Zur Oper am 13. Juli 1976 in München


  Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 1976

Münchner Opernfestspiele 1976

Ein Abend reinen Mozart-Glücks

Karl Böhm dirigierte "Figaros Hochzeit"

Keine Absagen, keine Indispositionen: Was die "Papierform" dieser Figaro-Aufführung, die nahezu ideale Besetzung, versprochen hatte, wurde am Abend glorios eingelöst. Hermann Prey, ein naturburschenhafter Figaro, agierte mit so viel Temperament (etwa wenn er den mit seinem Blumentopf herumstehenden Gärtner in eine richtige Rangelei verwickelt), daß man in ihm einen Raufbold bei der bevorstehenden Revolution witterte, und sang mit großer Stimme und mächtigem Impetus. Fischer-Dieskaus Graf engagierte sich hochdramatisch bei seiner großen Arie und ließ bei seinem letzten "Perdono" nicht nur die Gräfin vor lauterem Wohlklang dahinschmelzen. Gundula Janowitz sang schon ihre erste, heikle Arie mit ruhigem Atem und makellosem Legato, und nach ihrer großen zweiten unterbrach der Jubel minutenlang die Aufführung. Reri Grist, ein eher soubrettenhaftes Susannchen, führte in den Ensembles dann doch bestechend, und Brigitte Fassbaender, dieser bubenhaft verschmitzte Cherubino, ließ in ihrer ersten Arie noch etwas von jener Glut aufflammen, mit der sie ein paar Abende vorher im "Titus" überwältigt hatte.

Das alles war "große Oper", befriedigte die Liebhaber schöner Stimmen, aber es war doch nur eine Voraussetzung, noch keine hinreichende Erklärung für das reine Mozart-Glück dieses Abends. Für das Glück sorgte Karl Böhm. Daß er für Mozart-Opern eine unbestrittene Autorität ist, weiß man längst, aber auch von ihm haben wir Figaro-Aufführungen unterschiedlichen Gelingens in Erinnerung. Diese gehörte zu den vollkommensten, sie erinnerte an Salzburger Abende, die Jahre zurückliegen. Böhm dirigierte nicht "glanzvoll", nicht auf studioreife Perfektion erpicht, sondern schlechthin "richtig". Seine Tempi erlauben es den Sängern, den Streichern, den diesmal besonders brillierenden Holzbläsern, zu atmen und atmend zu singen. Wie Böhm auf einer Fermate die Zeit stillstehen läßt und gleich darauf völlig mühelos in ein moussierendes Presto zurückfindet, verrät vollkommene Meisterschaft. Und nachdem er dort, wo Mozart Leidenschaften komponiert, mit jugendlichem Temperament alles befeuert hatte, nachdem er da, wo - nachts, im Hain bei den Pinien - geträumt werden darf, in selbstvergessen ruhige Zeitmaße verfallen war, nachdem er endlich die drohende Tragik dieses nächtlichen Spuks der Verwechslungen mit allem Ernst ausgespielt hatte, trat dann beim Finale jenes befreite, gelöste Glücksgefühl ein, das sich selbst in sorgfältig studierten, intelligent angelegten und teuer besetzten Figaro-Aufführungen nicht oft einstellt. Es gab an diesem Abend Momente, in denen man nicht nur die Janowitz oder Fischer-Dieskau, sondern selbst Böhm vergaß und dann, in dieser Oper aller Opern, nur noch Mozart bewunderte. Gibt es ein höheres Lob für die Interpreten? Die wurden am Ende dann viertelstundenlang umjubelt.

