Zum Liederabend am 6.3.1975 in Bremen


  

     Weser-Kurier, Bremen, 8. März 1975     

Hohe Liedkunst

Meisterkonzert des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau

       

Die ganz Hellhörigen witterten ja schon längst, daß Dietrich Fischer-Dieskau den Zenit seiner Gesangskunst überschritten habe und deshalb mehr und mehr den Dirigentenstab schwinge und Bücher schreibe. Von der dirigierenden Seite zeigte er sich den Bremern leider immer noch nicht; vielmehr kam er im Meisterkonzert der Direktion Praeger & Meier erneut als Liedgestalter auf einsamer künstlerischer Höhe. Das trotz oben zitierter Unkenrufe festzustellen, fällt nicht schwer, obgleich Fischer-Dieskau vielleicht nicht seinen besten Abend hatte, obgleich ihm winzige, sofort korrigierte Intonationstrübungen in der Höhe unterliefen (erster Teil und bei den Zugaben), obgleich er uns bei früheren Begegnungen im Innern heftiger getroffen und erschüttert hat. Aber er versteht noch immer wundervoll zu singen, intelligent zu formen, Spannungsbögen aus dem Geist des Textes und der Musik herzustellen, Lieder als kleine Szenen oder Melodramen auszugeben. Das soll ihm – selbst wenn er die eigene seelische Bewegung mehrfach dem gestalterischen Können unterordnet - erst einmal einer nachmachen!

Das Programm, ausschließlich Lieder auf Texte von Joseph von Eichendorff, war, wie stets, mit sicherem Geschmack gebaut und lieferte eine kleine Stilkunde obendrein dazu. Denn es war nun doch recht aufschlußreich zu hören, wie unterschiedlich inspirierend die melodisch weiche, "kristallklare" Lyrik Eichendorffs auf die Komponisten gewirkt hat, wie ihr Schumann gleichsam eine neue, schmerzlich-wehe Tiefe abgewann, wie erregt und unheimlich Pfitzner sie deutete, zu welchem Humor sie Bruno Walter verleitete, welche Farben Reinhard Schwarz-Schilling insbesondere im Klavierpart widerspiegelte, zu welchen Psychogrammen sie Hugo Wolf verdichtete. Um das klarzumachen, bedarf es freilich eines Interpreten vom Range Fischer-Dieskaus, der mühelos über eine reiche Registerskala verfügt, der sublimste Nuancen aufspürt, dem das Parlando ebenso leicht von den Lippen geht wie eine großbögige Kantilene, der die Deklamationsgeheimnisse behrrscht wie kaum einer, der mit einer einzigen Phrase schon Charakter und Stimmung eines ganzen Liedes zu umreißen versteht und der vom strahlenden Forte bis zum ersterbenden, doch immer noch "klingenden" Pianissimo keine dynamische Stufe ausläßt. Manchmal meint man ja, daß es sich um Eigenmächtigkeiten handelt, wenn Fischer-Dieskau im Verlauf einer seelisch-melodiösen Kurve das Ritardando zerdehnt, um etwa das sich intensivierende Lauschen nach innen zu verdeutlichen, wenn er eine kleine Pause des Stockens einfügt, um das Erschrecken auszumalen, wenn er die finessenreichsten Schattierungen wählt, um Abend- oder Nachtstimmungen herbeizuzaubern, aber ein Blick in die Noten gibt ihm recht. Das hat nichts mit Überinterpretieren zu tun, sondern mit sensibelstem Nachvollzug.

In der Gruppe der Lieder von Felix Mendelssohn Bartholdy setzte Fischer-Dieskau auf Kontraste und erreichte mit dem poetisch hingetupften "Pagenlied" bereits einen Höhepunkt. Aber ganz er selbst ist der berühmte Bariton immer dann, wenn er in Hinter- und Abgründe hinableuchten kann, wenn in der Fröhlichkeit die Vergänglichkeit allen Glücks mitschwingt ("Im Walde"), wenn Einsamkeit das Gefühl zu vereisen droht ("Zwielicht"), wenn sich schmerzende Resignation in Trost verwandelt ("Der Einsiedler"). Das alles und noch viel mehr ereignete sich im Schumann-Zyklus; es ereignete sich auch bei Hans Pfitzner, insbesondere während der gefährlichen "Lockung", im geradezu gespenstisch beschriebenen "Danzig", in der Herbheit der chromatischen Tonfolge des "Verspäteten Wanderers" oder in der dramatisch gesteigerten "Nacht". Über Bruno Walter und Schwarz-Schilling, von dem vor allem die Milde des Marienliedes und der pointierte Humor in den Strophen von "Bist du manchmal auch verstimmt" beeindruckten, führte der Weg zurück zu Hugo Wolf, dem Fischer-Dieskau in die tiefsten Regungen folgte: im überschatteten Glück des Liedes "In der Fremde", im geheimnisvoll verinnerlichten "Nachtzauber", in der mit einer Spur Spott bereicherten Herzensheiterkeit des "Musikanten", im erschütternden, ganz von der Sehnsucht nach Ruhe getragenen "Nachruf", in der grimmigen Burschikosität von "Seemanns Abschied".

