Zur Oper am 31. Juli 1973 in Salzburg


    

     Die Presse, Wien, 2. August 1973

Freuden sonder Zahl

Karl Böhm leitete "Così fan tutte" mit einem unübertrefflichen Ensemble

     

Wem auch nur einmal ein Moment des Zweifels oder der Müdigkeit an Festspielen so ganz im allgemeinen oder an denen in Salzburg im besonderen angeflogen ist, der war nach "Così fan tutte" unter Karl Böhm gründlich geheilt. Daß es früher einmal möglich war, eine ähnliche Aufführung aus Wien nach Salzburg zu senden, könnte den Lokalpatrioten wehmütig stimmen. Daß sie nun wenigstens noch in Salzburg zu erleben ist, gilt trotzdem sehr viel mehr.

Schon im Vorjahr war die Seligkeit groß, Böhm hat für seine "Così fan tutte" Sänger von Format der Damen Gundula Janowitz, Brigitte Fassbaender, Reri Grist, der Herren Peter Schreier, Hermann Prey und Dietrich Fischer-Dieskau und die Musiker der Wiener Philharmoniker zu einem Ensemble vereint, wie es auch heute, ein Jahr darauf, kein zweites auf der Welt gibt. Die erste Voraussetzung einer großen Aufführung also, Qualität, ist wahrlich gegeben.

Weiter aber schenkt Böhm wieder und mit unverminderter Frische und Weisheit den Sängern, den Musikern und den Musikfreunden sein Wissen um Mozart - wobei gar nicht mehr zu unterscheiden ist, ob das nun tatsächlich ein erarbeitetes Wissen oder nicht ein durch glückhafte Umstände zustande gekomenes anderes, ein Geschenk des lieben Gottes ist: Andere mögen sich bemühen, Mozart zu interpretieren, Böhm dirigiert ganz einfach Mozart.

Und alles, wirklich alles stimmt. Jedes Tempo, jede Schattierung, jede Passae im Orchester und jede kleine Nuance von der Bühne her. Als gäbe es gar keine Schwierigkeiten, als sei es ganz selbstverständlich, als müßter eigentlich jedermann wissen, wie man so etwas macht.

Eine Aufführung von "Così fan tutte" unter Karl Böhm nachzuerzählen, hieße, sie Arie für Arie, Ensemble für Ensemble noch einmal genießen, allein die präzisen Einsätze Takt für Takt hervorzuheben und immer wieder zu beteuern, daß keine Szene oder Situation überspitzt, kein Spaß überhitzt, keine Liebesbeteuerung zu sehr ins Sentimentale gezogen wird. Man hat, andauernd und stets mit einem großen Glücksgefühl, die Sicherheit, so habe es Mozart gewollt und so singe und musiziere es sich gewiß sehr einfach - geführt von einem großen alten Mann, der manchmal nur ganz kleine Zeichen gibt, dann wieder aufspringt und auch vom Orchester ein Forte verlangt, bei dem aber nie gehaucht und nie gebrüllt, sondern immer sehr real und überirdisch schön zugleich Mozart dargestellt wird.

Auf der Bühne, die genauso putzig ist wie im vergangenen Sommer, sind Günther Rennerts Regieanweisungen nicht vergessen worden. Im Gegenteil. Alle sechs Darsteller hüpfen und quirlen von Stellung zu Pointe und wieder weiter, selbst ein so kluger Sänger wie Fischer-Dieskau besteht ununterbrochen aus angewinkeltem Tanzbein und possierlich gereckten Armen und ist so italienisch deutsch, nein, so deutsch italienisch, wie man sich das nur vorstellen kann. Wo immer es nur angeht, gesellt sich auch noch ein siebenter dazu, ein Pantomime offenbar, der einen malerisch schmutzigen Kellner, ein Faktotum Don Alfonsos darstellt und sich stumm ins Spiel mengt. Dagegen wie gegen andere Übertreibungen ließe sich polemisieren. So viel exerzierter Schnickschnack ist wirklich nicht notwendig. Allein, seit Caspar Nehers genialer Szene im Hof der Residenz sind viele Jahre vergangen, und alle anderen Bühnenbildner haben zu "Così fan tutte" eben in den Lüften tanzende Krammetsvögel, aus dem Himmel herabschwebende Hollywoodschaukeln und ähnliches Tandaradei anzubieten.

