Hymnische Phrasen
Rückkehr der Sängerin Julia Varady
Ein Wunder, sie hat gesungen. Obwohl sie letztes Jahr die Richard-Strauss-Tage
im Stich gelassen hat, obwohl ihr Mann Dietrich Fischer-Dieskau
heuer als Dirigent kurzfristig abgesagt hat: Julia Varady stand
auf der Bühne. Zwar nur für geschätzte - und auch
so geplante - zehn Minuten. Aber Szene und Arie der Ariadne ("Es
ist ein Reich") langten vollkommen, um die große Darstellungskraft
der Varady zu spüren.
Anfangs schien sie irritiert, wohl vom Schulaula-Charme des Garmischer
Kongresshauses, von der gnadenlos nachhallfreien Akustik. Doch
als Ariadnes große Aufschwünge nahten, diese sich
hymnisch wölbenden Phrasen, da erschauerte man doch als
Zuhörer, wünschte sich die lang Vermisste dringendst
auf die Münchner Opernbühne zurück.
Roland Kluttig, Kapellmeister an der Stuttgarter Staatsoper,
war mehr als nur verwaltender Ersatz, dirigierte gut kontrollierend
und engagiert, im Überschwang manchmal an der Solistin vorbei.
Und in Schönbergs "Kammersymphonie" auch über
Keckes und Filigranes der Partitur hinweg. Schade eigentlich,
saß vor ihm doch die exzellente Bayerische Kammerphilharmonie,
deren Musiker mit solistischen Qualitäten wucherten.
Besser, ausgeglichener gelang Mahlers "Lied von der Erde"
in Schönbergs selten zu hörender Kammermusikfassung.
Die stimmenverschlingende Last des großen Apparats fällt
hier weg - Chance also für die beiden Solisten, genau zu
differenzieren, wirklich Liedtexte in allen Abschattierungen
zu gestalten. Eine Chance, die Glen Winslade verstreichen ließ,
zwar mit saftigem Heldentenorpathos beeindruckte, sich letztlich
aber der Musik gegenüber neutral verhielt.
Anders Anke Vondung, die anfangs zu nobel, nur auf korrekte
Technik und Klangkultur achtend sang. Doch dann, vor allem im
20-minütigen "Abschied", zu einer ganz schlichten,
umso berührenderen Eindringlichkeit fand. Kein Zweifel:
Die große Karriere ist programmiert, im Dezember debütiert
Anke Vondung im Münchner Staatsopern-"Faust" als
Siebel.
Langer Applaus, Bravi - und das Hoffen auf eine Wiederkehr
der Varady. Wenigstens in einer konzertanten "Ariadne",
notfalls auch mit Fischer-Dieskau am Pult.
Markus Thiel
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 13./14. Juni 2001
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