Zum Liederabend am 20. Juni 1992 in Feldkirch


   Neue Vorarlberger Tageszeitung, Feldkirch (?), 24. Juni 1992  

Ovationen für Fischer-Dieskau

Seine ganze sängerische, künstlerische und menschliche Lebenserfahrung legte Dietrich Fischer-Dieskau in die Gestaltung der Schubert-Lieder im Montforthaus.

Einen riesigen Bogen spannt Fischer-Dieskau vom ersten Stimmungsbild, Goethes "An den Mond" mit der sonoren Baßfülle bis zum letzten "Trinkt noch Glut und schlürft noch Licht" aus "Im Abendrot", das der Sänger im zartesten Piano verklingen läßt. Man muß immer wieder staunen über diese Gestaltungskunst, die den kleinsten Text-Wendungen nachspürt; hier die "unruhvolle Brust" (in "Wehmut") mit einem leichten An- und Abschwellen hervorhebt, dort, in der "Fischerweise", das "schlauer Wicht" ganz herauslöst. In der schneidenden Rede des "Zwergs" laufen einem Schauer über den Rücken, umso anrührender ist der zarte Abschied der Königin.

Mitreißend, wie sich der Sänger mit ganzer Kraft den tosenden Schicksalswogen ("Der Strom") entgegenstemmt, und sich im nächsten Moment der Welt entsagend zurücknimmt. "Totengräbers Heimwehe", das den Hörer erschüttert in die Pause entläßt, faßt Fischer-Dieskau in einer Vision von Licht zusammen.

Immer neu und wandlungsfähig

Dietrich Fischer-Dieskau weis natürlich mit seiner Stimme umzugehen, weiß, was er ihr zumuten kann, welche Reserven er ausschöpfen kann. Und trotzdem bleibt diese Stimme für den Hörer immer neu und ungeheuer wandlungsfähig. Das leichte, bis in die letzte Reihe tragende Pianissimo in der Höhe, die Kraft und Fülle in der Tiefe sind für jeden Sänger stets maßgebend und zwingend. Klavierpartner Fischer-Dieskaus war an diesem Abend wieder Hartmut Höll, der den Sänger einerseits zurückhaltend ergeben unterstützt, anderseits die Lieder sehr persönlich formt.

Dunkler, fließender Teppich

Die Begleitung von "Der Zwerg" - einer der Höhepunkte des Abends! - bildet einen dunklen, fließenden Teppich, zart und duftig gestaltet Höll "Des Fischers Liebesglück", kraftvoll und energiegeladen treibt er den Galoppritt in "Auf der Bruck" voran. Mit der fünften, in "standing ovations" erklatschten Zugabe "Im Abendrot" schenkten die Künstler dem begeisterten Publikum noch ein letztes Nachtgebet.

Katharina von Glasenapp

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   Vorarlberger Nachrichten, Feldkirch (?), 23. Juni 1992  

Ein Sänger – eine Sage

Schubertiade: Liederabend mit Fischer-Dieskau

   

Charismatische Persönlichkeiten in Rezensionen zu beschreiben, ruft meistenteils nur Mißverständnisse hervor. Es sind unter den Künstlern ja gerade die stets innovativen, die eine in den Augen der Umwelt erklommene, gesicherte Höhe der Eigenaussage ihrerseits immer wieder zu überwinden trachten. Ein solcher Mensch ist Friedrich Gulda, ist Celibidache, ist Dietrich Fischer-Dieskau.

Die Freiheit ihrer Mittel ist so souverän handhabbar, daß sich Ausdrucksvarianten und überhaupt Signale neu durchlebter Persönlichkeitsstruktur wie von selbst vollziehen, welche vom Beobachter dann vorschnell kategorisiert werden.

So haftet diesem großen Sänger das Etikett der Manierismus-Gefahr aus älteren Zeiten an. Fischer-Dieskau war sicherlich wie kein zweiter erfolgreich bemüht, musikalische Diktion und Charakteristik der Werkaussage stets zu hinterfragen und neu zu gliedern. Bei seiner Vorliebe für die akustisch-räumliche Umsetzung von Semantik und rhetorischer Bildhaftigkeit ergab sich, in der Bewertung dessen, eine Kategorisierung von manieristischer, Eigenpersönlichkeit aufoktroyierender Darstellungsform, was verständlich, aber nicht zulässig ist. Wer noch zwei Jahre zuvor seine Interpretationskunst als geistig pointiert, abstrahiert, dem Strom des cantablen Singens ausweichend, als neuen Maßstab seiner Gesangskunst festsetzte, der wurde ob der Natürlichkeit seiner "naiv"-sängerischen, geistigen sowie emotionalen Balance eines Besseren belehrt. Nicht nur, daß seine Stimme alle erdenklichen technischen Raffinessen umsetzte, was ja Schuberts Farbsinnlichkeit so sehr zuträglich ist, nein, er wollte und konnte sein künstlerisches Potential dem homogenen Strömen, der Charakteristik und Dramaturgie, all dies der emotionalen Führung seines sängerischen Spürsinns anvertrauen. Erst einmal wäre konkret festzustellen, daß dieser Abend in der Homogenität des Zusammenwirkens zwischen Fischer-Dieskau und Hartmut Höll auf denkbar hohem Niveau stand. Da, wo die beiden Künstler suggestive, tiefe seelische Prozesse an die absolute Stille annäherten (z.B. Schluß von "Totengräbers Heimwehe", "Des Sängers Habe", die Zugabe "Abendrot" und vieles andere), wurden Gefühle freigesetzt, die, das ist meine Meinung, einen moralisch-bildnerischen Charakter besaßen. Gleich das erste Lied "An den Mond" offenbarte die Faszination schlank und natürlich fließender Einfachheit, und wenn dann in der letzten Strophe der Sänger die zweite Stimme zur Klaviermelodie singt, dann bekommt man sogleich einen Eindruck von dieser einzigartigen Verschwisterung.

Subtile Stimmführungskunst

Besonders fiel im ganzen Konzert Fischer-Dieskau subtile Stimmführungskunst betreffend seiner außergewöhnlichen Stimmregistermischung auf. In diesem Sinne strahlen die Kopftöne, besonders aber die an sich, wenn auch nicht bei ihm, heiklen Übergangslagen substanzvolle Diktion aus. So der wunderschöne "Wanderer", "Das Zügenglöcklein" und ganz besonders "Des Fischers Liebesglück". Wenn ein Sänger die Farbkunst besitzt, mit größter Leichtigkeit geschmeidig alle Räume zu durchmessen, dann stellen sich wieder wie von selbst die uns meistens abhanden gekommenen natürlichen und elastischen Tempi ein, die einem Gesangsvortrag, ähnlich einem Klaviervortrag durch Andreas Schiff, ihre wahrhafte, "unfrisierte" Tiefe verleihen.

Muß man nur noch unter den frenetisch erklatschten Zugaben das abschließende "Abendrot" erwähnen, dann läßt sich das nur umschreiben, indem eine menschlich tiefe Aussage in subtilster Übermittlung das "seelische Mark" der sichtbar betroffenen Zuhörer erfaßte!

Hans-Udo Kreuels

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