Zum Liederabend am 16. April 1978 in Ost-Berlin    


     Süddeutsche Zeitung, 20. April 1978     

DDR-Presse feiert Fischer-Dieskau

     

Das erstmalige Auftreten des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau in Ostberlin hat in den führenden DDR-Zeitungen ein überaus positives Echo gefunden. Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland nannte den Liederabend in der Komischen Oper ein von Beifallsstürmen begleitetes "unvergeßliches Erlebnis". Besonders beeindruckt zeigte sich das Blatt von der "phänomenalen Einheit von stimmlicher Schönheit, artistischer Brillanz und konzentrierter gestalterischer Durchdringung". Anerkennend äußerte sich die Zeitung darüber, daß Fischer-Dieskau mit Liedern von Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg ein in der DDR "wenig oder kaum durchforstetes Terrain im Kunstlied unseres Jahrhunderts" erschlossen und in umfassender Auswahl vorgestellt habe.

Die Neue Zeit, das Parteiorgan der Ost-CDU, erinnerte daran, daß bei diesem Konzertabend die Kartennachfrage die Kapazität des Saales bei weitem übertroffen habe und äußerte den Wunsch, diesem Künstler künftig auch auf der Ostberliner Opernszene zu begegnen. Wenn jemand imstande sei, eine bei Teilen des Publikums noch vorhandene Voreingenommenheit gegen Liedschöpfungen in der Klangsprache des 20. Jahrhunderts abzubauen, dann sei es Fischer-Dieskau, stellte die Zeitung fest. Abschließend heißt es: "Ein sängerisches Ereignis, dieser Liederabend, bezwingend durch die Harmonie von intellektuellem Durchdringen und musikalischem Ausloten der Stücke."

PP

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     Neues Deutschland, Berlin-Ost, 19. April 1978     

Erlebnis meisterlicher Liedinterpretationen

Konzert mit Fischer-Dieskau in der Komischen Oper

   

Der erste Konzertabend des weltberühmten Baritons Dietrich Fischer-Dieskau aus der BRD in unserer Hauptstadt war ein äußerst beeindruckendes und für jeden zuhörend Beteiligten gewiß unvergeßliches Erlebnis. Den Berliner Musikfreunden im überfüllten Haus der Komischen Oper bestätigte sich, was bereits von mancher Schallplattenaufnahme Dieskaus bekannt war: die phänomenale Einheit von stimmlicher Schönheit, artistischer Brillanz und konzentrierter gestalterischer Durchdringung. Diesem Können nunmehr "live" zu begegnen, bedeutete, die enorme Ausstrahlungskraft des Sängers unmittelbar wahrzunehmen und eine Künstlerpersönlichkeit kennenzulernen, deren schlichter Habitus rückhaltloses Eintreten für das jeweilige Musikwerk, für dessen tiefgründig überlegte Interpretation verrät. Fischer-Dieskau ist davon erfüllt, dem Publikum die ideellen wie ästhetischen Werte der Musik nahezubringen, das macht Wesentliches seiner künstlerischen Attraktivität aus.

In welchem Maße es ihm gelingt, auch mit Ungewohnt-Diffizilem auf die Hörer zu wirken, bewiesen die Beifallsstürme an diesem Abend in der Behrenstraße, wo Lieder von Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg erklangen. Solch nicht alltägliche Programmgestaltung läßt auf die hochgesteckten künstlerischen Ansprüche des Sängers schließen, der sich hier ein wenig oder kaum durchforstetes Terrain im Kunstlied unseres Jahrhunderts erschlossen hat und es bei seinem Gastspiel auch für uns wohl erstmals in so umfassender Auswahl vorstellte. In allen seinen Intentionen ebenso zuverlässig wie souverän unterstützt wurde er dabei durch den auch als Komponist arrivierten Aribert Reimann am Flügel.

