Zur Oper am 19. Juli 1977 in München


Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 1977

Münchner Opernfestspiele

Die Oper als Selbstzweck

"Die Frau ohne Schatten" im Nationaltheater

Die Bühne läßt so ziemlich alles im Dunklen, was an der "Frau ohne Schatten" ohnehin dunkel, aber erbaulich und edel ist. Das Orchester führt durch die Oper, definiert die Schauplätze zwischen Menschen- und Geisterbereich, berichtet die Vorgänge im Inneren der handelnden Personen und gibt von Takt zu Takt zu verstehen, daß man hier wohl Richard Strauss’ reichster Partitur gegenübersteht.

Unter Wolfgang Sawallisch verdeutlicht das immer wieder erstaunliche Staatsorchester jede Färbung der Themen, jede Metamorphose des melodischen Materials, jeden verknüpfenden Kontrapunkt. Die Soli der Herren Sinnhoffer und Amann verströmen kantable Schönheit. Wolfgang Sawallischs souveräne Intensität scheint unerschöpflich zu sein. Nahezu jeden Tag steht er am Pult oder sitzt er am Flügel, sonntags sogar zweimal. Seine selbstverständliche Autorität, die oberste Tugend eines Opernchefs, suggeriert den Beteiligten, daß es sich bei einem Festspielabend um einen Ausnahmefall handelt, dem man mit äußerstem Aufwand und Glanz zu entsprechen hat. Mit dem ersten Auftakt legt Sawallisch den Stil der Aufführung fest; es ist stets der Stil des Werkes, nicht die Spitzfindigkeit einer selbstgefälligen "Auslegung".

"Die Frau ohne Schatten" vollzieht sich denn organisch-symphonisch. Ein Aufgebot von Stars schließt sich für einen Abend zum Ensemble. Ingrid Bjoner als Kaiserin, die selbst nach ausgedehnten dramatischen Ausbrüchen noch eines strömenden Pianos mächtig bleibt; James King in großer heldentenoraler Pose; Dietrich Fischer-Dieskau, den tumben Färbersmann auf gewinnend natürliche Art mimend, mit der Kraft und Inbrunst eines bald heldisch, bald italienisch gefärbten Kantilenen-Baritons; Birgit Nilsson (Färberin) im Vollbesitz metallisch-dramatischer Töne und einer flinken Beweglichkeit der einschüchternd voluminösen Stimme. Den weiblichen Mephisto, der in Gestalt der Amme Unheil stiftet, artikuliert Astrid Varnay präzis und energisch. Unter den Stimmen im Hintergrund, die teils über Lautsprecher tönten, fielen die Wächter der Stadt (Raimund Grumbach, Hermann Sapell, Hans Wilbrink) durch Wohllaut und Textverständlichkeit auf, denn Hofmannsthals Worte schmolzen im dramatischen Feuer der Stimmen; man verstand wenig Text. Oper als Selbstzweck, vollends unter der Herrschaft der Musik. Das Märchen von den schönen, riesigen Stimmen. Neue Beifallsrekorde des Genießerpublikums.

K. Sch.

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     Münchner Merkur, 21. Juli 1977    

Münchner Opernfestspiele: 
"Die Frau ohne Schatten"

Blumenschlacht um Birgit Nilsson

   

Die "Frau ohne Schatten" hat beste Aussichten auf den Ehrentitel der meistbeklatschten Münchner Festspielaufführung: in die demonstrationsartigen Ovationen für die Sängerstars wurde verdientermaßen Wolfgang Sawallisch und das Staatsorchester nachdrücklich miteinbezogen.

Dabei vertraut Sawallisch dem sinnlichen Klangrausch dieser Partitur weit weniger, als sein Kollege Karl Böhm vor Jahren dies in Salzburg tat. Gegen den schwelgerischen Böhm ist Sawallisch eher ein detailversessener analytischer Tüftler. Sawallischs "Frau ohne Schatten" überwältigt und blendet nicht, sie fordert den Zuhörer zum bewußten Mithören und Mitdenken. Und das ist gewiß nicht der schlechteste Umgang mit Strauss.

