Zum Liederabend am 10. März 1989 in Frankfurt


FAZ, 17. März 1989

Gesänge der Klage und Hoffnung

Fischer-Dieskaus und Reimanns Frankfurter Eisler-Abend

"Dem gleich’ ich, der den Backstein mit sich trug, der Welt zu zeigen, wie ein Haus aussah" - Brechts Bitternis über die Notwendigkeit, sein Heimatland zu fliehen, fand ihren kongenialen musikalischen Ausdruck in der Musik Hanns Eislers. Worte von Brecht, von Heine, Hölderlin, Anakreon, Shakespeare liegen dem zunächst so genannten "Hollywooder Liederbuch" zugrunde, das Eisler in Amerika schrieb. Den Titel verwarf er später wieder; zu seinen Lebzeiten wurden die Lieder nicht als Zyklus veröffentlicht. Er selber war davon überzeugt, daß er mit der Komposition dieser Lieder eine "seltsame und gute Arbeit" geleistet habe, und hoffte auf die Zukunft: "In einer Gesellschaft, die ein solches Liederbuch versteht und liebt, wird es sich gut und gefahrlos leben lassen. Im Vertrauen auf eine solche sind diese Stücke geschrieben."

Doch bis heute hat sich diese Utopie Eislers nicht erfüllt; die Gesellschaft, wie sie ihm vorschwebte, gibt es nicht in Deutschland. Die nationalsozialistischen Feinde, die er einst bekämpfte, leben noch und streuen ihre unseligen Thesen ungehindert aus. Die Eisler-Lieder verstehen und lieben nur wenige - denn sie sind selten im Konzertsaal zu hören, und auch Schallplatten-Einspielungen gibt es nur wenige.

Dietrich Fischer-Dieskau und sein langjähriger Freund und Liedbegleiter, der Komponist und Pianist Aribert Reimann, gastierten mit Eislers Liedern nun im Mozart-Saal der Alten Oper. "Landschaft des Exils" nannten sie diesen Abend nach einem Gedicht-Titel Brechts. Deutlich wurde, wie stark Fischer-Dieskau der Aufführungspraxis des Kunstliedes sich verpflichtet fühlt: Er nahm den Worten klangschön ihre Schärfe, stellte distanziert künstliche Affekte dar. Die vielfarbigen Register der Klage, der Hoffnung, der Verzweiflung standen ihm nicht zu Gebote.

Um so überzeugender interpretierte Aribert Reimann den Klavierpart. Hier fanden die Seelenqualen des Exilierten ihren Ausdruck, wurde die Ohnmacht dessen deutlich, der politisches Handeln gewohnt war und dem ein Eingreifen nun verwehrt wurde. Reimann lotete perfekt und differenziert die Tiefen, die variierenden Stimmungen aus. Wirklich überzeugende Spannung verlieh Fischer-Dieskau nur einer der Balladen: Brechts Elegie "Über den Selbstmord" kleidete er in grausiges Raunen: "Denn angesichts dieses Elends werfen die Menschen in einem Augenblick ihr unerträgliches Leben fort".

Neue Kriterien für das kompositorische Schaffen forderte Eisler: Musik müsse gesellschaftlichen Zweck, Auftrag und Verantwortung haben. In den Liedern aus Hollywood verwirklichte er seinen Anspruch. Das zu erkennen machte die Qualität dieses Liederabends aus.

Brigitta Mazanec

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