Zur Oper am 27. November, 1972 in Berlin


    

     Frankfurter Allgemeine, 29. November 1972     

    

Traum fürs Ohr, Revue fürs Auge

Böhm/Schenk/Rose: "Così fan tutte" an der Deutschen Oper Berlin

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Mit all seinen Verkleidungen und unglaubwürdigen Verwechslungen hat "Così fan tutte" einen kräftigen Drall hinunter zur Posse.

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Otto Schenk, vielbewährter Regisseur des ernsten wie des heiteren Musiktheaters, hat diesen Zug zum Possenhaften in den Vordergrund gerückt. Dabei verändert er oft erheblich Stil und Geist der Szenen. Das Kaffeehaus im ersten Bild ist nicht wie sonst ein elegantes Lokal, sondern eine etwas verlotterte Hafenkneipe im Freien. Hier entwickelt Alfonso seinen sauberen Plan, und die beiden jungen Offiziere veranstalten mit knalligem Gebärdenspiel, verschmitzter Mimik und zirkushaft manipulierten Stühlen eine Schau, die keine Gelegenheit zum Spaß ungenutzt läßt.

Das folgende Gartenbild ist die hübscheste von den sieben Dekorationen, die Jürgen Rose entworfen und mit luxuriösen Kostümen bevölkert hat. Aus dem Garten steigt eine Freitreppe zur großen Terrasse; Blumen und Spalierpflanzen sorgen naturalistisch für südliche Stimmung. Aus dem sich öffnenden Tor im Hintergrund strömt der Chor herein, die Szenerie belebend und füllend. Das Wohnzimmer mit offenem Kielflügel gehört der zum Trampelchen vergröberten Zofe Despina und ihren Scherzen mit dem Mokka, den die traurigen Schwestern ihr überlassen. Die üppige Landschaft Neapels mit Zypressen und Pinien prägt das Gartenbild, mit dem der erste Akt schließt.

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 Das Ärgernis beginnt, wenn nach der Pause die beiden Schwestern aus Ferrara in einem mit Himmelbetten, Babywiege, großen Charakterpuppen und bunten Seidenbändern ausstaffierten Schlafzimmer sich tummeln, von Despina zum Abenteuer überredet werden und ihr Duett singen. Es steigert sich, wenn im Lauf der Handlung die große steinerne Loggia im Garten durch orientalisches Gesinde in einen brokatstarrenden Harem verwandelt wird. Das sind, von der Sinnlosigkeit abgesehen, geschmackliche Entgleisungen, die man von Schenk und von Rose nicht erwartet hätte. Und sie verstimmen um so mehr, weil Handlung und Darstellung mit eminentem Können und mancherlei hübschen Einfällen anschaulich werden.

Es liegt nahe, diese Inszenierung mit der von Günter Rennert und Ita Maximowna vom Salzburger Sommer zu vergleichen. Und da fällt die von Schenk und Rose als die viel gröbere ab. Obendrein steht die primitive Ästhetik dieser Schau in peinlichem Gegensatz zu dem Aufwand an kostbaren Geweben und teuren Bühnenarchitekturen, der stellenweise die Posse zur Luxusrevue macht.

So fragwürdig die szenischen, so überzeugend sind die musikalischen Mittel dieses Abends. Die Seele des klingenden Ablaufs ist am Pult Dr. Karl Böhm. Da wiederholt sich die Bezauberung von Salzburg. Da stimmt jedes Zeitmaß, jede dynamische Feinheit, jede Abtönung im vortrefflich spielenden Orchester und in den Chören. Mit dem Temperament eines Jünglings führt dieser 78jährige seinen Zauberstab, daß Mozarts Musik blüht, pulsiert und singt bis in die verborgenste Nebenstimme.

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Pilar Lorengar singt die Fiordiligi. Und das ist eitel Wonne und Wohllaut. Köstlicher hat diese helle Sopranstimme nie geklungen; beseelter im Ausdruck hat man die große B-Dur-Arie seit der Ebertschen Inszenierung mit Elisabeth Grümmer 1955 nicht gehört. Klarer und fließender kann man die Koloraturen des E-Dur-Rondos nicht singen. Es war, auch in der lieblichen Darstellung inneren Konfliktes, die beste Leistung, die wir von der Lorengar kennen.

Wie in Salzburg ist Dietrich Fischer-Dieskau der alte Philosoph Alfonso. Doch Schenks Konzept macht ihn zu einem rustikalen Spötter, der ein wenig mehr dem Niveau der kleinen Zofe zuneigt als dem der eleganten Schwestern. Gesanglich in bester Form, in den Rezitativen der italienisch gesungenen Aufführung so überlegen wie zuverlässig in den Terzetten und größeren Ensembles, beherrscht er das kuriose Bündel von Charakteren.

Ebenfalls aus der Salzburger Besetzung ist Brigitte Fassbaender als Dorabella übernommen. Lieblich anzusehen, schelmisch, wandelbar und temperamentvoll im Spiel, singt sie die Mezzopartie mit makelloser Technik und Akzentuierung.

Erika Köth ist das Kammermädchen Despina. Drall und ein bißchen verschludert steht sie da, wischt Staub mit der Schürze, beneidet ihre schönen Herrinnen, flirtet mit Alfonso und beißt vorsichtshalber in die Silbermünze, die er ihr zusteckt. Unsäglich komisch und possenhaft übertrieben steckt sie in den Vermummungen als Arzt und als Notar, bringt sie mit dem großen Magneten die scheinvergifteten Männer zum Leben zurück. Und all das komische Gaukelspiel mündet immer wieder in den lerchenleichten Gesang ihrer hohen Sopranstimme.

Barry McDaniel und Luigi Alva sind Guglielmo und Ferrando. Beide singen ihre Partien in echt Mozartschem Geist, Alva mit nicht viel dynamischer Reichweite, McDaniel prächtig die Gegensätze phrasierend. Wenn sie als bärtige Exoten wieder erscheinen, beginnt ihre schauspielerische Aufgabe. Im Tausch der Liebespartnerinnen zeigen beide den inneren Konflikt von Sieg und Niederlage, von eigenem erotischem Erfolg und Eifersucht auf den des anderen. Insgesamt ist es eine Besetzung, die sich hören und sehen lassen kann. So liegt der Gewinn des Abends eindeutig auf der musikalischen Seite, die den Erfolg von Anbeginn sichert.

Die festliche Premiere wurde von Beifall, besonders für die Lorengar, schon im ersten Akt mehrfach unterbrochen. Am Schluß gab es zahllose Hervorrufe und demonstrative Huldigungen namentlich für Karl Böhm. Doch das Unbehagen über die billigen Effekte der Inszenierung trübte für die anspruchsvolleren Hörer den Genuß eines Abends, der sich an die Mozart-Inszenierung des Hauses optisch nicht ebenbürtig anschließt.

H. H. Stuckenschmidt

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     Die Welt, Ausgabe D, Berlin-West, 29. November 1972     

    

Explosionen der Glückseligkeit

Mozarts "Così fan tutte" unter Karl Böhm in Berlin

    

Ein Mozart ohne Drahtzopf, ohne dünnen Schnörkel, ungegängelt von Stilisierungslust. Ein Mozart der gesprengten Symmetrien, der Weiträumigkeit, der Opulenz, der Realität. Ein Mozart der heiteren Kraft.

Otto Schenks Inszenierung von "Così fan tutte" in der Ausstattung Jürgen Roses an der Deutschen Oper Berlin gefällt sich in blühenden, satten Farben. Sie baut sich breritbrüstig auf, kargt nicht mit kräftigen optischen Reizen. Sie formuliert ihre Pointen nicht mit gespitztem Mund. Sie weiß zu lachen und geniert sich überhaupt nicht dabei.

Heiterkeit wird nicht zelebriert. Sie flutet, als seien alle Schleusen gezogen, mit höchstem Naturell hervor. Kein Spiel menschlicher Marionetten wird in Szene gesetzt. Im Schatten junger Frauenblüte vollzieht sich ein fröhlichkeitstrunkener Karneval, die Apotheose eines Flirts, den jeder genießt, der Verführungskünste und -listen, die sich am Ende selbst in die Sackgasse manövrieren - in jene Beklommenheit und Verwirrung des Gefühls, für die Fiordiligis zweite große Arie steht.