Go

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     Münchner Merkur, 15. Juli 1976    

Münchner Festspiele: "Figaros Hochzeit"

Großmeister Karl Böhm

Hermann Prey singt zum erstenmal die Titelpartie

   

Dem Freund Karl Böhm zu Ehren erschien an diesem Abend auch Günther Rennert vor dem Schlußvorhang. Beide verbindet seit fast 30 Jahren ein künstlerisches Einverständnis, das außerordentliche Resultate erbracht hat. Zu den Höhepunkten zählen vor allem ihre gemeinsam erarbeiteten Mozart-Aufführungen bei den Salzburger Festspielen, darunter jene beiden "Figaro"-Interpretationen, die 1957 und 1966 weltweit Bewunderung auslösten. So darf man annehmen, daß sich Rennert in diesen Wochen seines Abschieds von München kaum etwas dringlicher gewünscht hat, als Karl Böhm am Pult des Nationaltheaters zu begrüßen.

Da bot sich Rennerts Münchner "Figaro"-Inszenierung an, die seit 1968 nichts von ihrer Attraktivität verloren hat, so präzis und charmant abläuft wie bei der Premiere. Karl Böhm, der exzellente Mozart-Dirigent, garantierte ohnehin einen großen Abend. Faszinierend, wie er die Presto-Ouvertüre aus augenzwinkerndem Pianissimo-Beginn zu kraftvollen Kontrasten entwickelte, bei jedem Akzent temperamentvoll vom Sitz federnd.

Wie das Orchester, fühlten sich auch die Sänger außerordentlich beschwingt: Hermann Prey, der sein Bühnen-Debüt als Figaro gab, etwas zu erregt; im Ausbruch vehementer Aufsässigkeit strebte er anfangs allzu eilig vorwärts. Seine bezaubernde Partnerin Reri Grist (Susanna) mußte ihm wohl oder übel folgen.

Böhm war allerdings nicht geneigt, sich von den Sängern die Tempi vorschreiben zu lassen. Allmählich beruhigten sich dann auch die Gemüter. Nach dem ersten Akt war alles im Lot, stellte sich die rechte Mozart-Atmosphäre in dem Elite-Ensemble ein: Gundula Janowitz (Gräfin), Dietrich Fischer-Dieskau (Graf), Brigitte Fassbaender (Cherubin) und die bewährten Darsteller eindeutig komischer Figuren wie Bartolo (Benno Kusche), Basilio (David Thaw), Marcellina (Margarethe Bence).

Enthusiastischer Beifall nach fast jeder Arie, am Schluß Bravo-Jubel für alle, zu gewaltigen Phon-Stärken gesteigert für Karl Böhm, der sich am Arm von Gundula Janowitz und Reri Grist immer wieder dem verzückten Publikum zeigte.

Helmut Lohmüller

 

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     tz, München, 15. Juli 1976   

Figaro rast vor Eifersucht

Nationaltheater: Mozart unter Karl Böhm in Star-Besetzung

   

Der "Figaro" unter Karl Böhm mit der Besetzung Janowitz, Grist, Fassbaender, Fischer-Dieskau, Prey war eine der begehrtesten Vorstellungen der ganzen Festspiele - man spürte, daß auf fast jedem Platz jemand saß, der sich seit Monaten wie ein Schneekönig auf diesen Abend gefreut hatte - durch puren Zufall ist da sicher keiner hineingeplumpst.

Die katzenpfötchenhaft geschmeidige Ouvertüre verhieß höchstes Opernglück - aber der erste Akt brachte es nicht. Selbst bei dieser Elitetruppe müssen offenbar viele Proben sein, ehe sie sich zum Ensemble zusammenschließt. Auch, wenn diese Sänger alle zu Karl Böhms erster Garnitur zählen: seine Tempi, die sie alle lieben und loben, trafen sie nicht. Sie wollten es schneller als der Maestro, der aber wiederum mit Recht auf s e i n e m Pulsschlag beharrte.

Die Wende brachte Gundula Janowitz mit der Arie "Porgi amor" - ein Stück überwältigend schöner Gesangskunst, zu dem sie sich die seidigen Streicherkantilenen von Böhm geradezu auf die Bühne heben ließ.

Die Janowitz ist stimmlich wieder in allerhöchster Form, dazu im Spiel von reizendem Charme und Witz - eine Gräfin, die für ihren Almaviva genau in dem Moment wieder unwiderstehlich wird, in dem sie sich was einfallen läßt, pfiffig, aktiv ist.

