Zum Konzert am Sonntag, 4. November 1979, 11.00 Uhr in der Münchner Oper  


     Tagesspiegel, Berlin, 5. November 1979     

Wenn Fischer-Dieskau zum singenden Prometheus wird

Eine Matinee mit Schubert-Liedern im Münchner Nationaltheater

   

Wenn Dietrich Fischer-Dieskau die Bühne des Nationaltheaters im nachtblauen Anzug zu einer Schubert-Lied-Matinee betritt, der donnernde Begrüßungsapplaus sich gelegt hat, ist nach wenigen Takten das sonntagsvormittäglich gestimmte Publikum gefangengenommen, in eine beteiligt-konzentrierte Zuhörerschaft verwandelt.

Woran mag das liegen? Doch nicht allein an der interpretatorischen Intelligenz, der nach wie vor makellosen, in allen Lagen ausgeglichenen Stimme des Sängers. Schuberts musikalische Lyrik gewinnt an unnachahmlicher Kontur und einer tiefendimensionierten Ausstrahlung, weil Fischer-Dieskau sie immer von der Sprachphantasie der Gedichttexte geleitet vorträgt.

So zum Beispiel, wenn er den eingangs gesungenen "Prometheus" als großangelegtes, weit über das eigentlich Liedhafte hinausweisendes Arioso singt, pathetisch ausladend und mit höchstem Affekt in der DekIamation. Gleichen Charakters das Lied "Gruppe aus dem Tartarus". Auch hier betont Fischer-Dieskau sinnfällig das rezitativische Moment in seiner musikalischen Gestaltung, erzeugt nachdrücklich stets unmittelbar vom Textgehalt inspirierte Stimmungen.

Wenn sich bei diesen Liedern Jörg Demus am Flügel (beispielsweise auch im episodisch-dramatischen "Die Winde sausen am Tannenhang") nicht zu einem orchestraleren, beherzteren pianistischen Zugriff aufschwingen wollte, so war er doch ein adäquater und  vorzüglich auf den Sänger eingestimmter Begleiter.

Zu einem in jeder Hinsicht" bemerkenswerten Höhepunkt geriet den beiden Künstlern die "Meeres Stille": Minutiöses Zusammengehen von Singstimme und Klavier, zartestes Piano und ein fast bewegungsloses, beinahe mit unerträglicher Intensivität gespanntes langsames Voranschreiten von Akkord zu Akkord ermöglichten die Zeichnung der fahl-bedrückenden Atmosphäre, die Versinnbildlichung einer bedrohlich-angstvollen Windstille. Gleich gut aber auch Lieder mit einer optimistischeren Haltung: Der ritornellhafte "Musensohn" war mit vorwärtstreibendem Impuls und rhythmischer Gestochenheit ideal verwirklicht.

S. M.

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