Zum Liederabend am 7. Oktober 1988 in Frankfurt


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, Datum unbekannt     

Jugendlich wie vor dreißig Jahren

Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll bei einem Liederabend in der Alten Oper

     

Mit drei Abenden innerhalb von sechs Tagen in der Alten Oper markierten Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll drei Schwer- und Höhepunkte des Kunstlieds im 19. Jahrhundert (der Strauss-Abend griff in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts über). Konzeption und Durchführung bekräftigten ein Anspruchsniveau, wie es der Sänger in Jahrzehnten der Liedgestaltung vorgegeben hat: Hier hat Fischer-Dieskau Maßstäbe gesetzt.

Der Schumann-Abend war durch vorwiegend dunkle Töne geprägt; Goethe gab dem Schubert-Abend überragende Geschlossenheit; bei Strauss hieß das Leitmotiv "Kontraste", gewiß ein chrakteristischer Begriff für einen Komponisten, dessen schöpferische Phantasie sich an einer Gedichtzeile, an einem Sprachbild entzünden konnte, der wahre Virtuosität im Nachspüren wechselnder Empfindungen und Stimmungen entfaltete. Heines "Schlechtes Wetter", wie geschaffen für diesen regensatten Abend, bildete einen Auftakt nach Maß. Klassisch geschulte Formkunst schlägt im Nachspiel die Brücke zum stürmischen Anfang; das Gegenstück: Dahns "Unglückhafter Mann" mit krassen Wechseln zwischen Wunschbild und Wirklichkeit.

Der spezifische Strausssche Humor kam in charakteristichen Ausprägungen zur Geltung: im jugendstilgemäßen Elan des "Herrn Lenz", im gutmütigen Spott des "Wozu noch, Mädchen", im Trotz des "Junggesellenschwurs". Zuletzt in einer vierteiligen Probe aus dem Zyklus "Krämerspiegel", den Fischer-Dieskau schon vor geraumer Zeit für eine Schallplatte einsang, ohne ihm zu größerer Verbreitung zu verhelfen. Mit der Verlegerschelte nach den bissigen Versen Alfred Kerrs, die mit Fremd- und Eigenzitaten jeden Musikkenner ergötzt, hatte Strauss natürlich die Intimität des Liedes gesprengt; auch "Wanderers Gemütsruhe", das zu Straussens Ersatzangebot für den vom Verleger abgelehnten "Krämerspiegel" gehört, stellte sie mit ihren ins Atonale drängenden harmonischen Wirbeln nicht her.

Das Duo leistete dies in den Zugaben, verzichtete zwar auch hier auf den reißerischen Strauss, lieferte indes mit "Traum durch die Dämmerung", "Ständchen", "Morgen" und "Freundliche Vision" einige der – verständlicherweise – beliebtesten lyrischen Perlen nach, knüpfte an die unnachahmliche "Nacht" vom Beginn des Abends an, ein Wurf des achtzehnjährigen Komponisten.

Nie erliegt der Sänger der Versuchung, sich auf die in Jahrzehnten erworbene Routine zurückzuziehen: die kleinste Form wird zu einem spannungsvoll erlebten Ereignis. Auch gewisse Manierismen, das Überzeichnen von Detailmomenten etwa, sind derzeit nahezu abgestreift; die Stimme wirkt frisch, jugendlich wie vor dreißig Jahren, die Höhe ist von verläßlicher Leichtigkeit, die Mittellage von einem Farben- und Nuancenreichtum, von dem Liedinterpretation lebt.

Gewiß stimulierend ist die Partnerschaft mit dem – eine Generation jüngeren – Hartmut Höll. Dieser Pianist fragt nicht mehr "Bin ich zu laut?" Selbstbewußt setzt er sich in Szene, treibt den Sänger bis an die stimmlichen Grenzen, er verlangt aber auch sich selbst das Äußerste an physischem und psychischem Einsatz ab, einzigartig seine klangliche Differenzierungskunst. Der so oft beschworene Einklang von Wort und Ton, von Emotion und Technik, von Farbe und Gehalt, hier ist er für Augenblicke beglückende Wirklichkeit.

Gerhard Schroth

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