Zur Oper am 24. März 1977 in Berlin


Die Welt, Ausgabe Berlin-West, 27. März 1977

Fischer-Dieskau gastierte als Mandryka in "Arabella"

Exzentrisch und charmant

Wie Dietrich Fischer-Dieskau, wieder einmal daheim zu Gast, in der Deutschen Oper den Mandryka in Richard Straussens "Arabella" spielt und singt, das ist unübertrefflich. (Er und die interessante Julia Varady in der Titelpartie sind nur am Montag noch einmal zu hören.) Vor allem den ersten Akt macht Fischer-Dieskau zu einem Ereignis intelligenten Musiktheaters.

Denn da kommt kein Protz aus den finsteren Wäldern hereingestiefelt, dem die Tausender geradezu aus dem Portemonnaie platzen. Ein vierschrötiger Magnat und Superkerl, dem Menschen sich der Liebe wegen, mir nichts, dir nichts, zu Geld verwandeln: ein im Grunde recht unangenehmer Charakter. Fischer-Dieskau macht ihn sympathisch.

Er gibt seinem Mandryka die Züge einer charmanten Exzentrik: die eines recht ausgelassenen jungen Mannes, dem all sein Reichtum gar nicht so wichtig ist. Er ist nur dazu da, um einer Caprice willen verschwendet zu werden. "Arabella", von ihren Autoren Strauss und Hofmannsthal als "Lyrische Komödie" ausgewiesen, bekommt in Fischer-Dieskaus Mandryka plötzlich eine echte Komödienfigur beschert, und dies wohl zum ersten Male.

Eine neue Dimension öffnet sich. Das Werk, heiter bisher nur durch seine Farcen-Konstruktion, setzt plötzlich Schwerelosigkeit an und Vergnügen an einer zentralen Stelle, in der bisher stets nur höchst ernsthaft mit Charakter gewuchtet wurde. Jetzt erst ist Mandryka wirklich zum Verlieben.

Wenn er, die Hände an der Hosennaht, steif ausgestreckt im Sessel vormacht, wie er daheim mit gebrochenen Rippen im Krankenbett lag: Dann lugt der Spaß durch alle Ritzen der Inszenierung.

Dabei schlägt die Stimmung durchaus immer wieder auch um in den Ernst, wenn Mandryka auf jenen "Fall von anderer Art" zu singen kommt, der Arabella heißt. Dann schwingt Fischer-Dieskau ein in einen Lyrismus, der auf andere Weise die Werkdefinition der Autoren erfüllt. Komödiantik und Lyrismus in einer Figur zu vereinen, gelingt Fischer-Dieskau ganz fabelhaft.

Julia Varady singt die Titelrolle sehr überzeugend und mit außerordentlich lebendigen Zügen: Eine aparte Stimme, eine aparte Frau. Man könnte sich vorstellen, daß es ihr mit der Zeit gelänge, die Figur ebenso in den Komödienwind zu drehen wie Fischer-Dieskau die seine.

Alles an Frau Varady weist darauf hin, daß ihre Arabella noch ganz andere Dimensionen gewinnen wird. Schon jetzt geht sie aller lyrischen Einfalt weit aus dem Wege. Ihre Arabella ist ein intelligentes Mädchen, durchaus nicht gelähmt vom eigenen Gefühl. Sie weiß selbständig zu handeln, mit eigenem Kopf und aus eigenem Willen. Das zeigt Frau Varady deutlich und singt es mit einer ausdrucksreichen Stimme, die sich nicht nur auf das Verströmen von Wohlklang kapriziert.

Die Aufführung, von Hollreiser mit dem tief abgesenkten Orchester entspannt musiziert, fand laute Bewunderung.

Klaus Geitel

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     Der Tagesspiegel, Berlin, 26. März 1977         

Herrin der Situation

"Arabella" mit Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau

  

"Das reife und schöne Mädchen, das zu tief in gewisse Lebensdinge hineingesehen hat, ein wenig versehrt ist von Zynismus und von Resignation" - das war für Hugo von Hofmannsthal zunächst seine Arabella. Und in dieser Richtung begreift Julia Varady die Rolle, die sie nun zum erstenmal in der Berliner Inszenierung der Strauss-Oper verkörperte. Sie gibt sich erst herb, fast spröde, ist an Tändeleien kaum interessiert, und wenn sie sich in den Wiener Faschingstrubel stürzt, dann hat das einen Zug von Fatalismus: morgen ist alles vorbei. Dabei bleibt sie stets "Herrin der Situation" - auch das eine Hofmannsthalsche Vorstellung. Und selbst die Begegnung mit Mandryka kann sie nur für einen Moment verwirren. Ganz langsam nur vollzieht sich die Erwärmung - noch der Abschied von den drei Jugendfreunden hat wenig von der Herzlichkeit, die andere in die Rolle legen. Diese Konzeption wirkt hinein in die musikalische Gestaltung. Der schroffe Kontrast zwischen Konversationston und lyrischem Erguß in schlichtem Dur, die Crux der Oper, erscheint bei der Varady gemildert. "Aber der Richtige" - das kommt bei ihr fast beiläufig, sehr sprechend, sehr gegliedert, und erst im letzten Akt holt sie voll aus zu strömender Kantabilität.