Man kann es weder wichtig noch ernst nehmen. Solange Karl Böhm uns diese Aufführung dirigiert, mag auf der Bühne geschehen, was Rennert oder sonstwer will. Solange er sich bereit erklärt, auch nur eine oder zwei Aufführungen im Sommer zu leiten, wollen wir sie miterleben und Mozart auf Erden genießen. Solange es auch nur eine Chance gibt, müßten wir auch versuchen, diese Aufführung, wenigstens teilweise die Besetzung und unter allen Umständen Karl Böhm auch wieder nach Wien zu holen. Nicht für irgendeine Premiere in eineinhalb Jahren. Sondern für jeden noch offenen Termin. Lieber heute als morgen.

Es wäre ungerecht, die Sänger zu vergessen, es ist unmöglich, sie mit dem angemessenen Lob differenziert zu überschütten. Sie waren alle wirklich ausgezeichnet. Es wäre aber fatal, erwähnt man diesmal nicht, wie hörbar glücklich die Wiener Philharmoniker spielten. Es muß ihnen ähnlich ergangen sein wie dem Berichterstatter. Mit dem ersten Takt von "Così fan tutte" fanden sie sich in unser aller musikalischem Himmelreich. Wo es nicht mehr Gut und Böse, sondern nur mehr Freuden sonder Zahl gibt. Beim einzig richtigen Mozart.

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Franz Endler

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     Kurier, Wien, 2. August 1973

Salzburg: "Così fan tutte" als Reprise

Eine Farce, weiter nix?

    

"Was Sie jetzt erleben werden, das können Sie auf der ganzen Welt nicht sehen, weder an der "Met" noch in Wien", meinte ein Herr vor der Vorstellung zu seinen Bekannten aus der Bundesrepublik.

Hätte er statt des Wortes "sehen" ein anderes, nämlich "hören" verwendet - man müßte ihm aus vollem Herzen beipflichten. Aber so? Zu sehen ist nämlich das peinliche Mißverständnis eines Klasseregisseurs, der sich auf Kosten Mozarts und Da Pontes einen Jux machen wollte: Zu sehen ist die Rennertsche "Così fan tutte"-Produktion aus dem Vorjahr, die zum absoluten Kassenschlager und Publikumshit geworden ist, obwohl sie weder Stil noch Geschmack noch Charme besitzt.

Zu sehen ist außerdem ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Theaterzeiten. Denn in Salzburg ist dieses oft mißverstandene Werk in den letzten 20 Jahren in exemplarischen szenischen Varianten gezeigt worden. Hier hat "Così" eine Entwicklung durchgemacht: von der klassisch-symmetrischen Produktion Schuhs über die aufgelockerte parodistische Erstfassung Rennerts bis zu Ponnelles Versuch, in realistische Gefilde vorzustoßen.

Er hat dem Scherz, der Satire die tiefere Bedeutung abgewonnen, hat aus den vier Marionetten, die am Faden der Intrige - Alfonsos Intrige - hängen, wieder Menschen gemacht. Menschen, die sich versuchen, sich verletzen, die Glück und Traurigkeit empfinden, die lieben, aber auch leiden können.

Nichts von alledem in Rennerts zweiter Version. Hier wird von allem Anfang an Klamotte gespielt, hier agieren sechs beinahe seelen- und gefühllose Rokokopuppen, hier wird nicht wirklich geliebt, nicht wirklich gescherzt, nicht wirklich Abschied genommen, nicht wirklich getrauert, nicht wirklich geflirtet. Hier geschieht alles nur als ob.

Das Spiel mit der Liebe ist total ungefährlich, weil niemand echt beteiligt ist. Eine Farce und weiter nix. Das will uns Rennert weismachen. Doch bei Mozart klingt es anders.

Aber was soll’s? Das Publikum gluckst beglückt über die schwarzen Rosen und Vögel Ita Maximownas, es ist entzückt über die Chinoiserien, über das ganze Gehopse und Getändel und Geblödel. Wer sind Fiordiligi und Dorabella, was fühlen Ferrando und Guglielmo wirklich? Niemand fragt - doch einer gibt Antwort.

Karl Böhm. Er spricht die Sprache Mozarts, durch ihn erhalten die Bühnenfiguren Leben. Puls und Herzschlag werden spürbar, Nerven werden bloßgelegt. Neben der Zärtlichkeit die Grausamkeit, neben der Verführung die Liebe. Aus dem Orchestergraben, wo die Wiener Philharmoniker mit ihm musizieren, kommt die wahre Botschaft Mozarts.

