Zum Duett-Abend am 22. September 1989 in Berlin   


 

     Tagesspiegel, Berlin, 24. September 1989     

    

Von Schelmchen und Liebchen

Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper

     

An die Zeit, in der sich die "Schelmchen und Liebchen" zusammen mit Friedrich Rückert im Walzertakt drehten, in der Anastasius Grün die jungen Herzen, die wie "Blumenhaine im Mai ... blühten und klangen", mit holprigen Versen bedichtete, in der zusammen mit August Becker "junge Bleicherinnen, Lieder singend, ... mit dem weißen Linnen" wandelten, in der die sentimentalen Metaphern und die schiefen Bilder zusammen mit den roten Rosen und der blauen Blume erblühten und welkten – an diese Zeit erinnerten Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper mit einem Programm romantischer Duette. Ein nostalgisch gestimmtes Publikum ließ sich von ihnen nur allzu gern für zwei knappe Stunden in eine Epoche zurückversetzen, in der die Liebchen noch Zöpfe und keine Punkfrisuren trugen, in der von Baumsterben, Luftverpestung und AIDS noch keine Rede war, in der Felix Mendelssohn Bartholdy, Peter Cornelius und Robert Schumann und nicht die Sex Pistols und Co. den Ton angaben.

Das Programm, vor allem die Gruppe von Mendelssohn-Duetten, brachte allerdings, wenn auch natürlich in bester Absicht, fast zu viel des Betulichen und kaum noch nachzufühlenden Feinsinns: der erste spontane Zwischenfall kam denn auch erst nach dem komödiantisch pointierten Vortrag des Duetts "Liebhabers Ständchen", das Schumann nach einem komisch-verzweifelten Gedicht von Robert Burns komponiert hat. Nach eineinhalb Stunden gab es für Julia Varady und Fischer-Dieskau viele Blumen und noch mehr Schlußapplaus, aus dem der Wunsch nach Zugaben deutlich herauszuhören war. Er wurde gern und in entspannter Laune erfüllt.

Hellmut Kotschenreuther

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     Berliner Morgenpost, 24. September 1989     

Duett-Abend von Dietrich Fischer-Dieskau und Julia Varady

Das Ehepaar harmonierte auch musikalisch prima

   

Manchmal meint man, Duette miteinander singen zu können, sei nicht der schlechteste (wenn sicherlich auch nicht der einzige) Heiratsgrund.

Natürlich kann man auch, ohne vorher zum Traualtar geschritten zu sein, Duette singen. Aber es scheint eben doch nicht so einfach, zwei einander künstlerisch ebenbürtige Solisten unter das gemeinsame leichte (wenn interpretatorisch auch herzlich schwere) Joch des Duettierens zu zwingen.

Ein anderer Grund für die Seltenheit des gemeinsamen Liedvortrags im Duett liegt wohl auch daran, daß es an einem Repertoire mangelt, das für den Konzertvortrag taugt. Die meisten Duette waren nun einmal für den Eigengebrauch, den geselligen Vortrag in der Bürgerstube des Musizierens gedacht.

Seit langem haben die Festwochen innerhalb ihres Gesamtprogramms dankenswerterweise Dietrich Fischer-Dieskau eine Programmnische reserviert, die er Jahr für Jahr auf die überraschendste Weise nutzt.

Nach einer Partnerin für seinen Duett-Abend in der ausverkauften, begeisterten Deutschen Oper brauchte Fischer-Dieskau überdies nicht lange zu suchen. Er fand sie in Julia Varady am eigenen Herd, eine Mit-Gestalterin von wahrhaft strahlender Singkraft. Rund die Hälfte der vorgetragenen Duette hatte Dietrich Fischer-Dieskau überdies schon mit Janet Baker vor genau zwanzig Jahren in London ausprobiert, mit Daniel Barenboim am Klavier.

Diesmal hatte dessen Platz der untadelige, musikalisch beredte Hartmut Höll eingenommen, dessen delikate, doch zielstrebige Kunst vor allem in der Gruppe der Schumann-Gesänge die Duette geradezu zu Terzetten erweiterte: ein kongenialer Dritter im schönen Bunde.

