszene mit dem Feuer übermütigen Temperaments, breitet um die Gestalten der treulosen Mädchen eine Aura sinnlichen Wohlklangs wie ein prächtiges Kleid, das ihnen Schwäche, Würde und Schönheit gibt; er läßt Buffoheiterkeit, Opernparodie, Burleske und tiefen lyrischen Ernst miteinander abwechseln, trifft jede Stimmung rein und genau und bindet das ganze zur Harmonie, zum vieltönigen Akkord von Leichtsinn und Wehmut, von echtem Gefühl und schillernder Ironie.

Man mag "Cosí fan tutte" als Opera Buffa, als Vorläufer der späteren Operette, als Satire, als burleskes Spiel deuten: Niemals wird man mit einer schematischen Definition die Essenz des Werkes erfassen, dessen Einzigartigkeit auf seiner irisierenden Unbestimmbarkeit beruht. Der Regisseur Günther Rennert verläßt sich auf seine Intuition, schöpft aus der Fülle der komödiantischen Möglichkeiten, die das Sujet birgt, und koordiniert das Possenspiel mit dem Geist und Rhythmus der Musik. Die Bühnenbildnerin Ita Maximowna begnügt sich mit wenigen farbigen Versatzstücken, die vor dem neapolitanisch blauen Theaterhimmel und den Konturen des fernen Versuvs ausgewechselt werden. Schenke, Boudoir, Park und Hochzeitssaal sind nur angedeutet; die ausschweifende Trauer der Verlassenen um die noch lebenden Geliebten wird zu einer surrealistischen Schaustellung schwarzer Roben, blumengeschmückter Urnen und anmutig flatternder Totenvögel; der modische Tand, der die Damen umgibt, gewinnt eigenes komödiantisches Leben, die Realität verflüchtigt sich, der Alltag wandelt sich in Phantastik. Das Spiel verläuft als Seiltänzerei zwischen den Sphären. Naturalismus und Operngeste verbünden sich, man schmeichelt mit Kantilenen und geht mit Koloraturen aufeinander los, alles steht unter dem Gesetz einer komödiantischen Choreographie, in der es keinen Augenblick der Leere gibt.

Das Duo der Schwestern ist von schöner, sich immer wieder in makellosen Terzenparallelen bezeugender Homogenität. Fiordiligi ist Gundula Janowitz, in der Reihe der Sängerinnen, die in Salzburg diese Partie vertreten haben, eine der schönsten Stimmen. Sie trifft das heroische Pathos der Arie von der felsenfesten Liebestreue so gut wie die schwärmerische Versenkung in die Erinnerung an das schon vergehende Gefühl, wie das Schwanken der Schwäche und die Lust des Erliegens. In der Mezzosopranlage sekundiert ihr Brigitte Fassbaender als Dorabella, leichteren Blutes und beweglicheren Herzens, schärfer parodierend im wilden Schmerzausbruch und im Spiel mit dem lockenden Abenteuer. Die Liebhaber prägen den Kontrast der Temperamente noch stärker aus: Dem zärtlich-lyrischen Ferrando Peter Schreiers, eines idealen geschmack- und stilsicheren Mozart-Tenors, steht der vitale, sanguinische Bariton Hermann Prey als Guglielmo gegenüber, der noch seine raunzende Gegenstimme im wohllautenden Hochzeitskanon zu einem letzten, fruchtlosen Protest gegen sein leichtsinnig heraufbeschworenes Schicksal macht. Die Vertreter der Buffopartien überbieten einander an komödiantischer Aktivität. Reri Grist, die zierliche, charmant-freche Despina, ist die allgegenwärtige Verführerin, geschmeidig wie eine Katze, anmutig wie eine Tänzerin. Sie selbst in allen Vermummungen, gesanglich eine virtuose Synthese von Mozart-Kultur und heiterer, künstlich stilisierter Vulgarität. Dietrich Fischer-Dieskau endlich als Don Alfonso ist mehr als der zynisch-trockene Philosoph des Librettos und der gesanglich wenig hervortretende Baßbuffo der Partitur: Ein überlegener, bald jovialer, bald grausamer Lenker der Komödie, Regisseur pseudotragischer und burlesker Auftritte, Dirigent imaginärer Kriegsmusik, Anstifter aus Lust und verschlagener Komplize Despinas, am Ende noch die Verirrten durch menschliche Wärme und Weisheit versöhnend; als Sänger alle Nuancen vom pointierten Parlando seiner solistischen Devisen bis zur Kantabilität der Ensembles ausspielend. Das Festspielpublikum bestätigte den Abend orchestraler, sängerischer und komödiantischer Virtuosität durch stürmischen, langanhaltenden Beifall.

Werner Oehlmann

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     Berliner Morgenpost, Berlin-West, 29. Juli 1972

Die schmachtenden Liebhaber erschienen diesmal im schmucken China-Look

Salzburger Premieren: Eine witzige "Così"-Inszenierung

    

Wieder Premiere in Salzburg, wieder Mozart. Wolfgang Amadeus, der Garant für volle Häuser in Salzburg, Günther Rennert und Karl Böhm, die Garanten für die bislang erfolgreichsten Mozart-Inszenierungen in der Nachkriegsgeschichte dieses Festivals - was konnte da schon schiefgehen!

Münchens Opernchef Günther Rennert kommt einem in Salzburg ein wenig so vor wie der ideale Handwerker, dem man getrost alles überlassen kann, bei dem die größten Schwierigkeiten ohne Aufsehen überwunden werden.

Es kommt natürlich vor allem hinzu, daß Rennert ein ausgesprochener Mozart-Fachmann ist, der seine eigenen Inszenierungen Jahre später mit neuen, modernen Momenten bereichert und so nie "verstaubt". Seine diesjährige Neuinszenierung von "Così fan tutte" ist dafür das beste Beispiel. Sie ist ein Kabinettstück von ebenso präziser wie leichter und heiterer Inszenierungskunst, dem Werk selbst und seinem Inhalt vollkommen angepaßt.

Nie und nimmer wirkt es bei Rennert revolutionär, wenn er die beiden Liebhaber als Chinesen verkleidet (dazu mußten sogar einige Textstellen leicht geändert werden), um ihre Mädchen auf die Probe zu stellen. Hermann Prey und Peter Schreier im China-Look - ein reizvoller Einfall!

Da hätte ihm vielleicht auch bei den Damen etwas einfallen sollen. Zwar sind Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender gesanglich wie ihre Partner Prey und Schreier über jeden Einwand erhaben, aber sie wirkten nicht annähernd so komisch, wie sie sein könnten. Die Lacher auf ihrer Seite hatte da Reri Grist als eine umwerfend komische und zugleich reizende Despina. Souverän natürlich auch Dietrich Fischer-Dieskau als Alfonso, souverän Karl Böhm und seine in allen "Così"-Sätteln gerechten Wiener Philharmoniker.

Autor unbekannt

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     Die Presse, Wien, 29. Juli 1972

Salzburger Festspiele 1972

Augen zu, Himmel auf

Musikalisch vollendet, szenisch mißglückt ist die "Così fan tutte" - Inszenierung des Teams Rennert-Böhm

   

Am zweiten Abend der Festspiele war dann wieder beinahe alles in Ordnung. Sieht man von einem freilich beinahe irreparablen optischen Eindruck ab, war die neue "Così fan tutte" ein Fest durch und durch. Und wurde auch als eines verstanden.

Hoffentlich wird auch die gleich vorweggenommene notwendige Einschränkung richtig verstanden - [...] Wir werden es ja sehen. Denn unser Vorschlag lautet einfach, man möge die neue "Così fan tutte" der Salzburger Festspiele in der diesmal umjubelten Besetzung für viele Sommer bewahren, ihr jedoch allerspätestens im nächsten Sommer einen anderen, einen besehbareren Rahmen geben.

Günther Rennert hat schon einmal eine vorbildliche und über Jahrzehnte unangefochtene Inszenierung von "Così fan tutte" abgelöst, damals gleichfalls mit einer Dame als Dekorateuse mit einem putzigen und kunstgewerblerischen Hinter- und Vordergrund und insgesamt eben sehr vordergründig. Daß derlei noch einmal geschehen mußte, erwartete man eigentlich nicht. Daß er gemeinsam mit Ira Maximowna, mit der er das Erfolgsteam der späten fünfziger Jahre gebildet hatte, noch einmal auf aus dem Bühnenhimmel herabhängende geschmäcklerische Dekorationsteile und alberne optische Pointen kommen und diese gerade für diese Oper anbieten würde, hatte man wirklich nicht erwartet.

Nun, es ist geschehen, man kann es diesen Sommer lang, so man nicht lieber vor Schmerz die Augen schließt, nachprüfen. Da wird in gar nicht glücklich gewählten Farben und vor gräßlich komischen Versatzstücken "Così fan tutte" gespielt, Ausstatterin und Regisseur geben dem Librettisten und dem Komponisten auch nicht die geringste Chance, ohne Gag zu wirken, jeder Lüster, jedes Tischbein ist noch als Pointe verkleidet, und über den Ansammlungen von mißverstandenen Späßen könnte man wie vor einem Lehrstück "Wie bin ich einfallsreich ohne Geschmack" sitzen. Unnatur, sorgfältig geprobt.

Man sollte sich nicht allzulange damit aufhalten, doch ist der Versuch, das Stück zu ermorden, überdeutlich. Da in der Geschichte der zwei wechselnden Paare - bei Mozart - immer wieder der holde Moment kommt, in dem aus Spiel beinahe Ernst wird und vorgetäuschte Liebe zu momentan ehrlicher Sehnsucht wird, wäre es heikelste und schönste Pflicht eines Regisseurs, uns diese Augenblicke auch zu zeigen. Es gibt sie, plötzlich wirbt Ferrando nicht mehr karikaturistisch, sondern ernsthaft um Fiordiligi, und einmal ist sogar Guglielmo seiner nicht mehr sicher und will wirklich die leichter zu betörende Dorabella - das ist kein reiner Spaß, das ist, von Mozart, sehr klug dargestellt. Bei Rennert ist es pure Blödelei. Bei Rennert und Ita Maximowna.

Aber nicht bei Karl Böhm, dem man kein Kompliment, kein Dankeswort mehr schreiben kann, weil man ja schon alle Worte aufgebraucht hat: man müßte sein Geheimnis kennen, eine alte Weisheit mit ganz neuem Leben zu erwecken, immer und immer wieder, dann käme vielleicht noch eine Beschreibung seiner großen Kunst zustande. Wie er seit undenklichen Zeiten immer wieder "Così fan tutte" dirigiert und immer herrlicher, so müßte man ihn immer lauter und aufrichtiger loben und in immer glücklicherer Stimmung. Böhm abr behält sein Geheimnis für sich.

Diesmal hat er ein Ensemble zur Verfügung, das man ideal nennen darf. Eine Gundula Janowitz in herrlicher stimmlicher Verfassung, die nur für Salzburg neue Brigitte Fassbaender, deren schöne Stimme uns zu verstehen gibt, daß immer wieder große Sängerinnen kommen. Hermann Prey, von sogenannten Krisen weit entfernt und ganz ausgezeichnet, Peter Schreier, ein Idealfall von sicherem und klugem Mozart-Sänger, Reri Grist, für die auch schon alle Lobesworte geschrieben worden sind, und Dietrich Fischer-Dieskau, von dem man nur sagen muß, daß er souverän und natürlich sang, um seine blendende Leistung anzudeuten. So ein Ensemble und die Wiener Philharmoniker. Und dazu Karl Böhm.

Ohne Umschweife also und vollkommen glücklich: Salzburg hat schon lange keine so grandios besetzte Mozart-Oper im Programm gehabt, und für die Glücklichen, die dem Abend mit geschlossenen Augen folgen konnten, war wohl diesmal der Himmel sehr weit offen. Solange Böhm uns zeigt, wo Mozart wohnt, ist alles in Ordnung. Und wirklich nur der eine Wunsch offen, man möge einmal ein Einsehen haben und diese unsagbar schöne, zum Stammeln verführende musikalische Realisierung spätestens im nächsten Sommer in einer optisch einigermaßen kongenialen Form präsentieren. Selbstverständlich, man muß sich "Così fan tutte" unter allen Umständen, auch unter den mit Rennert und Maximowna getrübten, anhören. Aber ließe es sich nicht ausnahmsweise und gegen alle Regeln, erreichen, daß man das 1973 mit offenen Augen tun kann?

Franz Endler

PS: Details, wie schwarze Krammetsvögel über der Szene, hochzeitlich wuchernde Tische, Chinoiserien, die sogar Textänderungen notwendig machen, und das permanente Partnerverwechseln, werden auf Wunsch ungern nachgeliefert. Eine Beschreibung der musikalischen Freuden aber nicht. Man müßte sonst die gesamte Partitur abdrucken und behaupten, jeder Takt sei herrlich und richtig gewesen.

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     Salzburger Nachrichten, 29. Juli 1972

Salzburger Festspiele 1972

Im Einklang mit dem Herzschlag Mozarts

"Così fan tutte" unter Karl Böhm und Günther Rennert –
Salzburg hat wieder "Così"-Ensemble

     

Donnerstag abends im Kleinen Salzburger Festspielhaus wußte man es wieder: Warum man so allergisch reagiert hatte auf das Experiment, gerade "Così fan tutte", dieses heikelste Juwel unter dem Schatz der Mozart-Opern, dieses Herzstück unserer Mozart-Liebe, einem jungen Exoten anzuvertrauen, für den das eine Stufe zur Weltkarriere bedeutete – weiter nichts! Warum man einfach nicht einverstanden sein durfte mit der dekorativ-komödiantischen Lösung, die Jean Pierre Ponnelle im gleichen Haus angeboten hatte, die zweifellos originell und in vielen Details faszinierend war, aber eben nicht im Einklang mit Mozarts Musik.

Nun ist Karl Böhm an seinen angestammten Platz zurückgekehrt und musiziert mit einem Ensemble der Besten "Così fan tutte" wie heute nur er es kann: in einer Selbstverständlichkeit, die keinen Zweifel an der Richtigkeit jedes Details und des Ganzen zuläßt, mit einer Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, die jede Routine, die man dem 78jährigen und seiner lebenslangen Mozart-Praxis wohl zubilligen müßte, Lügen straft, mit einer Intensität, die keinen Augenblick erlahmt und stets den ganzen Mozart trifft – den ganzen Mozart, das umfassendste Genie des Musiktheaters! Bei Karl Böhm ist eine solche Aufführung, ist das Orchester der Wiener Philharmoniker, sind die Sänger und ist man als Zuhörer in jedem Moment in vollem Einklang mit dem Herzschlag von Mozarts Musik – mehr kann Salzburg, mehr kann kein Festspiel, dessen Mitte Mozart ist und bleiben muß, erreichen!

