Zum Konzert am 12. August 1985 in Salzburg  


  

     Süddeutsche Zeitung , Datum unbekannt     

Salzburger Festspiele

Hauptsächlich Shakespeare

Das sechste Orchesterkonzert mit Kompositionen von Schnittke, Reimann und Wellesz

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Aribert Reimann hat für Dietrich Fischer-Dieskau drei Monologe sowie orchestrale Zwischenspiele aus seiner "Lear"-Oper für den Konzertgebrauch herausgezogen und zu "Lear-Fragmenten" zusammengestellt. Im Mittelpunkt steht die Sturmszene aus dem ersten Teil, den Abschluß bildet Lears Klage über den Tod Cordelias. Riskant erscheint hier nicht nur der Beginn mit Lears nacktem Monolog ("Wir haben euch hierher befohlen...."), ohne jede Orchesterbegleitung, sondern riskant ist durchaus die Operation der Abtrennung von Einzelteilen aus dem organischen Zusammenhang des Ganzen der Oper. Was dort als die Entwicklung und die Totale eines Welt-Unglücks und des Schmerzes eines alten Mannes sukzessive wahrgenommen, erlebt werden kann, wird hier zitathaft vereinzelt als "schöne Stelle" dargeboten.

Dietrich Fischer-Dieskau, für den der Komponist Shakespeares Lear" zur Oper machte und der gewissermaßen der authentische Darsteller ist, sang die Monologe auch jetzt in Salzburg: Mit ganz großer Stimme und Tongebärde, manchmal gefährlich nahe jener Fortissimo-Grenze, wo Gesang in Schreien und Heulen übergeht. Und aus expressiven Gründen überschritt der Künstler diese Grenze zuweilen, hatte er doch auch gegen ein Orchester anzusingen, das seinerseits, und zwar mit radikal ballenden Klangmitteln, das Äußerste an Naturgewalttätigkeit sowie an "Ausdruck des inneren Wütens" zu evozieren hat.

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Den noch stärkeren Applaus hatte vor der Pause Dietrich Fischer-Dieskau erhalten – lebendes Beispiel dafür, wie ein berühmter Interpret, der auch die zeitgenössische Musik zu seiner Sache macht, diese Musik wirksam transportieren kann.

Wolfgang Schreiber

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     Salzburger Nachrichten, 14. August 1985     

Shakespeare und die Musik

Konzert des ORF Symphonie-Orchesters mit Leopold Hager und Dietrich Fischer-Dieskau

   

Wer immer für das Programm des ersten Gastkonzerts mit dem ORF-Symphonie-Orchester, am Montag im Kleinen Festspielhaus, verantwortlich gewesen sein mag, es war in seiner Dramaturgie höchst festspielwürdig. Das Thema: Shakespeare und die Musik, die Beiträger: Alfred Schnittke mit dem jetzt uraufgeführten Auftragswerk "(K)ein Sommernachtstraum", Aribert Reimann mit Fragmenten aus der Oper "Lear" und Egon Wellesz mit "Prosperos Beschwörungen", op. 53. Unverhältnismäßig viele Plätze waren diesmal leer geblieben, "neue" Musik wirkt hier immer noch als Schrecknis, und dabei hätte es gar nicht weh getan.

Alfred Schnittke hat, im Gegenteil, ein niedliches Mozart-Stückchen gefertigt, mit einem süß-melodiösen Thema, das solistisch-kammermusikalisch vorgestellt, nach der Art eines Rondos behandelt und dann und wann entsprechend "abgeschrägt" wird. Anders herum gesagt: Der Komponist zieht los und kommt ganz woanders heraus als man denkt, kratzt dann, irgendwie schelmisch, die Kurve und ist - fast - wieder dort, wo er eingangs war: maskierte, eulenspiegelische Musik von raffiniertester Banalität.

Die Hörer durften durchaus ihren Spaß daran haben, welcher ihnen sowieso mit Reimanns "Lear"-Fragmenten ausgetrieben wurde. Da folgte, das Übliche umkehrend, auf ein Satyrspiel die Tragödie, und Dietrich Fischer-Dieskau sang, gestaltete, erlebte und durchlitt seine drei großen Monologe, die "Sturmszene" und die Klage über den Tod Cordelias, daß es einem durch Mark und Bein ging. Gut sieben Jahre ist es jetzt her, daß Reimanns Oper in München uraufgeführt wurde, und kein Jota hat diese Musik an überwältigender Kraft und Dramatik eingebüßt. Im Gegenteil: die Fragmente machen - wieder - unbändige Lust auf das Ganze, und man darf sich am Ort erinnern, daß dieses nachhaltig eindrucksvolle Werk in Österreich noch nicht zu sehen war.

Daß Reimanns Klangsprache auch auf dem Konzertpodium ihre enorme Bildhaftigkeit zur Wirkung bringen konnte, mußte man sicherlich dem überragenden Sänger-"Darsteller" Fischer-Dieskau zuschreiben, darf es aber auch weitergeben an das hochkonzentriert agierende, offensichtlich sorgfältig studierte ORF-Orchester und seinen einsatzfreudigen Leiter Leopold Hager.

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Karl Horb

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