Zum Liederabend am 20. März 1975 in Bonn


    

     Generalanzeiger, Bonn,  22. März 1975     

Ovational gefeiert: Fischer-Dieskau

Liederabend mit Günther Weißenborn in der Beethovenhalle

     

Im Rahmen einer ausgedehnten Tournee durch die Bundesrepublik gastierte Dietrich Fischer-Dieskau in einem Sonderkonzert der Rabofskyschen Kammerkonzert-Reihe, begleitet von Günther Weißenborn am Flügel.

Wie man es von einem Fischer-Dieskau nicht anders gewohnt ist, hatte sein Programm wieder einen besonders stilvollen Akzent: Es brachte nämlich nur Lieder auf Eichendorff-Gedichte. Die Vertonungen stammten von Mendelssohn, Schumann, Pfitzner, Bruno Walter, Reinhard Schwarz-Schilling und Hugo Wolf.

Man mag nun der Meinung sein, daß ein vielleicht etwas weniger "sprödes" Organ, eine mehr dem rein musikalischen Fluß denn der dezidierten Textauslegung verschworene Darstellung der zumeist so ganz und gar romantischen Poesie Eichendorffs (und ihrer Umsetzungen ins Lied) noch besser entsprochen haben würde. Man mag auch eine gewisse Flachheit und Schärfe in den Forte gesungenen Höhenlagen nicht haben überhören wollen. Dagegen steht jedoch Fischer-Dieskaus edle mezza voce, sein verhaltenes Parlando oder das herrliche Kopfstimmen-Piano, und es bedeuten die zahllosen, espressivo-bedingten, spezifischen Vokaleinfärbungen und Konsonantenpointierungen, die ganze reiche Skala von Differenzierungen und Valeurs, die diesem Sänger wie keinem sonst zu Gebote stehen, nach Meinung der Rezensentin nach wie vor nicht nur das Faszinierendste, sondern das Wesentlichste, die eigentlichen Tiefendimensionen erst erschließende Moment einer vollendet zu nennenden Lied-Wiedergabe. Man muß deshalb noch lange nicht von Über-Interpretation sprechen. –

Es ist nun, sucht man nach absoluten Höhepunkten, bei einem solchen Programm (zumindest bei den Mendelssohn-, Schumann-, Pfitzner- und Wolf-Liedern) und einem solchen Interpreten – dessen Begleiter freilich auch aufs genaueste und einfühlsamste echte Mitgestaltung bot – nicht ganz einfach, solche namhaft zu machen. Zu nennen wären aber unbedingt die wild-romantische Ballade vom "Waldschloß" und das bezaubernde "Pagenlied" von Mendelssohn, das in Erstarrung und Einsamkeit getauchte "In der Fremde", das schmerzlich-leise unheimliche "Zwielicht" und der still-resignative "Einsiedler" von Schumann, die beglückend-webende "Lockung", das schwere, dunkel-wogende "In Danzig" und das poetisch-träumerische "Nachts" von Pfitzner. Daneben zu nennen das neckische Liedchen "Der Soldat" vom großen Dirigenten Bruno Walter und die in der Begleitung bemerkenswert polyphon-horndurchzogene "Kurze Fahrt" des 1904 geborenen Schwarz-Schilling, dann aber vor allem auch die geheimnisvolle Poesie des "Nachtzauber" oder der prächtige "Musikant" sowie das die typisch skurrilen Töne des Komponisten anschlagende "Seemanns Abschied" von Hugo Wolf.

Die stürmische Begeisterung, die Bravo-Rufe am Schluß, nach der Wolf-Gruppe, wollten nicht enden, die Lied- und Fischer-Dieskau-Enthusiasten vorn an der Rampe und im Saal forderten und erhielten noch fünf Zugaben, eine schöner als die andere.

Barbara Kaempfert-Weitbrecht

 

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