Günter Rennerts Inszenierung folgt diesem Herzschlag nicht in allem, aber sie ist ihm doch näher, als man es von seinen früheren szenischen Versionen der Oper in Salzburg und anderswo im Gedächtnis hat. [...]

Seine und Ita Maximownas Inszenierung fixiert das Spiel unter südlicher Sonne. Nicht von ungefähr erscheint auf dem farblich dunklen Horizont stilisiert der Vesuv, die Farben des Proszeniums, eines Zwischenvorhangs in kräftigem Gelb und des nobel darauf abgestimmten Gobelins, welche die Verwandlungen abdecken, der sparsam stilisierten Bühnendekorationen und Requisiten sowie der in der Mehrzahl sehr schönen Kostüme geben dem Spiel eine betonte Vitalität, ohne die Aufdringlichkeit roter Strümpfe nötig zu haben. Daß Rennert dem "Chinesen-Look" der verkleideten Liebhaber zuliebe Despinas Text veränderte, indem er aus den "Valacchi" bei da Ponte "Chinesi" machte, nimmt man als Freiheit lieber in Kauf als die weder aus der Musik noch aus dem Text zu motivierende Trauerszene, die nicht nur die Kostüme der beiden Schwestern, sondern auch die übrige Szenerie in manieriertes Schwarz taucht, nicht zu reden von dem outrierten Zeremoniell der schwarzen Blumen und Vasen.

An diesem Punkt zumindest ist Rennert in seinem Inszenierungskonzept inkonsequent (wie auch seine Ausführungen im Almanach verraten). Er inszeniert den ersten Akt bewußt als totale Komödie und erst den zweiten als die "Tragi-Komödie echten Instinkts". Er bekennt sich zwar dazu, "die Fiordiligi-Episoden ernst zu nehmen", doch zugleich desavouiert er die Echtheit ihres Gefühls in der Arie "Come scoglio" durch übertrieben ausgespielte Clownerien rundherum. Ja, Rennert ignoriert auch sonst im ersten Akt die in Mozarts Musik ganz deutlich vorgezeichneten Ansätze einer Wendung ins Tragische, die zumindest bei Fiordiligi und Ferrando, den beiden schwerer veranlagten Teilen des Quartetts, den zweiten Akt beherrscht und, trotz des versöhnlichen Gläserklingens am Schluß und des zauberhaft ausgespielten Hochzeitsmahls, ihre Wunden zurücklassen wird. Daß Rennert diese tragische Komponente im zweiten Akt aber fast ohne jede komödiantische Kontrapunktierung ausspielen läßt, zeigt, daß ihm dieses zentrale Problem jeder "Così"-Deutung durchaus bewußt ist.

Natürlich ist Rennerts Regie in jedem Moment auf der vollen Höhe beherrschten Handwerks. Es gibt kostbar aus der Musik entwickelte Details und in der Profilierung der sechs Figuren ein ganz genaues Konzept, das Rennert mit den Sängern präzise durchgearbeitet hat. Sehr schön sind die beiden Schwestern im Temperament voneinander abgesetzt; die Fiordiligi der Gundula Janowitz, in ihrer schwerblütigeren, fraulichen Art stets mehr dem Ernst als dem Spiel zugeneigt, und die kapriziöse, sanguinische Dorabella der Brigitte Fassbaender, die aber auch im zweiten Akt – wie es Mozarts Musik ja will – von dem erotischen Erlebnis mit dem geheimnisvollen "Brunettino" tiefer berührt wird. Die beiden Liebhaber erhalten ihre Differenzierung mehr aus der Musik und ihrem sängerischen Temperament gemäß, das Peter Schreier als Liebender in beiden Gestalten glaubhafter erscheinen läßt als Hermann Prey, der im Sinne der Rolle immer mehr auf seiten der Komödie bleibt. Ein Glücksfall in jeder Beziehung ist die Despina der Reri Grist, ein Kammerzöfchen und ein Mädchen aus dem Volk, eine Darstellerin von schlechthin unübertrefflicher Musikalität, bei der keine noch so pointierte Drolerie – köstlich ihr beinahe chaplinesker "Dottore magnetico" – den Rahmen sprengt, weil jede Bewegung, jeder Blick, jede Geste mit der Musik völlig synchron ist. Sie überspielt in dieser Hinsicht ihren Mit- und Gegenspieler Don Alfonso, dem Dietrich Fischer-Dieskau merkwürdigerweise die Züge eines etwas täppischen Alten zu geben hat. Obwohl die beiden jungen Offiziere ihm "scempiaggini di vecchi" vorwerfen, hat dieser Don Alfonso doch alles eher als senil zu sein, und man will dem hünenhaften Fischer-Dieskau diese Maske auch gar nicht so gerne abnehmen; eher schon den Spaß, den er daran hat, mit Despina zuletzt ein wenig zu tändeln.

Gesungen wird beinahe ohne Einschränkung herrlich: Gundula Janowitz erfüllt den schwierigen Part der Fiordiligi mit hoher Musikalität und makelloser Phrasierung und zeigt, daß sie dieses ihr gemäße Fach nie hätte verlassen dürfen (manches käme dann wohl müheloser). Brigitte Fassbaender bildet mit ihrem kräftigen und charaktervollen Alt einen deutlichen Kontrast. Reri Grist ist musikalisch und stimmlich so souverän wie in ihrem Spiel. Peter Schreier singt den Ferrando betörend schön, mit vollem Einsatz seiner Stimme, die unerwartet viel Kern bekommen hat, und trotz strengster musikalischer Disziplin emphatischem Ausdruck. Hermann Prey fühlt sich bei Mozart ebenso stimmlich wie musikalisch wohl und Dietrich Fischer-Dieskau demonstriert seinen überlegenen Deklamationsstil und seinen in jedem Wort und jeder Phrase evidenten künstlerischen Verstand.

Vor allem aber: die sechs Sänger bilden ein herrliches Mozart-Ensemble, wie es Salzburg lange nicht gehört hat, eingeschworen auf einen Stil und einen Mozart-Klang. Kein Wunder, daß vom ersten Terzett der Männer an Hochstimmung im Publikum herrschte, daß man mit wachen Sinnen den Glücksfall eines in jeder Weise erfüllten Mozart-Abends genoß, und daß zuletzt alle Beteiligten, vor allem aber natürlich Karl Böhm mit Ovationen dankbarer Begeisterung überschüttet wurden.

Gottfried Kraus

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     Münchner Merkur, 29. Juli 1972

Zweite Salzburger Festspiel-Premiere

"Cosi fan tutte" wie noch nie

     

Darum fährt man nach Salzburg: einen Mozart zu hören, so rätselhaft vielschichtig, so beschwingt, so rundum aus einem Guß wie die neue "Così fan tutte". Ein exemplarischer Mozart ist ja auch hier keine Selbstverständlichkeit, so sicher sind wir seiner nicht. Und selbst wenn wir eine Traumvorstellung davon haben, wie es sein müßte – wann ist schon einmal ein Mozart-Ensemble ohne blinden Fleck, sind ein inspirierter Dirigent und ein kluger, fantasievoller Regisseur zusammen? Eben bei dieser Salzburger "Così fan tutte" – so empfand es das Publikum beglückt und unisono.

Was Karl Böhm, Günther Rennert und das Sextett Janowitz, Fassbaender, Grist, Prey, Schreier, Fischer-Dieskau im Kleinen Festspielhaus vorführten, war ein Glücksfall einer Mozart-Komödie ohne jeden falschen Ton. Wir brauchen Salzburg, damit es solche stilistischen Maßstäbe setzt.

"Così fan tutte" wurde unter dem Zugriff dieser Künstler ohne Ängstlichkeit und ohne Manier, ohne Mätzchen, unter Ausnutzung aber aller seiner psychologisch-dramatischen Möglichkeiten zur menschlichen Komödie geschliffen. Das ist noch immer nicht selbstverständlich, soviel wir auch inzwischen über dieses Stück wissen.

"Così" hat ja am meisten unter dem Mozart-Mißverständnis gelitten; ganze Generationen waren sich einig, Mozart habe hier kostbare Musik an einen läppischen Text verschleudert. Heute stehen wir fasziniert vor dem doppelbödigen Werk, in dem unter der konventionellen Hülle der Verkleidungskomödie die Dämonie einer Liebesverstrickung bis zum Persönlichkeitsverlust dargestellt wird (vergleichbar etwa Goethes 20 Jahre späteren "Wahlverwandtschaften").

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Der geistvollen Verbindung von moderner Psychologie, Rokoko-Frivolität, Sturm und Drang und zeitbedingter Empfindsamkeit mit Tränen, Schwüren, Ohnmachten und Selbstmorddrohungen entspricht die raffiniert artifizielle formale Anlage – pompöse Seria-Arien im spätbarocken Stil und prunkende Koloraturen stehen parodistisch neben reinem Gefühl und leichtem Buffo-Ton.

Günther Rennert, dessen Salzburger "Così" mit Elisabeth Schwarzkopf und Christa Ludwig fanatischen Mozartianern noch in Erinnerung ist, hält alle diese verschiedenen Bälle zugleich virtuos in der Luft. Parodie verzichtet hier aufs demonstrative Vorzeigen, Ironie behält Charme. Und Zynismus, auf den in vielen Inszenierungen dieses Stückes so gepocht wird, stellt sich als entbehrlich heraus.

Rennert zeigt die Komödie, in der jeder Haare lassen muß – Gewinner gibt es nicht. Die hängenden Schultern und die nachdenkliche Miene, mit der die Männer zum Schluß mit den richtigen und falschen Bräuten anstoßen, zeigt, wie wenig es hier auf den Triumph des Rechtbehaltens, wieviel auf die Ahnung vom Menschenherzen ankommt.

Doch Rennert ist klug genug, nicht mehr als diese Ahnung zu geben. Für radikale Einsichten, die dann etwa zu einem ganz anderen Schluß führen müßten, gibt es weder in Mozarts Noten noch in da Pontes Text einen Hinweis. 1790 durfte man einen Abgrund zwar vorzeigen, deckte ihn dann aber wieder zu.

Von Rennerts Regie läßt man sich widerstandslos mitreißen, denn so raffiniert und originell sie ist, so unverkrampft und natürlich teilt sie sich mit. Wie witzig und einleuchtend, wenn die Männer vor Fiordiligis gestochenen Felsenarien-Tönen zusammenschrecken, wie kunstvoll die Umsetzung der Nummernarien in szenische Bewegung.

Ein neuer Einfall: die beiden Liebhaber bringen den Mädchen Kostüme mit, die zu ihrer eigenen Vermummung passen, deutliche Aufforderung, das Spiel mitzuspielen. Und dieser Einfall läßt sich noch wunderbar zur Enthüllung von Fiordiligis Wesen nutzen: sie wirft das Kostüm nach kurzer Zeit ab, denn sie ist unfähig, Gefühle zu spielen.

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Die Besetzung, bei der Idealvorstellung und Wirklichkeit sich in allen sechs Fällen deckten, war so, wie sie kaum für eine Schallplattenaufnahme zusammengekauft werden kann. Gundula Janowitz, die ja schon im "Figaro" mit Rennert zusammenarbeitete, ist im Spiel sehr gelockert und bei aller Standhaftigkeit vollkommen unhysterisch. Brigitte Fassbaenders Dorabella kennen wir von München und wissen, daß man diese Rolle betörender nicht singen, gescheiter kaum spielen kann.

Das Luderchen Despina hat Reri Grist nicht nur im Kehlkopf, sondern auch in Hand, Fuß und Taillendreh. Ein Frühstückstablett in ihrer Hand wird zum Theaterrequisit schlechthin. Und die für unnaive Theaterbesucher so schwer zu ertragenden Verkleidungsmomente als Doktor und Notar kommen bei ihr bemerkenswert unangestrengt, einfach witzig und dramaturgisch notwendig.

Der sanfte Ferrando, der so gut zu Fiordiligi paßt, aber leider nicht mit ihr verlobt ist, hat es in den meisten Aufführungen schwer, sich neben dem draufgängerischen Guglielmo anders als durch Tenorschmelz zu behaupten. Diesen Schmelz bietet Peter Schreier reichlich auf. Er hat als Mozartsänger noch erstaunlich an Stilgefühl und Kultur der Phrasierung gewonnen und verfügt jetzt auch im Spiel über eine jeden Regisseur inspirierende Lockerheit.

Hermann Prey ist seit Jahren ein glänzender Guglielmo. Er hat Humor, Schwung, ist nie derb und schmeichelt seiner Dorabella das Medaillon mit baritonaler Wärme ab. Fischer-Dieskaus Rollendebüt als Don Alfonso ist ganz auf den vergnügt überlegenen Drahtzieher, aber kein bißchen auf den kalten Ton des Besserwissers gestimmt. Hat dieser Alfonso vielleicht gemerkt, wohin sein Spiel geführt hat?

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Mit dieser Aufführung hätte man sich so gern mit Haut und Haaren identifiziert. Und doch gab es einen schwachen Punkt: Ita Maximownas Bühnenbild. Rennert bestellte bei ihr Ähnliches, was ihm Leni Bauer-Ecsy bei seiner letzten Salzburger "Così" geliefert hatte: leichte, verspielte Dekorationselegance, ein bißchen Schmiedeeisen, Schaukeln und Liebestempelchen. So hat man in den fünfziger Jahren Anouilh und Giraudoux aufgeputzt – die Leistung von Rennert, Böhm und den sechs Sängern bewies, daß so etwas für Mozart zu leichtgewichtig ist.

Was Karl Böhm als spiritus rector dieser exemplarischen Mozartaufführung leistete, war musikalische Dramatik, szeneschaffende Verdeutlichung einer Partitur, ein Glücksfall. Böhm wird hierin heute von niemandem erreicht. Er dirigierte mit einer unglaublichen Verve und jugendlicher Gespanntheit.

Sein Mozart ist feurig, wild und zärtlich, das "Weht leise, ihr Winde" zerging auf der Zunge. Böhm führte Abendregie vom Pult aus, ein fühlender und wissender Mozart-Dirigent.

