Zum Konzert am 20. März 1981 in München


Süddeutsche Zeitung, 23. März 1981

Interpretationsprobleme

Hiroshi Wakasugi dirigierte das Musica-viva-Konzert

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Bei Toru Takemitsus reich und würzig instrumentiertem Orchesterstück "A Flock Descends into the Pentagonal Garden" ( ("Eine Herde steigt in den fünfeckigen Garten hinab") gliedern Generalpausen das symphonische Geschehen. Ja, gegen Ende der differenzierten Partitur, deren Formgesetz mir nicht durchhörbar wurde, sind sogar kadenzartige Improvisationsfreiheiten erlaubt: die Spieler können ihr eigenes Tempo wählen und gewisse Gesten beliebig oft wiederholen. Aber nie wirken die Musiker unseres Rundfunksymphonie-Orchesters unfreier, beflissener als in solchen Augenblicken. Weil die Sprache dieser Musik eben nicht die ihre ist, reden sie beklommen und improvisationsfern nach, wo sie frei und persönlich parlieren dürften. Der Eindruck war zwiespältig, doch keineswegs enttäuschend.

Dieses Fazit drängte sich auch bei der Darbietung von Schönbergs "Glücklicher Hand" auf. Denn hier handelt es sich keineswegs um eine Opern- oder Monodram-Partitur, deren Entscheidendes sich allein aus Worten und Tönen konstituiert. Nicht nur bleiben zwei handlungsaktivierende Personen (die "Frau" und der "Nebenbuhler") unsichtbar, wodurch die Worte des "Mannes" etwas unmotiviert wirken. Sondern auch die enorm ausführlichen szenischen Vorstellungen Schönbergs, der seine "Glückliche Hand" teils als Alptraum-Gegebenheit, teils in einer Grotte oder in einer Quasi-Fabrik spielen läßt, teilen sich nicht mit. Und schon gar nicht die kühne Synästhesie – also die genau vorgeschriebene Mischung aus Ton- und Beleuchtungs-Wirkungen. Unnötigerweise blieb sogar ein wichtiger Einsatz des unsichtbaren Orchesters "hinter der Szene", der "gemein-lustig" sein soll, ungespielt.

So war man angewiesen auf einen fragmentarischen Eindruck: Fischer-Dieskaus überlegene Darstellung der Männerpartie und den Chor. Aber leider unterdrückte (wahrscheinlich wären viel mehr Proben nötig gewesen) der allzu energische Dirigent auch hier die phantastische, traumzerrissene, reiche Gestaltenfülle. Es fehlte alles Gespenstische, fahl Huschende, kalt Expressionistische. Wir hörten nur Teile eines gedrängten Gesamtkunstwerks, und diese allzu derb. Viel Beifall gleichwohl.

Joachim Kaiser

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