Vom zweiten Akt an also das quirlige, erotische "Figaro"-Klima, die sekundenschnellen Wechsel von Ahnen, Wissen, Beklemmung und Triumph.

Zum x-tenmal findet man wieder nichts auf der Welt so interessant wie die Fragen, wer wann hinter welcher Gardine, hinter welcher Tapetentür gesteckt hat, in welchen Garten gesprungen ist.

Reri Grist - eine süße Susanne mit unglaublichem Spielwitz und nachtwandlerisch sicherem Stilgefühl (Rosenarie). Diesmal erregt sie nicht nur unser Entzücken - auch unser Mitgefühl; sie verknackste sich zu Anfang den Fuß, kam zum nächsten Auftritt mit Bandage aus der Tür und versuchte tapfer, das Bewegungshandicap zu überspielen. Wer schon öfter erlebt hat, daß Reri Grists Openfiguren auch ein bißchen mit den Füßen, mit der leichten, schnellen Bewegung "singen", weiß, was hier eine Einbuße bedeutet.

Die Fassbaender bringt den ihr (stimmlich) ein bißchen zu eng gewordenen Cherubin immer noch herrlich auf die Bühne. Frei nach Liebermann: Ein so gut gesungener Cherubin kann gar nicht groß genug sein.

Fischer-Dieskau wieder ein unerhört präsenter, im Parlando vor Pointiertheit nur so knackender Graf - nicht nur herrisch, sondern in Susanna und dann seine Gräfin stürmisch verliebt.

Leidenschaft ist auch das Stichwort für Hermann Preys Figaro - ein szenisches Rollendebüt.

Ich habe noch nie einen Figaro gesehen, dem die Revolution, der Standesunterschied, so wurscht sind. Der hier will seine Susanne, und das möglichst schnell. Von seinen beiden Arien: "Se vuol ballare" (in die man "Revolution" packen kann) und "Aprite un po’" ist die zweite, ganz persönliche, für diesen Figaro eindeutig die wichtigere. Er ist von der Eifersucht geradezu zerschmettert.

So wie Prey das macht, fehlt dem Stück nichts. Die politische Geschichte steht ja im Text und braucht nicht unbedingt noch gehätschelt zu werden - aber bei Mozart kann man gar nicht heftig und leidenschaftlich genug fühlen.

Beate Kayser

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     Abendzeitung, München, Datum unbekannt   

Münchner Festspiele ’76

Bariton-Konkurrenten Prey und Fischer-Dieskau in "Figaro"

Großes Duell mit gutem Ausgang

   

Mit einer Traumbesetzung von Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" erlebten die Münchner Festspiele im Nationaltheater ihren ersten Höhepunkt: Unter der Leitung von Karl Böhm sangen Dietrich Fischer-Dieskau (Graf) und Hermann Prey (Figaro), Gundula Janowitz (Gräfin), Brigitte Fassbaender (Cherubin) und Reri Grist (Susanne). Beifall ohne Ende.

Deutschlands Schubert-Barden und weltweit anerkannte Bariton-Spezialisten an einen Mozart-Tisch gebracht zu haben, darf sich Günther Rennert als besonders prächtige Intendanten-Leistung gutschreiben lassen. Hermann Prey, zum erstenmal überhaupt auf der Bühne als Figaro zu sehen, hatte sich für sein Rollendebüt den besten aller denkbaren Mozart-Regisseure ausgesucht, denn kaum einer inszeniert diese Oper so konsequent als präzises "Türen-Stück" mit genauest kalkulierten Gesten und psychologisch auf den Millimeter gesetzten Pointen wie Rennert. In der frisch polierten und mit vielen neuen Details aufgeputzten Aufführung kommt vor allem Preys komödiantische Begabung als Figaro voll zum Einsatz - ein Hans Dampf mit natürlicher Schlauheit, ein Oppositioneller nicht aus politischen Motiven, sondern ein Potenz-Konkurrent des Grafen, der Dietrich Fischer-Dieskau gegenüber bisweilen auffallend aggressive Töne anschlagen darf.