Helmut Schmidt-Garre


   

     Neue Zürcher Zeitung, 8. August 1972

Salzburger Festspiele

Zwei Mozart-Einstudierungen

[...]

Im ganzen ist die "Figaro"-Aufführung von inneren Spannungen zwischen der szenischen Handlung mit ihren kleinen Korrekturen einerseits und dem musikalischen Ablauf anderseits nicht frei. In "CosÌ fan tutte" scheint die Übereinstimmung bewußter angestrebt zu sein. An musikalischem Niveau sind Karl Böhm und Karajan einander ebenbürtig; in der Mozart-Auffassung differieren sie. Böhm legt den dynamischen Pegel etwas höher. Es gibt bei ihm kaum die verschwebenden Pianissimi, dafür aber, vor allem in den martialischen Szenen, mitunter ein handfestes Fortissimo. Bei aller Klarheit in der mehrstimmigen Führung treten die Soloinstrumente nur hervor, wo sie obligat sind. Böhm macht kammermusikalische Symphonik, Karajan symphonische Kammermusik. Beiden folgen die Wiener Philharmoniker mit einer beglückenden Sicherheit und Anpassung an den kapellmeisterlichen Charakter. Günther Rennert, seit vielen Jahren immer wieder um neues Aushorchen des Buffogeistes bemüht, auf deutschen Bühnen ein Spezialist für "Così", hat sich von Ita Maximowna Szenerien und Kostüme in einem bezaubernd verspielten Rokoko malen, bauen und kritzeln lassen. Der exotische Geist, der in die neapolitanische Vesuvlandschaft eindringt, reicht vom pistaziengrünen Chinapavillon bis zum veritablen Sarottimohren, der den Schwestern aus Ferrara als Spiegelhalter dient. Mit einer reizvoll-manierierten Kunst der Andeutung werden Landschaften skizziert, Vorhänge in die Luft gespannt, symbolische Netze für den erotischen Fischzug aufgehängt, Beete voller wirklich zu pflückender Blumen auf die Szene gepflanzt. Den Formalismus des Stücks mildert dieses Dekor bis zur Verniedlichung.

Und da läßt nun Rennert seine Sänger agieren, die allesamt meisterliche Schauspieler sind. Gleich die Terzette der Männer im Caféhaus sind Kabinettstücke gelöster Darstellung, die sich dem Allegroschwung der Musik anschmiegt, ohne durch sie gegängelt zu wirken. Bei Peter Schreier als federleicht intonierendem Ferrando, Hermann Prey als sonor bis in die Baßlage belcantierendem Guglielmo sind die Freundeszüge überzeugend und in raffinierter Wechselwirkung verteilt. Mit souveräner und liebenswürdig-teuflischer Überlegenheit weiß Dietrich Fischer-Dieskau die Intrige einzufädeln, durchzuführen und zum bitter-süßen Ende zu bringen. Stimmlich sind alle drei von einer Ökonomie und Sicherheit in der Integrierung ihrer Stimmen zum polyphonen Komplex, für die der Einstudierung (Walter Taussig und Josef Wallnig) hohe Bewunderung gebührt.

Durch einen mit Palmen und exotischem Getier bemalten Zwischenvorhang hebt Rennert mehrere Nummern, vor allem solistische, aus dem Szenenrahmen. So singen Dorabella und Fiordiligi in Rampennähe, was ihnen an vertrackter Koloratur aufgegeben ist: ein logisches Zugeständnis an die formale Isolierung der Hauptarien in "CosÌ".

Brigitte Fassbaender ist Dorabella, eine schlank und ebenmäßig singende, den Melismen vielfältige Farbe leihende Partnerin Fiordiligis. Für diese stellt Gundula Janowitz ihre üppig leuchtenden Spitzentöne mit bisweilen hochdramatischer Kraft zur Verfügung, treffsicher in den Rouladen wie in den Salti mortali fallender Duodezimen. Beide sind in der schauspielerischen Wandlung von Trauer, Verliebtheit, schlechtem Gewissen und Reue so anmutig wie im Tragen ihrer berückend schönen Kleider.

Als bildliche Peripetie haben Rennert-Maximowna für das Frauenduett ein Bild elegantester Trauer eingebaut, links eine in den südlichen Himmel reichende Schaukel, auf der Dorabella wippt, Kleider, Blumen und ein Rabenschwarm in luxuriösem Schwarz-Grau-Silber. Das ist in der Ironie dieser Mise-en-scène der schönste und hintergründigste Einfall.

Was aber wäre der Abend ohne die kleine Person, die immer wieder mit quirligem Spiel, pantomimischer Grazie, schwerelosem Sopran und vollendeter Musikalität als Zofe Despina bezaubert, ohne Reri Grist? Sie fängt den Geist des Stücks wie in einem Brennspiegel ein, wechselnde Partnerin und durchtriebene Mitspielerin aller Beteiligten, von Alfonso über die Schwestern bis zu den Liebhabern, die sich in orientalische Besucher verwandeln. Und wenn ihre Winzigkeit Mannskleidung trägt, als Quacksalber mit dem alles heilenden Magneten, als Notar unter der Aktenbürde fast zusammenbrechend, wird das abstrakte Formenspiel der Buffa ganz evident.

Rennert läßt das Stück nicht enden; offenbar von Hunger und Durst geplagt, setzen sich die sechs freiwillig-unfreiwillig Belehrten an die Tafel, und nur wenn der Beifall im festlich gestimmten Kleinen Haus nicht mehr ignoriert werden kann, erhebt sich die eine oder der andere zu kurzem Dank-Nicken, wobei noch schnell der Mund mit der Serviette abgewischt und dem Publikum ein zwinkernder Augurenblick spendiert wird.

[...]

H. H. Stuckenschmidt

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     Kölner Stadt-Anzeiger, 1. August 1972

Salzburger Festspiele: Rennert inszeniert "Così fan tutte"

Und der Vesuv raucht dazu

    

Die beiden verliebten Offiziere Guglielmo und Ferrando trinken mit Don Alfonso Wein, Mokka und schließen mit Champagner ab. Im Hintergrund raucht der Vesuv: So beginnt Günther Rennerts traumhafte Neuinszenierung von Mozarts "Così fan tutte" im Kleinen Salzburger Festspielhaus.

Rennert sparte nicht an Einfällen. Aber sie kommen diesmal nicht in Überfülle, nicht als goldener Überfluß, nicht verschwenderich ausgestreut. Sie lockern vielmehr mit berückender Grazie einen strengen Regieplan auf, der sich der geometrischen Ordnung des Librettos und der Partitur, die sie mit pulsierendem Leben füllt, aufs sorgfältigste anpaßt. Ein Beispiel für alle: Parodistische Koloraturausbrüche in der ersten Arie Fiordiligis lassen die neben ihr Stehenden erschreckt zusammenfahren. In ihrer zweiten Arie jedoch ist Fiordiligi eine Tragödin, die das Diktat der Liebe erfährt.

Und so spielt jeder mit jedem und Don Alfonso, der das Verkleidungsspiel in Gang bringt, mit allen. Auch er ist nur der Vermittler einer schicksalhaften Macht, die mit uns ihr grausam-munteres Spiel treibt, das wir Liebe nennen.

An der Spitze der Wiener Philharmoniker zeigte Karl Böhm, wie Mozart dieses Spiel musikalisch kommentiert. Böhm braucht sich gar nicht um subtile Differenzierungen und klangliche Schattierungen zu mühen: Es ergibt sich alles wie von selbst. Übergänge aus dem Rezitativ in die Gesangsnummer verwischt Böhm bis zur Unkenntlichkeit: Dies ist Konversation, wie sie über den Sternen gehalten wird, wo man die babylonische Sprachenverwirrung nicht kennt: Das Thema ist die Verwirrung menschlicher Gefühle.

Von dem Ensemble, das ein Mozart-Segen in dieser "Così" zusammenführte, brauchen nur die Namen genannt zu werden. Fiordiligi: Gundula Janowitz; Dorabella: Brigitte Fassbaender; Guglielmo: Hermann Prey; Ferrando: Peter Schreier; Despina: Reri Grist; Don Alfonso: Dietrich Fischer-Dieskau. Sie waren alle in Überform und alle gleich gut, und sie konnten, sie durften in dieser "Così" gar nicht anders als gut sein. Wie oft hat man in einer Oper schon das Erlebnis, daß es scheint, als sänge und spielte ein ganzes Ensemble einzig sich selbst zur Freude?

Fritz Walden

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     Neue Rhein-Zeitung, Düsseldorf, 31. Juli 1972

Lächelnde, zärtliche Ironie

Rennerts "Così fan tutte"

   

Die Mozart-Sternstunde der Salzburger Festspiele, die dem Publikum der Eröffnungspremiere versagt blieb, ging anschließend leuchtend über dem Kleinen Festspielhaus auf, wo Karl Böhm und Günther Rennert mit der zur Zeit wohl besten Solistenbesetzung der Welt "Così fan tutte" präsentierten.

Wenn Karajan/Ponnelles "Figaro"-Aufführung einer silbernen Rose glich mit einem Tröpfchen persischen Rosenöls dareingetan -, so war diese "Così" eine taufrisch aus dem Garten gepflückte, voll aufgeblühte "Gloria Dei", genauer eine Gloria Amadei, die keines Parfüms bedurfte, um ihren hinreißend lebendigen Duft zu entfalten.

Rennert hat schon viele schöne "Così"-Inszenierungen gemacht; doch zu diesem Werk fällt ihm immer wieder etwas Neues ein. Immer lächelnder, feiner, zärtlicher wird die Ironie, mit der er das Spiel um die Unbeständigkeit, die Austauschbarkeit der Liebe in Szene setzt - bis hin zur Hochzeitstafel, an der die Akteure nach dem ersten Schlußvorhang, dem ersten jubelnden Beifall plaudernd und trinkend beisammensitzen wie zuvor, sich erst allmählich des Publikums erinnern und es freundlich grüßen: das Spiel geht weiter.

Was Rennert auf der kleinen, in ein Märchen-Mittelmeer hinausgebauten und mit sparsamen Märchenkulissen ausgestatteten Terrasse (Bild: Ita Maximowna) an Regieeinfällen bringt, wie er der Musik das Vorrecht läßt und sie doch ganz in lockere, geistvoll bewegte Handlung auflöst, das wirkt in jedem Detail so bezaubernd natürlich, daß man die Kunst daran kaum merkt. Und Böhm musiziert dazu mit einem jugendlichen Elan, mit einer duftigen, kernigen Frische, mit jener feurigen Beseeltheit, die Mozarts Genius in seiner ganzen Gloria beschwört.

Über das Sextett der Sänger im einzelnen zu berichten ist in wenigen Zeilen kaum möglich. Es ergäbe sich eine unzulässige Anhäufung von Superlativen. Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Hermann Prey (Guglielmo), Peter Schreier (Ferrando), Reri Grist (Despina) und Dietrich Fischer-Dieskau als souverän Regie in der Regie führender Don Alfonso - sie alle sind, wie es in Haydns "Schöpfung" heißt, "ein jedes nach seiner Art" unübertrefflich.

Welch ein - gottlob mehrstündiger - Augenblick, Mozart so erfahren zu können.

S. Materleitner

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     Hannoversche Allgemeine, 5. August 1972 

Das Festspielereignis des Jahres

Mozarts "Così fan tutte" unter Böhm und Rennert in Salzburg

   

Es war mit Mozarts Opern in Salzburg nicht immer so ideal bestellt wie diesmal. In diesem Festspielsommer befindet man sich mit den Neuinszenierungen tatsächlich an der Quelle des Mozartschen Musiktheaters. Über die interessante Ponnelle-Inszenierung des "Figaro", die Herbert von Karajan dirigiert, haben wir berichtet. Sie hatte das Künstlerpech der durch Krankheit bedingten solistischen Umbesetzungen in letzter Minute, die den Rang einer Inszenierung, auch wie hier unter relativ günstigen Voraussetzungen, etwas aus dem Gleichgewicht bringen können.

Von solch unvorhergesehenen Beeinträchtigungen war die Neuinszenierung von "Così fan tutte" im Kleinen Festspielhaus nicht betroffen. Über diese von Günther Rennert glänzend inszenierte, von Karl Böhm - der mit seinen 78 Jahren die ewige Jugend auszustrahlen scheint - kräftig pulsierend, ja, moussierend dirigierte und von Ita Maximowna erlesen schön ausgestattete Aufführung zu berichten, heißt das Festspielereignis des Jahres 1972 beim Namen nennen.

Natürlich gab es hier für diese opera buffa immer schon rühmenswerte Ensembles, unvergessene solistische Einzelleistungen. Soweit man aber in Salzburg der letzten zwanzig Jahre zurückdenken kann, ist man einer idealen homogenen Besetzung wie diesmal für die sechs Solisten, die sämtlich ihre Partien zu nicht zu überbietenden Hauptrollen erhoben, noch nicht begegnet.

In den farbenfreudigen Bühnenbildern wie aus Rokoko-Porzellan, die Witz, Parodie und den Hauch von Melancholie in der Fabel von der Treue wie Untreue dieser Oper in lauter luftige und lustige Schwebegebilde aufzulösen schienen, setzte Rennert das dichte Geflecht der Solisten-Aktionen mit der Präzision eines gleichsam bis zum Ende durchdachten Schachspiels ein.

Was die Inszenierung anstrebte, war gelungen, nämlich an Hand der leichtsinnigen Wette Don Alfonsos mit Guglielmo und Ferrando über die Treue ihrer beiden Bräute die Überlegungen des Publikums auf die Verletzbarkeit jeder Liebesverbindung schlechthin zu lenken. Es war also nicht nur die Freude an der Gefühlsverwirrung, an der Unwirklichkeit oder gar an der Farce, die hier hochgetrieben wurde. Es schien vielmehr das Pendelspiel zwischen Komik und Tragik und vielen Nuancen dazwischen gewesen zu sein, das diese Inszenierung von allen anderen, die man gesehen hat, auch von Rennerts früherer, unterschied.

Ein "Così fan tutte"-Ensemble, das schauspielerisch die Irrungen und Wirrungen des Stückes auf das durchtriebenste verwirklichen und dabei so makellos präzis und ausdrucksstark singen kann, nicht nur im Eiltempo des italienischen Parlando bei den Rezitativen, sondern vor allem in den Arien und Ensembles, wird man heute schwerlich anderswo antreffen.

