Zum Liederabend am 26. März 1981 in Karlsruhe


    

     Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 28. März 1981     

Exemplarische Liedinterpretation

Schubert-Lieder mit Fischer-Dieskau und Jörg Demus in Karlsruhe

     

Mit Schubert-Liedern war Dietrich Fischer-Dieskau nach langer Zeit wieder einmal in Karlsruhe zu hören; begleitet wurde er dabei von Jörg Demus. Daß Fischer-Dieskau der beste deutschsprachige Sänger ist, steht so fest wie die Tatsache, daß er es war, der Maßstäbe für Liedinterpretation setzte, an denen kein Sänger vorbei kann, und der darüber hinaus das romantische deutsche Kunstlied "populär" machte.

Verschiedene Dinge treffen bei ihm zusammen, um derentwillen er eigentlich "unvergleichbar" und, so trivial es klingen mag, auch einzigartig ist, in dem Sinne nämlich, daß kein anderer Sänger sich der Mittel so bedient wie Dietrich Fischer-Dieskau. Schon seine Art zu artikulieren ist etwas Besonderes, denn keiner hat die Konsonantenaussprache so kultiviert wie er. Darum ist er nicht nur bis in die letzten Reihen zu verstehen, sondern verfügt gleichzeitig über eine wesentliche Stütze der Interpretation. Mit Hilfe der Vokale und seiner ganz spezifischen Atemtechnik bringt er ganz Unglaubliches an Farbe, Nuancen und Schattierungen hervor, was andererseits aber auch bis an die Grenzen der Intonation reicht. Vorwiegend düstere und dramatische Lieder hatte Fischer-Dieskau ausgewählt und zusammengestellt, so beispielsweise Prometheus, An die Leier, Memnon oder Totengräbers Heimweh, aber gerade die lyrischen Stimmungslieder, die er fast im Pianissimo aushauchte, machten den tiefsten Eindruck.

Bei Schubert finden wir übrigens eine klare Trennung in zwei Welten: die Realität, das Wirkliche, wird von ihm immer in Moll dargestellt, während Dur für das Überirdische, das Elysium, aber auch für den Tod steht: Eine zunächst paradox anmutende Idee; wer jedoch weiß, wie traurig bei Schubert Dur klingen kann, kennt diese Tatsache. Natürlich wurde Dietrich Fischer-Dieskau zu allen Zeiten um seiner Perfektion willen kritisiert: Ihm fehle das Spontane, jedes Detail sei festgelegt, von der Dynamik bis zur Aussprache und von der Klangfarbe bis zur äußeren Haltung. Dazu kann man stehen wie man will, jedoch ist er ein Künstler, der seinen Weg bis zur bittersten Konsequenz verfolgt, sich ein Höchstmaß an Disziplin abverlangt, und der auch sein Publikum davon nicht ausnimmt. Dies alles trägt zu einer Dichte der Interpretation bei, die ihresgleichen sucht. Mit zum Eindrucksvollsten geriet das "Nachtstück" D 672, bei dem einem wahrhaftig eine Gänsehaut über den Rücken lief. Vielleicht eine noch größere Geschlossenheit und Dichte wurde im zweiten Teil des Abends erreicht, allein "Wanderers Nachtlied" war eine unübertroffene Leistung.

Ein hervorragender Begleiter stand dem Sänger in Jörg Demus zur Seite. Auch er verfügt über diese reiche Palette an Schattierungen und Farbnuancen, die bei ihm auf seiner ganz speziellen Anschlagstechnik beruhen. Allein die Durchsichtigkeit und Gleichmäßigkeit eines Klaviertremolos beispielsweise ließ erstaunen.

Die beiden letzten Lieder, "An die Laute" und der "Musensohn", fielen von der Grundstimmung her ein wenig aus dem Rahmen: Der heitere Grundton wollte nicht so recht in das Gesamtbild passen, es sei denn, sie waren als "Rausschmeißer" gedacht, und da verfehlten sie denn auch nicht ihre Wirkung. Das begeisterte Publikum erwirkte vier Zugaben, wobei die letzte, "Ade ..." unmißverständlich und liebenswürdig den endgültigen "Abschied" bedeutete.

Anne Kern

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