Für die einsame InselZwischen Wiener Klassik und Wagner: Julia Varadys Münchner AuftritteWie sehr sie fehlt, verdeutlicht wieder einmal diese Zusammenstellung: Abigaille ("Nabucco"), Vitellia ("La clemenza di Tito") sowie die doppelte Leonora ("Macht des Schicksals", "Troubadour") - alles Rollen, die nach Julia Varadys Abgang von der Opernbühne kaum mehr oder nur unzureichend besetzt werden können.Ihre Münchner Auftritte zwischen 1975 und 1992 sind nun auf einer neuen CD dokumentiert. Die Live-Ausschnitte führen vor Ohren, über welch enorme Flexibilität in Sachen Repertoire und Stilempfinden die Sopranistin gebot. Ob Wiener Klassik oder Wagner: Julia Varady bewies, dass es jenseits von Technik, emotionaler und klanglicher Erfüllung etwas anderes, darüber Hinausgehendes gab, das ihre Interpretationen so unverwechselbar machte. Hörbar wird hier eine Gratwanderung zwischen intelligenter Kontrolle und "Hineinwerfen" in die Partie, zwischen Passion und Reflexion, auch zwischen heroinenhaftem Gestus und mädchenhafter Emphase. Bestechend, wie etwa die Varady - im Zusammenwirken mit Dirigent Wolfgang Sawallisch - die Ballade der Senta aus dem "Fliegender Holländer" vom versonnenen Sinnieren zur explosiven Entäußerung treibt. Wie auch in Vitellias großer Arie "Non più di fiori" die lyrische Feinzeichnung dem flammendem Tragödienton weicht - auch wenn Bernhard Klee im Orchestergraben dabei Zeitlupenrekorde bricht. Als Arabella, auch als "Meistersinger"-Eva bringt Julia Varady eine wohltuend herbe Note in die sonst überzuckerten Partien. Im Mittelpunkt der CD stehen indes Abigailles fulminant gesungene Auftrittsarie und eine längere Szene aus der "Macht des Schicksals": Leonoras Begegnung mit Padre Guardiano, die Kurt Moll und Julia Varady, heftig animiert von Giuseppe Sinopoli am Pult, zu 19 Sternminuten werden lassen. Zweifellos eine CD für die einsame Insel. Julia Varady: Live-Aufnahmen 1975-1992, Bayerisches Staatsorchester, verschiedene Dirigenten (Orfeo). MARKUS THIEL merkur online 04.09.2004 |