Den Schwerpunkt des Programms bildeten Kompositionen des bedeutenden spätbürgerlichen Humanisten Arnold Schönberg, insgesamt neun Lieder, die weiträumige Entwicklungslinien (1899 bis 1933) in diesem Schaffenszweig des Meisters präsentierten. Man muß die sensiblen poetischen Schöpfungen auf Texte von Richard Dehmel, Viktor Klemperer, Julius Hart, Hermann Conradi, Stefan George, Jakob Haringer und Rainer Maria Rilke zweifellos als subtile Reaktionen des Komponisten auf die Widersprüche in seiner spätbürgerlichen Umwelt verstehen. Verhaltene, hintergründige Stimmungscharaktere sind darin vorherrschend. Fischer-Dieskau brachte dies mit äußerstem Feingefühl zum Ausdruck, wußte bis ins letzte Detail hinein zu differenzieren, die vielschichtigen Nuancen herauszuarbeiten, ohne jemals den Gesamtzusammenhang aus dem Auge zu verlieren. So besaßen seine Gestaltungen Intensität und Eleganz zugleich. Hinreißend ist die Schönheit seines in allen Lagen klangvollen, ausgeglichenen Organs. Fast spielerisch leicht gelingt auch technisch Schwierigstes, von größter Akkuratesse ist seine Textgestaltung. Aribert Reimann zeigte sich vorzüglich auf den Sänger abgestimmt und war glänzend mit dem Metier vertraut, seine Wiedergaben des Instrumentalparts waren ebenso präzis wie stilkundig und organischer Bestandteil dieser überzeugenden Interpretationen. Als besonders ergreifend seien hervorgehoben: die kurz vor der Emigration Schönbergs vor dem Faschismus entstandenen Lieder "Sommerwind" und "Tot"nach Dichtungen Jakob Haringers.

Auch die anderen Teile der Vortragsfolge, Kompositionen der Schüler und dem künstlerischen Kreis Schönbergs angehörenden Anton Webern und Alban Berg, bestachen in der Darbietung dieser beiden Interpreten durch musikalische und ausdrucksmäßige Perfektion. Die aus dem Frühwerk beider Komponisten stammenden Stücke machen die enge geistige Bindung zum gemeinsamen Lehrer bewußt, lassen aber ebenso eigene Wesenszüge erkennen. Weberns Vertonungen von Dichtungen Stefan Georges, dessen zumeist symbolistische Verse etwas befremden, sind von einer introvertierten, zum Teil sehr innigen Lyrik erfüllt. Ihnen wie auch den drei Liedern Bergs nach Alfred Mombert und Friedrich Hebbel gaben Fischer-Dieskau und sein Pianist ungemein eindringliches Profil. Das begeisterte Publikum erklatschte sich drei Zugaben.

Liesel Markowski

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     Berliner Zeitung, Berlin-Ost, 27. April 1978     

Aus dem Berliner Musikleben

Von Erlebniskraft und Stimmkultur geprägt

Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau

   

Zu einem großartigen Erfolg wurde kürzlich ein Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau in der Komischen Oper. Mit einem Programm, das ausschließlich Werke von Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg umfaßte, begeisterte der in aller Welt gefeierte Lieder- und Opernsänger das Berliner Publikum. Das erste Gastspiel in unserer Republik vermittelte eine unmittelbare, lebendige Vorstellung von seiner vollendeten Gesangskultur.

Fischer-Dieskau, der bei uns auch durch die Schallplatte bestens bekannt ist, bot eine musikgeschichtlich in sich geschlossene, um die drei genannten Komponisten konzentrierte Vortragsfolge. Er gab damit Einblick in das anspruchsvolle Liedschaffen um die Jahrhundertwende. Schönbergs "Warnung" und "Erwartung" von 1899 bildeten hier die frühesten Belege, die in den 30er Jahren entstandenen Kompositionen gehörten dann zu seinen letzten und in der Zwölftontechnik geschriebenen Liedern. Dem Zeitraum von 1907 bis 1909 entstammten die sensibel-nachdenklichen, verdichteten Klangbilder von Webern nach Gedichten von Stefan George und die im Ausdruck expressiver wirkenden Gesänge von Berg nach Texten von F. Hebbel und A. Mombert.

