Dietrich Fischer-Dieskau gibt Gesangstipps

Zwischendurch lässt die 82-Jährige sogar noch seinen eigenen Bariton mächtig erstrahlen

Von Kirsten Liese

Für Momente ist man sprachlos: Dietrich Fischer-Dieskau kann mit knapp 82 Jahren noch singen. Und wie! Mehrfach erhebt er in seinem Meisterkurs seinen Bariton, der mächtig und groß klingt wie eh. Anfang der neunziger Jahre hatte sich der Jahrhundertsänger aus dem festen Lehrbetrieb der Universität der Künste in den Ruhestand verabschiedet. Seither ist Fischer-Dieskau, bei dem etwa einst auch die Starsopranistin Christine Schäfer die hohe Kunst der Liedinterpretation studierte, ein seltener Gast im Theaterprobensaal, in den er jetzt noch einmal für vier Tage zurückgekehrt war. Fischer-Dieskau ist - nach dem Tode von Elisabeth Schwarzkopf - nunmehr der letzte große Gesangspädagoge, der auf Legato-Singen pocht sowie auf Präzision im Umgang mit der Sprache und der unterschiedlichen Pflege von Vokalen und Konsonanten.

Elisabeth Schwarzkopf war ungeduldiger

Aber bekanntlich kam bei der Schwarzkopf kaum ein Sänger über zwei Takte hinaus, ohne dass sie schon abklopfte, und drang einmal ein angestrengt klingender, hässlicher Ton an ihr Ohr, dann sagte sie das ohne Umschweife. Fischer-Dieskau dagegen ist ein geduldiger Lehrer, der seine Schüler väterlich unter seine Fittiche nimmt, gleichwohl aber auch mit Bestimmtheit anspricht, woran noch gearbeitet werden müsse. Am liebsten sitzt er am rechten Bühnenrand neben einem Notenpult. Er wirkt sehr wach, kein Schnitzer entgeht ihm. Er gestikuliert, dirigiert mit und lockert seine Kritik mit kurzweiligen Anekdoten auf. Das Gros der sieben Teilnehmer studiert in Berlin. Der Stand ihrer Ausbildung allerdings differiert: Bei manch einem gilt es nur noch am Ausdruck zu feilen, bei anderen tut auch noch der eine oder andere technische Ratschlag Not.

Neue Karrieren künden sich an

Von einigen, die schon jetzt mit schönem Timbre besonders aufhorchen lassen, wird man gewiss noch viel hören: allen voran von der Mezzosopranistin Theresa Kronthaler, die sich mit ihrer exquisiten Begleiterin Katrin Dasch bei Fischer-Dieskau sozusagen den Feinschliff für ihren Vortrag von Wagners Wesendonck-Liedern holt. Eindruck macht auch der Chemnitzer Bariton Tobias Berndt, der auf hohem Niveau an Schuberts Harfner-Gesängen arbeitet, oder Ines Schumacher, ein seltenes Talent im hochdramatischen Fach, in dem derzeit akuter Mangel herrscht. Mit Fischer-Dieskau arbeitet die Sopranistin vor allem an der Aussprache bei vier Liedern von Hugo Wolf. Gelingt auch nicht alles auf Anhieb - mutig ist die junge Dame allemal, die ganz nebenbei eine Kostprobe ihrer Bühnenpräsenz gibt, wenn sie mit ihrem Lehrmeister hemmungslos flirtet. "Köstlich", ruft es da aus dem Publikum, als wäre das eine Szene aus den "Meistersingern" zwischen Sachs und Evchen. Gekommen sind überwiegend ältere Menschen der Gruppe 60 Plus, ausgerüstet mit Fotoapparat, Textbüchern und Klavierauszügen. Langjährige Kenner und Verehrer, die den Grandseigneur gewiss noch zu Zeiten seines Zenits erlebten, die ausgewählten Lieder rückwärts mitpfeifen können und noch heute an seinen Lippen hängen. Und sich einig sind, dass Fischer-Dieskau noch ganz der Alte ist und bestens in Form. Hoffentlich war das nicht seine letzte öffentliche Meisterklasse.

Aus der Berliner Morgenpost vom 24. April 2007