Zum Konzert am 7. Juni 1978 in Bonn


Westdeutsche Allgemeine, Bonn, 9. Juni 1978

Ein Gegner aller Klischees

Bonn: Musikalische Nachfeier zum Geburtstag des Staates Israel

Vor einigen Wochen feierte der Staat Israel den 30. Jahrestag seiner Gründung. Zur musikalischen Nachfeier waren nun zahlungskräftige Gäste (die Karten kosteten 30 bis 150 DM) in die Bonner Beethovenhalle geladen. Ein sensationelles Aufgebot sorgte für gehöriges Interesse am Dreistunden-Programm: Zubin Mehta dirigierte das Israel Philharmonic Orchestra, Dietrich Fischer-Dieskau sang Mahler, Arturo Benedetti-Michelangeli spielte Beethoven.

Zu Beginn die "Psalms" des israelischen Komponisten Ben-Chaim, der einst Paul Frankenburger hieß und aus München stammt. In weit ausschwingender Melodik schienen seine Psalmen leicht orientalisch getönt, doch die Art der Verarbeitung wie die instrumentale Einkleidung spätromantisch im europäischen Sinne, mit einem Schuß Hollywood-Süße.

Hier und in Mahlers "Lieder eines fahrenden Gesellen" waren im Orchester neben dem prächtig satten, biegsamen Streicherklang auch sensibel klangvolle Bläsersoli zu bewundern. Ebenso imponierte die Reaktionsfähigkeit der Musiker angesichts der äußerst expressiven, jugendliche Heftigkeit, schmerzhaften Kontrast, schier hysterische Zerrissenheit eigenwillig pointierenden Interpretation Dietrich Fischer-Dieskaus.

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Autor unbekannt

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     Die Welt, 9. Juni 1978     

Das "Israel Philharmonic Orchestra" unter Zubin Mehta in Bonn:
Mahler im Mittelpunkt

Ein Totentanz in weichem Walzertakt

    

Das einzig Traurige an diesem Konzert war, daß es, für Deutschland, nur und ausschließlich in Bonn stattfand, im Rahmen der Goodwill-Tour des "Israel Philharmonic Orchestra" durch einige europäische Hauptstädte aus Anlaß des 30jährigen Bestehens des Staates Israel. Aber ein solches Konzert landauf, landab in Deutschland hören zu können, ist wohl auch ein allzu frommer Wunsch, denn immerhin fanden sich bei den Israelis und ihrem Dirigenten Zubin Mehta als Solisten Dietrich Fischer-Dieskau für Mahlers "Lieder eines fahrenden Gesellen" und Arturo Benedetti Michelangeli für Beethovens 5. Klavierkonzert ein, zusammen mit den "Psalms" von Ben Chaim und Mahlers 1. Sinfonie ein veritables Dreistundenprogramm, das nichts mit musikalischem Alltag zu tun hatte.

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Den anderen Mahler, den zerrissenen, selbstquälerisch verzweifelten, rückte dafür Dietrich Fischer-Dieskau ins Licht. Weher und klagender, erlebte und erlebnisreicher hat man die "Lieder eines fahrenden Gesellen" auch von ihm bisher nicht gehört: So ganz ohne Selbstdarstellung einer Stimme, so ganz den Gesang der Gestaltung unterordnend.

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Reinhard Beuth

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     Generalanzeiger, Bonn, 9. Juni 1978     

Sinfoniekonzert zum 30. Gründungstag Israels:

Geburtstagsfeier auf höchstem Niveau

Israel-Philharmoniker unter Mehta mit Fischer-Dieskau

    

Es war ein langer Abend: Zubin Mehta, nicht "Chef" der Israel-Philharmoniker (den haben sie gar nicht!), aber ihr bedeutendster ständiger Dirigent, hatte am Morgen des Konzerts vor Presseleuten die Überlänge des Programms auch damit erklärt, daß die Musiker aus Israel und er die musikalische Geburtstagsfeier zum 30jährigen Bestehen ihres Staates, zu der sie alle extra an den Rhein geflogen waren, mit ihren Freunden in Bonn nicht als knappes, routiniertes "professionelles Engagement" abwickeln wollten. Tatsächlich war es denn wohl auch für die meisten Zuhörer in der ausverkauften Beethovenhalle der subjektiven Erlebniszeit nach eines der kürzesten Sinfoniekonzerte, die in dieser Saison in Bonn stattgefunden haben.