Ein Idealteam (Janowitz, Fassbaender, Grist, Schreier, Prey, Fischer-Dieskau) wurde vom Regisseur verführt. Die Herrlichkeit des Gesangs tröstet darüber n icht hinweg.

Andrea Seebohm

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     Die Welt, Ausgabe Berlin-West, 29. August 1973

Mozart im Spiel der Mächtigen

Festival-Opern in Salzburg

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Beginnend im nächsten Sommer, will Strehler im Abstand von jeweils zwei Jahren die fünf "großen" Opern Mozarts inszenieren, aber er hat darüber hinaus seine Bereitschaft bekundet, sich zwischendurch auch einmal des "Schauspieldirektors" anzunehmen.

Strehlers Partner wird Karajan sein, und das liest sich auf den ersten Blick so imponierend, daß selbst ein Skeptiker versucht sein könnte, die Zukunft der Salzburger Festspiele ein bißchen rosiger zu sehen. Aber man sollte vorsichtshalber doch zweimal darüber nachdenken, um zu begreifen, was hinter diesem Opernspiel der Mächtigen steckt. Wenn Strehler und Karajan, beginnend mit der "Zauberflöte", einen großen Mozart-Zyklus erarbeiten wollen, dann heißt das zugleich doch, daß man in Salzburg ausgerechnet jenen Mann ausschaltet, dessen Mozart-Interpretationen heute Maßstab sind: Karl Böhm. Für ihn bliebe eigentlich nur "Titus" übrig - oder eben der "Schauspieldirektor".

Das hört sich an wie ein dummer Witz, und jeder Musikfreund, der in diesem Sommer wieder miterlebt hat, wie herrlich Böhm "Così fan tutte" musizierte, mag sich ernsthaft fragen, ob sich das Salzburger Direktorium der Konsequenzen seines Entschlusses, Strehler und Karajan grünes Licht zu geben, überhaupt bewußt gewesen ist. Das Publikum hat sich in diesem Zwiespalt längst entschieden. Schien es vor einigen Jahren noch, als wäre Karajans Vorsprung uneinholbar, so hat Böhm mittlerweile gleichgezogen, gefeiert mit einer fast demonstrativen Herzlichkeit, vor allem für seine "Così fan tutte", die heute vielleicht reichste und gültigste Mozart-Aufführung überhaupt. Böhm glättet, poliert, beschönigt nicht, schärft vielmehr die Kontraste, sucht die Reibungen, und das Resultat ist immer wieder nervig, spannend, dramatisch.

Im Gegensatz zu Böhm hat Günther Rennert für diese "Così" des Jahrgangs 1972 einige sehr schlechte Zensuren bekommen, und das erscheint doch recht sonderbar. Verspielt und kunstgewerblich ist zwar die Ausstattung Ita Maximownas, aber ganz gewiß nicht die Zeichnung der Rollencharaktere. Im Gegenteil: Rennert spürt der Schwärze des psychologischen Hintergrunds mit einer Genauigkeit und Sensibilität nach, die sich jedem dummen Gag versagt. Beherrscht wird seine Inszenierung von zwei Drahtziehern, wie man sie klüger, listiger, selbstvergnügter nicht denken kann: Reri Grist (Despina) und Dietrich Fischer-Dieskau (Don Alfonso). Aber jede "Così" entscheidet sich an Fiordiligi, und gerade in diesem Falle haben Böhm und Rennert das Glück, daß Gundula Janowitz nicht nur über so illustre Partner wie Peter Schreier, Brigitte Fassbaender und Hermann Prey, sondern auch über sich selbst hinauswächst.

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Gerhard Brunner

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     Salzburger Nachrichten, 2. August 1973

Spiegelschrift der Liebe

"Così fan tutte" – Spiel und Ernst bei Mozart – Die Opera buffa unter Karl Böhm

    