Doch Otto Schenk mißt ihr keinen übertrieben hohen Stellenwert bei. Zu dicht schließlich ist sie der Turbulenz des Finales benachbart. Sie ist eine Wolke, die weicht, ein letztes retardierendes Moment, bevor die Buffonerie auf den Höhepunkt treibt, Und Schenk gibt ihr noch einen zusätzlichen Dreh: Am Schluß, wenn sich endlich die Richtigen in den Armen liegen, sind es doch wieder die Falschen. Selbst die Versöhnung gerät noch heiter ins Torkeln und schreit nach Korrektur.

Jürgen Roses Bühnenbilder verstrahlen menschliches Wohlbehagen. Sie reißen fest und festlich die Schauplätze auf mit blumenübersäten Terrassen, Gartenhöfen, Interieurs, die gleichzeitig den Charakter der beiden Schwestern deutlich definieren: Ihr Zusammenleben unter dem gemeinsamen Dach, dem Doppelhimmel aus Tüll, der sich in lustiger Eleganz über zwei Betten spannt - das Schlafzimmer als Platz für schwesterliche Konfidenzen, Geständnisse, zärtliche Torheiten, Klatsch, Trauer und Übermut.

Treppen rauf und runter

Schenks Inszenierung wirkt, als sei die vertraute Opernlähmung, die Berufskrankheit der Primadonnen, schlagartig abgefallen. Es wird nicht gravitätisch geschritten, als messe man Mozarts Takte mit Füßen aus und bezöge Arien- oder Ensemblepositionen. Die jungen Frauen laufen fröhlich durch ihr Haus, die Treppen hinauf und hinunter, ihr Temperament entlädt sich in kleinen, sprühenden Katarakten des Eilens und Zögerns: In einer Betriebsamkeit, die ihrem Wesen entspringt.

Sie leben nicht auf dem Altenteil der Opera buffa wie bestellt und nicht abgeholt, in hoheitsvoller Passivität. Sie nehmen lebhaft teil an den Vorgängen rings um sie her - und die sind nun wirklich seltsam und aufregend genug, zwei junge Frauen aus der Langeweile zu reißen, sie ihrem Lebensbehagen zeitweilig zu entfremden.

Pilar Lorengar und Brigitte Fassbaender sind diese Schwestern, die ihren Verehrern in die Falle laufen, jede auf ihre Art mit anders klopfendem Herzen - doch es schlägt bei beiden denselben lebenslustigen Takt. Die Lorengar ist bezaubernd. Ihr fraulich heiteres Naturell zügelt sich nur in den großen, prachtvoll erblühenden Arien zu damenhafter Contenance, die aber stets geprägt bleibt von sinnenfreudiger, offenherziger Unschuld, einer glücklichen Naivität, die mit sich und der Welt in Einklang lebt und nur vorübergehend aus dem inneren Gleichgewicht schlägt. In ihrer Darstellung halten sich heitere Exklamation und Innigkeit auf liebenswürdigste Weise die Waage und singen sich mit mozartischer Selbstverständlichkeit aus.

Brigitte Fassbaender kontrapunktiert dunkel den fraulichen Glanz, der sich um die Lorengar breitet. Ihr mädchenhafter Charme, ihre Schmalheit, ihre ausgeglichene, leicht ansprechende, satt timbrierte Stimme kontrastieren glücklich mit dem hochschwingenden Sopran ihrer schwesterlichen Rivalin. Vereint bilden sie ein Duo zum Verlieben - und davon machen Luigi Alva und Barry McDaniel denn auch reichlich Gebrauch.

Drollige Lüste

Alva ist der tenorale Luftikus und Schwerenöter, der mit geschmeidiger Stimme Fiordiligi seine Avancen macht, ein Mozart-Sänger, wie er im Bilderbuch steht. McDaniel macht mit schmuckem Bariton - und auch sonst - gute Figur. Zwei lustige junge Herren, singen sie sich die Komplikationen herauf, an denen sich die Handlung immer aufs neue entzündet - und mit ihr diese kostbare Musik, die in der "Così" auf schier überirdische Weise sich zu stets reicheren, überraschenderen, beseligenderen Ensembles formiert.

Die Spielführer: Das sind Erika Köth als Despina und Dietrich Fischer-Dieskau als Alfonso, und sie machen mit vereinten Kräften Kabinettstücke aus ihren Partien. Nicht als neckisches Kammerkätzchen trippelt die Köth ihre Rolle, sie gibt eine eher ländlich wirkende Neapolitanerin, ein Mädchen für alles, das dann auch wirklich alles kann: singen, mimen, sich zur Talarmaus verkleiden, krächzen, schnaufen: Sie ist eine drollige Lust.

Und Fischer-Dieskau macht aus Alfonso eine staksende Komödienfigur. Nicht wie ein Gottvater der Buffa hält er unnahbar die kunstvoll verwirrten Fäden der Handlung in der Hand. Er spielt die Komödie mit, die er in Gang setzt - und zwar mit ganz leichter, entzückender Komik. Er stelzt daher, er wirft die Beine, er äugt verschmitzt unter dem Strohhut hervor, ein bißchen schusselig, ein bißchen weise. Er erlöst die Rolle aus ihrer Charakterstarre und singt sie mit wundervoller Prägnanz.

Das höchste der Wunder aber kommt von Karl Böhm. Er wacht über der Aufführung und läßt sie scheinbar nur laufen. Er bohrt nicht in Mozart herum, er macht ihn nicht interessant. Er läßt ihn für sich selbst sprechen und achtet nur sorgsam darauf, daß ihm keiner ins Wort fällt: daß Mozart sich in höchster Reinheit zu artikulieren vermag. Kein Hüter mit dem Flammenschwert, wacht Böhm vor Mozarts Tür. Ihm genügt der kleine, kaum ausschlagende Stab in der Hand, mit ihm bannt er die Aufführung und führt sie zur Vollkommenheit hoch.

Mozart klingt unter seiner Leitung auf wie ein musikalisches Naturgesetz. Und tatsächlich: in Böhms Interpretation halten sich Gesetz (der Form) und Natur (der Inspiration) unverbrüchlich die Stange. Orchester und Sänger folgen wie hypnotisiert. Nur das Publikum brach immer wieder aus: Es mußte sich seine Bewunderung, an der es sonst erstickt wäre, vom Halse schaffen. Am Schluß: Explosionen einer Glückseligkeit, wie sie in Opernhäusern durchaus unalltäglich sind.

Klaus Geitel

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     Berliner Morgenpost, 29. November 1972     

    

Dieser Mozart zeigte eher schönen Schein als seinen doppelten Boden

Deutsche Oper: Karl Böhm dirigierte delikat die Neuinszenierung von "Così fan tutte"

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Regisseur Otto Schenk ließ in diesem kulinarischen Rahmen unverbindliche Gesellschaftskomödie spielen. Auch er hütete sich, die in Musik und Libretto schlummernden bissigen Auseinandersetzungen zu wecken oder wenigstens die letztlich tief tragische Skepsis dieser späten Mozart-Partitur anzudeuten. Seine Inszenierung war getragen vom Hauch gepflegter Harmlosigkeit, komödiantisch diszipliniert und eher handwerklich sauber als ambitioniert. Zugutehalten muß man ihm den Versuch, nicht typische Opern-Marionetten mit einprogrammierten Gesten, sondern lebendige Menschen auf die Bühne zu stellen.

In diesen, von Regisseur und Dirigent gezogenen, geschmacklichen Grenzen agierten nun die Sänger, und sie vermochten - trotz allem - dem Abend Gewicht zu geben. Waren auch die darstellerischen Möglichkeiten nicht immer gleichwertig verteilt, so trugen doch stimmlicher Glanz und Gesangskultur eindeutige Siege davon. Das gilt für Pilar Lorengar, die ihre Fiordiligi glücklicherweise nicht als Seelchen begriff, ebenso wie für die temperamentgeladene Brigitte Fassbaender, für den lyrisch geschmeidigen, seine Komödiantik sehr zügelnden Tenor Luigi Alva wie für den musikalisch wie darstellerisch wunderbar präzisen Barry McDaniel. Erika Köth erhob ihre Zofe einschließlich der Verkleidungsrollen in den Rang schauspielerisch engagierter Studien.

Selbst aus diesem starken Ensemble noch herausragend aber bewährte sich Dietrich Fischer-Dieskau. Brachte er auch darstellerisch seinen tattrigen Don Alfonso nicht immer mit seiner privaten Jugendfrische auf einen Nenner, so war es doch immer wieder atemraubend zu beobachten, wie differenziert dieser Sänger gerade mit seiner Stimme zu "mimen" versteht, wie er schon mit rein musikalischen Mitteln eine Figur oder eine Situation zu umreißen vermag. Ihm und Walter Hagen-Grolls Chören gebührte an diesem Abend uneingeschränkter Dank.