Da war Gundula Janowitz (Fiordiligi), die bis in die gestochen klar gemeisterten Koloraturen hinein die seelische Verfeinerung und bravouröse Virtuosität der Mozartschen Gesangslinie gleichermaßen zum Ereignis werden ließ. Da war die wundervolle Mezzostimme Brigitte Fassbaenders, die als Dorabella das Ebenbild der Schwester mühelos erreichte, und die nur dadurch etwas im Nachteil zu sein schien, daß ihr von Mozart nicht Arien von der dramatischen Ausstrahlungsmächtigkeit der Fiordiligi in den Mund gelegt sind.

Hermann Prey konnte als Guglielmo seine geniale komödiantische Begabung im Überschuß ausspielen und durch den engagierten Ton seiner behenden Baritonstimme den Ausdruck der Buffonerie spontan treffen sowie die Konflikte aufdecken, die das Lustspiel heraufbeschwört. Mit seiner Arie vom "Odem der Liebe" ließ der Regisseur den Sänger Peter Schreier, der als Ferrando in Gesang und Darstellung zwischen Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung schalkhaft hin und her pendelte, allein auf der Bühne. Dem Ostberliner Tenor gelang hier sein Meisterstück an belkantistischer Kunstfertigkeit. Im traumhaft sicheren Registerwechsel zwischen forte und piano, im Schattieren des Gesangstons, an Intelligenz der Gestaltung scheint Schreier heute unter den deutschen Tenören nicht seinesgleichen zu haben.

Als adrettes, buntscheckig aufgemachtes, charmant singendes Persönchen voll listigen Übermuts wirbelte Reri Grist über die Szene. Bei aller eilfertigen Maskerade ihrer Verkleidungskünste schien sie aus lauter Schabernack noch Zeit aufzubringen, den alten weisen Don Alfonso in ihre amourösen Netze geraten zu lassen. Dietrich Fischer-Dieskau (Alfonso) als verschmitzten, souveränen Drahtzieher der Komödie zu erleben, war ein Spaß für sich. Der Glanz seiner Stimme, seine kluge Darstellung mit dem dezenten Unterton von Selbstpersiflage stellten eine einzige Verführung zu überschäumender Heiterkeit und überlegener Gelassenheit dar, zu einem leichten Sinn, der sogar die Abgründe nicht leugnete.

Kurzum, es war der Traum einer "CosÌ"-Inszenierung, herrlich umspielt von den Wiener Philharmonikern unter Böhms sprühender, vitaler musikalischer Leitung, von dem nur zu hoffen ist, daß er sich im nächsten Jahr wiederholt.

Erich Limmert

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     Mannheimer Morgen, 29. Juli  1972

Alles ist schwereloses Spiel

"Così fan tutte" mit Karl Böhm und Günther Rennert bei den Salzburger Festspielen

     

Als im vorigen Sommer "Die Hochzeit des Figaro" in Günther Rennerts Inszenierung und unter Karl Böhms musikalischer Leitung nach mehrjährigem Erfolg von den Salzburger Festspielen verabschiedet wurde, war vorauszusehen, daß die Neuinszenierung Jean-Pierre Ponnelles mit dem Dirigenten Herbert von Karajan gegen solchen Vergleich einen schweren Stand haben würde. Nun folgte am Tag nach dem neuen "Figaro" eine neue "Così fan tutte" von dem Team Böhm/Rennert mit der Ausstattung von Ita Maximowna, und es war - leider, möchte man fast sagen - ein makelloser Wurf. Leider deshalb, weil hier durch ungeschickte Planung eine überflüssige Rivalität erzeugt wurde. Salzburg braucht diese Spitzenkräfte alle. Zum Teil liegt das Übel auch daran, daß Karajan auf dem Großen Haus besteht und daß Ponnelle sich unter dem Zwang fühlt, immer originell zu sein.

Von diesem Zwang scheint Rennert völlig unbelastet. Er hatte schon vor etlichen Jahren mit Ita Maximowna "Così fan tutte" inszeniert, einen Dauer-Erfolg, der dann für relativ kurze Zeit durch eine Inszenierung Ponnelles ersetzt wurde (die auch ihre großen Qualitäten hatte). Nun nahmen Rennert und Maximowna den Faden wieder auf, sie spielten weiter und hatten keine Sorge, daß man manche Elemente und Gedanken aus ihrer früheren Arbeit wiedererkennen könnte.

Wer so souverän spielt, braucht sich der Vergangenheit nicht zu schämen. Die Handlung von der gefährlichen Probe auf die Treue zweier Mädchen scheint sich auf einer sonnigen Terrasse am Golf von Neapel zu vollziehen. Heitere, traumhaft zusammenstimmende Farben machen die Versuchung größer, die Gefahren des "Partnertauschs" zu übersehen (die Musik behält sie im Gedächtnis). Wenn es noch eines letzten Arguments bedurft hätte, alle Fehl-Urteile über das "oberflächliche" Libretto da Pontes wegzuwischen, Rennert hätte es mit dieser bis ins Kleinste ausgewogenen Aufführung geliefert. Die Freude am Spiel hat sich allen mitgeteilt. Auch der Bühnenbildnerin, die einen prächtigen gobelinartigen Zwischenvorhang entworfen hat. Er ermöglicht durchgehendes Spiel bei häufigerem Wechsel des Schauplatzes. Ohne Ablenkung vom heiter-gewagten Geschehen wird man mit immer neuen Aussichten überrascht: ein Schiff, ein chinesisches Tempelchen, ein Schwarm schwarzer Vögel.

Auch Rennert ist um Einfälle nie verlegen, aber er drängt sie weder dem Zuschauer, noch der Musik auf. Sechs gutgelaunte Akteure, von der Regie und vom Dirigentenpult aus mit jugendlicher Grazie geführt, mit idealen Mozart-Stimmen ausgestattet: Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Hermann Prey (Guglielmo), Peter Schreier (Ferrando), Reri Grist (Despina) und Dietrich Fischer-Dieskau (Don Alfonso).

Ein denkwürdiger Abend. Salzburg ist doch noch tonangebend in der Mozartinterpretation.

Lothar Sträter

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     Rhein-Zeitung, Koblenz, 4. August 1972   

Mozart-Ereignis: Böhms Così fan tutte mit einem olympischen Starsänger-Ensemble

Ein denkwürdiger Abend, der alles in den Schatten stellt, was die Festspielstadt Salzburg an Neuem bietet

     

Gäbe es olympisches Gold für eine Mozart-Opernaufführung - diese müßte es bekommen! Die musikalische Komödie "Così fan tutte" ("So machen’s alle"). Nach dem spritzigen Textbuch von Da Ponte wurde in Salzburg von dem schon vielfach erfolggekrönten Gespann Günther Rennert/Karl Böhm mit so feinem Gespür für die Köstlichkeiten der Partitur und in einer so vorbildlichen künstlerischen Geschlossenheit auf die Bühne des Kleinen Festspielhauses gebracht, daß ich mich der Gefahr gegenübersehe, lauter Superlative gebrauchen zu müssen, wenn ich das Ereignis auch nur annähernd würdigen will. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten dreizehn Jahren an der Salzach eine ähnlich faszinierende, beglückende und zugleich erheiternde Aufbereitung eines Mozartschen Bühnenwerks erlebt zu haben. Das ist Festspiel in Reinkultur im Sinne ihrer berühmten Gründer Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss.

Das Publikum - drei Stunden lang hingerissen - reagierte nicht bloß mit Ovationen und Bravorufen für jeden der Mitwirkenden. Eine Dame, im Ausgangsgedränge von ihrer Freundin in Empfang genommen, faßte ihr Urteil auf das "na, wie war’s?" in einem einzigen Satz: "Gott - es war zum Weinen schön!"

Ewiger Zauber

Vielleicht, denke ich, hatte da die anrührende Seltenheit der Sternstunde eine Rolle gespielt. Oder aber der Zauber der menschlichen Realität war es, die Mozarts Musik wie heute keine andere mehr zum Klingen zu bringen wußte - heiter und ernst zugleich.

Dieser Zauber ist den ganzen Abend in der Luft. Karl Böhm (78!) musiziert mit den Wiener Philharmonikern in einer Weise, die wahrlich die Herzen öffnet. Ein Höhepunkt reiht sich an den anderen. Jedes Detail wird liebevoll ausgeformt, ausgekostet. Lustig verschnörkeltes Filigran rankt sich zierlich um einen Spaß, der in Wahrheit ein Herzensdrama umschließt, denn die nicht bestandene Liebesprobe, die Anfälligkeit der Reue in der erotischen Verwirrung, ist allzu menschliches Schicksal.

Dramatisches Rumoren

Karl Böhm, der ewig Junge, akzentuiert die dramatischen Passagen kräftiger, dynamischer, aggressiver noch als vor Jahren hier. Da schien Don Giovanni durchs Haus zu geistern. Er rumort in den Seelen, die Verführung der Damen Fiordiligi und Dorabella ist nicht bloßer Partnertausch aus Jux, sie hinterläßt auch Spuren, Wunden, die nun "hörbar" werden. Das ist es wohl, was die Besucherin meinte, als sie ihre Tränen gestand.

Die unnachahmliche Balance aus Humor und Hintergründigkeit ist kongenial auf der Szene eingefangen. Da wird Musik Geste, Geste Musik, und mehr als einmal weiß Regie-Hexenmeister Günther Rennert den Sturz in die Abgründe menschlicher Charaktere im letzten Moment wieder kauzig ad absurdum zu führen, so, wenn die großartige Fiordiligi von Gundula Janowitz ihrem Kummer durch einen bemerkenswert hochdramatischen und raumfüllenden "Donna-Anna"-Ausbruch Luft macht und der Naturbursche Guglielmo in Gestalt des köstlich gelösten Hermann Prey sich schmerzhaft die Ohren zuhält.

Feminines Heldentum

Die graziös-koketten Bühnenbilder von Ita Maximowna tun fleißig mit. Ihre verspielte Naivität und das zwar nur andeutende, aber überaus sprechende Dekor gibt von vornherein Mozartstimmung: Über dem zart hingemalten Versuv kringelt sich ein duftiges Wölkchen in den blauen Himmel, ein steinernes Damenstandbild mit Sonnenschirmen signalisiert feminines Heldentum, und in der "Trauerszene", wenn die Damen sich nach ihren angeblich fernen Geliebten sehnen, sind mit den Kostümen sogar das Schaukelsofa, die wippenden Vögel in der Luft und die Rosen in den schwarzen Vasen schwarz ...

Ohne Übertreibung: Einmalig

Das Solisten-Ensemble - wo gibt es eine solche Prominentenansammlung noch - garantiert völlig gleichwertige sängerische wie darstellerische Spitzenqualitäten. Zu Gundula Janowitz und Hermann Prey gesellen sich die anmutige Dorabella von Brigitte Fassbaender, der erstaunlich beweglich gewordene (Oratorien-) Tenor von Peter Schreier (Ferrando), die komödiantisch allerliebst zu lauter Flausen aufgelegte Despina von Reri Grist und - last not least - der mephistophelisch "wissende" Verführer von Dietrich Fischer-Dieskaus Don Alfonso.

Über diese Stimmen und ihre gestalterischen Eigenschaften brauche ich nichts mehr zu sagen, meine ich. Da legt der Kritiker am besten den Halter weg.

Wolfgang Eschmann

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     Neue Osnabrücker Zeitung, 1. August 1972   

"Cosi fan tutte" von hohen Graden

Jenseits aller Kritik in Salzburg: Karl Böhm

   

Mit dem Leitungsteam Böhm/Rennert/Ita Maximowna und einer höchstkarätigen Besetzung waren Voraussetzungen für eine Modell-Produktion geschaffen. Die aufs äußerst denkbare Ideal gerichteten Erwartungen erfüllten sich in diesem Jahre noch nicht. Aber es ist keine Beschönigung, wenn ich meine, daß sich gerade in den Mängeln der eminent künstlerische, lebendige Duktus der Arbeit auswies. [...] Die In- szenierung spielte sich selber frei; das spricht für ihren immanenten Spiel-Charakter, für ihre Stimmigkeit. [...]

Jenseits aller Kritik: Karl Böhm. Halten zu Gnaden, Maestro Karajan: Am zweiten Festspieltage erst wurde kundgetan, wer Mozart war. Die Spannung des ersten Finales, der ökonomisch disponierte Bogen über dem Ganzen, das vergeistigte Feuer dieses großen alten Mannes am Pult – da hat der Rezensent nichts zu melden. Fiordiligi und Dorabella sind einander hier – was der Musik nicht durchgängig entspricht – in gewisser Weise ähnlich; immerhin sind sie Schwestern. Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender: Diese Besetzung zeigte, abgesehen von den stimmlichen Qualitäten beider, daß Konkretheit des darstellerischen Gestus erstrebt war; Eindeutigkeit, Genauigkeit, Bühnenrealismus. Also nicht lyrische Verschwommenheit, kein Baden in Stimmungen (wohl aber: das Vorzeigen von Stimmungen), nicht das, was gemeinhin "Poesie" genannt wird. Beide Darstellerinnen verfügen darüber nicht. Das könnte ein Manko sein, aber entschädigt wird man durch die gesangliche Interpretation. Sie ist in hohem Maße "gekonnt"; sie bezeichnet exakt in jeder Arie das Gemeinte. Beide Stimmen erscheinen anfangs etwas zu schwer, vor allem die von Gundula Janowitz (Fiordiligi) – das gab sich später; das verteufelt schwere Mozart-Legato geriet berückend.

In den Partien der beiden Schwestern wird die Opera seria abbildgetreu zitiert – durchweg nicht parodiert (obgleich Rennert in einem Artikel davon spricht). In der Aufführung ist die seria ernst genommen. Der Impuls, die drängende Kraft kommt von Böhm. Das ergibt, vor allem auch in der instrumentalen Zeichnung, harmonische Wirkungen, die in vielen "Cosi"-Produktionen überspielt werden. Das Verdienst der Rennertschen Musikalität und Bewegungsregie sowie seiner Zusammenarbeit mit dem Dirigenten ist, daß Gesang als gleichsam "natürlicher" Ausdruck erscheint. Man kommt Felsensteins Ideal ziemlich nahe, näher als meist Felsenstein selber.