Die Neueinstudierung ist im Vorjahr, als man sie im Kleinen Festspielhaus zum erstenmal hörte und zu sehen bekam, in allen Tönen besungen worden. Karl Böhm hat seiner früheren "Così"-Tradition in Salzburg – in der Residenz, im Landestheater – nun eine Stufe hinzugefügt, auf der die Legende neuen Stoff erhält. Ist er ein Wundermann der Mozart-Kultur oder, anders gefragt, was bewirkt Mozart an Böhm? Welches Elixier ist dabei im Spiel? Hat man, selbst bei getreuer Erinnerung an die sensationellen Abende vor zwanzig Jahren (damals hieß die Troika Böhm –Schuh – Neher), eine so von Geistesgegenwart sprühende, elektrisierend nahe "Erscheinung" von Musik erlebt wie jetzt? Dieses in Licht getauchte, oszillierende, völlig ungreifbare Gefieder eines Phönix? Manches Stück hört sich an wie einem Bad von Farben entstiegen, kühl wie Tau. Wer beschriebe den Es-Dur-Klang in der Dorabella-Arie mit der Beschwörung der Eumeniden – da gerät in den peitschenden Geigenfiguren die Herzensqual ins Unwirkliche der Ironie, und man weiß, daß diese Liebende mitten im Sturm der Gefühle ihr Gegenbild schon gesehen hat. Man weiß es mit Mozart. Man brauchte keine Szene dazu. Der Dirigent, das Agitato der Streicher – es ist gesagt, was kommen muß.

Und dieses scharfe, gewagte, immer an den Rand des Frevels verlegte Zielen auf Gegenbilder geleitet den Zuhörer aus der Ouvertüre herauf durch den ganzen Lauf der Musik und der Dinge -, die sie bewegt. Sie treibt voran und spielt Verstellung, Tausch, Wankelmut, Kühnheit, Zorn – und Umkehr. Sie schafft die Laune zur Liebesprobe, sie liefert Hohn und Hoffnung und beides zusammen, in Parodie: die durch alle Lagen ausschreitende dreiteilige Sopranarie der Fiordiligi "Come scoglio" (Wie der Felsen...) ist eine Generalmobilmachung der Tugend gegen sich selbst, aber dann, im E-Dur-Rondo des 2. Akts, kommt aus demselben Munde ein Bekenntnis, zu dem Fagotte und Trompetentöne schweigen müssen, "Per pietà, ben mio, perdona". Dieser Atem ist wahr, und davor räumt die Komödie den Tempel. Ein zweites mal geschieht es im Andante-Gesang des Ferrando, "Un’aura amorosa", da läuft die Schrift zurück aus dem Spiegelbild. Die Musik schreibt den Text der Liebe neu. Noch etliche Momente lassen den Ernst hinter dem Spiel aufblitzen: Ferrandos Aufschrei über sein versetztes Medaillon im Rezitativ der verkleideten Freunde, und zuletzt noch einmal bei Guglielmo, der wütende Ausbruch aus dem lyrischen Kanon des zweiten Finales, während die Tischgesellschaft die Gläser auf die zu schließenden Ehepakte erhebt. Aber die Uhr bei "Così fan tutte" geht ansonsten aus Laune rundweg verkehrt.

Das zentrale Beweisstück dieser Gangart und zugleich eines der kostbarsten vom musikalischen Genie der Opera buffa ist das Duett "Fra gli amplessi", in dem Fiordiligi, standhaft mit dem Schwert gegürtet, genau dem falschen Liebhaber sich in die Arme manövriert. Da ist der Sieg der Treue verloren und verwettet Dennoch darf das Glück, bescheidener geworden, durch die Hintertür der Komödie wiederkehren. "Bella vita militar!", derselbe Marsch, mit dem es davonging, lockt es zurück. Für Don Alfonso ging alles wie am Schnürchen. Despinetta-Serpinetta hat eine goldene Brosche gewonnen, und die vier Amanti haben auf die eine wie auf die andere Weise lieben gelernt. Aber die größten ihrer Schmerzen waren echt. Das lehrt Mozart. Und an dieser einen Verifikation: ob sie getroffen ist – bei Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern stand es außer Zweifel – hängt die Frage der szenischen Lösung. Günther Rennerts totale Aktivierung der Bühne, zu der Ita Maximowna Bilder und Kostüme mit Geschmack und Erfindung entschieden genug beitragen, könnte leicht die Zügel verlieren und, was das schlimmste wäre, die Musik aus der Fassung bringen. Jede Arie, jedes Duett und kurzum alles, was gesungen wird, agieren zu lassen, in keinem Augenblick die Oberspielleitung über dem Planspiel Don Alfonsos spüren und noch ein Muster an Zofe, wie dieses, als Rädchen für sich einfach surren zu lassen, das ist dramaturgisch so riskant wie die ganze Wette von "Così fan tutte". Aber Rennert wußte, welches Ensemble ihm dazu geschenkt war. Sechs Personen und ein Gedanke, so lief es ab. Mitunter dachte man zurück an die alte, um vieles schlichtere, eher auf Symbolisches konzentrierte Modellinszenierung der fünfziger Jahre und merkte daran, wie deutlich auch der Stil der Mozart-Bühne Stoff, Einfälle und Fleisch angesetzt hat. Jedoch, daß nun die Musik mit alldem keine Last zu haben schien, bewies ein Wachstum, das eben jetzt so seine Zeit hat. Das Pendel mag wieder zurückschlagen, heute ist eine "Così" wie diese zweifellos nicht mehr zu überbieten, sie würde denn im Extremen scheitern müssen.