Wilfried W. Bruchhäuser

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     Berliner Tagesspiegel, Datum unbekannt     

    

Turbulentes Spiel mit der Verstellungskunst

Karl Böhm dirigierte, Otto Schenk inszenierte "Così fan tutte" in der Deutschen Oper

   

Man nehme einen routinierten, nicht allzu skrupelhaften Komödienregisseur, ein Sextett von Spitzensängern und - so man ihn bekommt - Karl Böhm für die musikalische Leitung: "Così fan tutte" nach diesem Rezept muß zum Riesenerfolg für alle Beteiligten werden - wie denn auch in der Deutschen Oper Berlin geschehen. Ein problemloser Mozart-Abend mit großen musikalischen Schönheiten.

Was hat sich das 19. Jahrhundert rechtschaffen mit diesem Werk herumgequält! Denn "ein classisch Rühren" sei die Direktionen der Theater alle acht bis zehn Jahre angekommen und habe, um Mozarts Willen, zu neuerlichem Versuch mit der "Weibertreue" geführt, schreibt Hanslick. Und er fügt seinen berühmten Irrtümern den hinzu: "Ich halte ‚CosÌ fan tutte’ auf der Bühne nicht mehr für lebensfähig!" - in der Ablehnung des Sujets übrigens absolut einig mit Richard Wagner, der da Ponte einen "frivol aufgeweckten Operntextmacher" schilt. E.T.A. Hoffmann war da anderer Meinung gewesen.

Bei der "Weibertreue oder Die Mädchen sind von Flandern" (Bretzner, 1794) handelt es sich um eine der unzähligen Übersetzungen, die das zu Mozarts Lebzeiten im italienischen Original aufgeführte Stück für die deutsche Bühne retten sollten. Oft wurde der Gang der Handlung total verändert oder umgekrempelt und der Musik entfremdet (Schneider, Treitschke); auch versuchte man, der Partitur Shakespeares "Love’s Labour’s Lost" oder Calderons "Dame Kobold" zu unterlegen. Noch Hofmannsthal äußert 1916 die Ansicht, es sei in "Così fan tutte" ja fast kein Satz ernst gemeint, daher der mangelhafte Erfolg.

Das "Così fan tutte"-Verdikt dürfte seinen wesentlichsten Grund in einem von Adorno so gekennzeichneten "Seit ich ihn gesehen"-Ideal des bürgerlichen Zeitalters gehabt haben, das die leichte Wandelbarkeit weiblicher Herzen für unmoralisch hielt und daher leugnete. Daß Mozart das Buch auf kaiserlichen Wunsch komponiert hat, daß es ihm gar "zuwider" gewesen sei, war ein viel zitierter Entschuldigungsversuch zugunsten des Musikers, mit dessen engelhaftem Bild die "Stubenmädeleien" ohnehin schwer in Einklang zu bringen waren.

Von der Gattung der Buffa keine Moral zu verlangen (Jahn/Abert), war schließlich eine Möglichkeit, das Stück zu akzeptieren und die Partitur in ihr Recht zu setzen. Mit Bestseller-Gewißheit läuft es nun - lustig, lustig - auch über die Bretter unserer Deutschen Oper und könnte doch mit seinen barocken Elementen Verkleidung, Täuschung, Verstellung, seinem ironischen Verfremden klassischen Bildungsguts, seiner genial psychologisierenden musikalischen Seria-Parodie, mit seiner Tiefenschau und inneren Wahrhaftigkeit ein weises kleines Welttheater sein. Carl Eberts unvergeßliche Inszenierung aus dem Jahre 1955 hatte etwas davon; aber Vergangenem nachzuseufzen bringt zumal auf dem Gebiet des Theaters wenig ein.

Otto Schenks Inszenierung ist gekonnt, ist in sich folgerichtig, beschwingt und opulent: komödiantischer Realismus mit einem Hang zu Späßen, die Geschmacksache sind: Da tätschelt die Zofe beim Ankleiden das frisch bestrumpfte Beinchen der Herrin Dorabella (die übrigens noch mit Puppen spielt), da klopft Don Alfonso - Fischer-Dieskau gefällt sich, ein Darsteller, dem jede Nuance zu Gebote steht, diesmal in der Grazie des komischen Alten - den Leuten gern mal aufs Hinterteil, da jumpen die Schwestern nach vollzogenem Duett und Entschluß, die neuen Liebhaber zum Scherz zu erhören, mit Aplomb in die Himmelbetten.

Das Ganze wird so vorgeführt, als könnte es auch von Rossini sein, und die Turbulenz der Ensemble-Szenen mit der - alten Buffa-Modellen folgend - bald als Arzt und bald als Notar verkleideten Despina hat wirklich Spontaneität: Hervorzuheben ist hier speziell das komische Spieltalent Barry McDaniels, der den feurigen Liebhaber Guglielmo rechtens als eine jugendliche Ausgabe des alten Philosophen Don Alfonso anlegt.

Ein Meister der Anpassung, wie man ihn, um zwei Extreme zu nennen, von seinem Salzburger "Wozzeck" und seiner Münchner "Sim Tjong" kennt, entspricht der Bühnenbildner Jürgen Rose auch hier vollkommen den Intentionen der Regie. Aus Stilelementen des Rokoko schuf er üppig quellende Blumenarrangements, Terrassen-, Garten- und Parkbilder, sowie einen im Hintergrund aufs Meer sich öffnenden dekorativen Salon - und gemeinsam mit der Inszenierung glitt er dann auch im zweiten Akt ins Operettige ab: wenn es nämlich ernst wird mit der Verwirrung der Gefühle, wenn Fiordiligi, die etwas davon schon im übertriebenen musikalischen Aufwand der Felsenarie ahnen ließ, diese Flüchtigkeit nicht wahr haben will, wenn sie dem Werben Ferrandos schließlich doch nachgibt, weil daraus die Glut der Verzweiflung spricht, dann wirkt die potenzierte Maskerade mit orientalischen Brokaten und Düften überflüssig und aufgesetzt. Hier nämlich ist der von dem alten Philosophen vorausgesehene Punkt erreicht, an dem die Herzen sich selber nicht mehr verstehen, und daß dies so ist, hat äußerlich mit dem vom Barocktheater überkommenen Mittel der Verkleidung der vertauschten Liebhaber, im Innern aber auch mit ihrem veränderten Werben zu tun.

Schenk ist nur konsequent, wenn er sein Lustspiel vom Partnertausch noch mit einem Verwechselspiel in den letzten Sekunden krönt; seine Geschöpfe haben bei dem amüsanten Kostümfest nichts Wesentliches erfahren.

Geistigkeit bezieht dies fröhlich sinnliche Theater durch Karl Böhm am Pult. Da wird mit dem Silberstift gearbeitet; unter strengem Diktat faszinieren die Holzbläser des Opernorchesters mit minutiösen Achtelfigurationen im heiklen Presto-Teil der Ouvertüre. Alles bleibt durchsichtig, hell, wie getupft, pastellfarben; die musikalische Qualität der Aufführung zeigt allenthalben ihren Meister.

Auf der Bühne findet er herrliche Resonanz: Dietrich Fischer-Dieskau unterstreicht seine mit der Commedia dell’arte liebäugelnde Darstellung als Vecchio Filosofo mit pointierter musikalischer Interpretation; Pilar Lorengar vollbringt wahre Wunder kantabler Beseelung der horrend schwierigen Fiordiligi-Arien, mit der Ernsthaftigkeit ihrer Leistung scheint sie im zweiten Akt die Szenerie geradezu zu widerlegen. Brigitte Fassbaender als Dorabella war ihr eher in den Ensembles als in ihren Solonummern ebenbürtig. Erika Köth gab auf ihre urwüchsig schelmische Art und mit leicht ansprechendem Sopran das Kammermädchen Despina. Luigi Alva (Ferrando) führte seinen - mitunter etwas engen - Tenor mit der gebotenen Innigkeit des Ausdrucks, und Barry McDaniel (Guglielmo) gelang es, seinen schauspielerischen Verführungskünsten Kabinettstücke baritonaler Schmeichelei zu gesellen. Mit diesem Ensemble verbanden sich Walter Hagen-Grolls Chöre zu klanglichen Ereignissen, die ihre Ovationen wert waren.