Hinter dem Rücken

Deutschlands Bariton-Könige mit den großen Gemeinden hinter dem Rücken lieferten sich ein Duell von großem Reiz, denn jeder focht mit Materialien, die er perfekt beherrscht: Fischer-Dieskau mit überlegener Intelligenz, unübertrefflicher Bühnen-Präsenz und grandios disponierten stimmlichen Mitteln, Prey mit hoch gedrehter Spiellaune und bedingungslosem, ungefiltertem Einsatz seiner Stimme, die ohne Umweg in allen Etagen ankommt, selbst wenn ihr für diese Partie ein paar Gramm schwarzer Körnigkeit fehlen.

Karl Böhm, den Münchens Publikum mit überströmender Herzlichkeit an die Brust drückte, lieferte vor allem im zweiten (für mich schönsten) Akt jene vollkommenen Mozart-Rundungen, die ihm kein Dirigent nachmacht. und in die sich das Ensemble mit einer Parlando-Leichtigkeit einfühlte, als habe man jedem von ihnen das Geheimnis vom Goldenen Schnitt, dieser Ideal-Mischung aus Dynamik, Aktion und Kantilenen-Ausdruck in die Wiege gelegt.

Besser hört und sieht man solches selten.

Helmut Lesch

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     Die Rheinpfalz - Ludwigshafen, 20. Juli 1976     

Die Opernfestspiele begannen mit Wagner und Mozart:

Der "Ring" auch in München im Mittelpunkt

Zum ersten Mal als geschlossener Zyklus gezeigt - Karl Böhm im Mittelpunkt der Ovationen

[...]

Die heurigen Münchner Opernfestspiele haben außer der Uraufführung der "Versuchung" des israelischen Komponisten Josef Tal kein Novum. Rennert zeigt Schwerpunkte seiner letzten Intendantenjahre. Dazu gehört natürlich auch sein "Figaro". Karl Böhm kam dafür nach München. Mit Gundula Janowitz (Gräfin), Dietrich Fischer-Dieskau (Almaviva), Brigitte Fassbaender (Cherubin), Hermann Prey (Figaro) und der bezaubernden Reri Grist als Susanne war in München eine Elite beisammen, die den Erfolg dieser schönsten, inspiriertesten Oper aller Opern garantierte. Daß es Rennert gelingt, in den doch sattsam bekannten Situationen dieses da-Ponte-Librettos immer noch neue Interpretations-Nuancen, überraschend heitere kleine Einfälle einzubringen, entzückte das Publikum.

Im Mittelpunkt der Schluß-Ovation jedoch stand der 82jährige Karl Böhm, der scheinbar gar nichts Besonderes "machte", nur daß man meinte, so und nicht anders müsse es sein. Musik, die vorübergehend Zeit und Alltag und Formprobleme vergessen ließ. Ein Festspiel-"Figaro".

H. Lehmann

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     Oper und Konzert, München, August 1976

Nationaltheater

Figaros Hochzeit

 