Günther Weissenborn war wieder der getreue Begleiter und Führer, weniger der Partner, der auch mal Widerstand bietet. Er ging auf jede Nuance des Sängers ein, spielte zart und zurückhaltend und doch so, daß dank einer ausgereiften Anschlagskultur nichts von der Substanz des Klavierparts verloren ging.

Im vollbesetzten großen Glockensaal sehr herzlicher, langer Beifall, belohnt mit einer Reihe von Zugaben, darunter das "Intermezzo" (Dein Bildnis wunderselig) von Schumann und Pfitzners "Zum Abschied meiner Tochter" (Der Herbstwind schüttelt die Linde), ebenfalls Vertonungen von Eichendorff-Gedichten.

Simon Neubauer

__________________________________

      

     Bremer Nachrichten, 8. März 1975     

Fischer-Dieskau sang in Bremen Eichendorff-Lieder

Wie eh und je ein Erlebnis

     

Schon wenige Tage nach dem Violinabend des internationalen Geigers Itzhak Perlman brachten die Meisterkonzerte Praeger und Meier einen Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus mit Günther Weißenborn als Begleiter am Flügel, ein ebenso künstlerisch-geistiges wie gesanglich-musikalisches Ereignis, das in den Veranstaltungen unseres Konzertlebens selten geworden ist. In der Gestaltung durch den Baritonisten Dietrich Fischer-Dieskau und den Pianisten Günther Weißenborn ist es wie eh und je ein Erlebnis, das sein besonderes Fluidum und seine Resonanz eigener Art hat.

Nach den Schubert-, Beethoven- und Brahms-Programmen bei seinen letzten Besuchen in der Bremer Meisterkonzertreihe brachte Dietrich Fischer-Dieskau diesmal Lieder und Gesänge nach Gedichten von Joseph von Eichendorff. Man hat ihn gelegentlich "Der Romantik letzten Ritter" genannt, dessen Lyrik auf nur wenige, wenn auch besondere und außerordentliche Töne abgestimmt war und der damit für das lyrische Liedschaffen der musikalisch schöpferischen Romantik eine anregende und fruchtbar ergiebige dichterische Persönlichkeit gewesen ist.

Aus der Fülle der musikalischen Gestaltungen von Eichendorff-Dichtungen hatte sich Dietrich Fischer-Dieskau, der sich auch im Literarischen seines musikalischen Metiers umfassend auskennt, ein vielseitiges und abwechslungsreiches Programm gewählt. Es umfaßte mit Mendelssohn und Schumann frühe und reife, mit Hugo Wolf und Hans Pfitzner hohe und späte und mit Bruno Walter und Reinhard Schwarz-Schilling nachklingende und zeitgenössische musikalische Eichendorff-Romantik.

Wie keine andere Sprache über ein Wort verfügt, das in gleicher Weise umfassend beinhaltet, was der Deutsche in dem Ausdruck "Lied" versteht, ist der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau zur Zeit vielleicht die einzige sängerische Prominenz, die ganz unmittelbar und ohne besonderes "Sicheinstellen" zu leisten und darzustellen vermag, was ein Programm von Eichendorff-Vertonungen deutscher Romantiker an gesanglichen Aufgaben und an künstlerischen Ansprüchen bietet und fordert. Natürlich ist die Zeit von nun bald 20 Jahren, die wir ihn als Sänger auf dem Konzertpodium und auf der Opernbühne kennen, an seinen stimmlichen Qualitäten und seinem sängerischen Potential nicht ohne Einwirkung und ohne Spuren vorübergegangen. Man wird sich aber kaum irren in dem Empfinden, daß manches an seiner sängerischen und künstlerischen Ausstrahlung noch reifer und intensiver geworden ist.

Denn wieder war es erstaunlich und faszinierend, gewahr zu werden und zu erleben, wie der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau mit seinem unvergleichlichen Begleiter Günther Weißenborn in dem Rahmen des großstädtischen Konzertsaalereignisses das Erlebnis einer intimen musikalischen Familiarität zu beschwören wußte, wie sie zu den wesentlichen Auswirkungen des romantischen Liedes gehört.

Für den enthusiastischen Beifall dankten Dietrich Fischer-Dieskau und Günther Weißenborn mit einigen Zugaben, als erster mit Schumanns Eichendorff-Lied "Dein Bildnis....".