Die Sängerdarsteller dieser glücklichen Reprise sind die gleichen geblieben, und sie alle brauchten nicht noch besser zu glänzen als im Vorjahr: Fiordiligi – Gundula Janowitz, nach ganz kurzer Anfangshemmung, in den beiden konträr gestimmten großen Arien und im "Fa gli amplessi" von stupender stimmlicher Farbigkeit und Ausdrucksfülle; Dorabella – Brigitte Fassbaender, herrlich im Schwung der Allegro-Arie des 1. Akts und in der lyrisch-komischen Szene "E amore ladroncello"; beide Herzensdamen bezaubernd intelligent, wann und wo immer sie der Naivität sich ausliefern mußten; Guglielmo – Hermann Prey, ein saftig-schnurriger Buffo, dessen zwei splendide Chancen in den Baritonarien wie hübsche Feuer aus dem Vesuv aufgingen, Temperament und Stimme in einem; Ferrando – Peter Schreier hätte allein mit seinem belkantistisch vollendeten Andante "Un’aura amorosa" den langen Abend der Liebe und der Täuschungen für den Tenor gewonnen; Despina – Reri Grist, das ist das Frauenbild der Zofe, die alle Maßstäbe umwirft, aus ihr wären zwei und drei zu machen, ohne daß sie selbst einen Griff, einen Kniff zuviel hat, und überdies, welch ein Mozart-Stil in Rezitativen und Arien! Don Alfonso – Dietrich Fischer-Dieskau: er zuletzt ist der erste, von dem das Spiel entfacht und bis zur leisesten Pointe brillant beherrscht wird. Müßig, ihm – dem exemplarischen Figaro-Grafen vieler Festspielsommer – heute die ganze Mozart-Weisheit zu bestätigen, die auf dem Schachbrett der "Così" regiert. Der große Bariton hat alle Register, die die Partie entscheiden.

Außer dem Dirigenten, dem Regisseur und den Sängern, die mit Jubel an der Rampe empfangen wurden, gebührte den Philharmonikern und dem Staatsopernchor ein gleiches: "Così fan tutte!" – das hieß Glück und Gelingen ohne Ausnahme.

Max Kaindl-Hönig

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     Hannoversche Allgemeine, 24. August 1973

Salzburger Divertimento

Herausragende solistische Eindrücke von den Festspielen

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Wieder riß sich das Publikum um die Karten für die "Così fan tutte"-Vorstellungen. Karl Böhms und Günther Rennerts Verwirklichung dieser Opera buffa ist 1972 als Sternstunde der Festspiele gerühmt worden. Dem Ideal eines Solistensextetts wie Janowitz, Fassbaender, Prey, Schreier, Grist, Fischer-Dieskau wird man wohl so schnell nicht wieder begegnen können. Die Kennzeichnung "Jahrhundert-Besetzung" im vorigen Jahr war nicht übertrieben. Die gesanglichen Leistungen, den Rang der Inszenierung genoß man natürlich wieder in vollen Zügen. Eine Künstlerin allerdings schien ihre Möglichkeiten vom Vorjahr noch zu überbieten: Gundula Janowitz als Fiordiligi. Man spürte, daß sie sich jetzt auf Mozart hat spezialisieren können, weil sie längere Zeit zu den Osterfestspielen vom Wagnerfach befreit war. Erst im nächsten Jahr, in Karajans Neuinszenierung der "Meistersinger", wird sie als Evchen wieder zu Wagner zurückkehren.

