Zum Liederabend am 4. Februar 1988 in München


    

     Abendzeitung, München, 6./7. Februar 1988     

Der Effekt der Parodie

Fischer-Dieskau / Eisler

     

Zu einem Liederabend, den er ausschließlich dem Komponisten Hanns Eisler (1888-1962) widmete, lud Dietrich Fischer-Dieskau in den Max-Joseph-Saal der Residenz. Eine Veranstaltung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Ein bißchen mehr Einfühlungsvermögen, als ihm bei der Einführung zuteil wurde, hätte Hanns Eisler wohl doch verdient gehabt. Daß er die DDR-Hymne komponiert hat, war genau richtig plaziert.

Aber auch der Hinweis, daß man trotz Dietrich Fischer-Dieskau unter sich bleiben wollte und deshalb keinen größeren Saal angemietet habe, ließ sich kaum im Sinne des engagierten Sozialisten (und Kommunisten) Eisler einordnen.

Dietrich Fischer-Dieskau, glänzend begleitet von Aribert Reimann, sang aus Eislers "Hollywooder Liederbuch". Eisler hat hier Texte von Brecht, aber auch Eichendorff, Hölderlin und Shakespeare in den Jahren seines amerikanischen Exils mit knappen, zum Teil sarkastischen und parodierenden Tonfolgen unterlegt. Manches klingt nach Schubert (Heines "Verfehlte Liebe"), ein fast kabarettistischer Effekt, der natürlich gewollt ist. An anderer Stelle wird man daran erinnert, daß Eisler eine ganze Menge Filmmusik komponiert hat.

Dietrich Fischer-Dieskaus deklamatorische Überlegenheit, seine Souveränität und liedgestalterische Unerbittlichkeit verhalfen den Gesängen zu einer faszinierenden Wirkung. Man sollte die Akte Eisler jetzt nicht gleich wieder schließen, rund 600 Lieder, 15 Orchesterstücke und etwa 40 Bühnemusiken gäbe es zu entdecken. Was sicher lohnender wäre als so mancher Beethoven-Alltag fürs Abonnement.

Volker Boser

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     Süddeutsche Zeitung, 8.  Februar 1988     

Poesien aus dem Niemandsland

Hanns Eislers Exil-Lieder mit Fischer-Dieskau in München

    

"Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen / geh ich zum Markt, wo Lügen verkauft werden. Hoffnungsvoll / Reihe ich mich ein unter die Verkäufer." Das ist eine der fünf "Elegien" Bertolt Brechts aus dem sogenannten "Hollywooder Liederbuch" von Hanns Eisler, einer der lebendigsten und zugleich unbekanntesten deutschen Liedsammlungen, einem leidvollen und zugleich ironischen Kompendium zum Thema "Exil". Rund fünfzig Gedichte, meist von Brecht, hat Eisler im kalifornischen Exil während des Zweiten Weltkriegs gesammelt und komponiert, die er nie geschlossen publizierte, aus deren Fundus jetzt Dietrich Fischer-Dieskau, der "Entdecker" zeit seines langen Liedsängerlebens, rund die Hälfte vortrug.

Die Fülle und die Freude am Widersprüchlichen der Lieder beeindrucken. Vielfältig sind die Haltungen, Stimmungen, Beobachtungen, Erkenntnisse, Ausbrüche und Reflexionen -, und Eisler und Brecht lassen ihren von Skepsis und beißender Kritik durchzeichneten patriotischen Reaktionen zum Thema Deutschland, Heimat und Hitler freien Lauf: Zorn und Verzweiflung, Hoffnung und Verzagtheit, Anklage und tiefe Depression wechseln einander ab, werden sprachlich und musikalisch, aphoristisch auf die Spitze getrieben, lyrisch verdichtet. Dem bedeutenden Komponisten und Schüler Arnold Schönbergs, der in den zwanziger Jahren dessen erlauchtem Wiener Schülerkreis (Berg, Webern) entwich und sich der Arbeiterbewegung in Berlin anschloß (um dort auch agitatorische Lieder zu schreiben), gelingt in diesem Liedzyklus kompositorisch die Quadratur des Kreises: er verschmelzt Kunst-und Kampflied, Zwölftonerfahrung und Jazz, elegische Aura und Satire, Filmmusik und romantisches Gefühl.

Eisler, der Freund Brechts, der als Komponist der DDR-Hymne in der Bundesrepublik jahrzehntelang unter Tabu stand, war ein Meister der Dialektik, der Collage. Und in das Liederbuch aus dem Exil sind nicht nur Hölderlin-Fragmente ("An die Hoffnung", "Andenken") in eigener Bearbeitung eingegangen, sondern beispielsweise auch Heines "Verfehlte Liebe" sowie Eichendorffs berühmtes "In der Fremde", das hier heißt: "Erinnerung an Eichendorff und Schumann". Eisler hat dem Gedicht die zweite, die versöhnliche Strophe rabiat gestrichen, und er läßt den musikalischen Vortrag des Liedes am Ende jäh verstummen, schneidet es wie mit der Schere ab. Dieser Gestus des musikalischen Abreißens, der etwas Gewaltsames und Verstörendes hat, ist vielen Liedern des Zyklus zu eigen, auch dem letzten, Horatios Monolog von Shakespeare: "Und laß’ der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen, / wie alles das geschah ..."

Die historischen und lyrischen Folgerungen dieser aufregenden Lieder, ihre Gefühlslagen und Ausdrucksebenen sind nicht rasch beschreibbar, man muß sich ihnen ausliefern. Klar, daß die Vielfalt einem Darstellungskünstler wie Dietrich Fischer-Dieskau besonders engegenkommt. Da wechselten poetische Einfühlung und epische Vorzeigehaltung, lyrische Überhöhung, sachlicher Bericht, sarkastisches Poltern – eine Meisterleistung, die von dem Komponisten und Liedbegleiter Aribert Reimann am Klavier sowohl grundiert als auch differenziert gesteigert wurde. Daß Eisler zu den anspruchsvollsten Komponisten unseres Jahrhunderts zählt, auch zu den "deutschesten", und gleichzeitig zu den Unbekannten, es wurde, auf Einladung der veranstaltenden Akademie der Schönen Künste, im überfüllten Max-Joseph-Saal der Residenz, eine Stunde lang Ereignis.

Wolfgang  Schreiber

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