Sybill Mahlke

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     Der Abend, Berlin-West, 28. November 1972     

   

Wolfgang Amadeus Mozart in der Deutschen Oper

Sieg der Heiterkeit

Helle Begeisterung für Karl Böhm und "Così fan tutte" in der Bismarckstraße

   

Vergleichbare Jubelstürme wie während und nach der Neuinszenierung von Mozarts "Così fan tutte" hat die Deutsche Oper in ihrer jungen Geschichte selten erlebt. Es war ein Sieg des bunten, heiteren Theaters, der ausgelassenen Spielfreude und der genießerischen Zubereitung; einige Bedenken sind trotzdem anzumelden. Die Premiere war vor allem ein neuer Triumph für den Dirigenten Karl Böhm, der die solistisch glückhafte Aufführung musikalisch unübertrefflich beflügelte. Das Publikum fühlte sich dreieinhalb Stunden wie im siebten Himmel.

Die Inszenierung von Otto Schenk und Jürgen Rose löste die über 150mal gespielte ältere Einrichtung von Ebert und Ponnelle ab, die ebenfalls ihre Vorzüge besaß, aber mittlerweile einfach abgenutzt war. Mozart behandelt die These von der Unbeständigkeit der Frauen als "komisches Singspiel", wie er selbst 1790 sein schnell hingeschriebenes Werk gattungsmäßig einordnete. Im Untertitel des italienischen Originals heißt es: "Die Schule der Liebhaber" oder "So kosen alle". Bei Licht besehen, unterrichtet diese Schule in der Kunst der Verführung und weist gar nicht so ferne Beziehungen zu "Don Giovanni" und "Figaro" auf.

Die alte Stegreifkomödie wirkt nach, Rokoko und Empfindsamkeit sind ganz gegenwärtig, Elemente des Verwechslungsschwanks und damals modische Naturschwärmerei, auch schon romantische Ironie machen sich geltend. An dem dramaturgisch bis zur Simplizität übersichtlichen Handlungsaufbau kann man Zeitstile studieren und die Erkenntnis gewinnen, daß die Fabel zu Mozarts Lebzeiten durchaus auch aktuell-anzüglich und sogar gesellschaftskritisch war.

Otto Schenks szenische Arbeit kehrte den Spaß an der Sache hervor; der menschliche Hintergrund mußte sich mehr von selbst ergeben. An übersprudelnden Einfällen fehlt es diesem jungen Tausendsassa der Regie nie. Eher muß er sich bremsen, sonst entsteht die Gefahr, daß die unzähligen optischen Vergnügungen mehr von Mozart ablenken als zu ihm hinführen. Zum Glück überdrehte er nicht, unterschied zwischen Humor und Klamauk, ließ Menschen und keine Marionetten agieren. Seine Personenregie bot entzückende und klärende Details in Menge.

Sein Ausstatter Jürgen Rose hielt die Geschmacksgrenzen weniger sicher ein. Seine sechs Bilder schufen zu dem Kammerspiel der sechs Personen ein aufwendiges Szenarium, das sich schon mit den üppigen Blumenarrangements des Zwischenvorhanges ankündigte. Die verliebten Schwestern sind offenbar reiche Erbinnen eines luxuriösen Landhauses mit Blick auf den Golf von Neapel. Rose verfolgt sie bis in ihr Boudoir, wo sie sich unter Baldachinen kuscheln und mit Puppen tändeln.

Man hat einen wahren Rosengarten vor Augen, mit Stechpalmen, Pinien, Pergola, Terrassen, Teich und Treibhauspflanzen, wie man sie nicht schöner in Dahlem findet. Aber leider erinnert diese kolorierte Pracht bei aller Feinheit der farblichen Abstimmung doch zu deutlich an Makart; wer sie beklatscht, bekundet damit seine Sehnsucht nach dem tiefsten 19. Jahrhundert. Uneingeschränktes Lob gebührt dafür Roses Kostümentwürfen.

Gegen diese überbordenden optischen Reize muß Karl Böhm das Vorrecht Mozarts verteidigen. Er musizierte mit kleiner Orchesterbesetzung und schenkte den Hörern das Glück eines klingenden Pianissimo und dynamischer Zurückhaltung, als richtig empfundene Zeitmaße und eine Kunst der delikaten Gesangsbegleitung, die selten geworden ist. Die Stimmen konnten atmen und aussingen. Das Orchester spielte wie nur an seinen besten Tagen; Patzer kamen nicht vor, denn am Pult hielt der für seine 78 Jahre unglaublich agile Böhm die Fäden jederzeit fest in der Hand, ohne noch der großen Gesten zu bedürfen. Mozart unter Böhm hat Festspielformat, ob in Salzburg oder in Berlin.

Die ununterbrochene Perlenkette von Arien, Duetten und Terzetten verzaubert, wenn ein gleichwertiges Ensemble beisammen ist. Von den sechs Solisten der Neuinszenierung war niemand neu in seiner Partie. Sie ergänzten sich im Stimmcharakter gut und kamen dem Ideal nahe.

Voran standen die beiden Schwestern. Pilar Lorengar bewies mit strahlender Sopran-Leuchtkraft, daß sie außer Puccini noch Mozart singen kann. Neben ihrer fraulich-reifen Erscheinung die jüngere Schwester schalkhaft und höchst apart, auch im Timbre: Brigitte Fassbaender, die Tochter eines im Berlin der 30er Jahre berühmten Sänger-Vaters. (Willi Domgraf-Fassbaender war Kavaliersbariton an der alten Staatsoper.) Wie beide im Schlußbild die weibliche Beschämung nach ihrem Seitensprung-Scherzo spielten, das war eine von Schenk gelenkte psychologische Feinheit für sich.

Erika Köth, nach wie vor eine präzise Mozartsängerin von hohen Graden, konnte als Despina ihre Spielbegabung voll entfalten und erreichte in den parodistischen Verkleidungsszenen Gipfel des Opernhumors.

Mit dem Drahtzieher Alfonso der hier unter Blumen versteckten Täuschungs-Kabale fiel Dietrich Fischer-Dieskau eine Partie zu, in der er (ähnlich wie als Falstaff) seinen Humor ausspielen kann, etwas von Don Juan, etwas von Mephisto in der Perspektive. Er tut es mit verschmitzter Gelassenheit und gesanglicher Souveränität.

Die zwei jungen Offiziere, die ihre Liebsten auf die Probe zu stellen wagen, sind mit Luigi Alva und Barry McDaniel vorzüglich besetzt. Beide trainieren im botanischen Garten der italienischen Schwestern ihr Talent, Herzen zu knacken, mit so viel stimmlichem Schmelz und darstellerischer Gewandtheit, daß sie die Untreue der gelangweilten Damen nur allzu rasch wieder verschmerzen dürfen. Mit ihnen war das Publikum einig im ungetrübten Mozart-Glück.

Wolfgang Schimming

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     B.Z., Berlin-West, 29. November 1972     

    

So machen’s wenige

Das Publikum stand kopf: "Così fan tutte" in der Deutschen Oper unter Karl Böhm

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Grundlegend hat sich der Drahtzieher der Komödie, Don Alfonso, durch Dietrich Fischer-Dieskau verwandelt. Er ist nicht der joviale Charmeur (wie einst Greindl), sondern ein kauziger alter Dachs, ein staksig stolzierender, zipperleingeplagter alter Schwerenöter, der vor den beiden Schwestern mit Mühe seinen Kratzfuß macht.

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Kurt Westphal

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     Spandauer Volksblatt, 29. November 1972     

    

Ein Fest nicht nur für Mozart-Freunde

Meisterhafte Neuinszenierung von "Così fan tutte"

   

Die Deutsche Oper im Glück! die dritte Premiere der Seefehlner-Ära brachte einen Erfolg von solcher Einhelligkeit, einen solchen Sturm heiteren Juibels auch für die Regie und die Bühnengestaltung, wie man es in der Bismarckstraße lange nicht erlebt hat. Mozart machte es möglich. Altmeister Karl Böhm am Pult, der einfallsreiche Regisseur Otto Schenk, ein erlesenes Sextett singender Darsteller zauberten in den sinnenfrohen Bildern Jürgen Roses ein komödiantisches Fest.

