Zum Liederabend am 18. März 1975 in Wuppertal

    


     Generalanzeiger, Wuppertal  20. März 1975     

Zauber der Romantik

Dietrich Fischer-Dieskau im "Meisterkonzert" umjubelt

     

Seit ein paar Jahrzehnten sind Herbert von Karajan und Dietrich Fischer-Dieskau die konstantesten Größen im Wuppertaler Konzertleben. Der Sänger hätte seinen jüngsten Liederabend (in Wylachs "Meisterkonzert"-Reihe) gar als lokales Jubiläumskonzert deklarieren können: Vor 25 Jahren, fast auf den Tag genau, hat er in der Stadthalle erstmals die hiesigen Hörer in Bann gezogen: mit den Christus-Worten in Bachs Matthäus-Passion.

Seit 1951 begeisterte er dann in regelmäßigen Abständen als Liedersänger. Mit Vortragsfolgen, die sich vom wirkungsvollen Gang durch die Musikgeschichte, etwa vom geistlichen Gesang bis zur Arie, radikal unterscheiden. Stets bot er Zyklen eines Komponisten oder eines Dichters (Goethe). Jetzt bestimmten Verse des Erzromantikers Joseph von Eichendorff das Programm.

Was Schumann und Wolf aus dieser versonnenen Lyrik vertonten, ist wohl dann und wann im Konzertsaal zu hören – aber kaum die Eichendorff-Lieder Mendelssohns, Pfitzners, Bruno Walters (des berühmten Dirigenten) und des 1904 geborenen Zeitgenossen Reinhard Schwarz-Schilling.

Das sind insgesamt keine Gesänge, die das Ohr gefällig reizen, sondern romantisches, weltabgewandtes Träumen, Einsamkeits-Schwärmerei, Schmerz, aber auch kecken Übermut in Klang umsetzen. Daß Fischer-Dieskau gerade im Bereich der Stille, der zartesten Schwebungen zu Hause ist, daß er durch das Timbre seines nach wie vor berückenden Baritons, durch feinsinnige Deklamation Wort und Ton in ihrer Ausdruckstiefe erfaßt, wissen wir seit langem. Da ist keine Spur von Einbuße zu spüren. Hohe Intelligenz und Ausdruckstiefe sind auch Gewähr dafür, daß dynamische Ausbrüche das Gleichgewicht nicht stören (in Wolfs "Seemanns Abschied", Pfitzners "Danzig" etwa).

So war denn die Begeisterung im dicht besetzten Stadthallen-Saal wieder groß. Etwa 25 Minuten hielten Beifall und Zugaben an. Ein Umstand allerdings beeinträchtigte die festliche Stimmung: das Dämmerlicht im Saal, das zudem den Blick in die Texte erschwerte.

Alfred Mayerhofer

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