Zum Konzert am 27. September 1981 in München


Münchner Merkur, 28. September 1981

Fischer-Dieskau macht auf Musik von Nietzsche aufmerksam

Der Sänger und sein Begleiter Aribert Reimann

In einer ebenso noblen wie geschickten Verbindung von Information und Promotion, von Erfüllung kulturellen Auftrags und Repräsentation veranstaltete der Deutsche Taschenbuchverlag zu seinem zwanzigjährigen Bestehen eine Matinee in der Musikhochschule. Daß die Bayerische Akademie der Schönen Künste als Mitveranstalter auftrat, ergab sich aus gemeinsamen Mitgliedschaften, wie Heinz Friedrich in seiner Begrüßung (auch vieler prominenter Gäste – von Heinrich Böll bis Margot Hielscher) feststellte. Das Thema: "Friedrich Nietzsche als Komponist"; die Ausführenden: Dietrich Fischer-Dieskau als Sänger, Vortragender und Experte, sowie als klavierspielender Partner Aribert Reimanns, der hier nicht als Komponist, sondern als versierter Pianist in Erscheinung trat.

Mit Recht hatte Fischer-Dieskau die Überschrift seines Vortrags mit einem Fragezeichen versehen: Nietzsche – ein Komponist? Fest steht freilich die mehrfach bezeugte allgemeine musikalische Begabung des Philosophen, seine große Hochachtung vor der Musik, seine stete Verbindung zu ihr; aber auch, daß er "keine Musik geschrieben hat, die seinen philosophischen Taten gleichkäme", das "Laienhafte in seiner musikalischen Sprache" – und, daß es keine konkreten Bezüge zwischen musikalischer Betätigung und der Rolle der Musik in Nietzsches eigentlichem Lebenswerk gibt. Hans von Bülow schimpfte ihn einen Dilettanten und nahm ihm damit (fast) alle Illusionen, und tatsächlich versiegte Nietzsches musikalisch-schöpferische Ader bald nach Erreichen seines dritten Lebensjahrzehnts.

Wagner, der bis dahin sein Abgott war, klingt indessen kaum an, eher schon Schumann und Liszt, oder – in einem großen Bogen gesehen – alles zwischen Mendelssohn und dem jungen Richard Strauss. Am besten gelangen ihm sicher die Lieder, von denen eine Auswahl zu hören war; insgesamt acht Vertonungen so verschiedenartiger Dichter wie Puschkin, Hoffmann von Fallersleben, Petöfi und Klaus Groth, den man üblicherweise mit Brahms in Verbindung bringt. Fischer-Dieskau setzte sich engagiert und gelegentlich auch forciert dafür ein, verhaltener mit seiner Sprechstimme für das als Melodram komponierte Eichendorff-Gedicht "Das zerbrochene Ringlein".

Als Umrahmung zwei Beispiele aus Nietzsches Klaviermusik: "Hymnus auf die Freundschaft" und die (vierhändige) "Manfred"-Meditation (als Antwort auf Byron, und Schumann, den "süßlichen Sachsen"); ausgedehnte Fantasien ohne motivische oder formelle Fixpunkte, ein Wogen durch die Tonarten. Ein eigenartiger Fall: hochinteressant im Negativen.

Karl Robert Brachtel

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