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Dabei kommt die drastische Komik nicht zu kurz. Sie ist das Signum der Inszenierung Otto Schenks. Kein Schäferspiel oder Marionettentheater, keinen formvollendeten Tanz, in dem die Figuren die Plätze wechseln, kein mechanisches Arrangement macht er aus der Komödie. Nichts wirkt zynisch oder dürr. Er nimmt die Komödie realistisch, rund und farbenfroh wie einen wohlschmeckenden Apfel, statt gepuderter Perücken trägt man die eigne Frisur. Fiordiligi und Dorabella sind Schwestern aus reichem bürgerlichem Hause, ihre Despina ist kein Kammerkätzchen, sondern Hausfaktotum. Die beiden Liebhaber, die als Offiziere angeblich in den Krieg ziehen, um als "Albanier" im Turban wiederzukehren und über Kreuz ihre Bräute zu umwerben, kommen allerdings aus dem Märchenland. Aber das tun sie ja (für die Mädchen) wirklich. Schenk läßt die Figuren sich bewegen, er entwickelt aus dem Gesang klug die Darstellung, er scheut Gags nicht.

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Sechs Personen, und alles bedeutende und dankbare Rollen! Dietrich Fischer-Diesklau hat als Alfonso weniger zu singen, als das Spiel in Gang zu halten. Der "Philosoph" ist bei ihm kein Zyniker, sondern ein humorvoller Skeptiker, kein eleganter Hagestolz, sondern ein Weiser, von dem man niht einen Moment annehmen kann, daß er die beiden Bräutigame die Wette um das Herz ihrer Geliebten so verlieren lassen wird, daß es ein tragisches Ende nimmt. Er hinmkt ein wenig, einem Flirt mit Despina scheint er nicht abgeneigt. Von weitem grüße Falstaff und Ochs. Nur ganz gelegentlich läßt Fischer-Dieskau seine Stimme aus dem Parlando hervoretreten. Die Rezitative behandelt er mit einer gliedernden Freiheit der Phrasierung, so daß er vieles an der Handlung klarlegt. Eine komödiantische Leistung von hohem Rang.

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Hans-Jörg von Jena

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     The Times, 11. Januar  1973     

   

Stockholm Opera’s biggest event for 10 years

[…]

A few days earlier, the Deutsche Oper Berlin had marshalled some of its biggest stars for a new production by Otto Schenk of Così fan tutte. On nights like this, the Deutsche Oper Berlin can hold its own against any opera house in the world, even though budgeting, as in other houses forces the use of less costly replacements after the first few gala performances. Those lucky enough to attend those early performances heard a cast consisting of Luigi Alva, Brigitte Fassbaender, Dietrich Fischer-Dieskau, Erika Köth, Pilar Lorengar, and Barry McDaniel, conducted by Karl Böhm.

One might reproach Jürgen Rose for having provided sets too weighty for this bit of operatic gossamer, but one must concede their considerable prettiness and note that on two occasions the audience applauded them as soon as the curtain parted. That audience on opening night might conceivably have applauded almost anything: in expectation of all the major talents involved, they arrived in a holiday mood and gave Mr Böhm a full-scale ovation even before he had raised his baton.

The evening provided a few surprises. Miss Lorengar sang most unusually well, and the audience rewarded her with a hurricane of applause which Mr Fischer-Dieskau, at one point, joined in. Miss Köth, always an impressive coloratura, revealed an unexpected mastery of clowning, especially during her two transvestite turns, and had the audience all but roaring with laughter. The rest of the cast sang with all the masterful professionalism which one has come to expect of them. Rising to the occasion, the orchestra and Walter Hagen-Groll’s chorus joined in to make the evening one of the most memorable in this house for some time.

Paul Moor

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     Die Zeit, 15. Dezember 1972     

   

Oper: "Così fan tutte"

Üppigkeit

Üppigkeit schon auf dem Zwischenvorhang: Blumen über Blumen, Farben durch die ganze Palette, fast glaubt man den Duft zu spüren. Für das erste Bild haben Don Alfonso und die beiden Offiziere Ferrando und Guglielmo das Kaffeehaus verlassen, sie tafeln im Innenhof, hoch über dem blauen Meer, vor der Balustrade sind noch die Mastspitzen einer ankernden Schaluppe zu sehen; ein eher vornehmes Viertel in Neapel scheint es zu sein, sauber getünchte Fassaden, unheimlich viel Blumen, ein Baldachin vor dem Eingang - was Wunder, daß die drei hier guter Dinge sind, zumal sie ja auch ganz hübsch tief in die Flaschen gucken.

Auch die Damen Fiordiligi und Dorabella wohnen in Hanglage oberhalb des Strandes, Blumen auch hier in Kästen und Töpfen; ein kleiner Brunnen, ein Wandelgang mit Rankenwerk, ein paar alte Stühle verraten: kein Ausstellungsgelände, hier wird gewohnt und gelebt.

Später zeigen auch die Innenräume: die Herrschaften sind bestens situiert. Säulenhallen mit Lüstern allenthalben, riesigen Lederkissen aus Nordafrika und feinsten Brokaten, im Schlafgemach der Damen luxuriöse Bettchen mit Gardinen aus feinem Tüll, niedliche weiche Kuschelhöhlen zu mancherlei Zweck, wenngleich eine Prachtpuppe beweist, daß zumindest Dorabella noch gelegentlich ins backfischhafte Spiel zurückfällt.

Das ist der Rahmen, den Jürgen Rose für Mozarts "Così fan tutte" an der Deutschen Oper Berlin bereithält: das veristische Neapel der Upper Ten, zweihundert Jahre zuvor. Das bedeutet nicht Aufwand, sondern Geschmack, Stil, Atmosphäre, das hat die Echtheit einer stehengebliebenen Zeit - eines der zauberhaftesten Bühnenbilder, die ich in letzter Zeit sah, opulent, aber niemals protzig, echt, nicht erlogen, sowohl der Realität zugehörig als der Bühnenaktion dienlich. Eine Einladung an den Regisseur.

Otto Schenk hat sie angenommen: seine Mischung aus Realismus und Ironie ist hervorragend dosiert und mit Geschmack serviert. Dietrich Fischer-Dieskau etwa als Don Alfonso: ein schon etwas tattrig gewordener, aber den jungen Leuten doch noch in fast allem überlegener, vor allem als Drahtzieher und Intrigant äußerst kreativer Schwerenöter. Oder Erika Köth als Despina: ein Kammerkätzchen, das schon die ersten Emanzipationsschritte hinter sich hat.

Karl Böhm am Pult - die Mozartianer durften schwärmen. "Così fan tutte" hat in den letzten beiden Jahren manche Deutung erfahren, zwischen Freud und neuer Sentimentalität, durch die aufgeklärte Brille der Verhaltensforscher betrachtet und durch die satirische der Gesellschaftskritik - in Berlin ist es ein Opernfest für Genießer: Schönheit, mit Ironie sparsam, aber wirkungsvoll gewürzt.

Heinz Josef Herbort

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     Süddeutsche Zeitung, 5. Dezember 1972     

    

Auf nach Cythere!

"Così fan tutte" unter Karl Böhm an der Berliner Oper

   

Am Deutschen Opernhaus gab es in der sicher schönsten und strahlendsten Premiere der letzten Jahre dreimal "Così fan tutte" für einmal: als märchenhaft ferne und zugleich ganz gegenwärtige Rokokowelt in den Bühnenbildern Jürgen Roses, als pralle, mitunter fast zu handfeste Komödie in Otto Schenks Regie, schließlich - in Karl Böhms Ausdeutung der Musik - als melancholisch doppeldeutiges Spiel über Ernst und Täuschung, Wahrheit und Vergänglichkeit von Empfindungen, ganz aus den Figuren und ihren wechselnden, inneren Konstellationen heraus entwickelt.

Gemeinsam ist diesen drei Grundauffassungen vor allem, daß sie das Stück nicht gängeln wollen, sondern es sich frei in seiner Atmosphäre entfalten lassen. Die Liebespaare und ihre beiden Regisseure werden nicht - wie fast in allen Inszenierungen - zu zierlichen Marionetten stilisiert, die eine "Schule der Liebhaber" in einer Landschaft aus Meißner Porzellan vorstellen. (So war es in der früheren Berliner Inszenierung Eberts, ein durchaus legitimes, im Stück Da Pontes angelegtes Verfahren, um den Spielcharakter aller Begebenheiten sinnfällig zu machen.) Statt auf solche artistische Distanzierung gehen jetzt Bild und Inszenierung auf Vergegenwärtigung, auf Überredung des Zuschauers, auf seine Verlockung in das minuziös wachgerufene Märchenland von "Così fan tutte".