Wo Karl Böhm dirigiert, da sind Festwochen. Bald 82 Jahre zählt er nun, der Große, aber er wirkt alterslos, vielleicht darf man sogar sagen zeitlos - und so klingt auch Mozart unter seinen behutsamen wie im notwendigen Augenblick auch zupackenden Händen. Oder sind es die Augen, die alles leiten? Karl Böhm dirigiert mit kleinen Gesten, ruhig, gelassen, er läßt gewähren, aber wenn es gilt, Feuer zu entfachen, ein Allegro anzuschlagen, dann kann er lebhaft sein wie ein Zwanzigjähriger. Aber ich glaube, er inspiriert unser Orchester - es spielt bei ihm um Klassen besser, subtiler (Holzbläser, welch ein Genuß!), es hört mehr aufeinander als bei anderen Dirigenten - allein durch seine Gegenwart, seine Liebe und sein Verständnis für Mozart übertragen sich, was bei anderen Musikern halt hurtig dahinrollt, bekommt plötzlich Tiefgang ohne Schwere, das Graziöse gewinnt Anmut des Herzens, alles bekommt eine vorher ungeahnte Dimension. Wie immer läßt sich das Eigentliche in Worten nur andeuten: sein natürlicher Sinn fürs "Richtige", die unzweifelhaften Tempi, die Begabung, den Willen zum ästhetisch Vollkommenen auszubalancieren mit Spontaneität, blutvoller Verlebendigung aller Affekte und Betonung der dramatischen Wahrheit, die nie nachlassende Spannung, der untrügliche Sinn, das Gewicht zwischen Bühne und Orchester je nach Bedeutung zu wahren. Wie oft wohl Karl Böhm schon dieses Werk dirigiert hat? Das Wunder der Inspiration stellte sich wieder ein, man mochte fast an eine unio mystica zwischen Schöpfer und Interpret glauben. Der Jubel verriet, daß das Publikum die Gnade dieser Stunden erkannte.

Daß "Figaros Hochzeit" in der bekannten, doch im Detail polierten und neue Sängerpersönlichkeiten berücksichtigenden Inszenierung durch Günther Rennert auf Salzburger Niveau gelang, ist freilich neben dem beseelt und brillant musizierenden Orchester auch dem Ensemble zu danken. Gundula Janowitz sang endlich einmal in einer öffentlichen Vorstellung im Nationaltheater die Contessa. Mit ihrer pretiösen Oboenstimme scheint sie für die Gräfin auf die Welt gekommen zu sein, die bei ihrem Vollbluttemperament weit mehr zur Weiblichkeit als zur Heiligkeit neigt, bei aller Noblesse nicht verheimlicht, daß sie nur eine "gewisse" Rosina ist und nicht eine "geborene". Sehr reizvoll die Mischung aus Damenhaftem und Sentimental-Lustigem:

"Porgi amor" ist voll Seele - aber sie erholt sich überaschend schnell von der morgendlichen Depression, wohl weil sie die Verliebtheit des Cherubin spürt, ja von seinen Emotionen in der Canzonetta ganz überwältigt und für eine unvergeßliche Sekunde in eine andere Welt entrückt wird, den Boden unter den Füßen verliert: es ist der Augenblick, wo das Gedicht nicht mehr Geicht bleibt, sondern gelebte Wahrheit und Wirklichkeit der Empfindungen des Pagen wird. Günther Rennert hat hier jene unvergeßliche Szene in der Salzburger Inszenierung 1971 zwischen Teresa Stratas und Gundula Janowitz wiederholen wollen. Aber leider gelang Brigitte Fassbaender die Verzauberung nicht in gleichem Maße wie Frau Janowitz, sie blieb zu irdisch, war zu direkt in der Annäherung - ich fürchte, daß Frau Fassbaender überhaupt trotz der Schönheit des Timbres und manchem eleganten Vortrag (die Arien gehörten zu den schwächeren Momenten) über Cherubin hinausgewachsen ist. Die Konflikte dieses jungen Heimgesuchten konnte sie nicht mehr glaubhaft vorleben... Man möchte wünschen, ein Film hielte Gundula Janowitz in dieser Rolle für immer fest wie die Rosalinde: die Darstellung dieses vielschichtigen Geschöpfes sollte nicht verloren gehen. Nur einige Augenblicke: das hoffnungsvolle Aufleuchten, wenn der Graf sie zunächst im Zimmer zurücklassen will, die Niedergeschlagenheit, wenn er sie im nächsten Atemzug auffordert, mit ihm das Gemach zu verlassen, was sie dann unter Verachtung des angebotenen Armes auch tut, tun muß, später das maßlose Erstaunen bei der Zofe Erscheinen aus dem Kabinett (wer kann so das Ausrufezeichen bei "Susanna!" mitsingen?) - das Kopieren von Reri Grists koketter Grazie in der Gartenszene als verkleidete Susanna ... und der Gesang: es ist nicht die fast unheimliche Sicherheit, mit der Frau Janowitz nun jahrein, jahraus die Partie singt, sondern die nie nachlassende Intensität, die Kunst des zärtlichen Legato, die Empfindsamkeit, der Nuancenreichtum, die Innigkeit: "Dove son" wird man heute auf der Welt nicht schöner hören können.