Gegenüber ihrer Dorabella-Partnerin Brigitte Fassbaender hatte Gundula Janowitz von vornherein den Vorteil, daß ihr Maestro Mozart mehr und gewichtigere Arien in den Mund gelegt hat. Wie bravourös wußte die Janowitz mit ihrem lichten, ausdrucksvollen, mühelos tragenden Sopran, der von den höchsten bis tiefsten Lagen gleichermaßen zauberhaft anspricht, diesen Vorteil zu nutzen! Jede Arie baute sie mit strahlender Stimmintensität und seelisch-dramatischer Emotion auf. Dabei vergaß sie keinen Moment, sich in der Darstellung dem leichten Sinn - nicht Leichtsinn - der Inszenierung auf das geschmeidigste einzufügen. Man kann nur wünschen, daß das Ensemble dieser Mozartschen Traumvorstellung auch im nächsten Jahr zusammenbleibt, wenn sich der Dirigent Karl Böhm zur Feier seines 80. Geburtstages in der Hauptsache Richard Strauss’ "Frau ohne Schatten" widmen wird. Auch die "Così fan tutte"-Vorstellung zeigte wieder, daß Böhm der Mozart-Dirigent unserer Zeit ist.

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Erich Limmert

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     Flensburger Tageblatt, 21. August 1973

Wahrheit und Schönheit Mozarts

Zwei ergreifende Opernabende mit Böhm und Karajan bei den Salzburger Festspielen

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"Così fan tutte" sollte an der Salzach eigentlich "So macht’s nur einer" heißen. Der in wenigen Tagen seinen 79. Geburtstag feiernde Karl Böhm breitet die ganze Mozart-Landschaft in all ihrer unermeßlichen Herrlichkeit aus. Wie oft mag er in seinem bald sechs Jahrzehnte zählenden Dirigentendasein "Così fan tutte" geleitet haben? - Jedesmal wieder entflammen neu Impulsivität, Inspiration, Elan mit dem ersten

C-Dur-Akkord. Wie Günther Rennert deliziös den "Ball der Wahlverwandtschaften" tanzen läßt, die Gefühle in der Schwebe hält, ihr Changieren zeigt, ihre Echtheit und den Trug, so musizieren die Wiener Philharmoniker unter ihrem Meister die Herzens- verwirrungen der Paare, einmal wahr, sich mit dem Gefühl identifizierend, einmal parodistisch, emphatisch übertrieben.

Dies heitere Spiel über die Schwächen des Menschlichen hat in Salzburg eine Einheit von Optik und Klang wie wohl an keinem zweiten Musiktheater der Welt. Untreue und Eifersucht, Eitelkeit und Selbsttäuschung, Verliebtheit und Frivolität durchdringen und kreuzen einander bis zu dem Punkte, wo keiner im Quartett mehr weiß, was nun Spiel ist und was Wahrheit. Mit Verstellung beginnt es: Sein, was man nicht ist, als ob man es wäre, und denken, was man nicht denkt, als ob man es dächte - und beim Lieben, was man nicht liebt, als ob man es liebe, da fallen Ferrando (Peter Schreier) und Guglielmo (Hermann Prey) selbst in die Grube, die sie Fiordiligi (Gundula Janowitz) und Dorabella (Brigitte Fassbaender) graben wollten. Das ist die Strafe dafür, daß sie ein Spiel treiben, das die Grenze zwischen dem, was man vielleicht noch entschuldigen könnte, und dem, was einfach unerlaubt ist, überschreitet.

Wie sollten die Schwestern auch der Lockung widerstehen, sie, diese Luxusausgaben von Aphroditens Töchtern? Ihr Wert, unendlich verfeinerte Sensibilität und Liebesfähigkeit, ist auch ihre Gefahr, Eros triumphiert. Ob sich nicht doch die Richtigen finden bei dem Menuett, das die Tanzmeister Despina (Reri Grist) und Don Alfonso (Dietrich Fischer-Dieskau) zu lenken glauben und in dem schon Eigengesetzlichkeit die Partner vertauschte?

Ein gutes Jahrhundert später wird Schnitzler, auf gleicher Erde wie Mozart geboren, sagen, was "Così fan tutte" in Wort und Ton andeutet: "So vieles hat zugleich Raum in uns: Liebe und Betrug, Treue und Treulosigkeit, Anbetung für die eine und Verlangen nach einer anderen oder nach mehreren. Wir versuchen wohl, Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos. Die Seele ist ein weites Land..." So hat Günther Rennert "Così fan tutte" inszeniert: die Seelen als weites Land, so entschlüsselt Karl Böhm die Partitur.