Ihr Partner war, wie in der Münchener Premiere Anfang Februar, Dietrich Fischer-Dieskau, und wenn denn schon der Austausch von Rollen sein muß innerhalb von Inszenierungen, die doch stets einmal als geschlossene zumindest angelegt waren, dann ist solche gruppenweise Verpflanzung noch das beste. Fischer-Dieskau, der seit jener schon klassischen Inszenierung, die 1964 das Münchener Nationaltheater eröffnete, Maßstäbe gesetzt hat für den Mandryka, streift immer mehr das "Ländliche" ab, das schon die Autoren "undefinierbar" fanden, zugunsten einer Mischung von Noblesse und Herzhaftigkeit. Um das Protagonistenpaar das bewährte hochkarätige Ensemble Und ein Orchester, das unter Heinrich Hollreisers Stabführung mit den Stimmen an Flexibilität und Sinnlichkeit im Laufe des Abends gewann. Außerordentlicher Beifall in der Deutschen Oper.

Gottfried Eberle

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     Der Abend, Berlin-West, 29. März 1977         

Doppelte Glanzlichter

   

Die Deutsche Oper leistete sich letzthin den Luxus, eine so unalltägliche Oper wie die "Arabella" von Richard Strauss dem Publikum in doppelter Besetzung der Hauptpartien zu bieten. Ausverkaufte Häuser waren die vorherzusehende Folge.

Die erste Arabella war wieder Gundula Janowitz, die an musikalischer Hochkarätigkeit und darstellerischem Liebreiz in dieser Rolle kaum zu übertreffen sein dürfte. Ihr Partner als Mandryka war diesmal ein Gast aus Wien, der dort seit vielen Jahren hochgeschätzte Bariton Eberhard Wächter.

Er bezwingt die Hörer nicht vorwiegend durch Klangfülle, obwohl seine Stimme auch im Timbre sehr angenehm ist, sondern vor allem durch seine männliche Ausstrahlung, die sich völlig mit dem Rollencharakter deckt.

Dietrich Fischer-Dieskau, nach wie vor ein idealer Vertreter dieser dankbaren Partie aus Hofmannsthals letztem Opernlibretto, fügte seiner inzwischen noch verfeinerten Gestaltung einen Schuß Temperament und Humor hinzu, der ihr gut tat. Er hatte aus der kürzlichen Münchner Neueinstudierung seine Arabella mit nach Berlin gebracht, die Ungarin Julia Varady, die hier bisher nur mal als Mozarts Elvira zu hören war.

Sie zeigte eine neben der Janowitz erstaunlich selbständig wirkende Verkörperung, rassige Erscheinung, gut geschnittenes Gesicht und einen apart gefärbten Sopran, der sich anfangs zurückhält und dafür im Schlußakt wunderbar aufleuchtet, wenn die Größe des Frauenherzens sich im Verzeihen-Können bekundet. Als Persönlichkeit gereicht sie jedem Ensemble zum Schmuck.

In den übrigen größeren Partien: Gerti Zeumer als gesanglich charmante, liebessehnsüchtige Zdenka, Patricia Johnson als ausgleichende Brautmutter und vor allem Brenda Jackson, die der schwierigen, aber nicht sehr dankbaren Koloraturrolle der Fiakermilli fern vom Schema einen gleichsam abstrakten Glanz verlieh. Josef Greindl war als pensionierter adliger Offizier mit Spielschulden mehr Komödiant als Sänger. Am Pult waltete Heinrich Hollreiser, zwar Münchner wie Strauss, aber ohne das rechte Flair für dessen musikalischen Konversationsstil und vielfach wieder zu laut.

W. S.

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     Spandauer Volksblatt, 26. März 1977      

Intensität statt Routine

  

Eine Praxis, die Schule machen sollte. Als erste Inszenierung, die über einen längeren Zeitraum nicht auf dem Spielplan stand, wurde nun an der Deutschen Oper die "Arabella" von Premierenregisseur Nikolaus Sulzberger selbst für die Wiederaufnahme vorbereitet. Man merkt es der Aufführung deutlich an. Spielintensität ersetzt die Routine ausgeleierter Repertoirevorstellungen.

Zugute kommt dies auch Julia Varady, die in der Zweitbesetzung nun zum erstenmal in Berlin die Titelpartie singt - in Stimme und Erscheinung eine Ideal-Arabella, bei der die Rolle nicht in Matronenhaftigkeit zu ertrinken droht.

Mit Dietrich Fischer-Dieskau steht ihr ein souveräner Partner zur Seite, der bestens disponiert mit spielerischer Laune und Überzeugung den Mandryka gestaltet. Ein Paar, das sowohl stimmlich als auch durch seine Ausstrahlung, durch Zuneigung und Zärtlichkeit bezaubert. Unter Heinrich Hollreiser eine zu Recht bejubelte Aufführung.

G. Q.

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