Einen großen Abend hatte auch Reri Grist, vielgeliebt, vielbewundert: ihre leicht bewegliche Stimme entfaltete einen lyrischen Liebreiz wie nicht an jedem Abend; welcher Innigkeit dieses Geschöpf fähig ist, ließ die Rosen-Arie ahnen. Zu der bekannten liebenswürdigen Naivität und guten Laune kam eine glutäugige, sinnbetörende Erotik, die sehr begreiflich nicht nur Figaros Leidenschaft entfachte. Diese Herausforderung einer Susanna muß den Grafen wie ein Blitz getroffen haben: es ist bei ihm nicht nur Laune eines Playboys, sondern geht an den Lebensnerv - und sie spürt auch, was sie für den Grafen bedeutet. Dieser Graf war der stimmlich fast durchwegs glänzend disponierte Dietrich Fischer-Dieskau (nur die Arie hätte man sich noch fülliger denken können). Er ist eine Inkarnation des Ancien regime, mühelos stellt er vor, was er ist: ein großer Herr, blitzend intelligent weiß er die Rezitative zu pointieren, aber er gibt auch dem Kantablen das Seine. Viel Süden, viel Charme und Heiterkeit sind um den Kavalier, Leichtigkeit und Eleganz, man kann sich gut denken, daß das jus primae noctis gar nicht de jure abgesichert werden mußte..... aber er kann auch ein köstlich verdutztes Gesicht machen, wenn wieder einmal etwas schief geht und er als Herr von Stand gar nicht recht begreifen kann, warum der Pöbel sich widersetzt. Und wenn Dietrich Fischer-Dieskau sein "Contessa perdono" anhebt, dann bricht Friede und Versöhnung überwältigend ein in die Welt der Irrungen und Wirrungen.

Noch ein zweiter Graf stand auf der Bühne, sang aber den Domestiken: Hermann Prey debütierte schallplattenerprobt als Figaro. Wie jeder Bariton hat er es mit dieser tiefliegenden Partie schwer, die Schönheit seiner Stimme kommt nur in gewissen Passagen zur Geltung, zuweilen vermißt man Sonorität. Und warum wollte wohl Hermann Prey so wenig von der quirligen Lebendigkeit, Witz und Charme seines Rossini-Figaro in die Mozart-Welt einbringen? Mit nicht gerade überschäumendem Temperament, wenig innerer Aufsässigkeit stellt er sich dem Grafen entgegen, Not und Glück bleiben privat, er ist nicht der Allerweltskerl, aber auch nicht ein pfiffiger Revoluzzer, der auf den Juli 1789 wartet. Natürlich beherrscht Hermann Prey die Buffogestik, weiß sich zu bewegen, er hat sich wohl auch jede Regieanweisung zu eigen gemacht - aber noch fehlt, bei Anrechnung der begreiflichen Debütnervosität, das Persönliche, das etwa Evans, Berry oder Kunz unverwechselbar machte. Seine ureigenste Interpretation dieser Rolle muß Hermann Prey noch finden - außer er kehrt zum Grafen zurück.... Meine Meinung scheint, es sei nicht unterschlagen, im Gegensatz zur Publikumsmajorität zu stehen, die Hermann Prey stürmisch schon nach der ersten Arie bejubelte.

Ansonsten die bekannt-vertraute glänzende Besetzung: Margarethe Bence, Doris Linser, Benno Kusche, David Thaw und Gerhard Auer.

KA

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