Die Verzauberung beginnt im Augenblick, da sich zum erstenmal der Vorhang über der Hafenlandschaft hebt: Hinter Cafeteria und Hafenmauer leuchten die Segel eines Schoners vor dem weiten Himmel, dehnt sich das Meer in einem Blau, daß die bundesdeutsche Reisewerbung vor Neid erblassen könnte. Das ist nicht länger der Hafen von Neapel, wie es das Libretto nach altem Buffomuster vorschreibt, es ist auch nicht das Venedig aus Goldonis Komödien: es kann eigentlich nur Cythere sein, das Wunschland der Liebe und Galanterie, wie wir es aus Watteaus und Fragonards Bildern kennen. Jürgen Rose hat sich "ausführliche" Bühnenbilder einfallen lassen, in denen man sich szenenlang mit den Augen ergehen kann, ohne zu ermüden.

Unbekümmert um die romantischen Lichter, die Rose dem Stück aufsetzt, spielt Otto Schenk "Così fan tutte" als ganz und gar diesseitige Komödie à la Goldoni aus: Die Illusion ist die der völlig vergegenwärtigten Alltäglichkeit. Er macht souverän die beiden Schichten des Librettos deutlich, die genau ausgezirkelte, aller Handlung vorausliegende Intrige - Beweis des Titelsatzes an Beispielfiguren - und das burlesk-sentimentale, erotische Zueinander und Durcheinander der Charaktere. Bewundernswürdig, wie er - vor allem im ersten Akt - die Gruppen von Moment zu Moment nach ihrer Situations- und Musikzusammengehörigkeit umordnet, wie er die Binnenregie Don Alfonsos und Despinas unaufdringlich spüren läßt, ohne dadurch aus der Illusion des Natürlichen zu fallen.

Die Besetzung kam der Differenzierung nach Gruppen sehr entgegen. Erika Köth, der die Rollen der Susanne und der Despina so zur zweiten Natur geworden sind, daß der Regisseur beinahe nur stören kann, und Fischer-Dieskau als staksender, vollgewichtig-jovialer Zyniker beherrschten durch ihre komödiantische Verve und durch ihre Rollenausstrahlung - Parlando und Arien stehen da wie selbstverständlich im Dienst der Charakterisierung - die Bühne. Pilar Lorengar als Fiordiligi und Brigitte Fassbaender als Dorabella ließen keinen Zweifel aufkommen, daß die Mannsbilder um ihrer, der Damen, Gefühle willen da seien und nicht umgekehrt, während Luigi Alva und Barry McDaniel auch stimmlich leichtgewichtiger und luftiger wirkten.

Das alles war durchgehend sehr überzeugend szenisch umgesetzt. Dagegen habe ich meine Zweifel, ob die rastlose Bewegung aller Akteure, das ständige Zappeln der Einfälle und die deftigen Schäkereien dem Stück wohlanstehen, von Mozarts Musik ganz zu schweigen. Natürlich lacht das Publikum immer dann am meisten, wenn sich die lüsternen Schwestern wechselseitig auf den Rücken legen oder wenn Don Alfonso bei einer lyrischen Passage aus seinem Versteck heraus nach seinem Hut angelt. Aber auf die Dauer ist es ärgerlich, daß bei jeder Arie im Hintergrund herumagiert wird.

So hat es die Musik schwer, sich gegen die witzige, aber etwas laute Regie durchzusetzen, zumal Karl Böhm nachdrücklich den Ernst und die Bitternis hinter aller Lustigkeit hervorhebt. Wohl spielt er sein berühmtes Brio dramaturgisch aus: Das Presto des ersten Finales etwa trieb die Sänger bis an den Rand des noch Möglichen. Wohl genießt er den Witz und die Mehrdeutigkeit der Partitur ganz. Aber wenn man überhaupt sagen kann, daß er Mozart in einer bestimmten Richtung interpretiert - und "Così fan tutte" klingt bei ihm so gelassen und selbstverständlich, als könne man Mozart gar nicht anders dirigieren -, dann tut er dies eben in Richtung auf die latente Melancholie der Musik.

Darüber kommt es in den Anfangsszenen zu fast befremdlichen Effekten, wenn in den lichten Märchendekorationen außer den beiden Damen, deren große, dramatische Stimmen ohnehin für einen Jux nicht zu brauchen sind, auch die fröhlichen Bühnenrüpel, verkürzt so genannt, in empfindsame Kantilenen fallen und den gespielten Unernst durch den gesungenen Ernst widerlegen. Erst mit dem Zurücktreten der Regie im zweiten Akt setzt sich dann Böhms Interpretation der Oper frei durch, hebt die Widersprüche wehmütig-beglückend auf: Die Parklandschaft ist dunkler geworden, das Spiel der Beteiligten langsamer. Da gab es in den beiden großen Duetten und in der hinreißend gesungenen Arie der Fiordiligi (Pilar Lorengar mußte da außer den fast unüberwindlichen technischen Schwierigkeiten der Arie auch noch die Nervosität des Hornisten meistern) Augenblicke höchster Vollkommenheit und Verzauberung. Auf einmal waren die Musik und die Vision einer abgeschirmten, halb märchenhaften Traumwirklichkeit in selbstverständlicher Übereinstimmung.

Am Schluß gab es verdiente Ovationen des mitgerissenen, begeisterten Publikums.

Norbert Miller

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     Frankfurter Rundschau, 6. Dezember 1972     

    

Gut geölt

"Così fan tutte" in der Deutschen Oper

    

Fünfzig Sekunden vor dem ersten, sechzig Sekunden vor dem zweiten Akt, lang tosender Beifall am Schluß - und nicht nur für Karl Böhm.

West-Berlins neuer Operngeneralintendant setzt auf Star-Theater. Und das Publikum spielt die ihm zugedachte Rolle bereitwillig mit. Zu beklatschen hatte es eine "Così fan tutte"-Inszenierung von Otto Schenk, die opulenten Bühnenbilder von Jürgen Rose - sogar auf offener Szene - und das Sängersextett Lorengar / Fassbaender / Alva / McDaniel / Köth / Fischer-Dieskau. West-Berlins Opernwelt scheint wieder heil - wenigstens sechs Vorstellungen lang. Dann kehrt wieder Opernalltag ein, und die Zuspätgekommenen mögen sich mit den Brosamen begnügen. Etwas Besseres wird ihnen wohl so schnell kaum wieder geboten werden, auch das muß man sagen.

Schenk läßt auf Burleske spielen. Mozart-Feinschmecker mögen mäkeln, daß dadurch musikalische Feinheiten verlorengehen. Aber vielleicht liegt in der Überdrehung die einzige Chance, diesen Text Da Pontes heute überhaupt noch über die Rampe zu kriegen. Oder kann man es noch ertragen, mit welcher Frivolität hier (vom "Volk" dazu!) Krieg und "Militärleben" angepriesen werden; was hier für "ewige" Weisheiten über Frauen zum besten gegeben werden ("So machen’s alle": ihren Männern "untreu" werden; was aber die Herren Männer machen, danach kräht kein Hahn - und schon gar nicht die Moralhüter des 19. Jahrhunderts, denen die "Frivolität" des Partnerwechsels nicht schmecken wollte); wie die Frauen gedemütigt werden, damit sie ihre "Schuld" eingestehen?

Die Sänger agieren in dieser Aufführung - ausnahmsweise - auch einmal wie richtige Schauspieler, wie Komödianten sogar. Voran Dietrich Fischer-Dieskau als Drahtzieher der ganzen Frauen-Sicherheits-Erprobung und Erika Köth mit einem Hang zum Proletarischen als Zofe und in ihren diversen Verkleidungen. Böhm hält am Pult haus mit Zeichengebung. Das kleine Maschinchen hat er - einige Synchronisationsschwierigkeiten in der Premiere ausgenommen - gut geölt.

Georg Friedrich Kühn

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     Neue Zürcher Zeitung, 10. Januar 1973     

    

Westberliner Musikbrief

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Auf ungleich höherem Niveau ließ auch die Novemberpremiere von "Così fan tutte" unbefriedigt. Musikalisch gab ihr Dr. Karl Böhm die gleiche Differenzierung und klangliche Transparenz wie der sommerlichen Aufführung in Salzburg. Das war orchestral, chorisch und in der Anpassung an die singenden Solisten ein Labsal, zudem für den 78jährigen Dirigenten ein huldigender Erfolg. Eine Elite von Sängern hatte Rechtens daran teil. Allen voran Pilar Lorengar, deren Sopran die Fiordiligi wahrhaft beseelte, neben ihr Erika Köth als entzückend trampelige Despina und, aus der Salzburger Aufführung übernommen, Brigitte Fassbaender als Dorabella. Auch Dietrich Fischer-Dieskau hatte schon in Salzburg den Philosophen Don Alfonso gesungen; doch spielt er ihn hier mehr rustikal als vornehm, gemäß der Inszenierung, deren Stil sich auch Barry McDaniel als Guglielmo und Luigi Alva als Ferrando zu fügen haben.

