Zum Liederabend am 5. August 1987 in Lübeck


    

     Hamburger Morgenpost, Datum unbekannt     

Lust am Leben von Todesnähe überschattet

Wunderbarer Schubert-Abend mit Fischer-Dieskau und Eschenbach

     

Das Schleswig-Holstein-Musik-Festival macht es möglich: In diesem Sommer ist Lübeck zur Metropole geworden, zum Schauplatz ungewöhnlicher Konzerte. Auch der Liederabend, den Dietrich Fischer-Dieskau jetzt gemeinsam mit Christoph Eschenbach in der Stadthalle gab, wurde mit einhelliger Begeisterung aufgenommen.

Wenig bekannte Vertonungen von Franz Schubert standen auf dem Programm. Dietrich Fischer-Dieskau hat sie, in der Reihenfolge ihrer Entstehung, zu einem eigenen Zyklus zusammengestellt. "Sehnsucht", die Botschaft des letzten Liedes ("Die Taubenpost"), ist das heimliche Band, das diesen Reigen knüpft. Die Lust am Leben ist von Todesnähe überschattet, das Lebensglück von verlorener Liebe.

Fischer-Dieskau versteht es wie kein anderer, sich in die musikalischen Dichtungen hineinzuversetzen. Durch seinen Vortrag, durch seine Person gewinnt jedes Lied unverwechselbare Gestalt. Ein intimer Vorgang, der da öffentlich wird – und der magnetische Anziehungskraft hat.

Auch unscheinbare Texte, von Schuberts Melodien getragen, bekommen durch solche Interpretation Tiefe. Kostbarkeiten ragen hervor: "Nacht und Träume", "Auf der Bruck", "Alinde".

Doch der Erfolg gehörte nicht einem allein: Christoph Eschenbach war mehr als ein Klavierbegleiter, er war ein gleichrangiger Partner.

Kein Wunder, daß sich dies wunderbare Duo mit fünf Zugaben für den Jubel bedankte.

Peter Schütze

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     Die Welt, 7. August 1987     

Schleswig-Holstein-Festival:
 Dietrich Fischer-Dieskaus glanzvolle Lieder

Plädoyer für seltene Schätze

    

Eine pädagogische Ader läßt sich nicht so leicht verleugnen. Nach den jeweiligen Nummern des Deutsch-Verzeichnisses, weitgehend chronologisch also, waren die 18 Schubert-Lieder gebündelt, mit denen Dietrich Fischer-Dieskau im Rahmen des Schleswig-Holstein-Festivals seinen Liederabend in der Lübecker Stadthalle bestritt. Daß er dabei nicht auf sattsam bekannte "Zugstücke" setzte, war zu erwarten.

Untreu wäre sich der begnadete Liedsänger geworden, wenn er nicht auch Ausblicke in eine selbst bei Schubert noch weithin unentdeckte Liedkunst gegeben hätte. Plädoyers für einige nur zu selten zu hörende Kostbarkeiten, für die er sich (wie bei "Des Fischers Liebesglück") auch mit der Feder in seinem Buch "Auf den Spuren der Schubert-Lieder" stark gemacht hat.

Mit der dramatischen Szene "Hagars Klage" hatte schon 1811 der Strom von Schuberts Liedschaffen eingesetzt. Verhältnismäßig eng steckte da Fischer-Dieskau in seinem Lübecker Konzert den zeitlichen Rahmen ab. Seine Auswahl berücksichtigte allein Lieder der letzten sieben Jahre des Komponisten.

Da war die Vertonung von Baron Schlechtas Gedicht "Des Sängers Habe" mit der im nahezu immateriellen Piano geradezu träumerisch verzückten Schlußstrophe; Johann Gabriel Seidls Lied "Der Wanderer an den Mond" mit seiner ausgependelten Dur-Moll-Polarität und dem letztlich zerrinnenden Marschrhythmus oder das Herbstlied nach Ludwig Rellstab, bei dessen Vortrag die überlegene Einfärbung eines einzigen Wortes ("k a l t über den Hügel") das ihre dazu tat, um nach der Erinnerung an die liebesseligen "Tage des Lenzes" in hartem Schnitt unbarmherzig in die Wirklichkeit zurückzuführen.

Wer Fischer-Dieskau vor Jahresfrist mit demselben Schubert-Programm in einer Hamburger Matinee gehört hatte, wird das Lübecker Konzert doppelt dankbar aufgenommen haben. Keine einzige Phrase (auch nicht im energiegeladenen Eingangsstück "Heliopolis" II) wirkte hier unangemessen forciert; vor allem im berückenden Piano waren reiche Stimmittel mit wachem Kunstverstand eingesetzt. Jede aufs subtilste ausgefeilte Liedminiatur schien eine kleine Welt für sich. Auch diesmal ist – um den Titel eines Fernseh-Porträts aufzugreifen – von Fischer-Dieskau gleichsam an das "Gewissen der Stimme" appelliert worden.

Kabinettstücke reifer Vortragskunst waren selbst scheinbar so anspruchslose Nummern wie die reizende Kanzonette "An die Laute" oder (nach einem Shakespeare-Text in der Übersetzung des Freundes Bauernfeld) das Lied "An Silvia". Und wie gelöst kamen dann die generös gewährten Zugaben! Eine Goethe-Vertonung aus dem "Westöstlichen Diwan" war hier mit der Silberstiftzeichnung des Liedes "Geheimes" ("Über meines Liebchens Äugeln") zu hören. Heinrich Heines "Fischermädchen", das Spitzwegsche Genrebild "Einsam" ("Wenn meine Grillen schwirren") und dann - ein unmißverständlicher Fingerzeig für alle Unentwegten - aus dem "Schwanengesang" das "Ade, du muntre, du fröhliche Stadt". Ein "Abschied", so bleibt freilich zu hoffen, nur bis zum nächsten Festival.

Jubel schier ohne Ende um Dietrich Fischer-Dieskau und Christoph Eschenbach, den einfühlsamen Partner am Steinway. Schon vor einigen Jahren, bei einer Schallplatten-Aufnahme von Schumann-Liedern, hatte sich Fischer-Dieskau der Mitwirkung dieses musikalischen Sensibilissimus versichert. Auch hier bei Schubert war das Einverständnis ungetrübt, der klangliche Facettenreichtum der Begleitung beeindruckend. Und nicht zuletzt: Mit welcher ausgeklügelten und dabei ungezwungen wirkender Agogik wußte Eschenbach seinen Part durchzuformen. Nur als Beispiel sei hier das Lied "Im Frühling" herausgegriffen, wo das letzte Zwischenspiel mit der sehr bedachtsam eingefädelten Rückwendung zur Schlußstrophe in die Ohren fiel.

Hans Christoph Worbs

   

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