Der erste Augenblick, in dem man den Atem anhält, war Peter Schreier (Ferrando) zu danken bei "Un’aura amorosa". Neu und von einigem "sensationellem" Flair begleitet: die Besetzung des Don Alfonso mit Dietrich Fischer-Dieskau. Sie ist in der Tat Ereignis, aber anders als angedeutet: Indem der Sänger Distinguiertheit, Zurückhaltung zur äußersten Entfaltung treibt, gibt er der Figur eine Hintergrund-Präsenz, eine dauernde Gegenwart, wie sie noch kaum je erreicht wurde. Hermann Prey (Guglielmo) und Reri Grist (Despina) bestechen wiederum durch die Verbindung von Mozart-Kultur und mozartischer Komödiantik. Noch ist die größtmögliche Ensemblewirkung nicht erreicht. Aber die Aufführung wird ja noch viele Jahre in Salzburg zu sehen sein.

Claus-Henning Bachmann

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     Stuttgarter Zeitung, 29. Juli 1972

Imagination des Doppelbödigen

Zweiter Abend der Salzburger Festspiele mit "Cosí fan tutte" unter Karl Böhm und Rennert

   

Nun ist die Welt wieder in Ordnung. Salzburg hat seinen Mozart wieder. Nachdem er am ersten Abend so ziemlich verlorenging, lacht und weint er nun wieder in der ganzen Kraft und Fülle, die er überhaupt zu geben vermag. Wo er am ersten Festspielabend, im von Karajan dirigierten, von Ponnelle inszenierten "Figaro", fast ganz auf die Gleise des ästhetisch Schönen geraten war, ins Räderwerk hochartifizieller Präzision, holten ihn am zweiten Tag Karl Böhm und Günther Rennert wieder zurück auf den Boden der Realität, einer Realität allerdings nicht im Sinne schlichter Direktheit, sondern – weil es sich um "Cosí fan tutte" handelt – einer in tausendfältigen Spiegelungen gebrochenen Realität, deren große Natürlichkeit, ja Wahrheit sich erst aus Imagination des Doppelbödigen ergibt: aus den Untertönen von Mozarts Musik, aus der Hintergründigkeit von da Pontes Libretto.

Noch nie zuvor konnte man aus "Cosí fan tutte" einen solchen Beziehungsreichtum herauslesen und heraushören, noch nie hinter dem Spiel so viel Ernst bemerken, in der Komödie so viel beinahe Tragisches spüren, hinter der Frivolität so viel wahres Gefühl entdecken; es gehören nicht nur szenische Einfälle dazu (die Rennert natürlich auch in reichstem Maße hatte), sondern vor allem eine lebenserfahrene Kunst der Menschenführung, einerseits das Spiel zu zeigen als Folge der teuflischen Wette, mit der Weibertreue geprüft werden soll, andererseits aber die echten Gefahren, in die sich die Beteiligten begeben, die Verletzlichkeit liebender Seelen – und das heißt: die Menschlichkeit aller Vorgänge, die im Grunde alle so unendlich wahr sind.

Karl Böhm dirigierte zuerst fast etwas trotzig, im Sinne der aufgebrachten Freunde Guglielmo und Ferrando in ihrem lauthals geäußerten Glauben an die Treue der Verlobten. Da geht es lärmend zu, wenn der alte Alfonso die Wette vorschlägt. Die anfängliche Grobkörnigkeit von Böhms Musizieren empfand man zunächst wohl besonders, weil man noch den perfekten Feinschliff Karajans vom Vorabend im Ohr hatte, und es war eingangs kaum zu glauben, daß dasselbe Orchester spielte. Doch schon bald schlugen die Wiener Philharmoniker aus Böhms herzhafter Natürlichkeit die Funken eines höchstinspirierten Mozart-Spiels, und nachdem sich die Stürme fürs erste einmal gelegt hatten (um später bei den großen Ensembles wieder heftig aufzubranden), fing Böhm im Abschiedsquintett und erst recht im anschließenden Terzettino den ganzen Weltschmerz gestörter Liebesempfindungen ein, durchsetzt mit jener wundersamen Melancholie, für die kein anderer Komponist je solche anrührenden Töne gefunden hat.

Lauter Herzklopfen gab es nun fortwährend bei dem von Böhm inspirierten Orchesterspiel, mit herrlichen Soli der Bläser, schwärmerischem Klang der Streicher, in einer Übereinkunft mit dem Atem der Sänger, wie man das nur in Sternstunden der Oper erlebt. Und daß dies eine Sternstunde war, die in die Geschichte der Salzburger Festspiele als stilprägende Mozart-Deutung eingehen wird, dafür sorgten nach Böhm und mit Rennert auch die sechs Sänger – ein Mozart-Ensemble, wie im Moment kein zweites zusammenzubringen wäre.

Rennert hat mit ihm wahre Wunder des sublimiertesten Mit- und Gegeneinanders vollbracht. Doch nie erlebte ich einen Alfonso, der so deutlich alle Fäden in der Hand hat wie Fischer-Dieskau. In ihm hat Rennert seine Regiekonzeption sozusagen personifiziert, mit Gesten und Mienen, die den großen Sänger wieder einmal als überragenden Schauspieler ausweisen.

Mit seiner unerhörten vokalen Skala, die ihre manieristischen Über- und Untertreibungen ganz verloren zu haben scheint, vermag er alle Nuancen auszudrücken, die die gefährliche Zweigleisigkeit der Komödie überhaupt erst nachvollziehbar machen. Seine "Opfer" sind Hermann Prey als Guglielmo und Peter Schreier als Ferrando – auch sie beide heute konkurrenzlos in ihren Fächern. Prey, langerfahren in dieser Rolle, hat von Rennert diesmal noch viel hinzugelernt, weniger im Aufgebrachtsein als vielmehr in der Kunst der ironischen Brechung – das muß man einfach gesehen haben, wie er (vor dem angeblichen Gang zu den Waffen) seine Fiordiligi in eine Leidenspose versetzt, wie er sie an einer Wand regelrecht "abstellt", zurechtrückt als eine Gestalt, die der Parodie einer Pietà gleicht. Schreier als der Lyrischere vermag nicht weniger zu kokettieren, verschlagen und verliebt zu sein – vor allem aber: zu singen, daß einem der Atem stockt. Die Perle aller Arien in dieser Oper, "un’ aura amorosa", läßt sich kantabler, musikalischer überhaupt nicht gestalten – das ist ausdruckserfüllte Gesangskunst in höchster Vollendung. Vokale Kultur feiert hier Triumphe.

Dieses absolute Spitzenniveau der drei Männer erreichen die drei Frauen nicht ganz; am ehesten noch Reri Grist, die liebreizendste, aber auch virtuoseste Despina, die sich denken läßt, die es in ihren Verkleidungen als Doktor und Advokat nicht nötig hat, mit der Stimme zu krächzen. Das macht sie – dank Rennert – mit wenigen skurrilen Bewegungen, mit denen sie etwa ihr aufgebundenes Bäuchlein zurechtrückt. Mit ihrer Stimme kann sie einfach allles – die beiden schweren Arien geraten ihr schlechterdings makellos. Ihre Herrinnen sind Gundula Janowitz als Fiordiligi und Brigitte Fassbaender als Dorabella, die schon rein äußerlich in ihren Prachtstaturen herrlich zusammenpassen. Der Janowitz unterliefen nur in der mörderischen Felsenarie ein paar kleine Oberflächlichkeiten, sonst war sie mit ihrem kraftvollen instrumentalen Organ im wahrsten Sinne des Wortes präsent, Rennert nutzte ihre strahlenden Trompetentöne (wie alle Eigenheiten der Musik und ihrer Interpreten) dazu aus, gestische Wirkungen auszulösen: Ein "Schuß" aus ihrem Mund, und das ganze Ensemble schreckt hoch! (Man müßte Seiten füllen, wollte man die Musikalität von Rennerts Inszenierung, seine musikgeborene Bewegungsregie auch nur annähernd beschreiben.)

Brigitte Fassbaender vermochte erst im zweiten Akt ihre berühmte Rollenvorgängerin Christa Ludwig zu ersetzen (wie die Janowitz die Schwarzkopf), da strömte ihr Alt in üppigem Wohllaut – am eindrucksvollsten im Duett mit Prey, diesem von Mozart so unglaublich erfundenen F-dur-Grazioso, dessen Empfindsamkeit beide betörend trafen. Was alle sechs an vokalen und mimischen Übereinstummungen vollbrachten, grenzte an Wunder. Daß sie immer auch optisch der Musik entsprachen, dafür sorgte Ita Maximowna mit der schönsten ihrer Ausstattungen, auf die ich mich überhaupt besinnen kann, mit Bühnenbildern so imaginär und wirklich zugleich, so hell, wie Rennert die Tragikomödie durchschaubar machte. Alles schien von jenem parodistischen Hauch berührt, der die wahren Empfindungen um so deutlicher werden ließ. Das "Trauerbild" ganz in Grau-Schwarz, mit Schaukel, wippendem Mobile aus Vögeln, war ein Höhepunkt bildhafter Übersetzung verwirrter Gefühle.

Die Publikumsreaktionen im Kleinen Festspielhaus erreichten einen Begeisterungsgrad, der den des Vorabends ums Vielfache übertraf – ganz entsprechend also dem außerordentlichen Rang dieser Aufführung, die man wohl ein musiktheatralisches Jahrhundertereignis nennen muß.

Wolfram Schwinger

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     The Times, London, 8. August 1972     

A brilliant game among friends

Cosí fan tutte

Salzburg Festival

   

The new Salzburg production of Cosí looked impressive on paper: Janowitz, Fassbaender, Grist, Schreier, Prey, Fischer-Dieskau; conductor Karl Böhm. There are not many weaknesses in that cast; indeed, even given an open chequebook, it would be difficult to think of a better one.

What was on paper has come to life. Salzburg has got a superlative Cosí. There have been prettier productions – Ponnelle’s here some years ago, Anthony Besch’s for Scottish opera when it was new – but none I have seen has reached the level of ensemble playing and the musical eloquence of this one. It is no surprise that the Austrian critics have taken the opportunity for a nostalgic dip into the post-war years and Golden Age comparisons have been tossed around the coffee shops. Is this as good as Seefried, Dermota and Schöffler? The answer is immaterial. It is far more important that Salzburg has staged a Cosí to answer the critics who have complained that the Festival has been paying less and less attention to Mozart.

Günther Rennert has collected around him a conductor, Karl Böhm, who has proved on record and in the theatre that he has no superior in the pit when it comes to this opera, and a sextet of the best Mozart singers of our day. These six act and react as friends who know one another well; each has an intimate knowledge of the others’ art and artifice. It could have come from four weeks’ intensive rehearsal, but probably the roots go far deeper.

Physically they pair off with extraordinary symmetry. Gundula Janowitz and Brigitte Fassbaender are about the same height. They dress as sisters, to complement and compete: a light green striped dress for Fiordiligi and soft orange stripes for Dorabella; silver grey mourning with black polka dots for Fiordiligi, mercury and black Regency in parallel for Dorabella. The suitors match one another again in mood and physique. Above them all towers Fischer-Dieskau’s Don Alfonso, aloof, amused and one of this world’s winners. In between scurries the tiny figure of Despina (Reri Grist) putting drops of oil on the wheels of the plot.

[…]

From the opening trio this Cosí is throbbing with vigour. Schreier and Prey are literally on their mettle at once, swords drawn at the first whispered slur on their mistresses, young voices attacking the music with ease and confidence. Hermann Prey on stage has always been a likeable, relaxed person and so it is with his Guglielmo. But there is nothing indolent about the singing. "Non siate ritrosi" was full of elegant flourishes, as persuasively turned as those moustaches later in question: "Trionfi degli uomini, Penacchi d’amor". Peter Schreier has always had a fine voice – so much was clear from his first Tamino here in 1965 – but he has been awkward on stage. Signs of a new dramatic sense came in the David he sang in the Karajan Meistersinger recording and these are born out by his witty Ferrando, alert and responsible, blending beautifully in ensemble and giving "Un aura amorosa" an exquisite mezza voce.

[…]

Janowitz and Fassbaender make a formidable pair of sisters on any reckoning. There is a certain self-mockery in the first act. "Smanie implacabile" is treated as a concert aria; it is expected, so it is sung, but from the larynx not the heart. Similarly with "come scoglio" in the middle of which Guglielmo recoils at the sheer volume of noise. It is possible to treat the two pieces with insouciance because the ladies sing them so easily. The truly beautiful sounds occur when the music is irresistible: "Soave sia il vento", for instance, when Fischer-Dieskau reins in his baritone almost to a whisper and Böhm has the strings of the Vienna Philharmonic lapping against the Bay of Naples.

In the second act matters are different. Noone would dare to interrupt "Per pietà" as Gundula Janowitz reveals it, with passion and compassion: 12 Minutes of soprano singing, it is worth coming many miles to hear. Dorabella has fewer chances in the second act, but the way her voice wrapped around that of Hermann Prey in "Il core vi dono" was another of the jewels of the evening.

Reri Grist is a delicious Despina, piping out both her arias with all the wit and musicality that distinguish her Mozart singing. She has an eye for a gold coin and clearly a soft spot for Don Alfonso despite that contemptuous early remark: "Un vecchio come lei non puo far nulla". Dietrich Fischer-Dieskau puts the lie to that comment anyhow, there’s plenty of life in his not particularly old dog of an Alfonso. He shows no especial affection for the salon manners of the sisters, preferring the camaraderie of the tavern and a few minutes with Despina on his knee. It is a commanding interpretation, dramatically and vocally, with at times a shade too much volume for the Kleines Festspielhaus.

Fine individual performances all and finest in ensemble with Böhm and the Vienna Philharmonic. In some ways this has been Böhm’s year. In early summer in Vienna he conducted a Freischütz to remember and this Cosí falls into the same category. He never falters, never searches for a tempo, but instead finds what he wants immediately and that is instinctively right. Right not only musically but dramatically, because he is constantly alert to the demands of the stage; with this sort of ensemble he is conductor of the theatre right down to his fingertips. No surprise that every section of the Vienna Philharmonic pulled out their best playing for him.

John Higgins

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     Süddeutsche Zeitung, 29. Juli 1972

Salzburger Festspiele

Ein Spaß und ein Fest der Stimmen

Die "Così fan tutte"-Premiere im Kleinen Schauspielhaus unter Karl Böhm und Günther Rennert

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Jean-Pierre Ponnelle hatte in seiner Salzburger Inszenierung von 1969 mit einer fast diabolischen Lust am grausamen Experiment zu zeigen versucht, wie wenig ihm Mozart von Treue und Beständigkeit zu halten schien; da war das von Don Alfonso arrangierte "Qui pro quo" mit Gallenbitterkeit getränkt, und der Arrangeur selbst vom Zynismus eines misanthropischen, pessimistischen Rationalisten durchsäuert – so sehr, daß man die musikalisch doch alles andere als nur parodistisch artikulierten Herzensverwirrungen der Schwestern Fiordiligi und Dorabella fast für bare Selbstbelügungen halten mußte.