Für die vergröbernde, in Jürgen Roses Dekors zwischen Naturalismus, Himmelbettenbanalität und exotisierender Geschmacklosigkeit wechselnde Mise-en-scène zeichnet Otto Schenk verantwortlich. Wieviel Können ist da an eine seichte Vulgarisierung der Fabel vertan! Der äußere Erfolg der Premiere war groß; ihr Nachgeschmack ist aus Entzücken über das musikalische und Unbehagen über das szenische Bild gemischt.

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H. H. Stuckenschmidt

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     Basler Nachrichten, 6. Dezember 1972     

    

Neueinstudierung unter Karl Böhm in der Deutschen Oper Berlin

Stürmischer Beifall für "Così fan tutte"

    

Einhelliger Beifall durchbrauste das Haus. Über zwanzig Vorhänge nach Schluß der Vorstellung. Nur selten hat bisher die Deutsche Oper Berlin einen annähernd ähnlich einmütigen Erfolg erringen können. Karl Böhm stand am Pult, der Garant für höchste Qualität einer Mozart-Aufführung. Ihm galt in erster Linie der Dank des hochbeglückten Publikums wie der Solisten, die sich vor dem Vorhang um ihn scharten. Die mit Spitzenkräften erstrangig besetzte Neuinszenierung, voller spielerischer Heiterkeit (Regie: Otto Schenk) in einem das Auge betörenden Dekor (Ausstattung: Jürgen Rose) versetzte die Zuhörer über den Abend hinaus in eine noch lange nachwirkende Verzauberung. Das Publikum hat lautstark und intensiv demonstriert, was es wünscht. Könnte ihm das nicht öfter erfüllt werden? Die Ära Seefehlner ließe es erhoffen und erwarten.

Otto Schenk inszenierte das Spiel um Treue und Untreue nicht in der gewohnten Opernsterilität "stilechter" Wiedergabe, sondern ließ jede Figur voller Lebendigkeit agieren. Mit einer Überfülle übermütiger Verspieltheiten und witziger Einfälle trieb er das Spiel in rasantem Tempo über alle dramaturgischen Schwächen hinweg auf den buffonesken Höhepunkt, zum Schluß die Farce noch mit einem letzten Einfall krönend, als zur Versöhnung sich wieder die Falschen in die Arme fallen und dann erst die Richtigen sich finden. Da italienisch gesungen wurde, blieben viele textliche Feinheiten unverstanden. Nur durch die Eindringlichkeit von Mimik und Spiel wurde dem Normalhörer in diesem Verwandlungs- und Verführungsspiel der Witz mancher Szene begreiflich.

Die Ausstattung von Jürgen Rose war von verschwenderischer Opulenz. Jedes Bild war ein Augenschmaus in satten, leuchtenden Farben und von duftiger Atmosphäre, vom Publikum wiederholt mit Sonderapplaus bedacht. Jürgen Rose kleidete die jungen Damen mit reicher Phantasie und Geschmack in Kostüme, von denen jedes das andere an Kostbarkeit übertraf, gipfelnd in den weißseidenen, handgemalten Rokokogewändern des Schlußbildes, mit denen die brokatenen Kleider der zu Albanesen verwandelten Liebhaber übers Kreuz farbenprächtig kontrastierten.

Pilar Lorengar, in stimmlich hervorragender Verfassung, gab der Fiordiligi jungdamenhafte Noblesse und Empfindsamkeit. Auch sie weiß zu tändeln und zu scherzen, doch bleiben ihre Gefühle hinter fraulich reifer Zurückhaltung verborgen. Der Strom ihres mildleuchtenden Soprans gab die Reinheit mozartscher Melodik in vollkommener Makellosigkeit wieder. Brigitte Fassbaender war ihre temperamentvolle ungeduldige Schwester Dorabella. Quicklebendig, verschmitzt, mit jungmädchenhafter Drolerie entzückend anzusehen, ihren schön timbrierten Mezzosopran klug einsetzend, wird sie eher anfällig für die stürmischen falschen Liebesbeteuerungen des vermeintlichen Anbeters. Erika Köth weicht dem üblichen Opera-buffa-Kammerkätzchen auf ihre urwüchsige Art aus. Ihre ländlich pfiffige Despina ist für blanke Münze sofort bereit, in dem tollen Täuschungsmanöver Don Alfonsos in ebenso raffinierter wie komischer Weise mitzuwirken und alle Register opernhafter Komik zu ziehen. Die vollendete Mozartsängerin weiß sogar, zur Freude des Publikums, mit parodierenden Tönen überraschend aufzuwarten.

Die beiden Verlobten und zugleich Verführer, Ferrando und Guglielmo, die aus ihrem frivolen Spiel mit Mädchenherzen als betrogene Betrüger hervorgehen, waren mit Luigi Alva und Barry McDaniel hervorragend besetzt. Der etwas schmale Tenor Alvas erwies einen lyrischen Mozartsänger von hohen Graden. McDaniel gab mit seinem leichtflüssigen Bariton und seiner spielerischen Gewandtheit dem schwärmerisch anbetenden Albanesen elegante Figur. Dietrich Fischer-Dieskau nahm dem Philosophen Don Alfonso die aus der Commedia dell’arte gewohnte Überlegenheit eines weisen alten Drahtziehers im Spiel von Marionetten, die nach seiner Pfeife tanzen. Hier setzt Don Alfonso wohl das von ihm um einer Wette willen ausgedachte Täuschungsspiel in Gang. Als übermütiger Junggeselle läßt er aber dem Spiel seinen Lauf, spielt mit und greift als Regisseur des Spiels nur ein, wenn die Entwicklung es fordert.

Über allem schwebt Mozarts wunderbar kühle, adelige Musik von alkyonischer Reinheit. Sie gibt der Farce jene Hintergründigkeit, die über erprobte Bühneneffekte hinaus dieses Singspiel zu einer Komödie des Menschlich-Allzumenschlichen macht. Kein anderer als einzig der heute mit seinen 78 Jahren als Mozartinterpret auf einsamer Höhe stehende Karl Böhm vermochte die musikalische Perlenkette des Mozartschen Ingeniums in vollkommener Schönheit aufleuchten zu lassen. Das Publikum, das schon bei der Pause mit lautstarkem Beifall seine Begeisterung bekundete, war am Schluß außer sich vor Freude über den Genuß dieser Sternstunde.

Johann Friedrich Hasse

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     Rheinische Post, Düsseldorf, 7. Dezember 1972     

       

Makart-Kitsch und Stimmen-Glanz

Berliner "Così" unter Karl Böhm

   

Vergleichbare Jubelstürme wie bei der Neuinszenierung von Mozarts "Così fan tutte" hat die Deutsche Oper Berlin in ihrer jungen Geschichte selten erlebt. Es war ein Sieg des bunten, heiteren Theaters und der genießerischen Zubereitung. Vor allem Karl Böhm triumphierte. Der Regisseur Otto Schenk, für Schauspiel und Oper gleich begabt, kehrte den ausgelassenen Spaß hervor, der menschliche Hintergrund mußte sich mehr von selbst ergeben.

[...]

Die Besetzung war opulent. Pilar Lorengar agierte als fraulich reife Fiordiligi mit strahlender Sopran-Leuchtkraft neben Brigitte Fassbaenders schalkhafter, stimmlich sehr aparter jüngerer Schwester Dorabella. Erika Köth war als Despina keine trippelnde Zofe, sondern ein Mädchen vom italienischen Lande mit gesundem Menschenverstand. Erika Köth erklomm in den parodistischen Verkleidungsszenen Gipfel des Opernhumors. Wie in Salzburg sang und spielte Dietrich Fischer-Dieskau den Drahtzieher Alfonso; er hatte Züge eines Don Giovanni, aber auch eine Spur von Mephisto ("Hab’ ich doch meine Freude dran..."). In komischer Attitüde war er ein so lockerer Mitakteur, daß man zum Vergleich mit diesem Glücksfall nur seinen herrlich humoristischen Falstaff von früher heranziehen konnte. Die zwei jungen Offiziere, die ihre Liebsten auf die heikle Probe zu stellen wagen, waren mit Luigi Alva und Barry McDaniel vorzüglich besetzt.

