Zum Liederabend am 26. März 1975 in Würzburg


    

     Fränkisches Volksblatt, Würzburg,  1. April 1975     

Ein ‚denkender’ Regisseur der Kunst

Liederabend mit Fischer-Dieskau stellte auch neuere Kompositionen vor

     

Über das künstlerische Phänomen "Fischer-Dieskau" und seine bis heute einsame Größe am internationalen "Sängerhimmel" braucht man keine weiteren (selbstverständlichen) Superlative mehr zu verlieren. Die "Vergeistigung", aber auch irdische Nähe stimmlicher Ausdrucksfülle erlaubten und erlauben es diesem Sänger nach wie vor, ein Liedschaffen von den Anfängen der Kunstlieder-Zeit bis heute ungemein sensibel und bildhaft vom dichterischen Kunstwerk aus verständlich zu machen.

Fischer-Dieskaus Würzburger Liederabend (Musikalische Akademie) im großen Konzertsaal der Musikhochschule stellte begrüßenswerterweise auch Kompositionen neuerer Liedschöpfer zur "Diskussion", die unverdienterweise bisher nur regionale Bedeutung zu haben schienen: Bruno Walter (der unvergessene Dirigent, Pianist und Liedbegleiter), R. Schwarz-Schilling (aus der Schule Kaminskis), auch seltenere Lieder von Hans Pfitzner (der übrigens auf einer historischen Schallplatte einen repräsentativen Eindruck seiner Lieder als persönlicher Klavierbegleiter autorisiert hatte, mit Gerhard Hüsch als Interpreten). Noch lange wird das Lied "Danzig" in der kongenialen Wiedergabe mit dem Pianisten Günther Weißenborn in schönster Erinnerung nachklingen. Außerdem umrahmten die Programmfolge Lieder von Mendelssohn Bartholdy, Schumann und Wolf.

Fischer-Dieskau erfüllte wieder jene Anforderungen, die sich aus dem Gesetz des Gesamtwerkes ableiten. Wie ein "denkender" Regisseur versteht er es, ein Lied fesselnd nahezubringen. Die subtile Textgestaltung, die kultivierte Musikalität des Vortrags und die Vergeistigung der Auffassung werden in dieser Weise möglicherweise noch lange kein Gleiches finden lassen. Die Persönlichkeit Fischer-Dieskaus und die bereits legendäre, bahnbrechende, zu historischer Bedeutung gelangte Kunst seiner Interpretation symbolisiert und verwirklicht eine Kunstform, deren Größe und Einfachheit selbst vom unvoreingenommenen Zuhörer erlebnisstark registriert wird. Der herzliche Applaus und eine gute Anzahl von Zugaben geben dieser Realität recht.

Klaus Linsenmeyer

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