Ein Grandseigneur, ein Luderchen

Davon ist nun in der neuen Inszenierung Günther Rennerts keine Rede mehr. Sein Don Alfonso mit der ganzen Stimmpracht und Persönlichkeitspräsenz Dietrich Fischer-Dieskaus ausgestattet, ist nicht mehr der ramponierte Kaffeehaus-Philosoph, der mit dubiosen Wetten aufs Geld der Verlierer aus ist, sondern ein Grandseigneur mit hintergründigem, doch nicht boshaftem Vergnügen an menschlichen Schwächen, männlichen gleichermaßen wie weiblichen, dem es wohl gefällt, die Fragwürdigkeit von Leidenschaften und Liebesschwüren zu entlarven, aber doch mit der Absicht, die damit Hereingefallenen und Bloßgestellten vor weiteren Irrtümern und Enttäuschungen zu bewahren. Darum führt er sein Spiel mit den beiden jungen Offizieren und ihren Bräuten als einen genußvoll ausgekosteten Spaß durch, bei dem er immer Regie führt, Auftritte stellt, die Akteure anstößt, und Despina – Reri Grist, ein zauberhaft graziles, schelmisch einverständiges Luderchen – steht ihm dabei als Inspizientin, die die Requisiten herbeischafft, wie als komödiantisch ausbündige Mitspielerin zur Seite.

Mit diesen beiden fixiert Rennert den Grundriß seiner Inszenierung, die Dekors dazu liefert ihm Ita Maximowna mit fragmentarischen Andeutungen einer neapolitanischen Szenerie, mit zarten Rauchwölkchen aus einem weißkonturierten Vesuv, mit einer beleuchteten Mongolfiere, die gleich einem Lampion in der blauen Nacht schwebt, mit einem Pavillon wie aus Porzellan und lustigen Vögeln, die in der Luft tanzen: Das allles ist so leicht und graziös wie mit einem Flügelschlag der Phantasie auf die Bühne gesetzt, mit jenem Schuß Ironie, der der Musik Mozarts genau entspricht – das rechte Ambiente für ein Fest der Stimmen, das zugleich die wahrhaft hinreißende Bekundung eines Mozart-Gesangs von erlesenster Kultur und subtilster Intelligenz ist. Es ist schlechthin der Idealfall eines "Così-fan-tutte"-Ensembles, das sich hier zusammengefunden hat, sowohl in der stimmlichen Figurierung der einzelnen Gestalten wie im wunderbar aufeinander abgestimmten Zusammenklang der sich im Timbre berückend farbenreich ineinander verwebenden Ensembles.

Es genügt, die Namen zu nennen, um diese Behauptung zu stützen: Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender sind Fiordiligi und Dorabella, Hermann Prey und Peter Schreier die Offiziere Guglielmo und Ferrando. Belcanto und Charme, Zärtlichkeit und Humor, genaues Gespür für die Unterscheidung von echten und ironisierten Gefühlsäußerungen, leidenschaftliches Espressivo und parodistische Emphase – nichts fehlt bei diesem superben Quartett an Subtilität der Differenzierung, an Abstufungen der Ausdrucksskala, an Prägnanz und Sensibilität der Übergänge, nichts gibt es auch auszusetzen an der im Spiel so schwer zu treffenden Vereinigung von Buffa-Typik und figuraler Profilierung. Die Konturen der Gestalten entsprechen dem, was die Tradition der Buffa überliefert und da Ponte unangetastet gelassen hat; ihr Binnenleben aber entsteht aus dem, was Mozarts menschenschöpferische Intuition und deren Widerhall in der künstlerischen Individualität der Sänger hinzutun.

Was bei Karl Böhm in so einzigartiger Weise zusammentrifft, ist die Souveränität seines Umgangs mit der Musik Mozarts wie die überquellende Fülle seiner Liebe zu ihr. Wie oft hat der in wenigen Wochen Achtundsiebzigjährige "CosÌ fan tutte" schon dirigiert, und wie hinreißend ist immer wieder die Impulsivität, der spontan aufflammende Elan jedesmal, wenn er die Partitur neu zum Klingen bringt, ihren Geist in all seinen Facetten funkeln, ihre Farben in all ihrem Glanz leuchten läßt. Unvergleichlich herrlich gelang in dieser Salzburger Aufführung die Verschmelzung von Stimm- und Orchesterklang, wahre instrumentale Wunder gab es in den sordinierten Fluten der Streicher zu dem E-Dur-Terzett nach dem fingierten Abschied der Liebhaber, in den virtuosen Hörnern zu Fiordiligis (von Gundula Janowitz mit großartiger Bravour gesungener) Felsenarie. Mit all dem wurde auch vom Pult aus die Laune zu jenem enormen Spaß entfacht – zu einem Spaß, der hinaufführte in die obersten Regionen des musikalischen Esprits und der dennoch die Verbindung nicht verlor zu den geheimnisreichen Tiefen seelendeutender Weisheit. Der Taktstock in Karl Böhms Hand – er ist der Schlüssel zum Empyreum Mozarts.

K. H. Ruppel

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     Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 2. August 1972     

Mozart als Kunst-Werk auf höchster Ebene

"Così fan tutte" und "Die Hochzeit des Figaro": Neuinszenierungen zu den Salzburger Festspielen

    

Im Schlußbild der Rennert-Neuinszenierung von "Così fan tutte" tritt eine Figur auf, die nicht in da Pontes Textbuch steht: ein alter Bedienter schleppt den vorgeblich aus dem Krieg heimkommenden Offizieren einen Koffer nach, geht den längsten denkbaren Weg über die Szene, starrt fassungslos auf das Treiben der verderbten High-Society, geht schließlich kopfschüttelnd ab; wenig später erscheint er noch einmal, bekommt pantomimische Instruktionen von Don Alfonso und verschwindet dann mit Gesten, die sowohl Verständnis wie Distanzierung ausdrücken können. Die Funktion dieser Figur bleibt unklar. Nicht ausgeschlossen wäre, daß mit ihr Gesellschaftskritik à la mode eingebracht werden soll. Dagegen wäre zu opponieren.

Selbstverständlich sind Veranstaltungen wie die Salzburger Festspiele unter dem Aspekt aktueller Notwendigkeiten nutzlos. Ich bin dafür, daß das nicht kaschiert wird. Die Salzburger Veranstalter neigen dazu - und das entspricht auch der politischen Situation im Lande -, durch schein-progressive Unternehmungen den pur ästhetischen Charakter der Unternehmung zu bemänteln. Dadurch ändert sich im Grunde gar nichts, im Gegenteil. In Salzburg gibt es nichts anderes zu betrachten und zu bewerten als mehr oder minder geglückte Kunst-Werke. Das ist nicht viel, aber im Falle Mozart auch nicht eben wenig. Durchsichtig gemacht werden, unter anderem, historische Wahrheiten und menschliche Verhaltensweisen. Nimmt man’s so, könnte man "Così fan tutte", in Abwandlung des Handke-Begriffs vom Theater-Theater, ein Kunst-Kunstwerk nennen. Die totale Künstlichkeit will nichts vortäuschen, will die Wirklichkeit nicht illusionieren. Sie ist schlechthin aufrichtig.

Günther Rennerts Neuinszenierung im Kleinen Festspielhaus, die in Teilen auf sein früheres Salzburger "Così"-Konzept zurückgeht, dieses aber schärft, weiterführt, schon von der Besetzung namentlich der Frauenpartien her aller "poetischen" Lyrismen entkleidet, bringt andeutungsweise die Maskerade ins Spiel, die den realen Hintergrund des kaiserlichen Auftrags an Mozart abgab. Dies nun zweifellos nicht aus biographischen Gründen: die akzentuierte Scheinhaftigkeit sollte vielmehr, denke ich mir, die Handlung relativieren, in der die vertauschten Liebhaber auf die Szene geraten wie die Figuren aus der Zauberkiste, hier des Zaubermeisters Don Alfonso: "Ecco!" Der Inszenierungsgedanke könnte gelautet haben: Gelebte Erotik gegen die Konvention - und zweifelsfrei: Versagung - der wahren Verhältnisse. Rennert bringt dieses erotische Moment im darauf bezüglichen Spiel der beiden Paare mit sehr sparsamen Mitteln überzeugend zum Ausdruck.

Mit dem Leitungsteam Böhm/Rennert/Ita Maximowna und einer höchstkarätigen Besetzung waren Voraussetzungen für eine Modell-Produktion geschaffen. Die aufs äußerst denkbare Ideal gerichteten Erwartungen erfüllten sich in diesem Jahre noch nicht. Aber es ist keine Beschönigung, zu meinen, daß sich gerade in den Mängeln der eminent künstlerische, lebendige Duktus der Arbeit auswies. Die Programmierung funktionierte nicht restlos, der innere Computer-Mechanismus einer solchen Produktion ist nicht perfekt - wie schön! Das zeigte sich schon in anfänglichen Nervositäten sogar der Wiener Philharmoniker und erst recht auf der Szene, in Intonationstrübungen, winzigen Pannen mit Requisiten. Die Inszenierung spielte sich selber frei, das spricht für ihren immanenten Spielcharakter, für ihre Stimmigkeit. Nicht ganz zur Höhe des übrigen gelangte das Bühnenbild. Da herrschte Halbherzigkeit in der Anspielung, da verhaspelte sich der pointierte Entwurf im Klimbim. Schade! "Così fan tutte" war, als die Oper uraufgeführt wurde, ein Zeitstück. Ließe sich dieser Gedanke nicht einmal nutzbar machen?

Jenseits aller Kritik: Karl Böhm. Die Spannung des ersten Finales, der ökonomisch disponierte Bogen über dem ganzen, das vergeistigte Feuer dieses großen alten Mannes am Pult - da hat der Rezensent nichts zu melden. Fiordiligi und Dorabella sind einander hier, was der Musik nicht durchgängig entspricht, in gewisser Weise ähnlich; immerhin sind sie Schwestern. Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender: diese Besetzung zeigte, abgesehen von den stimmlichen Qualitäten beider, daß Konkretheit des darstellerischen Gestus erstrebt war; Eindeutigkeit, Genauigkeit, Bühnenrealismus. Also nicht lyrische Verschwommenheit, kein Baden in Stimmungen (wohl aber: das Vorzeigen von Stimmungen), nicht das, was gemeinhin "Poesie" genannt wird. Beide Darstellerinnen verfügen darüber nicht. Das könnte ein Manko sein, aber entschädigt wird man durch die gesangliche Interpretation. Sie ist in hohem Maße "gekonnt"; sie bezeichnet exakt in jeder Arie das Gemeinte. Beide Stimmen erschienen anfangs etwas zu schwer, vor allem die von Gundula Janowitz (Fiordiligi) - das gab sich später; das verteufelt schwere Mozart-Legato geriet berückend.

In den Partien der beiden Schwestern wird die Opera seria abbildgetreu zitiert, durchweg nicht parodiert (obgleich Rennert in einem Artikel davon spricht). In der Aufführung ist die seria ernst genommen. Der Impuls, die drängende Kraft kommt von Böhm. Das ergibt, vor allem auch in der instrumentalen Zeichnung, harmonische Wirkungen, die in vielen "Così"-Produktionen überspielt werden. Das Verdienst der Rennertschen Musikalität und Bewegungsregie sowie seiner Zusammenarbeit mit dem Dirigenten ist, daß Gesang als gleichsam "natürlicher" Ausdruck erscheint. Man kommt Felsensteins Ideal ziemlich nahe, näher als meist Felsenstein selber. Der erste Augenblick, in dem man den Atem anhält, war Peter Schreier (Ferrando) zu danken bei "Un’ aura amorosa". Neu und von einigem "sensationellem" Flair begleitet: die Besetzung des Don Alfonso mit Dietrich Fischer-Dieskau. Sie ist in der Tat Ereignis, aber anders als angedeutet: indem der Sänger Distinguiertheit, Zurückhaltung zur äußersten Entfaltung treibt, gibt er der Figur eine Hintergrund-Präsenz, eine dauernde Gegenwart, wie sie noch kaum je erreicht wurde. Hermann Prey (Guglielmo) und Reri Grist (Despina) bestechen wiederum durch die Verbindung von Mozart-Kultur und mozartischer Komödiantik. Noch ist die größtmögliche Ensemblewirkung nicht erreicht. Aber die Aufführung wird ja noch viele Jahre in Salzburg zu sehen sein.

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Claus-Henning Bachmann

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     Südkurier, Konstanz, 2. August 1972     

Salzburger Festspiele

Mozart und kein Ende

Theaterbummel durch eine freundliche Stadt

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Mozart, ja. Festspielfreunde haben es heuer leicht, wenn man sie nach ihren Eindrücken fragt. Der Tip lautet: "Così fan tutte" im Kleinen Festspielhaus. Von allen Novitäten macht diese Oper die größte Furore, auch Karajans neuer "Figaro" im Großen Haus steht in ihrem Schatten. Was Günther Rennert und Karl Böhm hier bieten, ist beseeltes Theater, inspiriert aus der Musik. Konventionelles Theater, gewiß, aber das Gewohnte erweist hier seine Kraft, die Musen sind mit ihm, und nicht nur eine Versammlung edler Geister und Sänger, auch ihre Einigkeit im intensiven Spiel führt zu Eindrücken, die das Publikum in Verzückungen geraten läßt. Hingetupfte, dekorative (zuweilen nur leicht dekorativistische) Bühnenbilder von Ita Maximowna treffen die Atmosphäre der Rennertschen Inszenierung, die das alte Prinzip des Wechselspiels zwischen Vorder- und Hauptbühne benutzt, um die Szenen nahtlos aneinanderreihen zu können. Und Böhms Musizieren ist wahrhaft mozartisch, beschwingt, manchmal zum Kammermusikalischen hin neigend, aber doch durchaus Oper. Auf der Bühen agiert Prominenz der ersten Garnitur: Hermann Prey (Guglielmo), Peter Schreier (Ferrando), Dietrich Fischer-Dieskau (Don Alfonso), Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Reri Grist (Despina). Die Aufzählung mag genügen; es wäre vergebene Mühe, hier abwägen zu wollen.

