Zum Liederabend am 13. März 1979 in Köln


Kölner Stadt-Anzeiger, 15. März 1979

Dietrich Fischer-Dieskau begeisterte im Kölner Gürzenich

Perlenkette von höchster Schönheit

Der Liederfürst war in Köln: Dietrich Fischer-Dieskau. Der Gürzenich platzte schier aus den Nähten, der Antrittsapplaus schon geriet um einiges heftiger als üblich. Dabei war das Programm alles andere als populär: zwanzig Einzelgesänge aus verschiedenen Schaffensperioden von Robert Schumann, nicht so bekannt wie die Zykluslieder – und wohl auch nicht so gut.

Doch Fischer-Dieskaus Kunst schuf eine Perlenkette von erlesener Schönheit. Sein Edelbariton klang groß, kräftig, strahlend, fast jugendlich, gebot über ein fanfarenhaftes Forte und ein tragfähiges, intensives Pianissimo. Bei aller Fähigkeit zu Modulation und Farbgebung verlor die Stimme nie ihr unverwechselbares Timbre.

In der Textinterpretation verfuhr Fischer-Dieskau nicht mehr so akribisch tüftelnd wie früher manchmal, als er jedes Wort mehrfach zu drehen und wenden schien. In überwiegend glasklarer Artikulation vermittelte er Sinn und Hintersinn romantischer Dichtung. Manchmal verschluckte er im Eifer des Gefechts Endungen, doch: Was soll’s?

Zum Großteil handelten die Lieder – nach Rückert, Eichendorff, Andersen, Lenau, Heine u.a. – von Wehmut, Schmerz, Verzweiflung. Fast überall warteten der Tod und dessen Boten, von Schumann in einer Stimmungsvielfalt ohnegleichen eingefangen, von Fischer-Dieskau beklemmend nachvollzogen.

Die Regungen leiser Trauer (in "Zum Schluß" etwa) traf Fischer-Dieskau am schönsten. Doch auch der kontrollierte Aufschrei (in "Flügel! Flügel!"), der böse Zynismus (der unheimliche Spott des Raben in "Muttertraum"), die apokalyptische Vision (in "Der Spielmann"), die fahl flüsternde Todessehnsucht (in "Der schwere Abend", "Tragödie"), der so hämische wie freundliche Spuk (in "Mein Wagen rollet langsam"), die quirlende Prestissimo-Heiterkeit (in "Der Contrabandiste") – all das stürzte mit ungeheurer emotionaler Heftigkeit herein, und war doch so intellektuell gesteuert.

Ein großer Abend, kein Zweifel. Da konnte man vergessen, daß Dietrich Fischer-Dieskau auch schon von Svjatoslav Richter (diesmal: Günther Weißenborn) begleitet worden ist, daß für einen unqualifizierten Lappen von Programmheft 2,50 Mark verlangt wurden.

Gerhard Bauer


  

     Zeitung unbekannt, 15. März 1979     

Umjubelter Matador des Schöngesangs

Schumann-Lieder mit Fischer-Dieskau

     

Dietrich Fischer-Dieskau singt in Köln. Mühelos schaffte es der Matador des Schöngesangs, den Gürzenich mit der Schar seiner Verehrer und Verehrerinnen bis auf den letzten Platz zu füllen. Faszinierend nach wie vor die jugendliche Ausstrahlung, das Jungenhaft-Unbekümmerte seines Auftretens.

Wie elektrisiert saß die Gemeinde im Saal und hätte so gern die Bitte des Künstlers in den Wind geschlagen, zwischen den Liedern nicht zu applaudieren. Einzusehen war das eigentlich nicht, denn Dieskaus Programm bestand gänzlich aus Einzelliedern Robert Schumanns – noch dazu unterschiedlichsten Charakters.

Das reichte vom op. 25 bis zum op. 142, von Vertonungen eines Friedrich Rückert bis Heinrich Heine, von Gedichten unsäglicher Banalität bis zu Aphorismen höchsten lyrischen Gehalts.

Wer Dieskau kennt – und wer kannte ihn nicht im Saal -, wußte, daß ihm etwas Einmaliges bevorstehen würde.

Nicht jeder liebt ja seinen Stil, seine durchaus gewollte pathetische, überdeutliche Art des Dynamisierens, seine oft überzogen wirkende Manie der Stimmumfärbung – vom Flüstern bis zum mächtigen Dröhnen. Bedeutungsschwere wird da oft suggeriert, wo nun eigentlich gar nichts ist, und so manche bemühte Reimerei sieht sich unvermittelt von der Aura höchster poetischer Ausdruckskraft umgeben.

Jedes Wort hat seinen wohlauskalkulierten Platz, jeder Nebensatz wird mit höchster Emphase durchschritten. Hochspannung in jedem Augenblick. Das verhinderte oft, Qualitätsmerkmale dingfest zu machen, zu erkennen, bis zu welchem Grade Schumanns Musik dem poetischen Gehalt, oder "Nicht"-Gehalt, der Texte beigekommen war.

Bei Dieskau ist man bereit, alles zu glauben, so sehr verschwindet die Musik hinter seiner Darstellungskunst. Das Balladeske ("Flügel! Flügel! Um zu fliegen", Rückert) wird zum Feuersturm der Empfindungen, Kulmination des Dramatischen, das Schlicht-Volkstümliche ("Herbstlied", Wilfried von der Neun) reduziert sich zum Kindlich-Naiven, das Lyrische ("Meine Rose", Lenau) erblüht zu verschwenderischer Üppigkeit.

Günther Weißenborn, der im höchsten Sinne eigenverantwortliche Mitgestalter des Abends, war da völlig einverstanden und hielt mit seinen pianistischen Möglichkeiten nie hinter dem Berg. Momente homogensten Einverständnisses konnten dennoch nicht verheimlichen, daß in diesem Duo nur einer bereit war, aufs Ganze zu gehen: Dieskau. Dem offiziellen Programm schloß sich die Huldigung an, und der attraktive Hüne im eleganten Smoking hielt intime musikalische Zwiesprache (sprich: Zugaben) mit seinen vorn an die Rampe geströmten Verehrern.

Volker Bungardt

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