Wolfgang Schimming

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     Wiesbadener Kurier, 9. Dezember 1972     

   

Berlin

Glücklicher Griff

Schenks "Così" unter Böhm

   

Jubelnden Erfolg erntete die neueste Produktion der Deutschen Oper Berlin. Mozarts "Così fan tutte" bedeutete nun allerdings auch, gesamtkünstlerisch gesehen, den glücklichsten Griff seit langem. Karl Böhms wunderbar unprätentiöse Ausdeutung, der sich ein hochbezahltes Ensemble, Pilar Lorengar, Brigitte Fassbaender, Dietrich Fischer-Dieskau, Erika Köth, Barry McDaniel und Luigi Alva, mit spielerischer Lust hingab, hätte allein schon begeisterte Akklamation gefunden. Darüber hinaus galt aber besonders Jürgen Roses Bühnenbildern, die geschickt den riesigen Raum optisch einengten, entzücktes Erstaunen. Die Szenen im Freien waren mit üppigen floralen Accessoires, hohen Bäumen und spendablen Blumen-Arrangements ausgestattet.

Otto Schenk hat das Spiel auf die Probe gestellter Treue mit sehr viel Erfindungsgabe und deutlichem Sinn für charakteristische Inventionen in Bewegung gebracht. Das ist für eine deutsche Opernaufführung beträchtlich. Selten sieht man einmal eine Inszenierung, in der sich reisefreudige Stars derart unbeschwert einem regelrechten Konzept unterordnen, alle arienhafte Erstarrung ablegen, Wohlklang und Darstellung in pure, fröhliche, dabei fast verspielte Motion einbringen. Und dennoch: Schenks Regie ist die Demonstration bewußter, sichtbar erarbeiteter Einfälle. Jene Eleganz, jene, pompös gesagt, internationale Selbstverständlichkeit, wie sie unlängst an John Copleys "Figaro" in Covent Garden faszinierte, waltet hier nicht. Auch im Ungewöhnlichen bleiben wir schön zu Hause.

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Peter Hans Göpfert

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     Südwest-Presse, Ulm, 30. November 1972     

   

Ab in die Daunen!

Nichts von wehen Herzen: eine Luxus-"Così" in Berlin

   

Während der Name Karl Böhm für das Nonplusultra Mozartscher Werktreue steht, wird man sich schwer tun, an dem Wiener Reise-Regisseur Otto Schenk und an dem derzeit für den teuersten Ausstattungs-Pomp bürgenden Bühnenbildner Jürgen Rose ungeschmälert Gefallen zu finden. Den beiden Szenatoren schwebte eine luxusverpackte "Così fan tutte" vor, wie sie sich selbst Salzburg nicht leisten kann. Die Deutsche Oper Berlin aber kann es, und sei es um den Preis, eine kammerspielzarte Opera buffa von höchsten geistigen Graden zu plumpsten "Rosenkavalier"-Ausmaßen aufzuplustern. Der 78jährige Karl Böhm, der die Mozart-Meisterpartituren delikat und weise auszuleuchten versteht wie kein zweiter, mußte es sich hier gefallen lassen, daß ihm die auf klamottige Gags erpichte Regie Publikumsapplaus mitten in die schönsten Ensembles prasseln ließ - und daß Jürgen Rose, der seinem Namen alle Ehre macht, für seine wie von Fleurop bestellten Gewächshaus-Tableaux und Boudoir-Schleier Szenenbeifall kassieren durfte, kann beim landesüblichen Geschmack des Opernpublikums kaum verwundern.

[...]

Doch cosi fan tutte, so machen’s alle: die Bitternis dieser chemischen Liebes-Analyse von Lorenzo da Ponte (nicht sein schwächstes, sein bestes Libretto ist dies!), die geometrisch abstrahierte Infrastruktur des nur an der Oberfläche harmlos dahinsprudelnden Werkes, das heuchlerische und letztlich unmögliche Happy-End.

[...]

Die von Mozarts Terzenseligkeit als hohl ironisierten ständigen Treueschwüre, die durch den Handlungsablauf zunehmend als erwiesen belegte Fragwürdigkeit menschlicher Liebesbeziehungen, darüber inszenieren alle "Così"-Regisseure unbedenklich hinweg.

Vollends am tieferen Sinn und den wehen Herzenstönen vorbei, obwohl sie aus dem Orchestergraben von Karl Böhm unermüdlich angemahnt werden, holterdipolter das Geschehen, wenn die Sänger betont komödianitsch sein wollen. Ein Mann wie Dietrich Fischer-Dieskau kann das natürlich ganz nach Bedarf: Sein Don Alfonso betätschelt denn auch greisen-lüstern Mädchenpopos als sei er Falstaff, doch vom intellektuellen Zynismus dieses mephistofelischen Unheilstifters ist nichts mehr zu spüren (obwohl genau dies in einem Programmheft-Beitrag als Quintessenz der Figur geschildert wird und obwohl Fischer-Dieskau in Salzburg seine Rolle entsprechend auf Gentleman-Distanz gehalten hat).

Auch die beiden hinterlistig in Versuchung geführten Schwestern (Pilar Lorengar und Brigitte Fassbaender, beide Idealbesetzungen) müssen sich wie alberne Gänse benehmen, am Huttuch tändelnd zupfen und sich vor schierem Übermut mit Hechtsprung in die Daunenbetten werfen. Ihren Kavalieren (merkbar blasser als ihre Salzburger Konkurrenten: Luigi Alva und Barry McDaniel) bleibt da kein Grund, sich von dem folgenschweren Liebestest ernsthaft erschüttert zu zeigen.

Daß bei solcher All-round-Heiterkeit das Kammerzöfchen Despina (noch immer mit perfekten Sopran-Oberlagen: Erika Köth) die anderen an neckischem Frohsinn noch übertrifft, ist beachtlich.

Christoph Müller

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     Bild-Zeitung, Ausgabe Berlin-West, 29. November 1972     

   

Schöne Darsteller und noch schönere Stimmen

"Così fan tutte" - Glanzvolle Premiere in der Deutschen Oper

    

Das war rundum prima! Mozarts komische Oper "Così fan tutte" - auf gut deutsch: "So machen’s alle" (nämlich die Frauen!) hatte am Montag eine glanzvolle Premiere in der Deutschen Oper.

So wollen’s offensichtlich alle: Schöne Darsteller mit noch schöneren Stimmen auf der Bühne, am Pult Karl Böhm, mit 78 Jahren der vitalste und hinreißendste Operndirigent unserer Tage, und - Prunk und Pomp! Hier wurde nicht gespart. Handgemalte Damast-Himmelbetten, seidene, kostbare Kostüme und dazu eine Blütenpracht ohnegleichen hat Ausstatter Jürgen Rose für den Regisseur Otto Schenk auf die Bühne gestellt. Daß die Sänger und Mozarts Musik oft in Gefahr gerieten, erdrückt zu werden, störte das Publikum nicht.

Es ist dankbar, eine solche Sänger-Elite hören zu können: Pilar Lorengar und Brigitte Fassbaender sind die beiden bravourös singenden Schwestern, deren Treue von zwei Offizieren auf die Probe gestellt wirdl Stimmlich und darstellerisch herrlich: Luigi Alva und Barry McDaniel. Zum Schein ziehen sie in den Krieg, um als Albanesen verkleidet sich den Schwestern zu nähern.

Daß es nach vielen vergeblichen Besuchen gelingt, die Schwestern "rumzukriegen" und fast bis zum Altar zu schleppen - dafür sorgt der lebensweise Don Alfonso im Verein mit der in seinen Plan eingeweihten und gar nicht prüden Despina. Denn es geht um eine Wette, die Don Alfonso gewinnt! Für Dietrich Fischer-Dieskau und Erika Köth Gelegenheit, nicht nur schöne Stimmen hören zu lassen, sondern sich auch als Komiker-Paar austoben zu könen.

Otto Schenk gibt als Regisseur dem Sänger-Sextett und dem vortrefflichen Chor (Leitung: Walter Hagen-Groll) alle Möglichkeiten zu komödiantischem Spiel. Das Fest schöner Stimmen wurde begeistert gefeiert.

Margarete Roemer

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