Berliner Morgenpost vom Samstag, 26 Februar 2005 Lied und Leidenschaft Dietrich Fischer-Dieskau über den Berliner Dom und die neue Sängergeneration Dietrich Fischer-Dieskau tritt heute als Rezitator im Jubiläumskonzert für den Berliner Dom auf Foto: Schubert Der Berliner Bariton Dietrich Fischer-Dieskau gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den weltweit gefeierten Liedsängern. Der fast 80jährige ist nach wie vor als Dirigent, Maler, Buchautor, Ehrengast aktiv - und wird heute im Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin zum 100jährigen Jubiläum des Berliner Doms als Sprecher auftreten. Volker Blech sprach mit Dietrich Fischer-Dieskau. Berliner Morgenpost: Können Sie drei Ihnen wichtige Bauwerke Ihrer Heimatstadt nennen? Dietrich Fischer-Dieskau: Die Errichtung der Philharmonie war für mich wichtig, dort hatte ich viele Soloabende und Auftritte mit Orchestern. An zweiter Stelle folgt die Deutsche Oper. Darüber hinaus imponiert mir sehr das Sony-Gebäude in Mitte. Heute sind Sie Rezitator in einem Jubiläumskonzert für den Berliner Dom. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an den Dom? Ich bin in Zehlendorf - damals noch bei Berlin - geboren worden. Damals konnte man nur per Dampfbahn die Stadt erreichen. Den Dom habe ich als Kind natürlich gesehen. Wie ich auch im Alten Museum war und regelmäßig in der Staatsoper, dort kartenheischend im Foyer stehend. Heutige Konzertsäle werden gern mit Kirchensälen verglichen. Die Konzertsäle der Welt haben Sie als Solist bis zu Ihrem Abschied 1992 beherrscht... ...beherrscht kann man nicht sagen, aber ich war überall sehr oft. Was hat sich seither im Kulturbetrieb verändert? Oh, sehr viel, wir sind in verschiedener Hinsicht in Wendezeiten. So hat sich die Einstellung junger Menschen zur Kunst enorm gewandelt. Einerseits gibt es ganz erstaunliche Dinge, wenn sich etwa in einer Leipziger Malschule viele wieder der gegenständlichen Malerei zuwenden. Leider stehen aber auch viele den Künsten abständig gegenüber. Und lassen sich nur ganz schwer begeistern. Diese Leidenschaft vermisse ich schon. Wenn Sie auf heutige Sänger schauen. Wen würden Sie als Nachfolger sehen? Über mich wurde immer geschrieben, ich sei der Nachfolger von Heinrich Schlusnus - wie habe ich das gehaßt. Ich war natürlich nicht sein Nachfolger, weil er etwas völlig anderes gesungen hat. Mit seinen Interpretationen war ich gar nicht einverstanden. Aber es gibt heute eine Reihe hervorragender Stimmen für den Liedgesang. Ich denke an Thomas Hampson, Dietrich Henschel oder Matthias Goerne. Was hat sich an Ihrem eigenen musikalischen Geschmack verändert? Es gibt keinen Wechsel, weil ich schon immer wußte, daß wir im Grunde vom musikalischen Erbe des 18. und 19. Jahrhunderts leben. Und daß sich unser ganzer Konzert- und Opernplan auf diese Werke bezieht. Das ist der Höhepunkt der Musikgeschichte. Wir sollten uns damit zufrieden geben und nicht allzu viel Hoffnung auf die Zukunft setzen - es war halt alles schon einmal da gewesen. Im Konzert sind Sie Sprecher in Arnold Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau". War der Zwölftön-Entwickler Schönberg im 20. Jahrhundert auf einem Irrweg? Nach dem Krieg, als wir Schönbergs Werke endlich kennen lernen konnten, waren wir alle fasziniert. Es sind beeindruckende Schöpfungen, aber nicht alles daran behagt mir. Gehen wir zurück ins 18. Jahrhundert, als Johann Sebastian Bach für einen Ihrer Vorfahren, den Kammerherrn von Dieskau, 1742 seine "Bauernkantate" komponierte. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob er den Auftrag gegeben oder ihm jemand das Werk zur feierlichen Übernahme eines Schlosses geschenkt hat. Er war Steuereinnehmer - ja, damals waren diese Leute noch Schloßbesitzer. Bach hatte für diese Kantate starke Anleihen bei sich selbst und anderen Komponisten genommen. Es gibt aber einige Sachen, die absolut neu innerhalb des Bachschen Werkes sind. Gibt es für Sie eine besondere Bindung zu diesem Familienerbstück? Diese Bindung gibt es überhaupt erst durch mich, weil ich die darin enthaltene Bariton-Stimme sang. Es ergab sich sozusagen von selbst. Ich habe das Stück schon sehr früh hier in Berlin aufgenommen und später im Konzert diverse Male gesungen. Von mir gibt es zwei Plattenaufnahmen. Insgesamt gibt es über 1000 Schallplattenaufnahmen mit Ihnen? Ja, aber ich habe sie nicht gezählt. Ihre eigene Plattensammlung ist legendär. Wissen Sie, wie viele Platten Sie mittlerweile haben? Nein, es sammelt sich einfach vieles von selbst an. Wenn mir Firmen Dinge zuschicken, weil ich ein Wort dazu sagen soll. Oder mir Freunde Dinge zukommen lassen, von denen sie annehmen, daß es mich interessiert. Mein Hauptinteresse der letzten Zeit liegt aber auf historischen Platten. Ich möchte gern die Sängergarde ab 1900 auf Schallplatte nachvollziehen. Sie sind nach wie aktiv als Maler, Buchautor, Rezitator, Dirigent? Ich werde in diesem Jahr wieder in Salzburg dirigieren und am 21. Mai mit dem Berliner Sinfonie-Orchester einen Brahms-Abend im Konzerthaus machen. Eigentlich bin ich immer bei irgend etwas. Es gibt eben eine Menge Medien, derer ich mich gern bediene. Die unendlich lange Liste Ihrer weltweiten Musikpreise, Auszeichnungen und Ehrenämter ist schon irritierend... ...irritierend ist auch das kaum überschaubare Gesamtwerk von Franz Schubert, und er hatte im Gegensatz zu mir nur einen Schaffenszeitraum von anderthalb Jahrzehnten. Welche dieser Ehrungen bedeutet Ihnen etwas? Ehrenbürger von Berlin zu sein, bedeutet mir viel. Ebenso schätze ich die Reuter-Plakette. Und jetzt hängt auch noch ein Porträt von mir im Abgeordnetenhaus. Darüber freue ich mich schon sehr. URL dieses Artikels: http://www.morgenpost.de/content/2005/02/26/feuilleton/737493.html |
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