Das gemeinsame Konzert begann an der Bismarckstraße mit einer Serie von sanften, lieblichen Duetten Felix Mendelssohn Bartholdys, über die Fischer-Dieskau eher singend hinwegmurmelte, als wolle er ihrer Schmetterlingszartheit interpretatorisch keine Gewalt antun, gefolgt von einer Handvoll von Butzenscheiben-Nummern aus der Feder von Peter Cornelius, die von der Argumentationsschärfe des Weimarischen Propagandaministers der Neudeutschen Schule um Liszt und Wagner kaum etwas spüren lassen.

Es waren die Duette Schumanns am Ende, die kulminierend in den vier Gesängen aus op. 87 (aber auch in op. 74, Nr. 4 "In der Nacht"), dem Abend künstlerisch jenes Gewicht gaben, das die Din-Kommission, maßstabsetzend wie immer, ein für allemal auf den Namen Fischer-Dieskau geeicht hat.

Klaus Geitel

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     Volksblatt, Berlin, 24. September 1989     

Dietrich Fischer-Dieskau und Julia Varady in der Deutschen Oper Berlin

Unverbunden nebeneinander im "Romantischen Duett"

   

Zu Dietrich Fischer-Dieskaus historischen Verdiensten gehört seine Spurensuche und wache Neugier. Er hat sich nie mit dem gängigen Repertoire zufriedengegeben, hat oft Neues (Gegenwärtiges sowohl wie Vergessenes) dem lebendigen Vorrat hinzufügen können. Jedesmal gelingt das nicht.

Die "Romantischen Duette", mit denen er sich jetzt zusammen mit Julia Varady in der Deutschen Oper hören ließ, dürften in ihrer Mehrzahl nicht zu retten sein.

Wie das, bei einem so sakrosankten Komponisten wie Robert Schumann (den ersten Teil des Abends mit Duetten von Mendelssohn und Peter Cornelius konnte ich nicht hören)? Zunächst: zwei sind weniger als einer. Der verdoppelte Vortrag entindividualisiert. Sensible Individualität aber ist beim Kunstlied beinahe alles. Wahrscheinlich hat Schumann seine Duette deshalb von vornherein einfacher, unvertieft-geselliger, der Hausmusik näher gehalten als seine Lieder.

Dialogische Spannung könnte das bis zu einem gewissen Grade ausgleichen. An ihr aber fehlt es diesen Duetten, in denen meist nur gemeinsam oder abwechselnd ein einheitlicher lyrischer Faden weitergesponnen wird. Sogar wenn ("Liebhabers Ständchen") die Geliebte bis zum Schluß unerbittlich bleibt ("Ich lasse dich nicht ein, nein, nein"), stellt sich keine beteiligende Auseinandersetzung her; das Gegenstück "Unterm Fenster" hat immerhin den Charme der kurzen Repliken.

Beide Texte stammen (der Übersetzer wird nicht mitgeteilt) von Robert Burns. Sie sind besser als die meisten original deutschen, die hier zu hören waren. Robert Reinick geht das biedermeierliche Klischee, dem doch sonst oft genialen Friedrich Rückert die Liebes-Reimerei hier allzu flott vom Munde.

Wo (Goethe, Hebbel) die dichterischen Voraussetzungen stimmen, überhört man am wenigsten, daß die Stimmen von Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau kaum zusammenpassen: im Timbre nicht, und auch nicht in der Art des Vortrags. Die leis zitternde Helle des Soprans, Ausdruck und Innigkeit des Baritons stehen meist unverbunden nebeneinander. Einige Duette sind auch für Sopran und Tenor gesetzt, und das hört man.

Am ehesten gaben das spanische "In der Nacht" oder das durchweg parallel geführte "So wahr die Sonne scheinet" etwas her: beim "Dich lieb ich, wie du mich" schmolzen die Stimmen ineinander.

Das "Familien-Gemälde" (nach Anastasius Grün) hingegen wurde Poesie nur durch das Nachspiel Hartmut Hölls, des wie stets sensitiv differenzierenden Klavierbegleiters.

Hans-Jörg von Jena

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