
Die Bilder und das Bilderverbot
Arnold Schönbergs "Moses und Aron", dirigiert
von Kent Nagano, konzertant in Wien
"O Wort, das mir fehlt!" Das Unfassbare fassbar
zu machen, den reinen Gedanken zu verbreiten, ohne Brücken,
ohne Bilder, ohne Redekunst, daran scheitert Moses am Ende des
2. Akts des zwischen 1930 und 1932 komponierten, unvollendet
gebliebenen Fragments zwischen Oper und Oratorium. Das Volk zieht
in Richtung Gelobtes Land, aber folgt es nun dem "unerbittlichen
Denkgesetz"? Oder vertraut es wieder nur auf Bilder und
Wunder - dem Verschwinden des Götzenbilds, der Feuersäule,
die ihm als Zeichen vorangeht?
Arnold Schönberg schuf mit dieser Oper Musik im Dienst
einer Idee (der konsequent durchgehaltenen Zwölftonmethode
und dem Glauben, damit Umfassendes ausdrücken zu können)
und musste sich doch auch auf plakative Wirkungen einlassen.
In der Bilderlosigkeit einer (exemplarischen) konzertanten
Aufführung entfällt das Dilemma, brennende Dornbüsche,
Arons Zaubertricks, die einen Stab in eine Schlange verwandeln,
und die gro-ße Orgie um das Goldene Kalb in Szene setzen
zu müssen. Suggestiv ist allein die Musik, das Theater findet
im Kopf statt.
Die beiden Kontrahenten - Geistesmensch Moses und Tatmensch
Aron - sind mit Dietrich Fischer-Dieskau, der den nur teilweise
notenfixierten Sprechgesang pathosfrei, fast mit kritischer Distanz
und dadurch umso eindringlicher rezitiert, und mit dem textdeutlichen
amerikanischen Tenor Donald Kaasch geradezu ideal besetzt. Oft
simultan verschlungen, "spricht" Moses, während
Aron, sein "Mund", singt: Ausdruck eines die Brüder
einenden wie trennenden Gedankenkampfes. Melanie Walz, Marcus
Ullmann, Thomas Mohr und Kwangchul Youn - alle vorzüglich
- sind kaum mehr als Stichwortgeber.
Dritter Protagonist ist der von Schönberg konzessionslos
behandelte Chor. Der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung: Simon
Halsey) bewies bereits in der Eingangsszene seine Kompetenz.
Völlig klar und wortdeutlich lösen sich einzelne Soli
aus dem ebenso textverständlichen Geraune aus dem brennenden
Dornbusch, seine Entsprechung findet das im ebenfalls von Soli
durchsetzten Orchester.
Kent Nagano, der das vorbildlich einstudierte Deutsche Symphonie-Orchester
Berlin leitete, leistete vom Dirigentenpult aus wahre Wunder
an Balancearbeit und erzeugte stets einen zwingenden Sog der
Klänge, der nichtsdestoweniger von größtmöglicher
Klarheit gezeichnet war. Der Mitschnitt des Konzerts dürfte
eine Referenzaufnahme werden.
HEINZ RÖGL
Kronenzeitung 7.6.01
30. Musikfest: Schönbergs "Moses und Aron"
KAMPF UM DAS WORT
Er gilt international als Garant für beispielhafte Interpretation
der Zweiten Wiener Schule: Kent Nagano führte das 30. Musikfest
und das Schönberg Festival im Wiener Konzerthaus "Moses
und Aron" auf. Ein Triumph für ihn, das Deutsche Symphonieorchester
den Rundfunkchor Berlin und die Solisten !
Manche interpretieren Schönbergs Opernszenario schärfer,
kehren das mathematische Kalkül dieses Jahrhundertwerks
und seine stählernen Konturen hervor. Nagano weicht reinem
Kalkül und klanglicher Skelettierung aus: Er rückt
Schönbergs Partitur mit ihrer überwältigenden
klanglichen Theatralik all die kunstvollen Bögen und kontrastierenden
(Stimmungs-) Details in den Vordergrund.
Das gelingt mit dem perfekt trainierten Deutschen Symphonie-Orchester
und dem Rundfunkchor Berlin tadellos: Mit Kraft spannt er Klangnetze
aus - in prächtiger Farbigkeit word der Tanz ums goldene
Kalb gespielt -, macht die komplizierten Stimmverflechtungen
hörbar und kontrastiert die einzelnen Chorgruppen mit den
Instrumentalstimmen "kontrapunktisch" durchsichtig.
