Münchner Merkur 13.6.2001

Hymnische Phrasen
Rückkehr der Sängerin Julia Varady


Ein Wunder, sie hat gesungen. Obwohl sie letztes Jahr die Richard-Strauss-Tage im Stich gelassen hat, obwohl ihr Mann Dietrich Fischer-Dieskau heuer als Dirigent kurzfristig abgesagt hat: Julia Varady stand auf der Bühne. Zwar nur für geschätzte - und auch so geplante - zehn Minuten. Aber Szene und Arie der Ariadne ("Es ist ein Reich") langten vollkommen, um die große Darstellungskraft der Varady zu spüren.

Anfangs schien sie irritiert, wohl vom Schulaula-Charme des Garmischer Kongresshauses, von der gnadenlos nachhallfreien Akustik. Doch als Ariadnes große Aufschwünge nahten, diese sich hymnisch wölbenden Phrasen, da erschauerte man doch als Zuhörer, wünschte sich die lang Vermisste dringendst auf die Münchner Opernbühne zurück.
Roland Kluttig, Kapellmeister an der Stuttgarter Staatsoper, war mehr als nur verwaltender Ersatz, dirigierte gut kontrollierend und engagiert, im Überschwang manchmal an der Solistin vorbei. Und in Schönbergs "Kammersymphonie" auch über Keckes und Filigranes der Partitur hinweg. Schade eigentlich, saß vor ihm doch die exzellente Bayerische Kammerphilharmonie, deren Musiker mit solistischen Qualitäten wucherten.

Besser, ausgeglichener gelang Mahlers "Lied von der Erde" in Schönbergs selten zu hörender Kammermusikfassung. Die stimmenverschlingende Last des großen Apparats fällt hier weg - Chance also für die beiden Solisten, genau zu differenzieren, wirklich Liedtexte in allen Abschattierungen zu gestalten. Eine Chance, die Glen Winslade verstreichen ließ, zwar mit saftigem Heldentenorpathos beeindruckte, sich letztlich aber der Musik gegenüber neutral verhielt.

Anders Anke Vondung, die anfangs zu nobel, nur auf korrekte Technik und Klangkultur achtend sang. Doch dann, vor allem im 20-minütigen "Abschied", zu einer ganz schlichten, umso berührenderen Eindringlichkeit fand. Kein Zweifel: Die große Karriere ist programmiert, im Dezember debütiert Anke Vondung im Münchner Staatsopern-"Faust" als Siebel.

Langer Applaus, Bravi - und das Hoffen auf eine Wiederkehr der Varady. Wenigstens in einer konzertanten "Ariadne", notfalls auch mit Fischer-Dieskau am Pult.

Markus Thiel


Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 13./14. Juni 2001

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

Ausgabe: 13.06.01