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Egon Treppmann

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     Bremer Nachrichten, 2. August 1972     

So machen’s nicht alle

Sternstunde der Oper unter Karl Böhm: "Così fan tutte"

   

Ein Gutes kann auch ein Kritiker mit Thersites-Eloquenz dem neuen Salzburger "Figaro" nicht absprechen: er schuf Raum für eine Neuinszenierung von "Così fan tutte". Diese Aufführung macht die Rezensenten brotlos, verwandelt sie in Sprachforscher, um unabgenützte Superlative des Lobes zu entdecken. Günther Rennert hat in den mediterran empfundenen chiffrenartigen Szenerien Ita Maximownas das Spiel von den Herzenswirren zwischen Sein und Schein ideal ausbalanciert.

Anmut und Ironie, Grandezza und Pointierungskünste, Gefühlsäußerung und die Parodie darauf: all das ist unnachahmlich aus Musik und Wort, Charakter und Situation Gestalt geworden. Wie zart enthüllt die Regie die Kardinalfrage im Spiel der Verkleidung, ob sich nicht doch die Rechten fanden: haben die Paare im Irrgarten der Seelen wider sich entschieden, so reicht Fiordiligi ihrem Amante der Versuchung einen Blick, Ferrando küßt ihre Hand, niemand wird den Tag der Unbeständigkeit vergessen, aber ihr Leben wird nicht überschattet sein. Sie wissen von der Gefährdung, werden mit ihr leben und weise lächeln "Tutto nel mondo e burla".

Diese zauberhafte Aufführung (Regie Günther Rennert) ist in vier Wochen anstrengendster Probenzeit minuziös erarbeitet worden. ausgetüfteltste Einzelheiten fügen sich zum Ganzen, kein Nicken, kein Augenaufschlag ohne Bedeutung: und nun wirkt alles wie improvisiert, hingetupft, schwerelos. Ein Kunstwerk ohnegleichen.

In göttlicher Leichte entschlüsselt auch Karl Böhms Taktstock die Welt der Musik, mit Gefühl des Herzens, wo es schlägt, voll Esprit und Witz, wo Mozart lächelt. Mit den Wiener Philharmonikern gibt der 78 Jahre junge Feuerkopf der Partitur, was ihr so oft vorenthalten wird - den Atem menschlicher Empfindung. Zudem ein Mozartensemble, das der schon legendären "Così fan tutte"-Besetzung vor 20 Jahren durchaus gleichkommt: Gundula Janowitz, die schwerblütigere und doch so mädchenhafte Fiordiligi mit ihrem kostbaren Sopran, die diesseitigere, Sinnlichem leichter egebene Dorabella der Brigitte Fassbaender, deren fabelhafte Zukunft hier und jetzt in Salzburg gefeierte Gegenwart geworden ist; in graziler Drolerie Reri Grist als Kammerkätzchen aller Zofen; der mit Piani unwiderstehlich lockende Ferrando von Peter Schreier, der mit Lausbubencharme und Prachtbariton erobernde Guglielmo von Hermann Prey und der Drahtzieher des ganzen Qui pro quo: Dietrich Fischer-Dieskau als grauhaariger Philosoph, der einen Appetithappen wie diese Despina gar zu gerne vernaschte - zu abgeklärt ist er nämlich nicht.

Nach "Figaros Hochzeit" und einer herzlich mißglückten Matinee im Mozarteum fühlte man sich schon fast als Mozart-Geschädigter. Dieses "Così fan tutte"-Wunder zeigt, was Oper in einer Sternstunde sein kann.

Klaus Adam

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     Kieler Nachrichten, 29. Juli 1972     

Mozart bei Karajan - Mozart bei Böhm

Die "Hochzeit des Figaro" und "Così fan tutte" in Salzburg

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Zu Salzburgs Sternstunde geriet "Così fan tutte" am zweiten Abend der Festspiele, wenigstens was seinen musikalischen Teil angeht. Karl Böhm, schon bei seinem Erscheinen vor den Wiener Philharmonikern überschwenglich begrüßt, verwirklichte so etwas wie einen Traum von Mozart, durchstieß die Grenze des technisch Nachvollziehbaren. Und wenn man die Namen der Sänger nennt, bleibt die Einmaligkeit des Unterfangens kein Wunder mehr. Um den Spötter Don Alfonso bemühte sich Dietrich Fischer-Dieskau, Reri Grist sang die Despina, und die beiden eros-verwirrten Paare waren mit Gundula Janowitz (Fiordiligi), Hermann Prey (Guglielmo), Brigitte Fassbaender (Dorabella) und Peter Schreier (Ferrando) besetzt.

Der Anstoß zu "Così fan tutte" war ein Faschingsscherz auf einem Wiener Maskenball. Das Amüsement des Kaisers darüber brachte Mozart den Auftrag zur Oper ein. Darauf hatte sich Günther Rennert bei seiner Regie besonnen. Er inszenierte den derben Spaß, wenn auch in elegant-ästhetischem Kleid. Daß die Gefühlsverwirrung bei Mozart bis zur Verwischung der Identität getrieben wird, die Stimmung also zwischen Spaß und dunkel aufblitzendem Ernst schwankt, ließ Rennert außer acht. Seine Paare sind nur tändelnd verwirrt und haben auch am Ende nichts an Gefühlserfahrung dazugelernt.

Aber Rennerts inszenierter Spaß hatte ansteckende Heiterkeit. Die sublimen, hingetupften Bühnenbilder der Ita Maximowna gerieten manchmal an die Grenze des Geschmäcklerischen, überraschten aber auch mit witzigem Zauber. Als das abschließende Versöhnungsmahl auf der Bühne sich nicht vom Ende der Vorstellung stören ließ und man tafelnderweise die obligatorische Soloverneigung vor dem Publikum wie in privater Kumpanei zelebrierte, war das Entzücken im Zuschauerraum vollkommen.

H. Lehmann

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     Wiesbadener Kurier, 29. Juli 1972     

Salzburger Festspiele

"Così" - Gewinnerin beim Karussell der Sänger

Karajan modelliert die schönen Klänge in Ponnelles "Figaro"

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Ganz anders Günther Rennert und Karl Böhm bei "Così fan tutte" im Kleinen Festspielhaus. Auf einem Podium vor fein gemaltem Hintergrund, mit Vesuv, inmitten der zierlich künstlichen Dekorationen Ita Maximownas - was alles den Scheincharakter dieses Spiels betont - tut der Regisseur der guten Komik fast zuviel. Und als er gar die Felsen-Arie der Fiordiligi (Come Scoglio), die doch viel von einem Monolog hat, im Kreis der Beteiligten bis zur Groteske ausspielen läßt, da fürchtet man doch um den inneren Gehalt dieser Liebeswette, bei welcher die Männer ja die eigene Geliebte je mehr verlieren, je mehr sie die fremde gewinnern, und bei welcher die Frauen tief in die Wirrungen ihres liebenden Gefühls verstrickt werden. Aber je ausgelassener und unbekümmerter Rennert der Opera Buffa ihren Lauf läßt, um so wirksamer bringt Böhm von der Musik her die Seria wieder ein. In der kleineren Besetzung ist er mit den Wiener Philharmonikern nicht nur beweglicher (die vertrackten Läuferfiguren der Così-Ouvertüre etwa wären Karajan im Großen Haus kaum so glasklar gelungen), sondern zugleich auch wärmer und drängender, voller innerer Dramatik. So läßt er einerseits die Arien ausschwingen, aber das nachgerade Unbegreifliche sind die gestochen scharfen Ensembles, etwa das turbulente Finale des 1. Aktes, nach der fingierten Vergiftungsszene. Das beglückende Paradox dieser Aufführung: daß die Pole von Scherz und Ernst, je weiter sie szenisch und musikalisch auseinandergeführt sind, sich um so sicherer treffen. Am Ende ist nichts verloren, die Musik sagt die Wahrheit.

[...]

Soviel Glanz von diesen Partien oft ausgeht: der eigentliche Gewinner des Karussells der Sänger ist zweifellos doch die "Così". Während man im "Figaro" meist in den dafür prädestinierten Arien die Höhepunkte findet, kann man hier den überaus vollkommenen Zusammenklang nicht hoch genug rühmen. Das beginnt gleich zu Anfang, im Terzett von Fischer-Dieskau (Alfonso), Hermann Prey (Guglielmo) und Peter Schreier (Ferrando): jeder für sich ein Sänger von höchsten Graden, dessen einzelner Charakter auch erhalten bleibt, wenn sich die Stimmen homogen zusammenfügen. Desgleichen bei den Frauen: der wahrhaft strahlende Sopran von Gundula Janowitz, in deren großer Arie "Per Pieta, Ben Mio" wenn sie den fernen Verlobten um Vergebung ihrer neuen Bindung bittet, die mögliche Tragik kulminiert; und die dunkler angesetzte, weite und volle Stimme der bei ihrem Salzburgdebüt noch etwas nervösen Brigitte Fassbaender als Dorabella; die Terz- und Sextparallelen dieser Verbindung haben ein unvergeßliches Leuchten. Dazu Reri Grist als launiges Teufelchen Despina, mit viel eigenem Spaß an den grotesken Verkleidungen. Die etwas unbehagliche Versöhnung des Finales vereint sie alle zu einem wahren Fest der Stimmen. Falls es davon eine Platte geben sollte ...

Diese Familie der besten Sänger - man wird auch den "Figaro" dazunehmen - das ist dann eben das Besondere, das Einmalige an Salzburg.

Dr. Bruno Russ

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     Kölner Stadt-Anzeiger, 24. August 1972     

Raubritter ziehen durch Salzburgs Straßen

Festspiele zwischen Chaos, Così und Karajan: viel Konvention, wenig Konzeption, aber große Augenblicke

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Das Fazit dieser Festspiele: Konzeption hat Salzburg keine, es sei denn, man spricht den Pluralismus des "Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen" als solche an. Aber in manchen Augenblicken ist alles verziehen: Wenn Fischer-Dieskau und Svjatoslav Richter Hugo Wolfs "Feuerreiter" zu zerreißender Spannung steigern; wenn Gundula Janowitz, Brigitte Fassbaender und Fischer-Dieskau mit den Wiener Philharmonikern unter Böhm das Abschiedsterzett aus "Cosi" anstimmen, fragt niemand mehr nach Konzeptionen.

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Dietolf Grewe

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     Augsburger Allgemeine, 31. Juli  1972     

Kultur und Leben

Mit "Così fan tutte" in den Mozart-Himmel

Salzburg hat eine neue Opernattraktion - Eine Sternstunde erfüllten Musiktheaters

    

Eugène Ionesco, der französische Dramatiker und Erfinder des absurden Theaters, hat in seiner tief pessimistischen, ja schockierenden Eröffnungsrede zu den diesjährigen Salzburger Festspielen ("unsere sogenannte Kultur scheint nur mehr ein Kartenhaus...") die Frage aufgeworfen: "Hier im Lande Mozarts, sind Sie noch imstande, Mozart zu hören und seine Botschaft zu vernehmen? Verstehen wir seine Sprache, seine Botschaft wirklich noch?"

Ja, wir verstehen sie, heute mehr denn je, wir sind ihr verfallen als einem der großen Glücksgüter dieser Welt. Die von soviel schwarzem Pessimismus und Katastrophenprophetie erschreckten Zuhörer des Mannes aus Paris erlebten wenige Stunden später bei "Figaro" und erst recht bei "Così fan tutte", der neuinszenierten Opera buffa von der Weibertreue, das ganze Ausmaß der Beglückung, das nur Mozarts Musik zu schenken vermag. Und das anläßlich eines Werkes, das 150 Jahre brauchte, ehe es, verkannt von Beethoven, Wagner und den Romantikern, ganz akzeptiert wurde - als ein wahres Meisterstück höchster Charakterisierungskunst, gelösten Humors, sublimer Ironie und doch einmündend in den beseligenden Hymnus auf die allversöhnende Macht der Liebe. Der Zyniker und Weltmann Don Alfonso gewinnt seine Wette über die Gefährdung aller menschlichen Liebes- beziehungen; das letzte Wort aber behält das Lob der "Aura amorosa", die Ferrando in einer der herrlichsten-melodischen Eingebungen Mozarts so bewegend preist.

"Così" macht Theatergeschichte

Cosi-fan-tutte-Aufführungen zählten seit dem Wiederbeginn der Festspiele nach dem Krieg immer schon zu den Höhepunkten der Salzburger Mozartpflege; es scheint, als ob das Klima in Mozarts Geburtsstadt der doppelbödigen Komödie besonders günstig ist und hier an der Grenze von Nord und Süd von Opera buffa und dramatischem Musiktheater da Pontes erotischer Spaß wie nirgendwo zum Blühen kommt. Theatergeschichte machte jene unvergeßliche Così-Inszenierung im Residenzhof, in der die illustre Trias Karl Böhm, O.F. Schuh und Caspar Neher einen neuen Salzburger Mozartstil begründete; aber auch spätere Aufführungen, etwa die von J.P. Ponnelle im Jahre 1969, deren unterschwelliger Pessimismus Mozart beinahe ad absurdum führte, blieben Höhepunkte moderner, aber nicht verkünstelter Mozart-Deutung.

Und nun fanden sich Altmeister Karl Böhm - trotz seiner 78 Jahre einer der jung gebliebenen Maestri - der Regisseur Günther Rennert und die Bühnen- und Kostümbildnerin Ita Maximowna zu einer Trias zusammen, deren schöpferischer Impetus und künstlerische Reife einen Abend vollkommensten theatralischen Vergnügens bereiteten - eine Sternstunde komödiantischen Theaters, wie sie in dieser perfektionssüchtigen Welt selten geworden sind, ausgewogen im kleinsten Detail wie im Gespür für menschliche Hintergründe, geistgeprägt, aber nie intellektualistisch, leidenschaftlich und verspielt und wo Mozarts Herz spricht, erfüllt von einer unbeschreiblichen Wärme des Gefühls. Karl Böhm, der "Così" viele hundert Male dirigierte, musizierte, wie wenn er das Werk zum erstenmal geleitet hätte, herrlich assistiert von den Wiener Philharmonikern. Ein einziger Gleichklang von Bühne und Orchester prägte die Aufführung vom Anfang bis zum heiteren Ende des Intrigenspiels. Günther Rennerts vollkommenste Mozart-Inszenierung ist das genaue Pendant zu Böhms Mozart-Verständnis: nach seinen eigenen Worten "ein Schachspiel der Untreue, eine Gleichung der Gefühlsverwirrung", kein bloßer Marionettenspaß, sondern ein großes Spiel, in dem jeder der Beteiligten genauestens über seine Rolle Bescheid weiß und kein aufgesetzter "Gag" die Handlung stört. Dazu Ita Maximownas delikate Bühnenbilder, ein mehr geahntes als reales Neapel, Kostüme, die ebenso elegant wie parodistisch überhöht erscheinen, eine freundliche Märchenwelt mit Pavillons, schwarzen Rosen und einem lustigen Mobile verspielter Vögel.