Den Hauptpunkt setzt Nagano auf "Oper". Eine in
ihrer Geschlossenheit packende Wiedergabe, besonders im Streit
der Titelfiguren um Gottesgedanke und Gottes Wort. Die Besetzung
mit Dietrich Fischer-Dieskau, der der Sprechpartie des von Selbstzweifeln
gequälten Moses höchste Wortdeutlichkeit, aber auch
Gesangsqualität im Ton gibt, und dem sicheren Tenor, Donald
Kaasch als "Ideenverkäufer" und politischen Demagogen
Aron lässt kaum Wünsche offen. Interessantester Solist:
der Bass Kwangchul Youn.
Karlheinz Roschitz
Kurier
Kleine Zeitung, Ausgabe Kärnten
Voll verführerischer Sinnlichkeit
Dietrich Fischer-Dieskau kehrte noch einmal auf das Podium zurück.
Seine Sängerkarriere hat der deutsche Bariton am 31.
Dezember 1992 beendet. Dennoch kehrte der 76-jährige Künstler
auf das Podium des Wiener Konzerthauses zurück: Als Moses
in Arnold Schönbergs unvollendeter Oper "Moses und
Aron".
Schönberg hat den Moses als Sprechrolle für eine "tiefe,
sehr große Stimme" gestaltet. Während Schauspieler
meist an der genauen rhythmisch-metrischen Festlegung scheitern
und auch mit der annähernden Fixierung der Sprechkurve in
relativen Tonhöhen ihre liebe Not haben, wartet Dietrich
Fischer-Dieskau mit der für ihn typischen Perfektion und
einem samtigen Bariton auf, dessen sonore Deklamation mit Mut
zu Pathos und Größe meist in der Nähe des Gesangs
bleibt und der auch tatsächlich jene sieben Takte in der
zweiten Szene des ersten Akts, in denen der Komponist dies als
Möglichkeit gestattet, singt.
Den Höhepunkt des Schönbergfestivals zum 50. Todestag
des Wiener Komponisten hat das Konzerthaus als Veranstalter des
Musikfests aus Berlin importiert. Kent Nagano führte das
seit Herbst von ihm geleitete Deutsche Symphonie-Orchester Berlin
zu enormer Präzision, plastischer Linienführung und
hohem Maß an Durchsichtigkeit. Zur exemplarischen Klarheit
gesellt sich verführerische Sinnlichkeit, die im Tanz um
das Goldene Kalb kulminiert.
Simon Halsey meistert als neuer Chef des Berliner Rundfunkchores
gleich zum Einstand eine der schwierigsten Hürden: Was seine
Schützlinge an rhythmischer Präzision, dynamischer
Differenzierung und deklamatorischer Deutlichkeit leisten, ist
phänomenal.
Den Aron singt Donald Kaasch mit höhensicherem Tenor,
aus dem Ensemble ragt der wuchtige Bass von Kwangchul Youn hervor.
ENR Im Radio: 13. Juli, 19.30 Uhr, Ö 1.

Sprachgewalt und tönende Ohnmacht
Moses und Aron von Arnold Schönberg, konzertant dargebracht,
sollte ein Höhepunkt des Festwochenprogramms im Konzerthaus
werden. Es gelang nicht.
VON WILHELM SINKOVICZ
Dietrich Fischer-Dieskaus Comeback, nichts Geringeres, war avisiert.
Der Liederpapst in Ruhe hat sich der diffizilen Aufgabe angenommen,
die auf Tonhöhen notierte Sprechpartie des Moses in Arnold
Schönbergs unvollendeter Oper Moses und Aron zu gestalten.
Daran sind schon etliche Sänger und/oder Schauspieler gescheitert.
Denn das Mittelding aus Singen und Sprechen gelingt kaum ohne
Peinlichkeit.
Selbstverständlich, ist man versucht zu sagen, hat der unverwechselbare
Gestalter Fischer-Dieskau jedoch auch für diese Rolle eine
bravouröse Lösung gefunden, die ihn als einen der klügsten
und intellektuell anspruchsvollsten Interpreten ausweist: Klare
Diktion, unprätentiöse, aber durchschlagskräftige
Attitüde machten die Passagen des nach Ausdruck ringenden
Religionsstifters zum Ereignis. So schien die berühmte Schlußphrase
"O Wort, du Wort, das mir fehlt" auf das Umfeld der
Produktion gemünzt.