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Dr. Klaus Adam

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     Rhein-Zeitung, Koblenz, 11. August 1973

Griff nach den Sternen am Mozart-Himmel

Höhepunkte der Salzburger Saison: "Figaro" und "Così fan tutte" unter Karajan und Böhm

   

Wie soll ich’s sagen, wie beschreiben! Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nur in Träumen vollziehen. In Salzuburg wurden sie nun gleich zweimal Wirklichkeit. Da öffneten sich die Pforten zum reinsten Mozartglück, erwuchs aus der meist problematischen Einheit von Musik und Szene eine solche innere Harmonie, wie sie sich nur in begnadeten Sternstunden einstellt: "Figaros Hochzeit" unter Herbert von Karajan und "Così fan tutte" unter Karl Böhm werden in den Annalen der Festspiele einen Sonderplatz einnehmen müssen.

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Wann wiederholen sich schon einmal derartig glückliche Stunden? Salzburg macht’s möglich: Mozarts "Così fan tutte" wird heuer in der gleichen Edel-Präsent-Fassung dargebracht wie 1972. Günther Rennerts genial lockere Hand rückt die "mißratene" Treueprobe der Frauen, von den frech-heiteren Bühnenbildern Ita Maximownas trefflich unterstützt, in die Gefilde einer in jedem Moment entwaffnend spitzbübischen Farce, an deren Horizont Mozarts dramatisches Donnergrollen als "Seelengewitter" vernehmbar wird.

Auf der Bühne dominiert von der ersten bis zur letzten Szene ein derart geschliffenes komödiantisches Spiel, wie man es an Opernabenden nur alle Jubeljahre einmal erleben kann.

Schon das allein verbreitet Wonnen ohne Ende, Genüsse ohne Reue. Im Publikum gluckst’s und kichert’s vor Vergnügen ohne Unterlaß.

Und dann die Stimmen! Sie sind wirklich mit Worten nicht zu schildern. Da ist eine Summierung von Idealbesetzungen gelungen, das Nonplusultra in einem Mozartwerk, das zu den einfallsreichsten, herzvollsten und humorigsten der Weltliteratur zählt.

Ein Niveaugefälle gibt es nicht. Der Ruhmeslorbeer gehört allen in gleicher Weise, der Fiordiligi von Gundula Janowitz und der Dorabella von Brigitte Fassbaender, dem Guglielmo von Hermann Prey und dem Ferrando von Peter Schreier, der Despina von Reri Grist und dem Don Alfonso von Dietrich Fischer-Dieskau. Eine Elite der Elite.

Karl Böhm (79), der ewig junge, vibriert nur so am Pult vor feurigem Engagement und Elan. Unter seinen Händen werden die Wiener Philharmoniker wieder zu dem, was sie einst waren - das berückende Mozart-Orchester, das den Himmel auf die Erde holen kann. Das Unerreichbare - es ist erreicht.

Der eitle Disput über die Frage "Böhm oder Karajan?" wurde an diesen beiden Festspielabenden mit einem "Pari" entschieden.

Da fallen mir die Worte ein, die Karl Böhm selbst einmal in etwas anderem Zusammenhang gebrauchte:

"San mer froh, daß mer beide ham!"

Wolfgang Eschmann

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     Augsburger Allgemeine, 4. August 1973

Ungetrübtes Mozart-Glück

Vollendete "Così fan tutte"-Aufführung der Salzburger Festspiele

   

Ohne Skrupel und Bedenken wagt der Chronist der Salzburger Festspiele angesichts der Reprise der "Così fan tutte"-Aufführung das große Wort einer wahrhaft vollendeten Wiedergabe: Vollendet im spielerischen und gesanglichen Aufgebot einer Weltelite, eines Dirigenten, der wie kein anderer Wohlklang und Ironie der Musik Mozarts mit überlegenem Kunstverstand zur Geltung bringt (Karl Böhm), vollendet auch im Bereich einer Regie (Günther Rennert), die mitten im frivolen Spiel der Versuchung der "Aura amorosa" Raum gibt, die der Komponist nicht müde wird, zu beschwören. Das Sextett der einander wie geometrisch zugeordneten Figuren agiert mit einer Leichtigkeit und schwerelosen Anmut, die ohne Da Pontes spritzige italienische Rezitative kaum möglich wäre; keine deutsche Übersetzung hat sie auch nur annähernd erreicht.