Auf die Gefahr, herbe Proteste der Nilsson-Fans zu provozieren: die mäßigste Leistung lieferte die am lautstärksten Gefeierte. Dezenz war nie eine hervorstechende Tugend der Nilsson. Indessen lassen sich aber auch bei größter Phonstärke die Abnützungserscheinungen ihrer Stimme nicht mehr überhören; sie ist schärfer und breiter geworden, nicht mehr ganz sicher in der Intonation extremer Töne.

Eitel Wonne hingegen bei Ingrid Bjoner; alle Isolden und Brünnhilden konnten dem innigen Klang ihres Soprans nichts anhaben. Trotz eines beachtlichen Zugewinns an Durchschlagskraft hat das Piano den lieblichen Silberklang und die natürliche Mühelosigkeit bewahrt: ein Vorbild an Stimmkultur, ein Vorbild auch an darstellerischer Eindringlichkeit: Angst, Scheu, Mitleid - mit wenigen Gebärden und Bewegungen macht die Bjoner das Wesen ihrer Rolle sinnfällig.

Ein dickes Lob für Astrid Varnays Amme: faszinierend in der Hinundhergerissenheit zwischen Demut und Wildheit. Nach der Krise des vergangenen Jahres ist die Varnay nun auch stimmlich wieder in altgewohnter Form.

Daneben Dietrich Fischer-Dieskau als Barak und James King als Kaiser, eine kaum zu überbietende Besetzung, auch wenn King heute nicht mehr mit dem ungetrübten Tenorglanz der vergangenen Jahre aufwarten kann.

Phonstarke Ovationen ohne Ende und eine mittlere Blumenschlacht um Birgit Nilsson.

m.

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     tz, München, 21. Juli 1977     

Sawallischs Höhenflug

"Die Frau ohne Schatten"

   

Höchste Bewunderung für Wolfgang Sawallisch! Was er während der Opernfestspiele quantitativ und qualitativ leistet, ist schlechthin einmalig. Die starbesetzte "Frau ohne Schatten" forderte ihn zu neuem Höhenflug heraus.

Mit Umsicht steuerte er Orchester und Exklusiv-Ensemble durch das uferlose Fortissimo-Gewoge der Strauss’schen Wunderpartitur (ehrlich gesagt: Sie kann oft vor Kraft und Sellengebräu kaum "laufen") und streute zauberhaft schwebende Lyrik zwischen allzu üppige Zuckerbäcker-Pomposa.

Das "Münchner Quintett" war in bewundernswerter Verfassung: Birgit Nilsson (Färberin) mit unverminderter Strahlkraft, Ingrid Bjoners Kaiserin mit sieghafter Höhe, James King ein metall-heldischer Kaiser und Dietrich Fischer-Dieskau als dumpfer (niemand glaubt’s ihm) Färber mit himmlischem Schubert-Mezzavoce. Auf unnachahmliche Weise trieb Astrid Varnay (Amme) das Geschehen voraus, so daß man ihre rüde Entlassung aus des Geisterfürsten Diensten fast bedauern mußte.

E. L.


   

     "Oper und Konzert", München, 8/1977     

Nationaltheater

Frau ohne Schatten

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Dietrich Fischer-Dieskau ist wohl eher für Grafen-Schlösser geboren als für Lehmhütten, man darf diesen Barak des Abiturs verdächtigen; aber die Größe eines Künstlers besteht ja auch im Verwandeln, im Zueigenmachen einer zunächst fremden Gestalt. Dietrich Fischer-Dieskaus Intensität macht Barak glaubhaft, die Kantilenen sind ein Ereignis, Augenblicke wie "Fürchte dich nicht" gehören zu den unverlierbaren des Theaters.

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Dr. Klaus Adam

 

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