Denn Fischer-Dieskau stand nicht allein auf dem Podium, sondern
reiste mit einer Künstlertruppe an, die das Werk bereits
in Berlin zur Aufführung gebracht hat und die auf der ganzen
Linie enttäuschte. Wer Moses-Produktionen der Wiener Staatsoper
(unter Dohnányi) oder der Salzburger Festspiele (unter
Levine oder Boulez) in Erinnerung hat, der wurde mit den Leistungen
des Deutschen Symphonieorchesters nicht glücklich.
Undurchdringliche Klänge
Zu oberflächlich, zu eindimensional ließ Dirigent
Kent Nagano seine Truppen durch die Fährnisse der Partitur
stürmen, oder besser: über sie hinweg. Denn was Schönberg
an klanglichen Finessen und dynamischen Nuancierungen vorgesehen
hat, blieb mehrheitlich unbeachtet.
So entstand ein undurchdringliches Klangkontinuum, das, a propos
Zwölftonmethode, den Eindruck erweckte, hier erklängen
fortwährend sämtliche Töne der Skala gleichzeitig;
und allesamt in der gleichen Lautstärke. Nichts von der
magischen Stimmung der Szene mit dem brennenden Dornbusch, nichts
von den verzehrenden Klängen der Glaubensnot, die dieses
Werk in differenzierteren Gestaltungen zum faszinierenden Zeugnis
eines ringenden Geistes machen.
Quälend auch die gepreßten, in vielen gefährlichen
Momenten falsettierten Töne des Aron von Donald Kaasch,
ordentlich immerhin die übrigen kurzen solistischen Einwürfe,
und zumindest im Hinblick auf die Tonhöhen wacker die Leistung
des Berliner Rundfunkchors.
So gab es zuletzt soliden Applaus für eine Pflichtübung
zum Schönberg-Jahr. Neue Freunde hat man dem Werk damit
wohl kaum gewonnen.
© Die Presse - Wien 9.6.01
Konzerthaus: "Moses und Aron"
Leidenschaftlich präzis
Von Manfred A. Schmid
Arnold Schönberg selbst hielt seine Oper "Moses
und Aron", die ebenso wie sein vor einigen Monaten an der
Staatsoper szenisch umgesetztes Oratorium "Die Jakobsleiter"
unvollendet geblieben ist, für unspielbar. Insbesondere
die überaus komplexen Chöre - die Stimme des Volkes,
das zwischen den beiden Protagonisten hin und her gerissen ist
- stellen eine enorme Herausforderung dar.
Bei der jüngsten konzertanten Darbietung dieses Werks im
Großen Konzerthaussaal - die Oper wurde in Österreich
zuletzt vor einigen Jahren am Innsbrucker Landestheater mit Erfolg
aufgeführt - wurde Schönbergs Befürchtung von
den Berliner Gästen erneut eindrucksvoll widerlegt. Der
von Simon Halsey einstudierte Rundfunkchor Berlin bewältigte
seine emotionsgeladenen, von Wankelmütigkeit, Ängsten
und Ungeduld geprägten Passagen mit Bravour. Der amerikanische
Tenor Donald Kaasch, als Aron die Verkörperung des kompromissbereiten,
pragmatisch orientierten Religionsvermittlers, der den Menschen
nicht nur aufs Maul, sondern auch in die Köpfe und Herzen
schaut, gestaltete die in große Höhen aufsteigende
Partie mit intensiver innerer Beteiligung.
Für die Sprechrolle des Moses, seines Bruders und Gegenspielers,
der den Prototyp des Verfechters der reinen und unverfälschten
Lehre darstellt, wurde Dietrich Fischer-Dieskau aufgeboten. Sein
Einfühlungsvermögen und rhythmisches Gespür waren
ideale Voraussetzungen dafür, dass diese biblische Gestalt
in all ihrer Wucht und Unbeirrbarkeit im Zentrum des hitzigen
Geschehens stand. Etwas weniger "gesanglicher" Einsatz
in manchen dramatischen Szenen wäre aber vielleicht am Platz
gewesen.
Kent Nagano am Dirgentenpult war ein leidenschaftlicher und dennoch
präziser Ordner oft widerstrebender Klangwelten, das Deutsche
Symphonie-Orchester Berlin trug zu einem konzertanten musikdramatischen
Abend bei, der das Etikett außergewöhnlich und ereignishaft
verdient.
Erschienen am: 07.06.2001
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