Ideale Mozartstimmen

Auf der Bühne agiert ein Sextett herrlicher Mozartstimmen, wie es in gleicher Vollkommenheit nirgendwo auf der Welt anzutreffen sein dürfte. Der blühende Sopran von Gundula Janowitz (Fiordiligi) gleich stark im lyrischen Belcanto wie in der Emphase der Primadonna (Felsenarie!), Brigitte Fassbaender als prächtig sekundierende Dorabella mit taufrischem Mezzo und die zauberhafte Reri Grist als komödiantisches Inbild aller Kammerzofen (Despina) bilden ein berückend schönes, auch im Stimmtimbre wunderbar harmonierendes Terzett schönster Frauenstimmen. Ebenbürtig diesem Aufgebot an Charme und Belcanto das Duo der Offiziere: der höchst subtile Tenor Peter Schreiers (Ferrando) und der oftmals erprobte Guglielmo von Hermann Prey, die sehr genau zwischen dem Sturm echter und parodierender Leidenschaften zu unterscheiden wissen. Dazwischen als Drahtzieher der Komödie der überaus vitale Alfonso von Dietrich Fischer-Dieskau, mehr Weltmann von praller Lebensfülle und Freude am Spaß als dünnblütiger "Aufklärer".

Wie immer, wenn Mozarts Musik vollkommen erklingt, wird der Zuhörer an die Grenzen eines Unsagbaren entführt, das in Worten nicht mehr auszudrücken ist. Werner Egk hat es so gesagt: "Wenn es einen Himmel auf Erden gibt, dann ist es Mozarts Musik." Am Abend der neuen Salzburger Così-Premiere öffnete sich Mozarts Himmel den beglückten Zuhörern ein paar unvergeßliche Stunden lang!

Dr. Karl Ganzer

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     Fränkischer Tag, Bamberg, 31. Juli 1972     

Trügerische Zufriedenheit

Salzburg wieder im Mozart-Taumel - Im Kleinen Haus "Così fan tutte"

   

Salzburg wiegt sich in Zufriedenheit: Wolfgang Amadeus Mozart beherrscht wieder das Festival an der Salzach! So ist das Publikum begeistert, die Geschäftsleute reiben sich die Hände, die Wiener Philharmoniker huldigen nicht nur mit Hingabe, sondern mit Freude dem genius loci, das Festspielhaus scheint in Rokoko-Schwingungen zu geraten. Mozartsche Heiterkeit will die düsteren Jedermann-Rufe über dem Domplatz nicht aufkommen lassen.

Aber solche Zufriedenheit trügt, sie geht vom Dirigierpult Herbert von Karajans aus und breitet sich wie Balsam über Mozarts revolutionäres Werk "Die Hochzeit des Figaro". Hat man in diesem "Figaro" von Karajans Gnaden (wir berichteten darüber am Freitag) den Blick nur durch einen kleinen Spalt in Mozarts unendlichen Musikhimmel werfen können, so tat sich einen Tag später, im Kleinen Festspielhaus, bei "Così fan tutte" unter Karl Böhms Stabführung das ganze Paradies auf! Will man einen Eindruck von dieser Modellaufführung bekommen, so stelle man sich vor, alle Mitwirkenden hätten zufällig an ein und demselben Abend ihre jeweils beste Form: Gundula Janowitz als Fiordiligi, Brigitte Fassbaender als Dorabella, Reri Grist als Despina, Hermann Prey als Guglielmo, Peter Schreier als Ferrando und Dietrich Fischer-Dieskau in der Rolle des Don Alfonso. Zu dieser Idealbesetzung denke man sich einen aus dem vollen schöpfenden Günther Rennert, dazu Karl Böhm mit dem Elan seiner durch Reife gefilterten geistigen Jugend und Ita Maximowna, die Rennerts und Böhms inspirierende Konzeption ins Visuelle umzusetzen vermochte.

"Così fan tutte" ist Mozarts reichste, subtilste Opernpartitur, um sie zu vollem Leben erwecken zu können, muß man mit Mozart "per du" sein, und von Karl Böhm darf man das heute behaupten. Wie er, in einer beglückenden Gemeinsamkeit mit den Wiener Philharmonikern, die vielschichtigen Ausdrucksebenen dieses Werkes durchlebt, wie er Spannung und Entspannung abwägt, Steigerungen und dramatische Kulminationspunkte vorbereitet, das läßt ihn zum wesentlichsten Mozart-Dirigenten dieser Epoche werden.

Auch Rennert hat sich "Così fan tutte" so restlos erschlossen, daß es einfach keine "dünne" Stelle mehr geben kann. Dabei hilft ihm sein wacher Kunstverstand, nie läßt er sich von Äußerlichkeiten zu Übertreibungen verleiten; alles hat ein in sich selbst ruhendes Maß.

Am Ende des Finales läßt Rennert alle Akteure um den Tisch herum Platz nehmen und einträchtig miteinander tafeln. Das ist ein reizender Regieeinfall und ein versöhnlich stimmender Abschluß, selbst auf die Gefahr hin, daß es "alle so machen" sollten.

Das Festspielpublikum feierte einhellig diese exemplarische Aufführung und geriet beim Erscheinen von Böhm und Rennert völlig aus dem Häuschen.

Karl-Robert Danler

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     Fuldaer Zeitung, 29. Juli 1972

Makelloses Mozartfest

"Così fan tutte" fand in Salzburg begeisterte Zustimmung

   

Mozarts Oper "Così fan tutte" wurde zum ungeteilt bejubelten Mozartfest. Die zweite Premiere der diesjährigen Salzburger Saison fand im Kleinen Festspielhaus statt und stand durchweg unter einem guten Stern.

Das bewährte Team Karl Böhm (Dirigent), Günther Rennert (Regie) und Ita Maximowna (Ausstattung) im Verein mit den Wiener Philharmonikern und sechs makellosen Mozartstimmen bereitete dem Publikum helles Entzücken. Rennert hatte schon mit seiner letzten Salzburger Così-Inszenierung einen Dauererfolg gehabt. Nun knüpfte er daran an und entwickelte sie organisch weiter.

Ita Maximowna blieb ebenfalls bei der Grundkonzeption mit dem Blick zum Golf von Neapel und dem zart angedeuteten Vesuv im Hintergrund, vermehrte aber die Zahl der Schauplätze und entwarf einen entzückenden Zwischenvorhang, vor dem während der Umbauten gespielt werden konnte. Der Zusammenklang der Farben, auch bei den Kostümen, war wieder hinreißend.

Rennert und Böhm schufen vor allem eine Atmosphäre schwereloser Heiterkeit, in der sich die Sänger zum eigenen Vergnügen zu bewegen schienen. Es gab weder leere Stellen noch gezwungen wirkende Einfälle. Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Hermann Prey (Guglielmo) und Peter Schreier (Ferrando) kann man nur aufzählen. Eine Reihung nach darstellerischer oder gesanglicher Leistung ist unmöglich.

Reri Grist (Despina) erwies sich wieder als schauspielerisches Naturtalent, Dietrich Fischer-Dieskau als Don Alfonso spielte mit behaglicher Koketterie den alten Schwerenöter und Kenner menschlicher Schwächen. Karl Böhm leitete das ideale Mozart-Sextett, den Chor und das begleitende Orchester mit jugendlichem Schwung. Der Beifall war beträchtlich.

Autor unbekannt

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     Trierische Landeszeitung, 14. August 1972     

"Così fan tutte"

   

Das reine Mozartfest bescherte dem Publikum wiederum das Team Rennert-Böhm, diesmal mit einer wahrhaft exemplarischen Einstudierung von "Così fan tutte". - Hier waren Musik und Szene, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung in einen vollkommenen Einklang gebracht, stilistische Geschlossenheit und humane Weisheit in schwebender Balance gehalten und ließen durchaus hinter der heiteren Fassade die tragische Komponente ahnen. Ita Maximownas duftige, graziöse Bühnenbilder und Kostüme entsprechen ideal diesem geheimnisvollen Schwebezustand und glitten nie ins Kunstgewerbliche ab.

Was Rennert in seiner Personenregie an Differenzierung, psychologischer Schärfe und gelöster Spielfreude erreicht, grenzt ans Wunderbare. Allerdings stand ihm ein Mozartensemble zur Verfügung, das auf den Opernbühnen der Welt heute seinesgleichen sucht.

Da ist als Primus inter pares und Drahtzieher der Intrige der Don Alfonso Dietrich Fischer-Dieskau, ein Porträt von jovialer Hinterrgründigkeit; da ist Reri Grists kecker Columbinen-Charme für die intrigierende Zofe Despina; da sind die ungleichen Schwestern Fiordiligi und Dorabella in der sentimentalischen Emphase von Gundula Janowitz und der spontanen Koketterie von Brigitte Fassbaender. Die Herren Kavaliere sind in der Verkörperung von Hermann Prey (Guglielmo) und Peter Schreier (Ferrando) ebenfalls unverwechselbare Individualitäten, die das Schachspiel der Gefühle und Verwirrungen jeder auf seine Art mitspielen. Daß alle sechs Mozartsänger von besonderen Graden sind und stimmlich jeden Wunsch erfüllen, versteht sich in dieser Musteraufführung von selbst.

Karl Böhm am Pult war der Garant für eine kongeniale musikalische Entsprechung der Szene. Er steht sozusagen mit Mozart auf du und du und seine Kompetenz, sein Einverständnis mit der Musik haben jetzt den Grad letzter Einfachheit erreicht. Böhm vereint Empfindungen und Esprit, technische Perfektion und Altersweisheit auf unnachahmliche Weise und verbindet sie mit einem geradezu phänomenalen jugendlichen Elan, der Mozarts Musik erklingen läßt, als entstünde sie unter seinen Händen neu. Die Wiener Philharmoniker musizieren unter ihm wie die Götter und wahren ihren Ruf als bestes Mozartorchester der Welt glanzvoll.

Das Publikum nahm dieses Festspieljuwel dankbar und mit schier endlosem Jubel auf, als wüßte es, daß sich mit diesem Abend Salzburgs Festspielidee erneut überzeugend legitimiert hat.

Autor unbekannt

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     Berchtesgadener Anzeiger, 23. August 1972     

    

Mozarts "Così fan tutte"

Das ist nun mal wieder Salzburgs große Köstlichkeit! Wenn Karl Böhm am Dirigentenpult und Günther Rennert Regie führt, weiß sich auch der empfindsamste Mozartkenner und -freund bestens aufgehoben. Was soll man noch an Lobeshymnen über den Dirigenten und die Wiener Philharmoniker anstimmen? Jeder weiß diese Sammlung von Superlativen vorweg! Und dann dieses Ensemble!! Wo erlebt man ein solches Männerterzett wie das von Peter Schreier, Hermann Prey und Dietrich Fischer-Dieskau schon im 1. Akt? Und dann Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender als Fiordiligi und Dorabella! Zwei auserlesene Sängerinnen und Schauspielerinnen von im Klange ihrer Stimmen reizvollem Unterschied, im Werte ihrer Stimmen wenig unterschieden! Dietrich Fischer-Dieskau ließ sein mächtiges Stimmorgan zuweilen orgelnd spielen. Denkt man an Paul Schöffler in dieser Rolle zurück, kam er einem etwas zu "wohlhabend" vor. Immer blieb er aber derjenige, der die ganze Komödie der Irrungen und Wirrungen nicht nur einfädelte, sondern auch mit sorgsamer Hand leitete und seine Hand vorhielt, wo es etwa zu ernsthaften Krisen hätte kommen können. Glänzend aber kam der Tiefsinn dieses köstlichen, filigranhaft feingewebten Mozartschen Bühnenwerkes zur Geltung. Wir Menschan haben Vorzüge und Mängel. Glücklich der, der solches erkennt und seinen Nächsten mit allem Plus und Minus seines Wesens zu lieben vermag. - Reri Grist als Despina darf nicht unerwähnt und ungelobt bleiben. Sie kommt ihrer großen Vorgängerin in dieser Rolle, der nunmehr daraus herausgewachsenen Graciella Sciutti entzückend nahe. Vielleicht hätte man sich einige nahezu belanglose Dinge anders denken können - insgesamt war es ein Akt künstlerischer Höhengratwanderung, dessen Wert das Publikum erkannte und durch einen endlosen Schlußbeifall anerkannte!

Autor unbekannt

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     National-Zeitung, Berlin-Ost, 1. September 1972     

Zweimal Mozart und "Wozzeck"

Beobachtungen bei den Salzburger Festspielen

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Nicht wenige Mozart-Freunde gaben der neuen Inszenierung von "Così fan tutte" den Vorzug. Sicher gibt es heute keinen Dirigenten, der diese zauberhafte Komödie des Herzens unter dem Anruf des Eros gleich federnd und sinnenwarm musiziert wie Karl Böhm, der nun bereits 78-jährige, der sich zu seinem Achtzigsten eine neue "Frau ohne Schatten" ausbedungen hat. Dazu kam als Partner ein Mozart-Ensemble mit dem köstlich aufeinander abgestimmten Schwesternpaar Gundula Janowitz und Brigitte Fassbaender, mit dem auch in Salzburg mit Nachdruck als besten aller tenoralen Mozart-Lyriker gefeierten Peter Schreier und dem blendenden Bariton Hermann Prey als Liebhaber, mit der kecken Despina Reri Grists und dem weise-überlegenen Alfonso Dietrich Fischer-Dieskaus. Die theatralischen Möglichkeiten des Stücks wurden von Günther Rennert und Ita Maximowna etwas undifferenziert erfaßt; die Musik sagt über Fühlen und Handeln der Personen weit mehr aus.

Ernst Krause



Heft der Zeitschrift unbekannt

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