Zur Oper am 26.Juli 1978 in München


Süddeutsche Zeitung, 28. Juli 1978

Münchner Opernfestspiele

Leuchtende Stimmen im Dunkel

"Die Frau ohne Schatten" in Starbesetzung

Unseren Opernfestspielen läßt sich vielleicht entgegenhalten, sie führten lediglich nochmals in geballter Form das Gute vor, das Münchens Opernfreunde das Jahr über ohnehin schon gekostet und genossen haben. Das wollen wir nicht beklagen. Manche Leser dieser Zeitung erwarten jedoch, daß wir diesen Umstand (auch wenn er keine neuen Namen beschert) immer wieder preisen.

Nun, es sei: eine glanzvollere Besetzung der "Frau ohne Schatten" läßt sich heute an keiner Bühne denken. Ingrid Bjoner vollzog ihre mit halsbrecherischen Stimmeskapaden bestückte Kaiserin-Rolle mit zunehmend sicherer Intensität, bewundernswert überhaupt ihr Festspielpensum, was die Bündelung von lyrischen und dramatischen Partien betrifft, die sie so überzeugend beherrscht. Als bejubelter, selten gewordener Gast Birgit Nilsson in der Rolle der Färberin, vom ersten Ton an mit einer Klarheit und Leidenschaftlichkeit präsent, von nie ermüdender Stimmkraft bis in die letzten Takte. Noch zehn Minuten vor Schluß überstrahlte ihr dramatischer Sopran die dröhnendsten Orchesterballungen ohne spürbare Anstrengung, übertrumpfte sogar leuchtend die erste Trompete im Orchestergraben - ein Stimmwunder ohne Beispiel. Glenys Linos als böse Amme hatte da einen schwierigen Stand: ihre warm timbrierte Stimme ist so sympathisch, so warm und einnehmend (und nicht so groß), daß es schwerfällt, die Inkarnation des Bösen in ihr zu erblicken.

James King, fast versteinerter Kaiser, war auch stimmlich ein wahrer Imperator, Karl Christian Kohn ein zuverlässig tönender Geisterbote. Dietrich Fischer-Dieskau endlich (welch ein Aufmarsch an Sängern!) gab dem Färber Barak die verinnerlichte und doch so ausdrucksstarke Gestalt, die wir seit der ersten Vorstellung des neuerbauten Nationaltheaters von ihm kennen. Eine Indisposition schien ihm ein bißchen zu schaffen zu machen; oder hatte das höchst seltsame Gebaren von Frau Barak sich ihm auf die Stimme gelegt? Ihn - fast als einzigen - verstand man, von ihm erfuhr der unvorbereitete Hörer wenigstens Fragmente der Handlung, die eh, von Literatur schier überwuchert, arm an sichtbarer Aktion und reich an jedweder Verinnerlichung ist.

Sie uns durch plausible Deutung näher zu bringen, das schaffen Oscar Fritz Schuh und sein Ausstatter Jörg Zimmermann immer weniger, zumal seit 1972 in Hamburg und Düsseldorf beispielhafte Inszenierungen zu bestaunen sind, die Münchens Szene arg ins Hintertreffen kommen lassen. Das permanent dustere, von verknitterten Höhlenmustern erdrückte Szenarium wirkt so phantasielos wie die Versatzstücke des Färberhauses, durch dessen enge Tür sich die Bettlerschar drängt, um dann unbekümmert zur Seite wieder wegzuhopsen.

So leuchteten in dieser obsoleten Regie lediglich die Stimmen. Ihnen sowie dem unermüdlichen Wolfgang Sawallisch und dem sehr klangschön und inspiriert musizierenden Staatsorchester galten die Ovationen.

Albrecht Roeseler


     

     Süddeutsche Zeitung, 28. Juli 1978        

Nationaltheater

Die Frau ohne Schatten

[...]

Mit dem hervorragend disponierten Staatsorchester breitete Wolfgang Sawallisch einen in gedämpft leuchtenden Farben kostbar schimmernden Klangteppich aus, von dem sich die Stimmen der (meisten) Solisten in bewegender Schönheit abhoben. Das Orchester musizierte mit betörender Klangpracht, mit vollendeter Transparenz, mit wundervollem Dolcissimo und großartigen dramatischen Akzenten. [...] Dem Staatsorchester und dem Dirigenten galt denn auch der besondere Dank des begeistert applaudierenden Publikums.

Die Sänger freilich wurden mit Recht nicht minder gefeiert. [...] Dietrich Fischer-Dieskau war wieder ein schwerfällig-gutmütiger, warmherziger Barak, der durch den Ausdruck von unbeirrbar und geduldig in sich ruhender Demut ergriffen und seine ariosen Kantilenen mit herrlich balsamisch strömendem Bariton sang. [...]

Claus R. Schuhmann

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