Süddeutsche Zeitung vom 30.9./1.10.2000

Der Briefwechsel Richard Strauss und Hugo von Hoffmannsthal
Mit Zuckerbrot und Peitsche
Dietrich Fischer-Dieskau und Gert Westphal beleuchten einen Schöpfungsakt

G r ü n w a 1 d Musik und Poesie, Melodie und Rhythmus - wenn ein Komponist und ein Schriftsteller miteinander kommunizieren, geht es um Höheres, um das "poetisch Wesenhafte", um Nuancen des literarischen Ausdrucks, um verhaltenes legato oder lyrisches diminuendo, sollte man meinen. Und manchmal stimmt das auch. Zumindest wenn ein gefeierter Sänger, nämlich Dietrich Fischer-Dieskau und ein Schauspieler von der Klasse eines Gert Westphal aufeinander treffen. Und wenn sich diese beiden hinein versetzen in jene, die einst Kunstwerke geschaffen haben, dann kann man Sprache singen hören.
Im Briefwechsel zwischen Richard Strauss und dem Dichter Hugo von Hofmannsthal, aus dem Fischer-Dieskau und Westphal vor großem Publikum in der Gaststätte Römerschanz lasen, ging es aber noch um viel mehr, nämlich um die ganz gewöhnlichen Differenzen und Eitelkeiten, die sichtbar wer-
den, wenn zwei vollig verschiedene Charaktere miteinander eine Geschäftsbeziehung eingehen. Wenn nämlich der eine, Strauss, dem anderen in die gemeinsame Arbeit an musikalischen Werken wie "Elektra", "Der Rosenkavalier" hinein reden will, oder gar, ganz am Ende des 23-jährigen gemeinsamen Wirkens, bei "Die ägyptische Helena", rigide zu dominieren versucht, und der andere sich mit all seiner Feinsinnigkeit und dem Verweis auf seinen "viel bizarreren" Charakter zu behaupten sucht.
Die Einflussnahme seitens Strauss reicht von Zuckerbrot "Sie sind der geborene Librettist" bis zur Peitsche: Als "matt und flau" bezeichnete er die ursprüngliche Fassung des zweiten Aktes im Rosenkavalier. An ihr musste der Dichter lange herumbasteln, bis seine Worte dem Musikus nicht mehr "nur heiter", sondern endlich "komisch" genug erschienen.
Und die beiden Interpreten verstanden es meisterhaft, dem Publikum Vergnügen zu bereiten, etwa wenn Westphal den etwas gekränkten Hofmannsthal aus der lyrischen Schlussszene zitieren ließ oder Fischer-Dieskau einige Takte des Ochs von Lerchenau intonierte.
Über das Publikum im allgemeinen waren sich die Brief freunde, die in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit nie zum Du gefunden haben, übrigens einig: Von "Ochsen" ist da bei Strauss die Rede, etwas weniger derb erklärte von Hofmannsthal: "Das poetisch Wesenhafte ... braucht Dezennien um verstanden zu werden. "
Bis zur Grünwalder Lesung im Jahr 2000 mag genug Zeit verstrichen sein - langanhaltender Applaus belohnte jedenfalls den Auftritt und könnte dem Dichter eine späte Genugtuung sein, der seinem Freund im Jahr 1914 schrieb:
"Das schönste Fest ist eine einsame schöpferische Stunde"
ALEXANDRA LEUTHNER