Im Reporterstil würde man sagen, daß in diesen drei Stunden die Höhepunkte dicht gedrängt einander "jagten" und nach der einen, kaum verarbeiteten künstlerischen Sensation schon die nächste angeboten wurde. So betrachtet war es eines der typischen Festival Pro-Unternehmen Johannes Wasmuths, der für einen solchen idealen Feierzweck keine Mühen und Überredungskünste (letzteres in Richtung auf die mäzenatische Abdeckung der Kosten) scheut, um das Beste vom Besten zusammenzubringen. Für den normalen Konzertalltag hätte jedenfalls jeder der drei prominenten Mitwirkenden – Dietrich Fischer-Dieskau, Arturo Benedetti Michelangeli, die Israel-Philharmoniker unter Mehta – allein schon ausgereicht, um einen Abend künstlerisch-musikalisch voll und ganz auszufüllen. Da war also zunächst das Orchester, das zum dritten Mal in Bonn gastierte und zweifellos zu den Spitzenorchestern der Weltklasse zu rechnen ist. Unter Mehtas Leitung scheint es dazu seine ganz besonderen Qualitäten, zu denen vor allem ein ganz außerordentlich homogener Streicherklang mit Fähigkeit zu subtilsten Nuancen und einem betörenden samtigen Kantilenenton gehört, leichter, beschwingter und gefälliger herauszustellen als unter anderen Dirigenten. Was daneben die offenkundig inzwischen weiter verbesserten Bläsergruppen, in Holz wie Blech, an Präzision und klanglichem Feuer beizustellen in der Lage sind, dafür lieferte gleich das Eröffnungsstück – Ben Chaims "Psalms", eine zeitgenössische Komposition neoromantischer Prägung – prägnante Beispiele. In Mahlers erster Sinfonie als sinfonischem Abschlußstück des Abends feierte dann die exquisite Elastizität des "Apparats" nochmals Triumphe, der sich willig und engagiert in die oft extreme Eigenwilligkeit der Deutung des Dirigenten fügte, in der dem expressiven, freilich hinreißenden Effekt fast immer der Vorzug gegeben erschien vor der resignativen Zaghaftigkeit, mit der Mahler selber meist (laut Partiturvorschriften) seine Aussagen dargestellt wissen wollte.

Und da war Dietrich Fischer-Dieskau, der als erster deutscher Künstler nach dem Krieg 1971 eine ausgedehnte Israel-Tournee unternommen hatte und daher mit besonderem Anrecht auch in den Rahmen dieses Geburtstagskonzerts hineinpaßte. Er wollte zunächst die "Kindertotenlieder" singen, hatte sich aber dann aus programmökonomischen Gründen und wegen der stilistischen und thematischen Querverbindungen zur nachher gespielten ersten Sinfonie für Mahlers vier "Lieder eines fahrenden Gesellen" entschieden, die er dann auch mit der hohen Kunst seines Liedgesangs und dem besonderen Engagement, das er der Gestaltung gerade der Mahlerschen Orchestergesänge seit jeher widmete, zu vergegenwärtigen unternahm. Vor dem enthusiastischen Beifall aus dem Saal gab es auf dem Podium Umarmungen von Dirigenten und Sänger: es war eine ganz und gar runde Kunstleistung zu feiern.

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Hans G. Schürmann

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     Siegener Zeitung, 10. Juni 1978       

Glanzvolles Konzert des Israel Philharmonic Orchestra

Zubin Mehta, Fischer-Dieskau und Michelangeli wurden stürmisch gefeiert

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Mit hochfahrendem vokalem Glanz

Dietrich Fischer-Dieskau, stimmlich glänzend disponiert, als Solist in Gustav Mahlers "Lieder eines fahrenden Gesellen". Fischer-Dieskau weit entfernt von früheren vokalen Manierismen, im Ton geradlinig und doch des differenzierten Ausdrucks mächtig wie keiner, zwingend und voller Spannung in behutsam gedeckter Lautstärke, suchte und fand den Grundton dieser Lieder in der Nachfolge von Schuberts "Winterreise" und Schumanns "Liederkreis": jene melancholische Traurigkeit, die einerseits exzessiv neurotisch anmutete, andererseits aber - glaubt man dem Raffinement der motivischen Bezüge, der Akkordfarben und der Instrumentation - sich in eine aristokratische Noblesse hüllt; ständig schwankend zwischen auflichtender Heiterkeit und larmoyanter Depression, zwischen Moll und Dur unentschlossen pendelnd. Entsprechend Fischer-Dieskaus stimmliches und darstellerisches Repertoire: mit hochfahrendem vokalem Glanz und mit dem feinen Ton in der Nähe des Verstummens.

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H. C. S.

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