Den insgesamt 22 Liedern und ihren komplizierten lyrischen und musikalischen Strukturen wurde Fischer-Dieskau in faszinierender, von Erlebniskraft und höchster Stimmkultur geprägter Weise gerecht. Seine den lyrischen Reichtum erschließende Gesangsweise und tiefe geistige Durchdringung der Lieder wirkte beispielhaft. Ebenso die souveräne, einfühlsame Begleitung am Klavier durch Aribert Reimann, der diese Vokalschöpfungen ausgezeichnet interpretierte. Seine Erfahrungen als Komponist, Solist und bewährter Liedbegleiter flossen in sein vom Geist echter Partnerschaft getragenes Spiel ein.

Hans-Peter Müller

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     Der Morgen, Berlin-Ost, 21. April 1978     

Begeisternder Sänger

Dietrich Fischer-Dieskau mit Schönberg, Webern und Berg

    

Seit Dietrich Fischer-Dieskau (Jahrgang 1925) vor drei Jahrzehnten in Leipzig seinen ersten Liederabend gab, gewann er einen einzigartigen Ruf; denn er ist der erste Vertreter einer "denkenden" Sängergeneration, die ihre Hörer eine ganz neue Art, Kunst zu genießen, lehrte. Es ist dies eine Art des Kunstgenusses, die nicht in der Trunkenheit der Sinne, sondern in der Darlegung und Aufnahme des Sinngehalts die Quelle ästhetischer Vergnügung sieht.

Bei seinem Konzert in unserer Hauptstadt gelang Dieskau, was sonst wohl nur ganz wenigen gelingt. Er hat nicht nur eine Lanze für die zeitgenössische Kunst gebrochen, er hat Schönberg, Webern und Berg zu einem ganz außergewöhnlichen Publikumserfolg verholfen, und zwar indem er einer Empfehlung folgte, die Alban Berg einmal gab, als er meinte, man müsse Klassiker so interpretieren, als ob sie Zeitgenossen und Zeitgenossen, als ob sie Klassiker seien. Daß Dieskau sich seit drei Jahrzehnten an den ersten Teil dieser Empfehlung hält, ist allgemein bekannt und gibt seinen Wolf- und Schubert-Wiedergaben ihre faszinierende Lebendigkeit, ihre intellektuelle Wachheit. Und wer bislang nicht glaubte, daß solche Haltung in bezug auf den zweiten Teil dieser Empfehlung überhaupt möglich ist, den hat Dieskau in der Komischen Oper auf imposante Weise davon überzeugt: Er sang Schönberg, Berg und Webern mit einer hinreißenden Klarheit.

Ohne Stil- und Eigenart dieser Lieder zu verwischen, ohne die expressive Spannung der Berg- und Schönberg-Kompositionen herabzupegeln, ohne die konstruktive Strenge von Webern zu unterschlagen, hatte alles, was er an diesem Abend, von Aribert Reimann brillant und sorgsam begleitet, präsentierte, plötzlich so etwas wie melancholische Grazie und sinnenhafte Eleganz.

Eisler hat einmal erzählt, daß Brecht Schönberg zum Vorwurf gemacht habe, daß er "zu melodiös" sei. Nun, sicher liegt darin auch ein wenig Brechtsche Übertreibung. Aber nicht in der ganzen Aussage, sondern nur in dem Wörtchen "zu". Daß Schönberg melodiös sein kann, hat Dietrich Fischer-Dieskau jedenfalls bewiesen.

Heinrich Spieler

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     Donau Kurier, Ingolstadt, 25. April 1978     

Dietrich Fischer-Dieskau in Ost-Berlin gefeiert

   

Mit minutenlangen, stürmischen Ovationen feierte das Ostberliner Musikpublikum den Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, der in der Komischen Oper einen Liederabend gab. Der berühmte Sänger widmete sein erstes Konzert in der DDR ausschließlich den Komponisten der sogenannten zweiten Wiener Schule: Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg. Ihre Lieder, zwischen 1899 und 1932 entstanden, erklingen wegen ihrer anspruchsvollen und komplizierten Machart selten im Konzertsaal. Das Publikum in der Komischen Oper begrüßte sie als Neuentdeckungen.

(dpa)

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