Fritz Piersig

__________________________________

   

     Nordsee-Zeitung, Bremerhaven, 13. März 1975     

Das Phänomen Fischer-Dieskau

Liederabend in der Glocke, Bremen, mit vertrauten Eichendorff-Gedichten

    

Seit Beginn der fünfziger Jahre ist Dietrich Fischer-Dieskau zum berühmtesten Liedinterpreten der Welt geworden. Auch im Bremer Musikleben gehören seine Liederabende seit langem zu den herausragenden Ereignissen. Der volle Große Glockensaal und die begeisterte Zustimmung waren untrügliche Zeichen dafür, daß diese hohe Liedkunst auch noch in unseren Tagen viele Anhänger besitzt!

Was macht diesen begnadeten Sänger so unvergleichlich, so einmalig? Daß er mit seinem modulationsreichen, weitgespannten Bariton ein Phänomen ist, nimmt man als gegeben hin. Und das stand an diesem Meisterkonzert mit Liedern nach Gedichten von Joseph von Eichendorff auch gar nicht so im Vordergrund. Denn rein stimmlich habe ich den gefeierten Sänger vom letzten Sommer in seinem Liederabend bei den "Münchner Festspielen" und auch als Verdis unübertrefflichen "Falstaff" noch frischer und glanzvoller in Erinnerung. Es ist seine reife, geradezu geniale poetisch-musikalische und bis in die unwägbarste Nuance durchdachte und durchformte Gestaltung, die immer wieder fasziniert.

Nach den Schubert-, Beethoven-, Brahms-, Schumann- und Goethe-Programmen seiner früheren Konzerte bekundete der Künstler mit der abwechslungsreichen Auswahl anspruchsvoller, teilweise unbekannter Eichendorff-Vertonungen großes Feingefühl. Nach romanzeartigen und strophischen Mendelssohn-Liedern (besonders hübsch das reizende "Pagenlied") greift Fischer-Dieskau dann mit den fünf Schumann-Liedern tief in die Lied-Schatulle der Romantik. Er schöpft sie so wundervoll aus, daß man bedauert, aus dem Liederkreis op. 39 nur vier Lieder zu hören, darunter höchst eindringlich "Zwielicht", das erschauernde "Im Walde" und ganz großartig der leuchtende Trost des "Einsiedlers".

Mit welcher dynamischen Spannweite und differenzierten Tongebung der Sänger die schwierigen und auch gefährlichen Lieder von Hans Pfitzner meistert, das löst Bewunderung aus (u.a. "Im Herbst", die unheimliche "Lockung", das fast gespenstige "In Danzig"). Zeitgenössische Eichendorff-Vertonungen von Bruno Walter (dem berühmten Dirigenten) und Reinhard Schwarz-Schilling, teils humorvoll ("Soldat", "Verstimmte Violine"), teils nachdenklich milde ("Marienlied") führten zu einigen der schönsten und tiefsten Liedgebilde Hugo Wolfs, in denen der Künstler ein Höchstmaß an Aussagekraft erreichte. Wie er schon mit der ersten Gesangsphrase Stimmung und Charakter eines Liedes zu umreißen versteht, das ist ebenso beeindruckend wie die deklamatorische Genauigkeit, das wundervolle lyrische Espressivo und die dramatischen Aufschwünge, die doch nie die musikalische Linie zerstören.

Wie hier bei Wolf der romantische "Nachtzauber" geheimnisvoll raunend, Verinnerlichung und tiefes Leid im "Nachruf" ("Was wollen wir nun singen hier in der Einsamkeit, wenn alle von uns gingen.....") nachempfunden wurden, das war über alle Maßen ergreifend. Und herrlich kontrastierend dann dagegen die sorglos-heitere Wanderseligkeit des "Musikanten" und die burschikose Wildheit in "Seemanns Abschied". Mit berückend zarten Schattierungen in den unendlich verhaltenen Pianissimo-Feinheiten weiß Fischer-Dieskau überdies seine Hörer oft so intim anzusprechen als sänge er im familiären hausmusikalischen Kreis, was allerdings bei weiter hinten Sitzenden in der Ausdehnung des Großen Saales die Wirkung etwas verflüchtigt.

Mit feinstem Anschlag war Günther Weissenborn der intuitiv mitschöpferische Partner am Flügel, ein großartiger Dieskau-Begleiter. Der ausdauernde Beifall wurde mit 5 prächtigen Eichendorff-Zugaben belohnt, darunter Wolfs "Verschwiegene Liebe" und das berühmte "Heimweh". Abgeklärter, inniger, aber auch klangschwelgerischer kann man sich solche Lieder nicht denken!

Werner Steinmeier

zurück zur Übersicht 1975
zurück zur Übersicht Kalendarium