Mozarts "Così fan tutte" in der derzeitigen Salzburger Form ist in der Tat ein Glücksfall vollendeten Operntheaters und, verglichen mit der Premiere 1972, gereift wie ein guter Wein. Kantabilität des Gesangs und improvisatorischer Esprit halten sich die Waage, kein falscher Ton stört die Homogenität eines Musizierens, als dessen Spiritus rector der 79jährige Karl Böhm die Zügel führt. Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Peter Schreier (Ferrando), Hermann Prey (Guglielmo), Reri Grist (Despina) und Dietrich Fischer-Dieskau (Alfonso) sind nicht nur Mozartsänger höchsten Ranges, sondern auch Darsteller, die auf jeder Schauspielbühne Furore machen würden. Wie etwa Fischer-Dieskau den kühlen Drahtzieher Alfonso hinstellt als einen lebensprühenden Skeptiker, dessen Charme und Bonhommie nicht nur die männerfreundliche Despina für sich gewinnt, das verdiente im Film festgehalten zu werden.

Kein Wunder, daß Eintrittskarten für "Così" an der Salzach Mangelware sind und zu Schwarzmarktpreisen gehandelt werden. Kein modischer Verfremdungseffekt stört die komödiantische Freude an diesem einzigartigen Schachspiel der Liebe, das so lange verkannt wurde und so schwer zu realisieren ist. Wie schwer, vermag nur der zu erkennen, der das Glück hatte, "Così fan tutte" in einer Sternstunde des musikalischen Theaters zu erleben, wie Böhm, Rennert und sechs Meistersänger sie den Festspielbesuchern auch in diesem Sommer bereiten.

Dr. Karl Ganzer, Salzburg

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     Trierische Landeszeitung, 18. August 1973

Mozartfreuden - Mozartprobleme

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Maßstabsetzende Inszenierungen

Ungetrübtes Mozartglück bereitet dagegen nach wie vor Günther Rennerts und Karl Böhms Modellaufführung der "Così fan tutte". Szene und Musik sind hier in vollkommenen Einklang gebracht, das geistvoll-ironische Spiel um die Liebe und die apollinische Schönheit der Musik wunderbar ausbalanciert. So erreicht die von Böhm mit leichter Meisterhand dirigierte Aufführung eine Ebene höherer Wirklichkeit, die das scheinbar frivole Spiel um weibliche Schwächen mit der lächelnden Weisheit menschlichen Verstehens umgibt.

Ein exquisites Mozartensemble vervollständigt den makellosen Eindruck: Gundula Janowitz (Fiordiligi), Brigitte Fassbaender (Dorabella), Reri Grist (Despina), Peter Schreier (Ferrando), Hermann Prey (Guglielmo) und Dietrich Fischer-Dieskau (Alfonso) realisieren in Spiel und Gesang die Idealvorstellung ihrer Rollen und setzen Maßstäbe der Mozartinterpretation.

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Ingeborg Köhler

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     Aachener Volkszeitung, 2. August 1973

Ein Spiel mit Geist und Witz

"Così fan tutte" in Salzburg

  

In der Premierenbesetzung von 1972 wurde Mozarts Oper "Così fan tutte" wieder ins Programm der Salzburger Festspiele übernommen. Die Inszenierung von Günther Rennert und die Ausstattung von Ita Maximowna - im vorigen Jahr von der Kritik unterschiedlich beurteilt - fanden auch diesmal beim Publikum wieder großen Beifall und bereiteten spürbares Vergnügen.

Mag sein, daß der ernste Aspekt dieser Komödie um die Austauschbarkeit der Liebe und der Partner ein wenig zu kurz kam, daß zu sehr die Verspieltheit vorherrschte. Aber dieses Spiel war mit soviel geistreichem, graziösem Witz durchdacht und inszeniert, daß die Bedenken vom frohen Gelächter verdrängt wurden. Zwar waren Reri Grist (Despina), Dietrich Fischer-Dieskau (Don Alfonso) und Hermann Prey (Guglielmo) die besten Komödianten, aber auch Peter Schreier (Ferrando), Brigitte Fassbaender (Dorabella) und Gundula Janowitz (Fiordiligi) ließen sich von der lockeren Heiterkeit anstecken.

Musikalisch gab es nur ungetrübte Freude. Das betrifft die sechs prachtvollen Stimmen ebenso wie die souveräne, alle Nuancen der Partitur mit unvergleichlicher Sicherheit ausschöpfende Leitung von Karl Böhm. Der Beifall war dementsprechend begeistert.

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Autor unbekannt

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