Zum Liederabend am 21. August  1979 in Luzern  


  

     Neue Zürcher Zeitung, 26./27. September 1979     

Internationale Musikfestwochen Luzern

Liederabend und drittes Sinfoniekonzert

     

Erfreulicherweise wurden dieses Jahr auch zwei Liederabende ins Programm der Festwochen aufgenommen. Die erste dieser Veranstaltungen (am 21. August im Kunsthaus) bestritt Dietrich Fischer-Dieskau, der sein Konzert zur Gänze Schubert widmete. Der Künstler sang vorwiegend ernste, auf einen dunklen und düsteren Grundton abgestimmte Lieder; namentlich der erste Programmteil wurde von Klängen des Schmerzes und der Trauer dominiert. Man hörte ausnahmslos Leistungen, die gesanglich und gestalterisch aufs feinste ausgewogen waren. Jedes der insgesamt 18 Lieder wußte der Künstler in seinem Stimmungs- und Ausdrucksgehalt voll auszukosten und zu restlos adäquater musikalischer Wirkung zu bringen. Kleine stimmliche Unebenheiten, die hin und wieder an hoch gelegenen Pianostellen zu konstatieren waren, vermochten am starken Eindruck, den man von diesen subtil ausgefeilten Vorträgen gewann, kaum etwas zu ändern. Besonders schöne Beispiele überlegener Wort- und Tonartikulation und spannungsvoller Darstellung waren die Lieder "Memnon", "Gruppe aus dem Tartarus", "Totengräbers Heimweh" und "Über Wildemann". Vielleicht eine kleine Spur zu manieriert wurde einzig "Der Tod und das Mädchen" gesungen; eine wunderbar beseelte und verinnerlichte Wiedergabe erlebte indessen, in der zweiten Liedgruppe, "Wanderers Nachtlied". Einen ebenbürtigen künstlerischen Partner besaß Fischer-Dieskau in Jörg Demus, dessen sensibles, im Klang und Ausdruck reich differenziertes Klavierspiel uneingeschränktes Lob verdiente. [...]

mr.

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     Luzerner Tagblatt, 23. August 1979     

Liederabend I mit Dietrich Fischer-Dieskau

Rückhaltlose Bewunderung

    

Der erste Liederabend der Internationalen Musikfestwochen war Franz Schubert gewidmet. Vollendete Gesangskunst bot der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau. Jörg Demus war kongenialer Mitgestalter am Flügel.

Daß nebst dem großen auch noch der kleine Saal des Kunsthauses einbezogen werden mußte, ist für einen Liederabend gewiss nicht alltäglich. Was den Hörern am Dienstagabend an Liedkunst geboten wurde, dürfte so leicht nicht vergessen werden.

Dietrich Fischer-Dieskau

Bei Dietrich Fischer-Dieskau stehen heute Gestaltungskunst, Intensität des Ausdrucks und Unmittelbarkeit der Vermittlung auf einsamer Höhe. Neigte er vor Jahren noch dazu, Konsonanten fast überdeutlich zu artikulieren und der Textausdeutung eher Priorität zuzumessen, so ist heute alles amalgamiert: Natur, Schönheit, Wahrhaftigkeit. Die bewundernswerte Stimme wirkt gefaßt und leuchtend auch im leidenschaftlichen Ausbruch, ätherisch leicht und biegsam in den kopfigen Höhenlagen, warm und mitreißend in der Mittellage, stets durchsichtig und farbig im zartesten, kaum noch gehauchten Pianissimo, gleicherweise alles durchdacht und doch so natürlich.

Die zweiteilige Liedfolge umfaßte je neun Stücke, die vorwiegend den elegischen oder eher schwermütigen Schubert offenbarten, größtenteils weniger bekannte Werke aus verschiedenen Schaffensperioden. Diese wohlüberlegte stilistische Mischung – einige neckische, liebliche und fröhlichere Gesänge fehlten keineswegs – zeigten auch die fünf Zugaben.

Zum großartigen Gelingen dieses nur in Superlativen zu charakterisierenden Konzertabends trug auch wesentlich

Jörg Demus

bei. Sein stupendes pianistisches Können und die Kongruenz in der Gestaltung der Lieder mit dem Sänger prädestinierte ihn zum idealen Mitgestalter. Stets traf er den Stimmungsgehalt des Liedes, wußte sich in der Klangpalette mit der Gesangsstimme zu verschwistern und breitete auch in den Vor- und Nachspielen eine Fülle dynamischer, klangfarblicher und anschlaglicher Schattierungen aus.

Von "Prometheus" bis "Musensohn"

Aus der reichen Fülle des Gebotenen seien lediglich hervorgehoben: Trotz und Schmerz in ausladenden Steigerungen in "Prometheus", ein faszinierendes Legato und ergreifende Ruhe in "Meeresstille". Die "Gruppe aus dem Tartarus" erfuhr eine dramatische Gestaltung mit grandiosen Aufschwüngen und klangmalerischen Effekten. Von rührendem Ausdruck und tiefer Verinnerlichung zeugte "Totengräbers Heimweh", dessen Thema auch in der an der Klaviermatinee von Paolo Bordoni gespielten Schubert-Sonate a-Moll Op. 42 auftauchte.

Nach der Pause wich in der Werkwahl der ehedem vorwiegend düstere Aspekt mehr elegischen Liedern, die wiederum in ihrem Gehalte einzigartig ausgelotet wurden. "Auf der Donau" wies eine zukunftsweisende, Schumann antizipierende Begleitung auf, dann wieder Dramatik im "Über Wildemann" mit aufrüttelnden Tonkaskaden des Klaviers und hierauf wohltuende, von aller Erdenschwere befreite Ruhe in "Wanderers Nachtlied" oder seliges Schweben auf schwankender Wasserfläche in "Des Fischers Liebesglück", schließlich noch gedämpft-fröhlicher Übermut im "Musensohn".

Der frenetische Beifall war Ausdruck der Gewißheit, einer Sternstunde musikalischer Offenbarung beigewohnt zu haben.

Isabelle Frei-Moos

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