Zum Konzert am 16. August 1981 in Luzern


Luzerner Neueste Nachrichten, 18. August 1981    

IMF-Kammerkonzert I mit den Festival Strings Lucerne

Zum Jubiläum ein Schritt ins Wagnis

Seine Enthaltsamkeit in Sachen "Auftreten an den IMF" hat Rudolf Baumgartner endlich aufgeben dürfen. Als Direktor der Festwochen konnte er während zwölf Jahren sein "liebstes Kind", Festival Strings Lucerne, nicht selber führen; Gastdirigenten übernahmen seinen Platz. Jetzt, nach dem Rücktritt von der IMF-Spitze und gerade rechtzeitig zum 25-Jahr-Jubiläum der Streichergemeinschaft, stand er wieder am angestammten Ort. Er präsentierte, mit Werken von George Enescu und Othmar Schoeck, ein Programm abseits des Gängigen.

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Auch die Tonkunst von Othmar Schoeck ist nicht Musik, die sich im ersten Moment erschließt. Auch sie verlangt vom Hörer Geduld – doch sie belohnt die Aufmerksamkeit: Ein Werk wie das "Notturno" gehört, bei aller helvetischen Spröde, zu den großen Taten im modernen Liedschaffen. Die Erweiterung des ursprünglichen Streichquartettgerüsts durch Baumgartner zu quasi-orchestraler Fülle scheint – Schoeck hat offenbar selber daran gedacht – besonders geglückt. Das erste Lied etwa ("Sieh dort den Berg") wird einzig vom solistischen Quartett plus Kontrabassverdopplung bestritten; erst im Andante-appassionato-Zwischenspiel treten die übrigen Instrumente dazu. Daß gerade das volle Streichercorps der Festival Strings ein wundervolles Pianissimo garantiert, zeigte sich im abgedämpften Klangteppich bei den Worten "Die dunklen Wolken hingen herab so bang und schwer".

Freilich: Ein Werk wie "Notturno" kann nur leben im Zwiegespräch zwischen Streichinstrumenten und menschlicher Stimme. Und diese Stimme gehörte Dietrich Fischer-Dieskau, dem unnachahmlichen Vermittler deutschen Liedgutes (während man zu seinen Opernauftritten eher Fragezeichen setzen mag). Da wurde nicht nur extreme Wortverständlichkeit demonstriert, da wurden auch die Facetten eines konsequenten Mezza-voce-Singens vorgeführt. Fischer-Dieskau wußte das "Ruhig und leise" im 4. Satz ganz unverkrampft zu treffen; und wie er den Übergang zum herrlichen Ausklang, zu dieser Verinnerlichung und Verklärung des Gottfried-Keller-Textes "Heerwagen, mächtig Sternbild der Germanen" schaffte – das macht ihm heute fürwahr keiner nach!

Gabriele Kronenberger

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